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Wochenblatt Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Tiebenlctm und die Umgegenden. Mmtsklatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 47. Dienstag, den 20. Juni 18 76. — jMmiÄKchmrg^ Die diesjährigen Grasnutzungen auf der Vogelwiese und rechts und links an der Tharandter Straße und den Stadtgräben sollen Donnerstag, den 22. ds. Mts., Nachmittags 3 Uhr, , an Ort und Stelle unter den daselbst gestellt werdenden Bedingungen meistbietend verpachtet werden. Sammelplatz am Schicßhause. Wilsdruff, am 16. Juni 1876. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. HekKMtMKchMg. Der hiesige Rathskeller soll anderweit auf sechs Jahre und zwar auf drei Jahre gewiß und drei Jahre ungewiß vom 1. Januar 1877 ab verpachtet werden. Pachtlustige haben sich hierzu Sonnabend, den 1. Juli ds. Js., Vormittags 11 Uhr, an Rathhausstelle hier einzufinden und nach Mittheilung der Verpach'tungsbedingungen, welche auch schon vorher in hiesiger Rathsexpedition einaesehen werden können, ihre Gebote zu eröffnen und des Weiteren gewärtig zu sein. Wilsdruff, am 16. Juni 1876. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Tagesgeschichte. Manschreibt aus Dresden, 13. Juni: Mit dem spätestens zum Herbste dieses Jahres zu erwartenden Rücktritt unseres Minister präsidenten und Finanzministers Freiherr v. Friesen werden sich einige Veränderungen in unserem Ministerium überhaupt vollziehen. Als sicher verlautet jetzt, daß Herr v. Friesen in seiner Stellung als Finanzminister durch den dermaiigen Minister des Innern, v. Nostitz- Wallwitz, und dieser durch den jetzigen Kreishauptmann in Leipzig, Freiherr v. Könneritz (Schwiegersohn des Grafen Beust) ersetzt werden wird. Der Vorsitz im Gesammtministerium würde der Anciennetät nach auf den Kriegsminister General der Cavallerie v. Fabrice über gehen. Der Ankauf der sächsischeuPrivateisenbahnen durch den Staat ist in der Hauptsache bereits vollzogen. Die Bahnen Leipzig- Dresden, Chemnitz-Aue-Adorf, Hainichen-Roßwein, Chemnitz-Komotau, Zwickau-Falkenstein und die Sächsisch-Thüringische Bahn werden auf Grund bereits erfolgter oder unzweifelhaft in Aussicht stehender Be schlüsse der Kammer nächstens vom Staate übernommen werden. Herr v- Friesen hat übrigens mit seiner Eisenbahnpolitik nicht nur Glück gehabt bei der Landesvertretung, die ihm allenthalben fast einstimmig beigetreten ist, sondern auch bei der Finanzwelt; denn die zur Aus führung pxZ Ankaufes benöthigten Geldmittel sind mit einer Leichtig- beschaffen gewesen, welche von dem hohen Creditc der säch- Nlchen Staatswirtbschaft zeugt. So war die dreiprocentige Renten anleihe sofort nach ihrer Genehmigung durch die Kammern in der Hoye von 90 Millionen Mark an ein Consortinm vergeben, dessen Mitglieder die angesehensten Banken und Geldinstitute in Dresden, Leipzig, Berlin, Cöln und Frankfurt bilden. „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah", oder vielmehr: das Böse, könnte man den Reisenden zurufen, die nach Neapel wallfahrten, um im Beschauen des Wunders des heiligen Januarius sich zum Culturkampf zu begeistern. Ihr könnts viel näher haben, geht nur in die Kirche der rcichstreuen, auf einer Muldeninsel gelegenen Stadt Döbeln. In der sehr verdienstlichen, von den Herren Hingst und Biltz verfaßten und vom Buchhändler Schmidt in Döbeln, einem von eifrigem Localpatriotismus beseelten Verleger herausgegebenen „Chronik von Döbeln und Umgend" liest man folgende interessante Notitz: „In der westlichen Vorhalle der Kirche hängt ein in Lebensgröße aus Holz gefertigtes Kruzifix. Es ist ein uraltes Zeug- niß Papistischer Betrügerei. Das Kruzifix ist nämlich so gearbeitet, daß das Haupt auf- und niedergelassen werden kann; die Brust ist hohl und hinten im Rücken, zwischen den Schulterblättern, befindet sich ein viereckiges Thürchen. Mit Hilfe dieses Thürchens ließen die papi- stischen Priester Blut durch die geöffnete Seite fließen, wenn das blind gläubige Volk wegen irgend eines Ereignisses in Angst und Schrecken versetzt werden sollte; das nickende Haupt sollte der gläubigen An dächtigen Erhörung der zum Himmel emporgesendeten Gebete ankün- digcn. Und wenn bas Bild nickte oder Blut ausfließen ließ, dann schrie das arme berhörte Volk: Niruoulum, NirLouluna! — schlug sich an die Brust und that in Sack und Asche Buße oder weinte Dankes- und Freudenthränen." Vielleicht hat derartige Betrügerei dazu beigetragen, der Reformation in Döbeln früh Eingang zu ver schaffen. (Lpz.Tgbl.) Aus der Pfalz, vom Rhein, ans Schwaben und Franken gehen Nachrichten ein, daß der Stand der Weinberge bis jetzt ein recht zu friedenstellender sei und auch dieses Jahr zu schönen Hoffnungen be rechtige. Glücklicherweise habe der Frost in den meisten Gemarkungen nur wenig, ja in vielen gar nicht geschadet, und wenn auch die Ge scheine nicht so massenhaft vorhanden seien, wie im vorigen Jahre, so seien sie doch immerhin sehr zahlreich und versprächen, da sie nament- jich auch sehr schön seien, einen guten Ertrag. Sehr gewünschter Regen ist in den letzten Tagen auch cingetreten, und an vielen Orten sind bereits Traubenblüthen wahrgenommen worden. Blutig hat die neue türkische Aera begonnen, die Aera der Re formen, die unter dem Jubel der Hoffnungsseligen und Leichtgläubigen über den Bosporus aufging; Blutspuren bezeichnen ihren Eintritt, und blutig geht sie weiter. Die Ermordung der Consuln in Salo- nichi büßte Abdul Aziz mit einem Selbstmord, an dem er Wohl un schuldig ist, und Diejenigen, die man als die Urheber dieses angeb lichen Selbstmordes ansieht, sind nun nach kurzem Herrschaftstraume ihrem Opfer nachgefolgt. In der Nacht vom 15. znm 16. Juni waren die Minister bei Midhat Pascha zur Berathung versammelt, als ein vor Kurzem abgesetzter Officier, mit einem Revolver bewaffnet, in das Berathungszimmer trat und den Kriegsminister und den Minister des Auswärtigen tödtete und den Marineminister schwer verwundete.