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bereits, daß Wenzel ihr niemals etwas anders werden könne, als ein theurer Bruder, weil sie in ihm nicht jene Saite fand, die trotz ihres etwa überkräftigen Gebührens, dennoch tief und zart in ihr nachklang, die — des Gemüths. Sie hatte in frühester Jugend von einem Sänger ein Gedicht gehört, in dem eine Königstochter einen armen Knappen mit ihrer Liebe beglückt und zu sich hinauszieht. Das hatte wunderbar in ihr nachgeklungen und beschäftigte noch heute ihre Phantasie. In ihrem stolzen, hochwogenden Herzen lag dieselbe Sehnsucht, sich einst tief hinabzubeugen und den Niedersten durch ihre Hand zur Höhe zu ziehen. — Dieser künftige Glückliche sollte ihr Alles danken, in ihr ein gütiges Schicksal verehren, von dem er Licht und Wärme erhielt. Sie hatte bisher Niemand gefunden, der diesem Traumbild ge glichen, denn vor Allem forderte sie von ihrem künftigen Geliebten jene Beweglichkeit des Geistes, die zum Besteigen eines Herzogthrones befähigte. Da hätte es ja etwas dem Vater und aller Welt abzu trotzen gegeben, und das liebte ihre mit jugendlicher Begeisterung alle Fesseln abstreifende Seele. Sie war lange, da ihre Mutter früh verstorben, die einzige verzogene Tochter des Herzogs geblieben, und so hatte sie sich früh daran gewöhnt, überall als Herrscherin aufzutreten. Später freilich war sie vielleicht zurückgesetzt und kühler behan delt worden, als Herzog Heinrich noch einmal heirathete; aber auch diese zweite Frau starb schnell hinweg, nachdem sie ihm zwei Knaben hinterlassen, und so wandte sich die Liebe des Herzogs bald von Neuem seinem früheren Liebling zu und hielt sich leider nicht in jenen Schranken, die zu einer vernünftigen Erziehung erforderlich. Hätte der Herzog ahnen können, welch' phantastisch Gedanken spiel kch hinter dieser hohen Stirne regte, er würde aus seinen sü ßesten Träumen aufgeschreckt worden sein und hätte Vorkehrungen zu ihrer Abwehr getroffen. Das waren die Personen, mit denen Ludwig zu verkehren hatte. Der Herzog behandelte die Abgesandten, besonders den jungen Feldhauptmann mit großer Aufmerksamkeit. Letzterer hatte ein angeborenes feines Taktgefühl, das ihn im Umgänge stets das Rechte treffen ließ, und dies erwarb ihm rasch des Herzogs ganze Zuneigung die zuletzt eine solche Wärme annahm, daß ihn der Herzog nur ungern von der Seite ließ. Hedwig schien anfangs ihre übermüthige Laune auch an dem neuen Gaste ausüben zu wollen, begegnete aber einem so feinen, un durchdringlichen Widerstande, daß ihr Blick zum erstenmale mit einer gewissen achtungsvollen Scheu aus einem Manne ruhte. Die Rüstungen des Herzogs wurden mit großem Eiser betrieben, überall Schaaren geworben und ganz Glogau zu einem einzigen Waffeuplatze verwandelt; denn nur bis an die Zähne gewappnet, von einem tüchtigen Heere gefolgt, wollte der Herzog dem Brieger den Fehdehandschuh Hinwersen, und eine solch ungewöhnliche Rüstung erforderte viel Zeit und Geld. Ludwig hatte dabei vollauf zu thun, und da seine Gegenwart hier nöthiger war, als beim Münsterbcrger, so blieb er auf die Ein ladung des Herzogs so lange dort, bis sich das Heer selbst in Be wegung setzen und zu den Verbündeten stoßen konnte. Nur die Abendstunden waren noch sein, in denen er im Park herumschweifte oder sich ermüdet auf eine Bank des Schloßgarlens warf. — Dort fand er eines Abends eine Laute. Welch schmerzliche Er innerungen weckte nicht in ihm dies Instrument! Er gedachte der Zeit, wo er