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116 Richard Cobden. Wieder ist einer der Männer dahingegangen, die durch eigne Geisteskraft in die Höbe stiegen und durch ihre Lcdren und ihr Beispiel die Welt um- gestalteten: Richard Cobden, der berübmte Vertreter des Freibandels und einer der merkwürdigsten Män ner unserer Zeit, ward am 3. Juni 1804 zu Dun ford bei Midhurst in England geboren. Sein Vater gebörte zur Classe der kleinen Eigenthümer, die ihre Scholle Lankes selbst bebauen, und die heute in England fast ganz verschwunden sind, indem die Absicht, den Grundbesitz in wenigen Händen zu vereinigen, immer mekr überbandgenommen. Auch Cobden's Vater wurde das Opfer tiefer Richtung; er verlor seine kleine Habe und hinterließ eine Fa milie von 9 Kindern in äußerster Dürftigkeit. So mußte der junge Cobden in seiner Kindheit die Schafe küten und erhielt keinen andern Unterricht als im Lesen, Schreiben und Rechnen; höbere Bil dung gab er sich erst in später» Jakren durch eigene Anstrengung. Da er jedoch einen aufgeweckten Geist und festen Charakter zeigte, so berief ibn ein Onkel, der in London einiges Vermögen als Cattunfabri kant erworben batte, zu sich; allein nach einigen Jakren gerictk-n die Umstände desselben in Zer rüttung, und Cobden sah sich von neuem obne alle Hülfsquellen. Um diese Zeit verfertigte man sämmt- liche Kattune erster Qualität in der Nahe von Lon don, wahrend die geringer» Sorten, welche die Hauptmasse ter Production Englands ausmachen, zu weit niedriger« Preisen in Manchester und der Umgegend erzeugt wurden. Der junge Cobden ver fiel auf die Idee, sich nach Manchester zu begeben und dort, seine in London erworbene Erfahrung benutzend, eine Manufactur der bessern Gattungen Kattun anzulegen. In kurzem gelang es ibm, eine Fabrik zu errichten, deren Erzeugnisse in Farbe und Zeichnung den in London producirten Kattunen gleichkamcn, und als er 1835 die politische Lauf bahn betrat, zählte er bereits zu den geachtetsten Manufacturistcn jener Stadt. Oeftere Ausflüge nach Frankreich, Belgien und der Schweiz batten seine Anschauungen erweitert. Cobden sprach sich für ein System des Friedens aus, machte die Ansprüche der Diplomatie lächerlich , verwarf den alten Lehr satz von dem Gleichgewicht der Macht, und be hauptete, daß die Sendung Englands darin bestehe, seine Handelsverbindungen und seinen moralischen Einfluß über die ganze Welt auszudebnen, ohne mit Jemand Krieg zu führen. Diese Schrift und eine zweite in demselben Geist erregten in Manchester Aussehen und erwarben dem Verfasser einen ge wissen Einfluß bei der industriellen Aristokratie Lan cashires. Er benutzte diesen zur Gründung des Athenäums, eines der geistigen und sittlichen Aus bildung der in den Fabriken und Comptoiren Man chesters beschäftigten jungen Leute gewidmeten In stituts, welches im December 1835 mit einer von Cobden gehaltenen Rede eröffnet wurde. Zum ersten mal trat hier Cobden öffentlich auf, und man hat ihn seitdem ost sagen hören, daß er hierbei alle Fassung verloren. Auch in späterer Zeit hat er, wie er versichert, trotz seiner glänzenden Erfolge als Redner sich nie ganz von dieser Aengstlichkeit befreien können, wiewohl er sie durch eine seltene Willenskraft zu überwinden wußte. Obgleich Manchester die erste Fabrikstadt in England war, befand cs sich damals noch unter der Jurisdiction eines feudalen Grundherrn, der die städtische Verwaltung nach Gutdünken anord nete und die Localsteucrn ausschricb. In Verbin dung mit einigen gleichgesinnten Freunden brachte Cobden cs dahin, daß die Macht des Lord of the Manor einem Gemcinkcrath Platz machte, in wel chen er selbst als Aldermann gewählt wurde. Kurz darauf ward er Präsident der Handelskammer, und sein Ansehen wuchs mit jedem Tage. Unterdessen batte Cobden auf einer Reise nach den Vereinigten Staaten die dortigen Zustande in ökonomischer und industrieller Beziehung stukirt, besuchte dann Aegyp ten, die Türkei und Griechenland und 1838 Deutsch land. Der Anblick der Ritterburgen, deren Trüm mer sich an den Ufern des Rhein und der Donau erheben , und der Gedanke an den Hansabund sollen ibm die erste Idee eines Vereins zum Schutze der Interessen des Mittelstandes gegen die Uebergriffe der Aristokratie gegeben haben, welche zur Grün dung der Gesellschaft zur Aufhebung der Kornge- setze führte. Die Wirkungen der englischen Korngefttzc wa ren schon lange in England empfunden, und eine kleine Association war bereits seit einigen Jahren gegründet worden, um das Publicum über die Wichtigkeit dieser Frage aufzuklären, als Cobden im Oktober 1838 aus Deutschland nach Manchester zurückkekrte. Bald nach seiner Ankunft kielt die Handelskammer eine Sitzung, um über cincP.tilion an die Regierung wegen der Herabsetzung der Korn- zölle zu bcrathschlagen. Cobden crhob sich, um die gänzliche Abschaffung derselben zu fordern, und nach einer lebhaften Debatte erhielt sein Amende ment die Stimmenmehrheit. Kaum war die am 13. Decbr. 1838 von der Handelskammer in Man chester an das Parlament gerichtete Vorst.llung bekannt geworden, als aus allen industriellen Ort schaften des Königreichs ähnliche Anträge einlicfen, und im Frühjahr 1839 erschienen 200 Dclegirte in London mit Petitionen, die von 2 Mill. Unter schriften bedeckt waren. Trotzdem fanden sie beim Unterkause wenig Beachtung, denn die Gutsbesitzer glaubten, die Landwirtkschaft müsse zu Grunde geben, wenn fremdes Getreide zu demselben Preise in England verkauft werde, wie sie es lieferten. Der Erfolg hat Cobden Recht gegeben, seit Auf hebung der Kornzöllc ist die englische Landwirth- schafl viel gewinnreicher geworden. Allmähllch aber ward der Minister selbst zu den Ansichten seines Gegners bekehrt, und nachdem die Aufhebung der Getreidezölle auf eigenen Antrag dieses Staatsmanns beschlossen worden, erklärte derselbe in seiner berühmten, am 26. Juni 1846 gehaltenen Rede, daß das Verdienst dieser segens reichen Reform einzig und allein Cobden gebühre.