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Sogar die Festungsartillerie des 2. Aufgebots der Miliz wird aus dem Norden au die südliche Grenze gezogen; das 3. Aufgebot (Reserve) ist seit 28. Juni einbcrufen. Was mit einem Male zu dieser kriegeri schen Wendung der Dinge geführt hat, ist trotz aller Gerüchte und Berichte noch immer nicht aufgeklärt. In größter Verlegenheit befindet sich die österreichisch-ungarische Regierung. Die nothwendigen Schutz maßregeln an der Grenze kosten ihr nicht nur schweres Geld, sondern führen auch zu fortwährenden Reibereien mit den zahlreicken Serben und Crvaten im Lande, die schon an undsür sich mi. den stolzen Magy aren auf hinreichend gespanntem Fuße sichev. Wahrscheinlich ist die Nachricht von entscheidenden Schritten schon unterwegs. Serbien schlägt nicht allein los, sondern in einer Quadrupel- Alliance. Wie die aufständischen Herzegowiner den Fürsten von Monte negro, so haben die Bosnier den Fürsten von Serbien zn ihrem Fürsten ausgcruscn; es wird also Bosnien für Serbien und die Herzegowina für Montenogro der Siegespreis sein. Ein Fünfter, der Geld und Waffen und Officiere gestellt hat und cs im schlimmsten Fall nicht zum Aeußcrsten kommen lassen will, steht hinter ihnen. Die serbische Hauptarmee, aus den besten serbischen Truppen bestehend und etwa 40,000 Mann stark, wird von dem russischen General Tschernajeff befehligt. Die serbische Gesammtarmce wird auf etwa 140,000 Mann geschätzt, kriegstüchtig wird nur der kleinere Theil sein. Serbische Avantgarden haben bereits das Greniflüßchen Drina überschritten. Der Fürst von Montenegro hat alle Waffenfähigen vom 17.—60. Jahre einberufen und wirds auf 17,000 Mann bringen. Bedenklich für die Türken lautet das Urtheil der französischen und englischen Officiere in der Herzegowina. Auf die Frage ihrer Re gierungen, ob die türkische Aimee fähig sei, die Serben und Monte negriner empfindlich zu züchtige», antworteten sie, daß von 4 türkischen Lagern nur 2 solide Soldaten zählten. Fürst Milan von Serbien ist am 29. Juni unter Kanonendonner und Zurufen des Volkes zur Armee an die Grenze abgereist. Dort angclaiigt wird er eine Proclamalion erlassen. Der Erzbischof und die Bischöfe find zur Armee gereist, um sie zu segnen. Der Krieg steht also vor der Thür, er wird aber für Europa nicht gefährlich werden, wenn die englisch-russischen Verhandlungen gelingen. Der Fürst hielt vor seiner Abreise aus Belgrad folgende Ansprache: „Sol daten! Als erster Soldat stelle ich mich an die Spitze meiner Armee und ziehe ins Feld, um unser Vaterland gegen den gemeinsamen Feind zu Vertheidigen, um meinem Rufe und dem Namen, den ich führe, zu entsprechen. Ich vertraue euch mein Weib, eure Fürstin, beschützt sie und die Residenz. Lebt wohl!" Hieraus ergriff der Fürst die Fahne, küßte sie und übergab sie einem Ofsicier, an welchen er folgende Worte richtete: „Krieger! Ich übergebe Dir diese Fahne; nimm und veltheidige ste bis auf den letzten Tropfen deines Blutes." England verhandelt mit Rußland eben so geheim als eifrig über die Lösung der -orientalischen Wirren. England bietet alles auf um Rußland zu einer dauernd friedlichen Politik zu bestimmen Man kann sagen, daß cs der Weltsriede ist, welcher von dem Ausgang dieser Verhandlungen abhängt. Ein deutscher Staatsmann, darüber befragt, ob Deutschland unter allen Umständen zu Rußland halten werde, antwortete: „Noch stehen wir den Dingen kühl, aber aufmerk sam gegenüber; was die nächsten Tage bringen