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Beilage M 33 des Aschen- mrd HMsbiMes für Ui!Sdmff. Freitag den 28. April 1876. Die Mnd. Historische Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höfe." „Schein und Sein." (Fortsetzung.) Boleslaus fühlte wohl Mitleid für ihre Qual, aber die Freude über das erreichte Ziel kämpfte in ihm alle Vorwurfsgedanken nieder. Das Kind ist ja nicht verloren, beschwichtigte er sich selbst, die Alte wird es, schon um ihres eigenen Vortheils willen, sorgfältig halten, selbst wenn Georg nicht immer dort bleiben könnte. Arme Margereth! — Die Alte und der Page sahen den Fortreitenden lange nach. „Ein hübsches Pärchen", meinte die Erstere, „und gewiß ganz was Apartes." „Hm! durchaus nicht", entgegnete Georg trocken, „sehne mich nach anderm Dienst, möcht' einmal bei einem Grafen sein!" Die Alte kicherte und sagte vor sich hin: „Der kleine Gelbschnabel will mir Sand in die Augen streuen, aber das ist ja Kies aus dem Bober," und sie schien ihn vorläufig nicht zu beachten. Das junge Blut langweilte sich zum Sterben in dieser öden trau rigen Einsamkeit. Zwar hatte er Anfangs in übcrsprudelndem Muth- Willen allerhand Allotria getrieben, aber mit bleiernen Flügeln zog Tag an Tag langsam vorüber. Das war kaum zum Aushalten, und um seinem Groll in etwas Luft machen, warf er eines Tages, nach dem er seiner Hausgenossin in der Hütte das Oberste zu unterst ge kehrt, ihre sorgfältig aufgespeicherte Kräutersammlung der genäschigen Ziege vor, die sie mit gesundem Appetit verspeiste, oder doch unter die Füße trat. Die Alte war außer sich, als sie den Frevel entdeckte — ihr kost barster Schatz auf so schnöde Weise vernichtet, — das forderte auf der Stelle Vergeltung. Sie versuchte in höchster Wuth dem tollen Burschen ein Stück Holz an den Kopf zu werfen, doch dieser fand noch schnell genug die Thür und das schlichte Wurfgeschoß begrüßte nur sehr unfreundlich die alte Ziege, die soeben den Kopf neugierig zur Thür hineinsteckend, ihre gewöhnliche Morgenvisite machen wollte und ganz verwundert über solch ungewohnten Empfang ein kläglich- vorwurfsvollen Meckern hören ließ. Das hieß den Zorn der Alten auf die höchste Spitze treiben. Um ihn verkühlen zu lassen, suchte Georg für heut das Weite und wanderte gemüthlich, unterwegs noch sich seines gelungenen Streiches freuend, dem nächstgelegenen Städtchen Sprottau zu. Er mußte sich ja für die verlebten Waldgefängnißtage schadlos halten und machte sich dort in munterer Gesellschaft nicht wenig lustig. Er hatte nebenbei nach seiner schnurrigen Wirthin, die ihm vollends mit ihrem verdrossenen häßlichen Gesicht das Leben dort in der Hütte unerträglich machte, gefragt und erfahren, daß sie sich der Kunst des Wahrsagens befleißige und sich darin eines nicht geringen Rufes erfreue. Das schien dem jungen Burschen Spaß zu machen, und heimge kehrt, sagte er in lustiger Weinlaune zur Alten: „Ich muß Dich mal mit anderen Augen ansehen, seitdem ich weiß, daß in Dir alten Schachtel eine Prophetin steckt." Die Alte murmelte etwas von „dummer Schlingel", „alberner Junge" in den Bart, und das ist durchaus nicht figürlich zu nehmen, denn ein ziemlich deutlicher, schon über die Periode des Pflaumens hinweggcschossener Bart überschattete wirklich ihre mageren, zusammen- gekniffcnen Lippen. „He, Alte, was grunzt Du denn? sag' mir lieber die Zukunft her; könntest den Bettel umsonst thnn, in Anbetracht unseres so fried lichen Zusammenlebens, aber ich will mit Deiner Vorliebe für das Glänzende Mitleid haben, hier ist Geld, nun prophezeihe!" herrschte er ihr übermütbig zu. Sie sträubte sich Anfangs dagegen, plötzlich schien sie sich eines Bessern zu besinnen. Sie hatte längst bemerkt, wie ungern Georg zurückblieb, welche Sehnsucht nach dem lustigen Leben in Prag ihn verzehrte, seine baldige Entfernung paßte in ihre Pläne und dazu konnte sie jetzt durch ein aufmunterndes Wort beitragen. Das Kinderwarten und pflegen war ihr bald beschwerlich ge worden — es kostete ja so viel Milch. „Wer kann wissen, ob der Fremde je wieder etwas von sich hören läßt und mehr Geld schickt, denn solche Herren haben wunderliche Launen," calculirte die Alte, lieber den Jungen bei der ersten besten Gelegenheit irgend Jemand in die Hände schmuggeln, war doch dann die Summe für das erste Jahr reiner Verdienst. Aber zu diesem Zweck mußte Georg vorher die Hütte räumen, und so trat sie jetzt schmunzelnd auf ihn zu, blickte