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388 ungeziemende Bemerkung, daß sie mehr wisse als die Herrin, diese nicht zu beleidigen. „Das ist ja eine interessante Neuigkeit — ei, so redet doch!" „Ich habe es immer gesagt", hob die Schurich wieder an, „daß der Herr Doctor und Fräulein Wilhelmine sich noch einmal heirathcn würden, habe ich nicht, Frau Flintje? Ja, gnädige Frau, ich habe es schon damals gesagt, als der Herr Doctor in's Dorf kamen. Gebet 'mal Achtung, sagt' ich, der Herr Doctor gehen noch einmal mit Pastors Mincken ab, habe ich nicht, Frau Flinlje? ja, und nun kommt cs auch wirklich so." „Sie scheint wieder zu phantasiren, Frau Schu rich ! Mir ist von keinem Berhältniß zwischen den Beiden bekannt, und hütet Euch, hütet Euch, Ihr Frauen, derartige unsinnige Gerüchte auszusprengen, es könnte schlimmere Folgen für Euch als für die Verläumdeten Haden!" Beide Weiber lachten sich an und schüttelten energisch mit den Köpfen, als ob sie sagen wollten: wir lassen uns nicht einschüchtcrn, denn wir sind in unserm vollen Rechte, und wie dumm ist doch die gnädige Frau, daß sie von jener Liebschaft noch nichts gemerkt hat und wir wissen darum und wissen mehr als alle übrigen Menschen. Hierauf ergriff Frau Flintje das Wort: „Das sind keine Verläumdungen, gnädige Frau, nein, nein, denn wir haben mit unsern eigenen Augen gesehen, daß er sie geküßt hat." „Wer, der Doctor Schildberg?" „Freilich, sehen Sie, gnädige Frau, dort an der Krümmung des WegeS vor dem Fliederbosquet hat er sie geküßt." Ulrika erblaßte. „Wann?" fragte.sie. „Vor einigen Tagen, als die Herrschaften nach dem Abendessen im Park spazieren gingen. Sie, gnädige Frau, gingen am Arme Ihres Herrn Ge mahls, der Herr Pastor gingen neben seiner Frau, der Herr Doctor hatten Fräulein Machen den Arm gereicht o, wir haben Alles gesehen!" „Ihr habt wirklich gesehen, daß der Doctor meine Vchwestcr geküßt hat?" Ein einstimmiges „Ja" und ein nochmaliger Fingerzeig auf die Fliederbüsche erfolgten auf diese Frage. „Ihr habt sie also belauscht?" „Belauscht?" wiederholte Frau Schurich etwas empfindlich; „Frau Flintje, haben wir sie belauscht? Gott behüte, gnädige Frau, belauscht haben wir sie nicht, denn wir saßen auf jenem Kieswege und stachen das Unkraut auS." „Sie bemerkten Euch also nicht?" „Nein, aber wir bemerkten sie." „Habt Ihr Euch auch nicht getäuscht?" „Frau Flintje, wir sollen uns getäuscht haben!"- rief Frau Schurich und sing sammt jener laut an zu lachen, worauf die Erstere erklärte, daß sie noch niemals im Leben etwas so deutlich gesehen hätten, und daß sie jeden Augenblick bereit wären, die Richtigkeit ihrer Aussage zu beschwören. „Redeten sie nicht miteinander?" Das könnten sie nicht beschwören, meinten die Weiber, sie glaubten es aber. Wahrscheinlich habe der Herr Doctor dem Fräulein Minchen gleichzeitig einen Heirathsantrag gemacht. Ulrika vermochte kaum ihre Erregtheit zu be- meistern. Aerger, Zorn, Liebe und Eifersucht kämpften gleich wilden Furien in ihrem Herzen um die Herr schaft und raubten ihr fast die Kraft der ruhigen Uebcrlegung und des klaren Denkens. Ohne den Weibern eine gute Nacht zu wün schen, schwankte sie zur Mooshütte fort, wo sie sich erschöpft auf der Bank niederlicß und in deftigen Thränen wenigstens für den Augenblick einige Lin derung in ihren Qualen fand. Nachdem sie sich ausgeweint, erhob sie sich rasch und kehrte in das Schloß zurück. Ihr Gemahl war nach der nächsten Stadt ge reist, wo er nach seiner Aussage einige Handels geschäfte zu besorgen und bis zum nächsten Tage zu verweilen habe. Ulrika war nebst einigen männlichen und weib lichen Dienstboten, die das Erdgeschoß bewohnten, allein in den weiten Räumen und konnte ungestört ihren trüben Gedanken nachhängcn. Es war so schwül, so dumpf in ihrem Z!m- mer/und sie selbst fühlte sich unsäglich herzbeklom men und fieberhaft aufgeregt. Sie öffnete deshalb ein Fenster und blickte auf den Mond hinaus, der eben über den Baum gipfeln des Parks hervorstieg, um ihr in der Cin- samkeit Gesellschaft zu leisten und ihre Gedanken durch die Vermittlung seiner Strahlen auf das Himmlische zu lenken. Lange blickte sie hinauf zu ihm, aber ihre Gedanken blieben auf der Erde und wurden immer trüber und trüber. Der stille Frieden da draußen in der mond- erhelltcn Landschaft bildete einen schroffen Gegensatz zu ihren dunkeln Gedanken und dem Unfrieden in ihrem stürmisch bewegten Herzen. Finstere Nacht, Regen und Sturm hätten ihrer Stimmung mehr zugcsagt, als dieser stille, heilige Frieden in der Natur, der ihr unerträglich wurde. Sie schloß das Fenster wieder und warf sich erschöpft in eine Sophaecke. „Diese Qualen ertrage ich nicht länger", sagte sie mit einem tiefen Seufzer; — „es ist unmög lich! — Was? So sehr hat ihn Wilhelmine schon mit ihren Zauberstricken umschlungen, daß er für ihre Häßlichkeit keine Augen mehr hat? Daß er sie küßt und ihr vielleicht gar schon Liebe heuchelt- — Ja, heuchelt! denn seine Liebe besitze ich, das weiß, das fühle ich. Aber dennoch könnte er sich aus Schwachheit, aus Blindheit oder Verzweiflung in ihre Arme werfen, gleich einer Motte, die M in die Flamme stürzt. Das sollte ich ertragen? ich sollte Wilhelmine in seinem Besitz wissen? NilN- mermehr! das kann, das will ich nicht! und wäre sie meine leibliche Schwester. — Lieber todt, lieber todt sein! obgleich ich noch so jung bin und fasi