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Donnerstag, 8. März 1906 "arz »IE Gemütlichkeit", wie sie es nannten, entzückt und tollten mit. Jetzt brauchte man auch gar nicht mehr auf die kost baren Toiletten zu achten, da sie ja noch schon zerknittert und mit ihren abgetretenen Schleppen und zerrissenen Volants keinesfalls mehr für ein zweites derartiges Fest verwendbar waren. Und so vergnügte sich denn die jüngste männliche Jugend mit ihren Tänzerinnen, ob diese nun Ballnovizinnen oder Veteraninnen waren. Es war in dem Ballsaale aber noch ein junger Mann, der ernster und gereifter schien, als die meisten anderen. Er tanzte wenig und stets nur mit der einen, seiner Braut, die an einem großen Blumensträuße aus Myrtenblüten, in die sich wenige dunkelrote Rosen mischten, als solche erkenntlich war. Sie dagegen, ein ganz junges, auffallend schönes Mädchen, tanzte unermüdlich; ihre Augen glänzten, ihre Wangen flammten und ihre Brust wogte atemlos. Die jungen Herren rissen sich um sie, wie es so geschmack voll Hecht, und sie flog willig von einem Arm in den anderen, um aber stets wieder auf 'hren Platz zurückzukehren, ihren Blumenstrauß zur Hand zu nehmen und mit ihrem Bräu- tigam zu sprechen. Ein wilder „Sir Roger" war eben beendet; eine Pause der Erschöpfung trat ein. „Grete", sagte der junge Mann zu seiner Braut, „nun hast du aber genug getanzt. Wir sollten endlich gehen!" Sie sah vorwurfsvoll zu ihm empor: „Aber, Fritz, spielst du schon den Eifersüchtigen? Mama hat doch erlaubt, daß ich so lange bleiben könne wie meine Freundin mit ihrer Mutier; und die sind noch da. Und dann bedenke: mein erster Ball!" Er schwieg, vielleicht zum zwanzigsten Male in dieser einen Nacht von den bittenden Blicken und der Schönheit seiner Braut und von seiner eigenen Liebe überwunden. Sie fühlte es und lachte nach einer Weile süß und schelmisch auf. „Ist es eigentlich nicht furchtbar komisch, Fritz, gleich den ersten Ball als Braut mitzumachen?" Dann sagte sie leiser: „Wenn ich auf den nächsten Ball gehe, bin ich schon Frau, deine Frau. Was dann wohl sein wird?" Er beugte sich zu ihr herab. „Bald", flüsterte er. Einen Moment verharrte sie wie traumverloren, dann kehrten ihre Gedanken wieder zum Augenblick zurück. „Darum, Fritz, mußt du aber nicht schelten, wenn ich heute so viel und so lange als nur überhaupt möglich ranze. Wenn du mir das versprichst, gehört die ganze nächste Tour dir." Gerade füllte sich der Ballsaal wieder mit Paaren, die scherzend umherwandelten. „Musik!" riefen mehrere laute Stimmen. Da erscholl ein langgezogener Trompeten stoß, und einer der jungen Leute schrie im Ausrufertoue in den Saal hinein: „Meine verehrten Herrschaften, die Musikanten waren zu alt und zu müde. Sie sind schlafen gegangen " „Aber", fiel im gleichen Tone die Stimme eines zweiten ein, „ihre Instrumente haben sie hier gelassen. Uud wenn die Herrschaften erlauben, wird eine exquisite, aus allen Weltausstellungen prämiierte Privathauskapelle die Ehre haben, sich zu produzieren." Allgemeines Gelächter und vielfache Bravoruse lohnten sein." schlossen. „Dein Vater hat mir nichts zu befehlen, abe* mit Dir wird er schelten, wenn er Dich hier findet." „Meinst, ich soll ihm aus dem Wege gehen?" „Besser wä's." „Weshalb? Ich brauch' mich nicht zu verstecken, ein böses Gewissen