mit den stechenden rothen Augen lange in die seinen, jugendlich- funkelnden Augen, dann in die Hand, und sagte mit ruhiger fast ton loser Stimme: „Du bist ein keckes, zuversichtlich Blut, hast gar viel lose Streiche gemacht —" „Alte! mein Sündenregister habe ich nicht gewollt," sagte er lachend, „prophezeihe! Denkst Wohl an den kleinen Spaß von heut' morgen?" Die Alte schien den Vorgang vergessen zu haben, denn sie fuhr ruhig fort: „Dein Geschick ist — nicht immer Kindsmagd zu spielen, Du wirst bald die Fesseln abschüttcln — die Liebe einer Fürstin gewinnen und sie doch verschmähen, aber reich und angesehen wirst Du werden, schwinge die Flügel!" Sie sagte die letzten Worte mit klangvoller, ungewöhnlicher Stimme, daß sie einen tiefen Eindruck auf den Knaben ansüben mußten. Er stemmte die Arme auf den Tisch und starrte lange vor sich hin, plötz lich rief er aus: „Du hast recht Alte, ich muß fort, mag daraus werden, was da will. Der Junge wird ohne mich auch leben, und ich kann doch nicht seinetwegen hier in diesem Winkel zu Grunde gehen." Die Alte bestärkte ihn nach Kräften in seinem Entschluß, und schon am andern Morgen sagte er schnell entschlossen seinem düstern und doch so grünen Waldgefängniß „Ade," um mit jubelnd befreitem Herzen in die Welt hinauszuwändern. Die Alte bat ihn beim Abschied noch einmal, doch den Namen des jungen Gastes zu sagen. Er bog sich in übermüthiger Laune vom Pferd nud flüsterte ihr geheimnißvoll einige Worte ins Ohr. Sie verzog ihr Gesicht zu einem unglaublichen Grinsen, daß Georg davon belustigt, laut auflachend entgegnete: „Glaubs nur, alte Hexe!', und davonsprengte. „Schad't nichts, und Wenns auch wahr sein sollt', fort muß der Bankert doch, das wär eine schöne Quälerei auf die alle» Tage, dann will ich nur darauf sehen, daß ich ihn gut unterbring', und nicht aus den Augen verlier'. Es wird zwar Niemand nach ihm fragen, aber wenn's ja geschieht, dann müssen sie sich doch wieder an mich wenden und ich verdien' erst recht mein schönes Geld." Mit diesen vor sich hingemurmellen Worten kroch sic zur Hütte zurück. Ihr heimtückischer, nichtswürdiger Entschluß, den Kleinen auszusetzen, stand fest, und sie suchte nach irgend Etwas, das sie dem Kleinen zur Wiedererkennung mitgeben könne. — Darüber sinnend, schritt sie an den Korb des kleinen Ludwig, der trotz dem Mangel mütterlicher Pflege ziemlich wohl aussah, und rief freudig aus: „Was such ich lange, trägt doch der Junge das beste Erkennungs zeichen an seinem Leibe. Das große Maal auf seiner Brust, das wie eine Hand aussicht und jeden Finger deutlich zeigt, ist so selten und sonderbar, daß man ihn unter Tausenden wiedererkennen muß." „Und nun will ich für Dich sorgen, mein Söhnchen", fügte sie lachend hinzu, „meine niedere Hütte verträgt nicht einen solch' hohen Gast. 2. Holla, Junger, gehe und frage, Wo der beste Trunk mag sein, Nimmb den Krug und fülle Wein. Opitz. Drei ehrsame Bürger Sprottaus hatten im städtischen Forst Holz gekauft und kehrten vom entfernten Holzschlage zu ihrem Wagen zu- ! rück, den sie auf einem freien Platze des Waldes stehen gelassen. Sie gedachten jetzt heimzukehren und waren in der besten, seelenvcr- gnügtesten Stimmung, denn sie hatten nach vielem Hin- und Her handeln doch gute Geschäfte gemacht. Es war ein schwüler, sonnendrnckcnder Tag, kein Lüftchen rührte sich in den Blättern der gewaltigen Eichen, die wie hehre Könige ihre Scepter in die Wolken streckten, denn zu jener Zeil lag das gchcim- nißvolle Siegel noch unerbrochen über den Wäldern. Auch unseren ehrenwerthen Bürgern war warm geworden und besonders rann dem Einen der Schweiß in dicken Tropfen über die Stirn. Es war der Gerber Aussig, dem die Sonnenhitze, seines fetten schwammigen Körpers wegen, am meisten zusetzte, und der daher auch vor der Abreise noch einmal nach dem mitgenommenen großen Frühstückskorbe langen mußte, um die tröstende „schweißtil- gende" Flasche herauszunehmen. Mit Behagen im Vorgefühl des seiner wartenden Genusses griff er langsam hinein, zog aber weit rascher, als habe er sich verbrannt, die Hand zurück. „Alle Welt, so wahr ich lebe, hier liegt was ganz Besonderes drin, aber die Flasche ist fort," rief er erschrocken aus. Die beiden Andern blickten sogleich neugierig über den Wagen und in den Korb, zogen die schon halb verschobene Decke vollends hinweg und riefen wie aus einem Munde: „Ah, ein Kind." Der dicke Gerber trat nun auch wieder hinzu und alle Drei