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387 lichkeit des Hrn. Herrmann eine sehr einnehmende, wirkte sein schönes Organ bestechend auf die Zu hörer, so riß er durch die außerordentliche Gewandt heit, mit welcher er die verschiedenartigsten Aufgaben poetisch behandelte, zu allgemeiner Bewunderung bin. Besonders waren cs folgende ihm gestellte Thematas, die einen wahren Sturm von Applaus hervorriefen: „Der nie fehlende Jager;" „der ver liebte Pillendreher;" „die Helden der alten und die Maulhelden der neuen Zeit;" „der Geizige beim Freibier." Auch die Zusammenstellung einer Anzahl Wörter, aus denen sofort ein Gedicht entstand, er regte viel Spaß. Bon anwesenden Herren ließ sich Herr Hermann schlechte Eigenschaften der Frauen nennen, die er dann sofort in Versen wider legte. Alle Zuhörer werden sicher noch lange an den genußreichen Abend denken. Ulrika. Erzählung von Wilhelm Andreä. (Fortsetzung.) IV. Ulrika hatte seit ihrer Verhcirathung nicht den leisesten Versuch gemacht, ihre Neigung für Schild- bcrg zu bekämpfen; im Gegenthcil, sic hatte diese stille Flamme, wie eine Vestapriesterin ihr heiliges Feuer, sorgsam genährt und gepflegt, so daß die selbe je länger desto heftiger in ihrem Herzen auf loderte und verzehrend alle Schranken zu durch brechen drohte. Wie allen energischen Naturen Widerstand und Hemmnisse einen eigenthümlichen Reiz gewähren und sie zur Ausdauer im Kampfe anspornen (und läge das erwünschte Ziel auch noch so fern), so wurde auch ihr Entschluß, den Besitz des jungen Mannes auf jede mögliche Art zu erkämpfen, immer fester und fester, zumal sie sich nun überzeugt hatte, daß er sich Wilhelmine zu nähern suchte. Stundenlang saß sie sinnend und träumend in ihrem Zimmer oder auf einer Bank im Park, zau berte sich Schildbcrg's Bild vor die Seele und ver goß manche Me Thräne. Dann, wie von einem dämonischen Gedanken erfaßt, vor dem sie selbst zu erschrecken schien, sprang sie jedesmal nach einer Weile in fieberhafter Aufregung wieder empor und eilte mit schnellen Schritten ruhelos weiter. Als sie einige Tage nach dem im vorigen Capitel erwähnten Besuche von den verschiedensten Gefühlen bestürmt und in namenloser Sehnsucht nach dem geliebten Schildberg, der sich seit jenem Tage noch nicht wieder im Schlosse hatte sehen lassen, in den schattigen Gängen des Parks auf- und niederschritt, blieb sie zuschauend vor zwei Arbeicerinnen stehen, die, auf Händen und Knieen liegend, die Gras büschel in den Kieswegen ausschnitten. Es waren die den Lesern bereits bekannten Frauen Schurich und Flintje. . Ihr geschwätziger Mund verstummte, aber ihr Fleiß verdopp itc sich bei dem Erscheinen der Herrin. „Laßt Euch in Eurer Unterhaltung nicht stören, Ihr Frauen", sagte Ulrika. „Wovon unterhaltet Ihr Euch denn?' Zieht Ihr etwa wieder über den Verwalter los?" „Ach nein, gnädige Frau", erwiederte Frau Flintje, emsig arbeitend und ohne aufzublicken. „An dcr Geschichte mit dem Verwalter ist ja gar kein wahres Wort gewesen." „Freilich nicht", sagte Ulrika. „Wir haben auch nur nachgesprochen, was wir von andern gehört haben", bemerkte Frau Schurich, indem sie scheu zu der Herrin empor blickte, „Es ist aber traurig, daß solche falsche Gerüchte überhaupt entstehen können und geglaubt werden." Es sei wirklich schändlich, betheuerte Frau Flintje, und bat die Herrin um des Himmels willen, dem Herrn Verwalter nichts davon zu sagen, denn der selbe verstehe keinen Spaß. „Verdient hättet Ihr allerdings, daß ich ihm Euer Geschwätz mittheilte, besonders da Ihr mit dem Gift Eurer losen Zungen auch mich und mei nen Gemahl überschüttet habt." Die Weiber verstummten, und Ulrika wartete vergebens auf eine Antwort; dann fuhr sie fort: „Ihr wisset cs ja schon im Voraus, daß es mit uns kein gutes Ende nehmen wird, weil das Vcr- hältniß unserer Jahre cin ungünstiges ist. Es ist leider wahr, daß mein Gemahl schon sehr alt ist und voraussichtlich nicht gar lange mehr zu leben hat, aber wenn ich wirklich das Unglück haben sollte, daß er mir durch den Tod, vielleicht gar durch einen schnellen Tod entrissen würde, so wäret Ihr im Stande, auch mich des Mordes zu be schuldigen." ,O, gnädige Frau!" rief Frau Schurich und versuchte zu schluchzen. „Auf solche Gedanken könnte man bei einem Engel wie Sie sind, gar nicht kommen", setzte die andere hinzu, indem sie das Messer in den Boden stieß und handcfaltend die Herrin anblickte. Diese schritt langsam weiter, wandte sich aber noch einmal um, als Frau Schurich fortfuhr: „Wenn Sie wüßten, gnädige Frau, wie lieb wir Alle Sie haben, so würden Sie so etwas nicht von uns denken; ja, gnädige Frau, Sie können es glauben, wir haben Sie und auch Fräulein Wilhelmine herzlich lieb." „Ja, und wir freuen uns, daß sie auch eine so gute Partie macht", fügte Frau Flintje hinzu. Ulrika stutzte. „Wer? — Wilhelmine?" fragte sie. „Ja, und wir sprachen gerade vorhin von ihr", erwiederte Frau Schurich. „Ich wüßte doch nicht wahrlich, dann wißt Ihr mehr als ich", sagte Ulrika erstaunt. Das sei auch recht gut möglich, meinte Frau Flintje, ihren großen Mund zu einem schelmischen Lächeln verziehend, so daß die Bruchstücke ihrer Zahne zum Vorschein kamen. - „Ja, es ist sehr gut möglich, daß wir mehr wissen als Sie, gnädige Frau", secundirte Frau Schurich, und legte ihren Mund gleichfalls in außerordentlich freundliche Falten, um durch die 49*