kenn' ich nicht. Er weiß, daß ich nicht von Dir laß, ich hab's ihm deutlich genug gesagt, und zu schämen brauch' ich mich Deiner nicht, wenn Du auch nicht des Eichenbauers Tochter bist." „Er beugt den Kopf nicht!" „Er hat ihn gestern schon beugen müssen," spottete Georg, „aber laß Dir's nicht merken, daß Du's weißt." „Daß ich was weiß ?" fragte Gertrud erwartungsvoll. „Er hat des Eichenbauers Marie für mich haben wollen, aber weil ich nicht mitgekommen bin, hat's der Eichenbauer ihm abgeschlagen." Der Wiesenbauer hatte die Mühle erreicht, die beiden traten unwillkürlich vom Fenster zurück, als sie seinem un freundlichen Blick entgegneten- Er trat in die Stube, der Knecht folgte ihm. „Viel Worte mach' ich nicht, Gertrud, Du kennst mich: was ich sag', dabei bleibt's. Willst meinen Georg haben?" Sprachlos vor Ueberraschung blickte das Mädchen ihn flau, sie konnte nur bejahend nicken, als er seine je in demselben kurz angebundenen Tone ungeduldig wiederholte. „Dann magst Du ihn nehmen," sagte er, „ich will ein End' machen." In den Augen Georgs leuchtete es freudig auf, er umschlang das zitternde Mädchen und reichte dem Vater die Hand. „Dafür wollen wir Dir danken, so laug' Du lebst," erwiderte er bewegt, „Gertrud wird Dir eine brave Tochter den Redner. Man war sehr gespannt auf die improvi sierten Leistungen einer Hauskapelle. Diese begann sich eben aus zwölf der jungen Herren zusammenzusetzen. Einer bemächtigte sich der Tschinellen, ein anderer stimmte die große Pauke, ein dritter ließ sich am Klavier nieder und einige brachten unter allgemeinem Jubel Bigotphons zum Vorschein. „Grete", sagte Fritz, „nun wäre es aber doch besser, zu gehen." Sie aber hatte am lautesten gejubelt und gelacht, als die neue Tanzmusik augekündigt wurde. Ihre Augen leuchteten vor Vergnügen und Erwartung. „Nein, nein, Fritz. Jetzt wird es ja erst hübsch werden. Das ist zu lustig. Wenn sie nur bald anfangen!" Und die HauSkapelle begann eben. Ein toller, wahn sinnig schneller Marsch wurde gespielt, geblasen und gepaukt. Grete sprang aus. „Komm, komm tanzen, Fritz!" Er aber schüttelte das Haupt und seine Augen blitzten fast zornig. „Das ist kein Tanz mehr, Grete! Das ist Raserei." Und während er noch sprach, brach die Musik jäh ab und wieder erscholl die Stimme, die vordem den Abzug der Musikanten gemeldet hatte: „Meine verehrten Herrschaften, diese großartige Bande, die vor ihnen zu spielen die Ehre hat, braucht das Tages licht nicht zu scheuen; und wir ebensowenig!" Und im gleichen Augenblicke schlugen rasche Hände die Holzladen von den Fenstern zurück, und die Lampen erloschen. ES mochte sieben Uhr morgens sein. Eine kalte, fast weiße Wintersonne sandte in unbarmherziger Helle ihre scharfen Strahlen in den Saal. Und da setzte auch wieder die tolle Musik ein, und ein Komiteejüngling stürzte auf Grete zu, nahm sie wortlos um die Taille und zog sie in rasendem Schwünge mit sich fort. Fritz stand da, zuerst von bebender Wut geschüttelt. Doch dies Gefühl verließ ihn rasch, als er die Blicke im Saale umherschweifen ließ, und machte einem tiefen Staunen Platz, dem gedankenschnell ein grenzenloser Ekel folgte. Waren all diese Menschen, die sich da sinnlos drehten, auch wirklich lebende Menschen? Waren es nicht vielmehr Leichen, die in phantastischem Freudenputze ihren Gräbern entstiegen