werden, ist ungewiß." Man deutet das dahin, daß auch Deutschlands Mitgehen im Fall der Weigerung Rußlands, den englischen Friedensbemühungen zu folgen, mehr als fraglich ist. Man Hal einst gerühmt, wie behaglich sichs liest, wenn die Völker weit hinten in der Türkei auf einander schlagen. Das Auseinder- schlagen ist da, aber das Behagen daran fehlt selbst dem dämlichsten Philister. Heutzutage giebis kaum mehr ein „weil hinten", die Ferne ist zur Nähe geworden und wir Europäer bilden alle eine ungeheure gemeinsame Kette, durch die der electrische Funke fährt, er mag ein schlagen, wo er will. Auch wird das, was im Orient i» dem wunder lichen Völkcrmischmasch von Christen und Muhamedancrn, Slaven und Türken vorgeht, kein Schlagen, sondern ein Schlachten werden, zu welchem sich der Glaubens- und Racen-Haß die blutigen Hände reiche». Und wer wird das letzte Wort sprechen? Wenn die großen von widerspenstigen Interessen geleiteten Mächte den fett einem Jahre glimmenden Funken nicht austöschen konnten oder wollten, was werden oder können sie thu», wenn die ganze europäische Türkei in Flammen steht? — Die Rumänier (Moldau und Walachei) und die Griechen verhalten sich anfangs vielleicht ruhig, aber wie lange, wenn der Brand in Serbien, Montenegro, Herzegowina, Bosnien und in der Bulgarei uni sich greift? Der Aufruf des (christlichen) Revolutions- Ausschusses in der Bulgarei alhmet eine fast bestialische Wildheit; was für Geister werden da entfesselt! Da heißt es: „Die Bischöfe, Mönche und Priester, die nicht mit in den heiligen Krieg ziehen, sie mögen ausgeplündert, ihnen alles niedergebrannt, sie selbst geköpft und erschlagen werden". — Die Reichen, welche ihre Beisteuer ver weigern, „sie mögen vertilgt werden wie ein unnützes Ding." — Die Gesunden und Kampffähigen, welche müssig bleiben, — „sie mögen ausgeroltet werden." Alle Bulgaren, die nicht selbst mitkämpfen, »der Mittel zum Kampfe spende», — „nieder mit den Verrückten, zum Teufel ihr Geld und ihre Köpfe, sie sind als Verrälher dem Gericht der Erde verfallen und möge sie Lie Erde verschlingen." Und das sind dort keine Redensarten, Köpfe werden dort schon lange herunter gesäbelt saus pstra86. Aie Land. Historische Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höfe." „Schein und Sein." (Fortsetzung.) „Ich habe die Früchte meines Treibens nicht genossen," fügte er ernst und reuevoll hinzu; „ eine schwere Krankheit warf mich aufs Krankenlager und die langen, einsam qualvolle» Nächte brachte» mich zur Erkeuuluiß meiner That. Kannst Du mir nicht verzeihen?" Die Worte wurden so warm und herzlich gesprochen, daß Ludwig, in dessen Seele kein Arg, an der Wahrheit derselben nicht mehr zu zweifeln vermochte. Er entgegnete daher: „Mich frcut's, wenn Du mir Gerechtigkeit widerfahren läßt. Ich hätte nimmer gedacht, daß uiijcr Widersehen ei» so friedliches werden könnte." „Ich fühle nur zu schmerzlich die große Schuld gegen Dick, aber vielleicht vermag ich sie jetzt abzulragen, indem ich Dir die Freiheit zu verschaffe» flicke." „Die Freiheit?" fragte der Gefangene, vor Freude ausjauchzend; „das wolltest Du? mein früherer Todfeind! nein, nein, es ist nicht möglich. „Und doch ist es wahr, ick schwöre, Deine Rettung ist mir heiliger Ernst! gedulde Dich »och wenige Tage, vielleicht Stunden, dann ist Alles zur Flucht vorbereitet und Du bist frei! Doch für jetzt leb' wohl!" Erdrückte dem Gefangene» freundlich die Hand, die dieser herzlich schüttelte. Hätte Ludwig in das Herz des Fortgehenden