Ulriken vollen Herzens seine schönsten Lieder vorgespielt und doch nicht ihr eitles Herz bewegt. Unwillkürlich langte er nach dem Instrument und griff einige Akkorde, die sich bald zu einem jener Lieder aus früherer Schmerzens zeit gestalteten. Ganz in seine Träume verloren, gewahrte der Spielende nicht, daß er einen aufmerksamen Zuhörer erhalten. Hedwig, die in Weichen Stunden gern auf diesem Instrument spielte, hatte es dort am Nachmittage liegen lassen und kam jetzt, die Laute wieder zu holen. Sie war überrascht, den Gast ihres Vaters, den sie nur für einen tüchtigen, anspruchslosen Kriegsmann gehalten, diese schöne Kunst ausüben zu sehen und blieb schweigend in der Nähe stehen, um mit ganzer Seele diese Töne einzusaugen. Endlich sah Ludwig auf und bemerkte die lauschende Hedwig. Bestürzt wollte er sich entfernen, aber diese vertrat ihm den Weg und sagte: „O nein, so entgeht man mir nicht! Dies Lied hat mich Alles gelehrt, ich kenne jetzt unsers Gastes Kummer." Er mußte lächeln, obgleich es ihm unangenehm war, sich vor diesem brauseköpfigen Mädchen in einer solch weichen Stimmung ge zeigt zu haben. Doch diese beseitigte seine Verlegenheit, indem sie von ihrer Vorliebe für Musik sprach, und bald hatten sich die Beiden in eine trauliche, gemüthanregende Unterhaltung hineingeplaudert. Ludwig bemerkte mit Vergnügen, daß in diesem anscheinend so überkräftigen, männlichen Frauencharakler dennoch alle zarten Saiten eines echten Weibes schlummerten, die recht melodisch wiederklangen, wenn sie eine geschickte Hand berührte. Alle Abend brachten von nun an die Beiden mit Spiel und Unterhaltung zu, was dem scharfblickenden Wenzel anfangs lächerlich und albern, später aber verdächtig erschien und seine Eifersucht erregte. Der fremde Hauptmann hatte dem jungen Wenzel wegen seines ritterlichen, besonnenen Benehmens in der ersten Zeit Achtung abge zwungen, aber von seinem Lautenspiel hörend, meinte er verächtlich: „Der Teufel hole alle Musik die nicht zum Schwertertänze führt, wer die Laute schlägt, muß Unterröcke tragen." Eines Tages ritt der Herzog mit seiner Tochter, Ludwig und dem jungen Münsterberger spazieren. Wenzel hatte sich unmuthig von der Partie ausgeschlossen. Man kam in den entlegenen Theil des Parkes. In der Ferne schimmerte ein Jagdhaus mit einem kleinen Thurm. Sie kamen näher und sahen, wie plötzlich auf der Plattform desselben eine weiße Frauengestalt erschien. „Mein Gott!" rief ängstlich Hedwig, „das ist Margareth, die ihrer Wärterin entsprungen sein muß." Und der Herzog fügte erläuternd hinzu: „Das ist Boleslaus unglückliches Weib, die nicht eher Ruhe hatte, bis ich ihr dies HauS eingeräumt; hier scheint sie noch am ehesten Frieden zu finden, die Waldesstille thut ihr wohl." „Ich hörte, sie wäre längst todt," bemerkte Ludwig. „Ja, für die Welt," war die Antwort, „und ist sie nicht wirk lich todt? ihr Geist ist ja unheilbar verwirrt." Man sprengte auf das Gebäude zu, um ein Unglück zu verhüten. Aller Blicken wandten sich ängstlich auf die dort oben wie ein Irrlicht herumgaukelnde Erscheinung. Aber kaum war man dicht he rangekommen, da — vielleicht aufgeschreckt durch das Geräusch der Kommenden — streckte sie ihre Arme aus und schwang sich über das schwache Geländer in die beträchtliche Tiefe. Hedwig rief jammernd aus: „Sie ist verloren!" und das gleiche Wehe durchzuckte die Anwesenden, deren Augen sich unwillkürlich auf den Boden richteten, wo die Aermste, blutig verletzt und verstümmelt, wenn