waren? Wie verzerrt, wie schemenhaft sie alle aussahen! Kein einziges Antlitz trug den Reiz der Jugend, sie alle waren entsetzlich alt, mumienhaft ver fallen! Und diese Augen, dieser irre Glanz der Blicke! Fritz glaubte einen Augenblick lang, überhaupt nur Larven, nur Knochenreste zu sehen. Wie furchtbar. Und da tanzte gerade Grete, seine Braut, an ihm vorüber. Auch diese, auch sie war wie dir anderen! Nein sie war nicht schön, entsetzlich war sie, grauenerregend! Der junge Mann stand minutenlang wie erstarrt. Dann bückte er sich mit jähem Entschlusse zum Brautbuk ttherab. Und nach einer Weile stürzte er aus dem Saal. Als Grete schwindelnd endlich zu ihrem Platze zurück- kehrte, fand sie nein, das war nicht möglich! Und doch! — Sie fand nichts als die roten Rosen. Die Myrten hatte eine ungestüme Hand abgerissen und verstreut. „Will's hoffen," sagte er lakonisch. „Und mit leeren Händen komm' ich auch nicht," ver- »st PF --Wage zu Nr. 29. Mz ! Von Fr. W. v. Oestsren. m drei Uhr morgens hatte der Ball seinen offiziellen »ß gefunden. Da waren die Patronessen in würde- »I"" den Armen der ihnen zugewiesenen Komilee- ^T^'l von der Estrade gestiegen, Hutten mit rauschenden ^hen den Saal durchschritten und das Hotel verlassen; au«h gleichzeitig die vi len Eyrengäste auf- die alten und älteren Herren hatten gähnend Närr mederoben ihre Pelze umgenommen; und manche " W Ballmutter hatte ihren tn einem der Nebensäle Gatten und ihre bedauernde seufzende Tochter 'Wen. Das war vor mehr als drei Stunden p aber leer war der Saal noch keineswegs. Es -!-^1ach gewissermaßen ein zweites Ballfest entwickelt, nicht dem früheren verwandt schien. Ein älterer >n einer Ecke des großen Saales sagte zu einem Mit dem er gemeinsamen Schmerz trug, nämlich eben erfolgten Verlustes des dritten in der Tarock- eingestehen würd' der Peter die Tat auch nicht. Es sind ja nur Vermutungen, und das Gericht fordert Be weise. Gleich am andern Morgen hätt' das Gericht herauskommen müssen, dann wär' vielleicht ein Beweis gesunde» worden." „Jetzt ist's zu spät!" „Freilich, ich glaub' auch, daß nichts mehr zu machen ist." „Aber bewiesen ist's ja, daß der Knecht schon im Zuchthaus gesessen hat, und seine Papiere werden auch falsch sein —" „Das sagte ich dem Förster auch, aber er gab nichts darauf. Damit allein würben wir nicht durchkommen, meinte er, der Bursche könne beweisen, daß er sich hier gut geführt habe, und wenn er kein Geständnis ablegen wolle, dann sei die Untersuchung rasch beendet und der Gefangene müßte wieder entlassen werden. Und was wir alle dann von ihm zu erwarten hätten, darüber wolle er gar nicht nachdenken." „Ich hab' keine Furcht vor ihm," sagte das Mädchen ruhig. „Ich auch nicht, und cs gefällt mir nicht, daß er so ganz ungeschoren bavongehen soll, aber —" ., . „Da geht er," unterbrach Gertrud ihn, „er nimmt seine Sachen nicht mit.' Peter schlug den Weg zum Dorf ein, er hatte sich erst eine kurze Strecke von der Mühle entfernt, als er dem Wiesenbauer begegnete. Georg und Gertrud sahen die beiden, wie sie eine Weile mit einander redeten und dann auf die Mühle zu schritten. „Jetzt wird der Sturm noch einmal losbrechen," sagte Georg seufzend, „der Vater hält mit dem Knecht, er wird ihn in Schutz nehmen wollen." „Und wenn das ganze Dorf hinter ihm steht, es bleibt dabei, was