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1V8 schiedtner auffällt und der Sturm geht in so roher Ungebundenheit mit entwurz>llcn Baumen und los- gerissenen Felsstücken um, daß man wünschen möchte, die Polizei wäre einmal sämmuich am Platze. Deshalb wvllien amD olle diese beängstigten Reisenden im schützenden Waggon geborg n sein. Da den schnell verwobmen Menschenkindern bereits schon di« Eisenbahn zu langsam gebt, so zögerte natürlich der brausende Zug allen diesen, für die „gelbe Postkutsche" langst kein Grkächlniß mehr Habenden, bis zur Empörung langsam auf dem Flußdamme heran und noch hielt der Train nicht völlig still, so entstand jems Gedränge der Selbst sucht nach Plätzen, daß vor einer Tkierfütterung nichts als die Menschheit des Andranges voraus hat. Die dem Courierzug gestatteten fünf Minuten Halt hatten nur noch den kleineren Rest vor sich. Auf all den vorausgegangenen Tumult war der Perron jetzt um so öder und die Schaffner beschäf tigten sich bereits damit, die Wagcnthüren auf guten Verschluß zu prüfen. In diesem, jedem Nachzügler haarsträubenden Augenblicke, stürmte ein junger Mann daher, aus der Ferne schon mit Regenschirm und dem von Reisegerälh bedeckten andern Arm heftige Zeichen telegrapkirend, wie mit wahnsinnig gewordenen Windmüklenfiügeln. In fliegender Kleidung, von Ueberstürzung erhitzt weniger wie Milch und Blut g malt, sondern wie in Krebsbutter gekocht, schrie er im Herbeistürzen: » Halt! Lvcomotive, Halt! Damen - Couper, zweiter Claffe... nach Dresden... Uff!" Dabei stürmte er nach der Spitze des Zuges, während an dessen Enke ein Schaffner: „Hier, mein Herr!" rief und zugleich eine Wagentbür öffnete. Die übermäßige Eile der Reisenden, mag die selbe bei Bahnbeförkcrung auch noch so gerechtser- ligt erscheinen, hat für den Unbetheiligten immer etwas Komisches. Den gesichert aus allen Wagen bückenden und darum spöttischen Gesichtern wurde indeß das Gebalrcn des Berspateten, durch einen anmuthigen Gegen sitz noch lächerlicher. Dem sich ziemlich albern geberdenden Passagier folgte nämlich eine augenscheinlich seiner Obbul anvertraute Dame. Jung und schön gewachsen, in feiner Toilette, ein liebliches Gesicht zum Theil hinter herabgelasse nem Schleier verborgen, folgte sie ihrem Vorläufer, ohne durch hastende Eile das Gesetz der Grazie zu verrücken. Bei der über ihr ganzes Wesen wie em eingeborener Feinbeitssinn verbreiteten schönen Ruhe halte sic sofort das Richtigere erkannt und ließ ihren Begleiter unbehindert nach der Spitze des Zuges rennen, wahrend sie selbst in unverän derlich ruhiger Haltung dem Ende der Wagenreihe zuschritt. Von den Schaffnern am Kopfe des Zuges zurechtgcwiesen, machte dann der Eilfertige mit der Natur eines Rennpferdes Kehrt und kam sogar noch ein paar Schritte vor der, wie in einem Salon gleichmäßig daherschwebenden Dame an die Wagenthür. Nun passirle etwas scheinbar, bei der Ver- rüpelung der Sitten in der Jetztzeit, so Unerheb liches, daß nur ein an der Innerlichkeit des Vor falles besonders interessirtes Gemüth mehr daran herausfüdlen mußte, als eine alleinige Verletzung des guten Tones- Der Condueteur hielt den geöffneten Schlag, der junge Mann stolperte mit keuchender Hast in das Coupec und wäre sicher mit halbem Kraftauf wand, sowie anständiger hineingekommen, wenn er sich der dazu gewonnenen Zeit hätte angemessener bedienen wollen. Denn während er noch da und dort anrckte, ließ er der Dame viel zu lange Muße, seinen Rücken auf dessen Lastfähigkeit anzusehen. Währenddem ordnete sie behend, mit unerschütter licher" Eleganz ihre Gewänder zum Einsteiger» und der artige Schaffner übernahm am Wagentritt die Rolle, aus welcher der so schnöde nur an sich selber denkende Eavalier gänzlich gefallen war. Der erste Donncrschlag und das Schrillen der Signalpfeife sielen in die gleiche Sekunde. Der majestätische Schall setzte das Gewitter, der schwächere den Bahnzug in Bewegung. Inzwischen war der junge Mann mehr aus «inen Sitz dcs Coupees gefallen, als mit guter Manier zur Niederlassung gelangt. Geräuschlos und geschmeidig hatte die Dame ihrem Begleiter gegen über Platz genommen und ebenso war sie im Ru in der Wagenecks eingerichtet. Ein puffender Athemstoß, ungethümlich wie bei einer Lvcomotive, dann noch ein zweiter und ver hallender, endlich noch ein dritter, das waren die ersten Laute, welche der Erhitzte ausstöhnte. Dann hatte er viel mit sich zu thuo. Die getragenen Effecten wurden mit Andern belästigender Umständ lichkeit untergebracht. Dasselbe galt für behagliche Unterkunft der Füße, vor Allem aber forderten nun Halskragen, Cnemisette und Eravatte die emsigste Sorge und endlich kam das Wichtigste an die Reihe: eine liebevolle und langwierige Beschäftigung mit der Frisur! Zu alledem bot die Dame wiederum den ge fälligsten Gegensatz. Ohne merkliche Beachtung der vorgeschildertsn männlichen Trivialitäten, ihr ernstes Gesicht dem Wagenfenster zugekehrt, hatte sie weder ein Band noch eine Spitze ihrer Kleidung zurecht geglättet. Sie verschmähte entweder oder sie be durfte aller solcher Nichtigkeiten nicht. Jedenfalls war ihre sichtbare Erscheinung so ganz der klare Abglanz einer ebenso anmuthigen wie seinen Seele und dieser nach ordneten sich bei ihr Aeußerlichkeilm zart und natürlich leicht ganz von selbst. Noch einen Kammstrich da, dort wiederholt etwas zupfend; endlich nach genauester Selbstprü fung — aber nur in einem Taschenspiegel — lehnt sich der nun wieder nach eigener Meinung „Wohl gefällige" behäbig zurück und nach einem neuen, starken Blasebalgstrom feiner Lungen fühlt er sich gemüthlich genug, jetzt auch wieder in Galanterie- Waare machen zu können. „Nun? Sind Sie ebenfalls noch glücklich her- ringekommen? Das hat Schweiß gekoster! Sitzm Sie eben so gut wie ich, liebe Hermine?" . . . Dies ungefähr waren die ersten Beweise, welche