sehen können, er würde um ein groß Theil Glauben an die Menschen ärmer geworden sein. — Dem elenden Georg kam nicht einmal der Gedanke in den Sinn, den Kiiote» mit einem kühnen Schlage zu durchhauen. Hätte er sich entschlossen, Boleslaus milzutheilen, daß ganz in der Nähe, in seinem eigenen Schlosse, sein fv sehnsüchtig herbeigc- gewüuschler Sohn sich befinde, so hätte er erst in Wahrheit seine Schuld gebüßt und er konnte dann getrost abwarlen, ob ihn Boles laus gegen die Kroatin schützen würbe. Deese halte beim Anblick des Gefangeile» ein besonderes Jitteresse für ihn gefaßt und fragte, als sie noch an dem nämlichen Tage mit Georg zusammenkam: „Was macht Dein Gefangener?" „Schlecht, sehr schlecht," war die Antwort, „der arme Teufel wird uns sicher zum ersten und letztcnmale überfallen haben." „So? — kein Besserwerden?" „Keines," entgegnete Georg lebhaft, „ die Wunden sind zu tief." „Nun dann glückliche Reife dem tollen Wicht!" Und sie ging zurück in ihr Zimmer. Aber so gleichgillig ihre Fragen, sie hatte den Gefangenen ein mal ins Auge gefaßt und mußle ihn Wiedersehen. Am ander» Tage wurde Georg für den Vormittag unter irgend einem Vorwande vom Schlosse entfernt, und sie eilte sogleich zu dem Schließer, sich Ludwigs Gefäiigniß öffnen zu lassen. Gespannt und forschend trat sie ein. Zu ihrem großen Erstaunen fand sie statt des zum Tode kranken einen wieder recht rüstig aus sehenden, kaum seine Wunden fühlenden Menschen. Die Aussicht auf Freiheit hatte wunderbar belebend aus de» Gefangeiicn gewirkt. Da hinter mußte ein Geheilnniß stecken, das zu ergründen war; sie nä herte sich mit ihrem freundlichsten Lächeln dem Gefangenen und sagte: „Ich komme, die Wunden zu heilen, die ich Dir geschlagen." „Wunden von Weibern gehen niemals lief," entgegnete ruhig der Gefangene. „Ich würde Dein Herz schon gefunden haben, wenn ich Dich nicht schonen gewollt; Du solltest mir dankbar sein," bemerkte die Kroatin freundlich, die gerade von der Schroffheit des Gefangenen angezogeu wurde. „Wofür? für eine schmachvolle Gefangenschaft? die verfluche ich tausendfach, lieber den Tod!" Junger Freund, das Leben ist schön, man wirst es nicht so leicht weg, wenn man den Becher noch nicht ausgekostet!" „Für mich sind nur »och Hefe» darin!" „Sollte Dir ein liebend Fraucnherz nicht eine andere Meinung bringen?" fragte die Kroatin zutraulich. „Neiß mir nicht eine Wunde auf, die mich am tiefsten schmerzt," entgegnete Ludwig düster. „Das will ich in Wahrheit," entgegnete lachend die Kroatin, „ich will sehen, ob Dein Verband kunstgerecht angelegt, denn ich ver stehe mich darauf." Er wollte sie finster abwehren; aber warum schnöde eine freund liche Gesinnung von sich stoßen? Er ließ es zögernd zu. Sie streifte den alten Verband von der Achselwunde, um einen neuen aufzulegen. Kaum aber hatte sie das Hemd etwas zurückge schoben, als sie wie von einer Schlange gestochen zurücksuhr. — Ihre Hand zitterte, ihre Lippen wurde» bleich und sie gerieth in die hef tigste Bestürzung. Dennoch, ehe Ludwig ihre Aufregung gewahren konnte, hatte sie sich mit stählernem Willen bcmeistert und ihre ge wöhnliche Ruhe errungen, so daß sie freundlich dem Gefangenen den Verband anlegen konnte, während ihr Inneres von tausend wilden, düsteren Gedanken durchzuckt wurde. Da war kein Zweifel, sie hatte den Sohn von Boleslaus vor sich; hatte sie doch dieselbe deutliche Hand auf der Brust des Fremden bemerkt, die ihr der lügnerische Georg als das Erkennungszeichen be schrieben.