ich gesagt habe," erwiderte Gertrud ent er weiß, hat er mir gesagt," erwiderte Georg, möcht' nur den Gendarm auf die beiden 5 aufmerksam machen, man kann nicht wissen was -Lttff. ^ morgen passiert." t 6wg der Förster hinaus, Georg trat zu dem ie- 7« ans Fenster. wär' das beste, wenn Du die Mühle verkaufen , ^>i ^Mte er nach einer langen Pause, „die Leut' s" .r -S ist ein Unglückshaus." Gin^unNst lw<d immer daran, baß der Vater nicht N st?" fragte sie sinnend. »Aff lllaub's noch immer," nickte er. - E E, h^un s wahr wäre, daß der Knecht ihn ermordet , > wir's anzeigcn -" »5k. anch, aber der Förster meint, es käm' ^rauS. Beweisen könnten wir nichts und YE,, Ä? b Die Leufelsmühle. s .^winal-Novelle von Ewald August König Ke, t' 0 (Nachdruck verboten.) s. (Fortsetzung.) ' . S^'^Aird's nicht wagen," spottete der Förster, „hat °lleUrsache, dem Gericht wie der Polizei sich fern- ' nur zu, daß er die Mühle verläßt und Äiniwmt, was nicht sein Eigentum ist." t fahr' morgen in die Stadt und hol' einen an- Am' Georg, vm das Mädchen, das in versunken am Fenster stand, zu beruhigen. »L^tschieden wird, ob die Mühle verkauft wird ' Mtr^ist sozusagen schon entschieden," unterbrach der „der Baumeister hat heute morgen Briefe be- .MM- Gesellschaft ist mit seinem Vorschläge ein- Ke, es handelt sich nur noch darum, den Preis Zalf M k W, und das kann ja bald geschehen. Ihr bleibt Georg, bis der Knecht das Haus verlassen hat, !alb/, H."°^Dorf, vielleicht treff' ich den Handwerksburschen «»jachen Sie sich das einmal an, mein Lieber! Ist «och derselbe Ball, von dem wir uns vor fünf Stunden Men? Man tollte es mchi glauben. Das ist jetzt ^/°>er Hausball." „L» E', nickte der andere. „Das Bild ist wesentlich , Und doch waren dieselben jungen Leute und Glitter mit Töchtern auch vor fünf Stunden , Allerdings wohl sahen sie noch etwas menschlicher A Er lächelte boshaft, und der andere fuhr in gleichem »VH' °rt: »Und da sind nun ganz gescheite Mädchen darunter; einige von ihnen. Daß die daran Vergnügen Und jede einzelne ist dabei schon ganz stolz und sich herrlich zu unterhalten, wenn ihr flaumbärtiger nicht gar zu dumm spricht. Daheim in ihren verachten diese jungen Damen geradezu die, die Wer förmlich begehrenswert erscheinen." ' ^hen wir, mein Lieber!" Vilöfl'llnd daß die Mütter das dulden!" sagte der andere st^und djx Heiden alten Herren verließen gemeinsam so, wie es die zwei Mißvergnügten sagten, war Flicht dgch ^cht; Mr so ganz unrecht hatten sie »»etfftkk Gs war in der Tat „ein wahrer Hausball" r ««Ma ' Die jungen Herren hatten die befreundeten in ^erhäupter, die Mütter natürlich, so schön zu ^W-Wtoußt, daß diese auch wirklich Stunde um Stunde nd und mit ihren Töchtern, die ja ebenfalls um eine ^Mung der F stfreuden baten, blieben Und da man Freunden war, wich die Steifheit bald einer r _,.sKifft. Die jungen Herren, die allerdings fast noch nicht auf eigenen Füßen standen, fühlten „io drr für sie so seltenen.Gastgeberwürde ungcheuer ui, unermüdlich von den Resten des schon vor geplünderten Buffets an, sprachen und lachten befahlen den Musikanten fast nur schnelle Tänze, »L v*'»Sir Roger" und „Schncllpslka", und benahmen d oll »gen sehr ungezwungen. Und die Damen, die wer^tn, k-w ihren eigenen Räumen höchst unstatthaft ge- milEB^bEen-, waren hier von dieser „furchtbar netten