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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 33. Freitag, den 28. April 1876. HeksMimachrmg. Von Ostern dieses Jahres ab gelten die Schulgeldsätze für die erste und zweite Bürgerschule hier gleichmäßig und werden dieselben nach dem Einkommen der Eltern erhoben und zwar bei einem Einkommen bis mit 750 Mark mit 9 Mark und bei einem Einkommen über 750 Mark mit 12 Mark jährlich. Indem wir solches andurch zur öffentlichen Kenntniß bringen, fordern wir zugleich diejenigen Eltern pp., welche ihre Kinder trotz der Gleichmäßigkeit des Schulgeldes noch ferner in die zweite Bürgerschule schicken wollen, auf, diese ihre Absicht Herrn Schuldirector Beck hier am nächstkommenden Montag, den 1. Mai dieses Jahres, in der Zeit von II bis 12 Uhr Vormittags schriftlich oder mündlich mittheilen zu wollen. Wiisdruff, am 24. April 1876. Der Schulvorstand. Ficker. Das 5. Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes für das Königreich Sachsen vom Jahre 1876 enthält: No. 25. Bekanntmachuna, den Verkehr mit Branntwein zwischen dem deutschen Branntweinsteuergebiete und Luxemburg betreffend: vom 8. März 1876. No. 26. Bekanntmachung, die Ausgabe von auf den Inhaber lautenden Zehntengewährscheinen Seiten des Erzgebirgischen Zehnten- vereins zu Zwickau betreffend; vom 10. März 1876. No. 27. Verordung zu H 15,, der Kontrol-Ordnung von 28. September 1875, die competenten Verwaltungsbehörden in Kontrol- Entziehungsfällen betreffend; vom 15 März 1876. No. 28. Verordnung, die Expropriation von Gcundeigenthum für Erweiterung des Bahnhofs Werdau betr.; vom 20. März 1876. No. 29. Bekanntmachung, das Reglement über die Benutzung der innerhalb des deutschen Reichs-Telegraphengebiets gelegenen Eisenbahn-Telegraphen zur Beförderung solcher Telegramme, welche nicht den Eisenbahndienst betreffen, betreffend; vom 7. März 1876. Gedachtes Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes liegt in hiesiger Rathsexpedition zur Einsicht aus. Wilsdruff, am 22. April 1876. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Tagesgeschichte. Die Türkei steht vor einem großen Krieg und vor dem Staats bankerott. Seit 1'/, Jahren haben die Beamten keinen Gehalt, die Soldaten keinen Sold erhalten. Die Steuern stocken, die Gläubiger wollen kein Geld mehr hergeben. Da dämmert auch in den dumpfesten Türkenköpfen die Wahrheil auf: der Slaalsbankerott ist eine po litische Abdankung. Die einzelnen Staals- und Geschichts-Kundigen in Constantinopel haben diese Wahrheit schon länger anerkannt. Sie sagen etwa so: In der ersten Periode lebten wir Muhamedancr in der Türkei vom Krieg und von dem Ertrag unsrer Eroberungen. Als diese Periode vorbei war, fingen wir an das Land auszubeuten und auszusaugen. Die Bedürfnisse der Regierung waren damals gering, die Beamten erhielten keinen Gehalt, sondern waren darauf angewiesen, sich aus ihrem Amt schadlos zu hallen. Für öffentliche Arbeiten, Unterricht, Justiz, Panzerschiffe, Kruppkanonen war nichts auszugebcn, und wenn die Regierung in Geldverlegenheit war, wurde die Münze verschlechtert oder ein reicher Großvezier oder Pascha er drosselt und sein Vermögen confiscirt. — Mit der neuesten Zeit kam diese Willkür außer Hebung und wir bestritten unsere Ausgaben durch Anleihen in Europa. Leider ist diese flotte Zeit ebenso abgelausen wie die I. und 2. Periode. Eroberungen können wir nicht mehr machen; trotz unserer Kanonen und Panzerschiffe werden wir mit unseren aufständischen Provinzen nicht fertig, der Aufstände werden immer mehr. Ebenso ist es uns unmöglich, das Land weiter auszu beuten, es ist völlig ersel öpft und jeder Versuch führt zu neuen Auf ständen. In Europa ist unser Credit zu Ende, von Anleihen kann keine Rede mehr sein. Wir haben zwar eine 3jährige Bedenkzeit er langt, um eine neue Häutung vorzunehmen, sie hilft uns aber nicht, weil überall die Aufstände ausbrechen und wir uns nicht sammeln können, es wird uns schwerlich gelingen, ein ordentliches Staatswesen zu schaffen, und deshalb: „Adieu!" — Aehnliche Ahnungen steigen sogar dem gemeinen Mann auf. Eine mehr als SOO Jahre zurück weisende Prophezeiung Gott weiß welches Heiligen besagt, daß die Türken nach 500 Jahren aus Europa hinausgcjagt werden würden. Gläubige Muhamedaner lassen sich bereits wo möglich auf der asi atischen Seite begraben, um im Grabe Ruhe zu haben. Die Frist ist bereits abgelaufen und man könnte der Weissagung ihr Recht widerfahren lassen, wäre es nur, daß eine Prophezeihung wenigstens einmal wieder Recht behält. Wir müssen noch einmal auf die orientalische Frage zurückkommen die als schwarzer Punkt am Horizonte steht. Sie wäre sehr lang weilig, wenn sie nicht so gefährlich wäre. Sie gleicht dem Höllen hund Cerberus mit seinen 3 Köpfen oder der Lernäischen Schlange mit ihren 7 Köpfen oder auch unappetitlicher Weise dem bösen Band wurm, cs gehen wohl Stücke aber nie der Kopf. Die Herzegowiner, Bosnier, Serben, Montenegriner, Rumänen u. s. w., alle die sich vom Sultan halb los gemacht haben oder ganz losmachen wollen, sind Stücke der orientalischen Frage. Die 7köpfige Schlange hat einst Herkules erlegt, aber der Sultan ist kein Herkules, sondern ein todtkrankcr Mann.' In einem vollen Jahr hat er nicht fertig werden können mit dem Bischen Herzegowina und wird noch weniger fertig werden mit dem wachsenden Ausstand in Bosnien. Sein Pascha Mukthar machte eine furchtbare Anstrengung, die Festung Niktsitsch an der Grenze von Montenegro zu entsetzen und zu proviantiren, mußte aber zuletzt froh sein, in vieltägigcn Kämpfen sich Halbwegs heil zurückzichcn zu können. Das war eine türkische Kraftprobe; er klagt nun laut, daß 7000 Montenegriner im feindlichen Heere ge wesen seien, obgleich der Montenegriner Häuptling Nikita behauptet, er lebe mit dem Sultan in Frieden. Sofort ist aus Constantinopel