nicht entseelt, liegen mußte. Doch nein — noch war sie nicht verloren, wenn auch bereits der Abgrund des sichern Todes vor ihrem Augen gähnte. Ihr Kleid war an einem äußeren Haken des Geländers hängen geblieben und so schwebte sie über dem Abgrund, jeden Augenblick in Gefahr, daß der dünne Stoff völlig reißen und sie rettungslos in die Tiefe schicken konnte. „O Gott, noch ist es nicht zu spät," rief Hedwig aus, „um des Himmels willen retten wir die Unglückliche!" und sie eilte in be flügelter Hast, von ihrem Vater und dem Münsterberger Herzogssohne gefolgt, in das Gebäude, während Ludwig, schnell entschlossen, mil Gewandtheit an den vorspringenden Ecken des Thurmes hinaufklctterte und zu derselben Zeit auf dem höchsten Absatz desselben festen Fuß fand, als die Unglückliche herabzustürzen drohte. Er nahm sie in seine Arme, sie schien davon zusammenzuzucken und zur Besinnung zu kommen, daS sonst so verstörte, verglaste Auge ruhete mit eigenen, wiedergekehrten Lichtschimmer auf Ludwig, der sie mit Hilfe der jetzt oben auf der Plattform Angekommenen über das Geländer hob und sich dann ebenfalls darüber schwang. Der Herzog dankte dem Retter in freundlichen Worten für seinen rasch gewagten Beistand, aber mehr wie dieses, lohnte ihm ein ein ziger Blick aus Hedwigs dunklem Auge für feine kühne That. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. Posen, 7. Juni. Der Schauplatz einer unerhörten Rohheit und eines Scandals, wie man ihn in nnscrer Zeit für unmöglich halten sollte, war am zweiten Pfingstseiertage die katholische Pfarrkirche in Pieranie, im Kreise Jnowraclaw. An dem genannten Feiertage wurde dort unter überaus zahlreicher Belheiligung der katholischen Landbevölkerung der nahen und fernen Umgegend ein Ablaß gefeiert, und unter den vom Ortspropst Lizak zur geistlichen Aushülfe einge ladenen Geistlichen der Nachbarschaft befand sich auch der Propst Brenk aus Piaski, der unlängst in der „Gazeta Tor." seine Unter werfung unter die Maigesetze erklärt hat, und gegen den dann sämmt- liche polnische Blätter, auch die nicht clericalen, die wüthendsten Hetzer eien begonnen haben. Kaum hatte er den Altar betreten und sich mit dem erhobenen Sanctissimum der andächtigen Menge zugewandt, um nach Jnlonirung eines Kirchenliedes die Prozession zu beginnen, als sich in der Kirche ein furchtbarer Lärm erhob, der bald in Toben, Schimpfen und Fluchen ausartcte. Ein Theil der Tobenden drängte nach dem Altar und machte Miene, den cclebrirenden Geistlichen her unter zu reißen, ein anderer Theil begann die Kirche zu verlassen. Kaum gelang es Brenk, durch schleunige Flucht in die Sacristei den ihm drohenden Mißhandlungen zu entgehen. Der Ortspropst Lizak bestieg hierauf schnell die Kanzel, um die aufgeregte Menge zu be ruhigen, er konnte aber nicht zu Worte kommen. Aus der Mitte der tobenden Menge ließen sich nun plötzlich die Rufe: Feuer! Feuer! vernehmen. Alles drängte in wilder Flucht nach der Kirchcnthür und es entstand vor und in derselben ein so schreckliches Gedränge, daß viele Personen unter die Füße getreten und schwer verletzt wurden; eine Frau soll sogar getödtet sein. Unter dem nach der Kirchenthür drängenden Haufen befanden sich auch die Pröpste Brenk und Lizak, die in dem Gedränge arg mißhandelt wurden. Später gelang es ihnen, sich in das in unmitte!barer Nähe gelegene Pfarrhaus zu retten, das nun das Ziel der Angriffe wurde. An den Pfingsttagen benutzten 288,000 Berliner allein die große Pferdebahn.