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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.08.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191008286
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19100828
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19100828
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-08
- Tag 1910-08-28
-
Monat
1910-08
-
Jahr
1910
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Be-ug».Prei» NN L rtp zt, »u» >S»r»r<» dmsch «ch», träger und Sped<l»«re 1««l täglich in« Hau« gebracht; VO H minatl., 1.7- vierleliäbrl. Bet unser« JUiale» ». Au» uabmeftellen adgebvlt: 7S ch m«iatl„ 1^1» »te^elsadrU Durch dte Post: tunerhalb Deutschland» und der deutsch«! Kolonien vterteljähri. 8.4» »onatl. lL» ^4 aurschl. Poftdeftellaeld. steruer in Belgien, Dänemark, den Donaustaatr», Italien, Lurembnrg, Niederlande, Nar» wegen, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schwede,, Schwei, u. Svauten. I» allen übrigen Staaten mir direkt durch di« c»esch«jirsielle de« Blatte« erhältlich. Da« Leipziger Tageblatt erscheint 2 mal täglich. Sonn- ». Feicrtaa« nur morgen«. Adonneinent-Annahme: Augukusplatz ich bei unseren Trägern, Filialen, Spediteur«» und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträger». linzelperkanteprei« »er Morgen- «uSgab« 10 der rtbendantgabe » ch. Nedaktton und iSeschist-ftrllei Johauni«gasse 8. Fernsprecher r I4SSL 14SW, 14604- MpMrTagMM Handelszeitung. Amtsblatt -cs Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Auzeigen« Preis Mr J«ch»I» au» Seivist, und Umgebung d«, iWfpaltene SO nun breit» Petit,eil, D dt« Vt M» breit« bieklamejeUe i »«» »»wär»« 80 Reklamen l.lst) Infer«» „» vehärdrn i» «mtllchen Tell dt» 14 »l» drrite Vettt»eil, «0 ch. «eschäfttanzeigen mit Plabporschristen un» tu der Abendanstaab« im Preise erhöht, diabakt nach Taris. Seilagegebübr L gU ». Tausend «xkl. Postgebühr. Festerteikt» «lufträg, Wunen nicht zurück- ««aoge, werden. Für da« itrscheincn ,n bestimmten Tagen und Plätzen wird kein« Baranti« übernommen. Antigen-Annahme! Augustusplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen «nnoncen- Erpedrttonen Le« Ja» und AuMande«. Pauvt-Filiale Berlin: T»rl Duncker, Herrogl. Bohr. Hösbach» Handlung, Lügowstrabe IL (Telephon Vl. Nr. 4e»)3). Haupl-Jiltale Dre«den: Serstrahe ch t. (Telephon 4621). !lk. 237. Sonntag, üen 28. stuguli >sio. 104. Jahrgang. Dss Wichiiglte. * Der Kaiser nahm am Sonnabend bei Dan - zig die Parade über das 17. Armeekorps ab und besuchte dann die Werftanlagen. (S. Dtschs. R. und Letzte Dep.) * Die Verwaltung des Berliner Metall ¬ arbeiter-Verbandes hat beschlossen, den aus ständigen Werftarbeitern 250 OVO zu über weisen. * Am heutigen Sonntag soll das Fürstentum Montenegro zum Königreich erklärt wer den. (S. d. bes. Art.) * Nach einer indischen Meldung wird sich der Dalai Lama wahrscheinlich mit China verstän digen und nach Tibet zurückkehren. sS. Ausl.) * Im Bezirk Kiew innerhalb des russischen Ver- kehrsministeriums sind in den letzten zehn Jahren Unterschlagungen usw. im Umfange von 35 Millionen Rubel verübt worden. * Zm Großen Preis von Baden (Eold- pokal und 80 000 .Es siegte Fürst Lubomirskis „Ksiaze Pan" mit Winkfield im Sattel in einem Felde von sechs Pferden. — Cin gegen den Sieger eingelegter Protest wurde zurückgewiesen. sS. Sport.) Der Nugsdurger Katholikentag. Man kann nicht sagen: die Augsburger Zentrumsparade, denn man würde damit nur wieder entrüstete Proteste der Zentrums presse ernten. Wenn man nicht Zentrumsmann und Katholikentagsbesucher ist, kennt man sich in den überaus feinen Unterscheidungen, Differenzierungen nimmer aus. Natürlich, wir haben es oft genug zu hören bekommen: Das Zentrum ist eine interkonfessionelle politische Partei. Und der Katholikentag ist eine un politische konfessionelle Veranstaltung. Sehr schön. Nur will es unserm nicht zur Höhe jener feinen Differenzierungen gediehenen schlichten Menschenverstände absonderlich erscheinen, daß jener interkonfessionellen politischen Partei (so gut wie) ausschließlich Katholiken angehören und daß jene unpolitische konfessionelle Veran staltung ausschließlich von Zentrumsmännern besucht wird. Die Herren tragen eben zwei Seelen in ihrer Brust, die sie mit erstaunlicher Sicherheit voneinander zu trennen wissen; eine interkonfessionelle politische und eine un politische konfessionelle. Wir können uns der gleichen erstaunlichen Sicherheit im Auseinander kennen dieser zwei Seelen nicht rühmen, wir kommen einfach nicht mehr mit, wenn wir dann auf einmal hören, daß die politische Zentrumspresse auf dem Katholikentag als konfessionell-katholische Presse angepriesen wird. Auch diese Presse ist also offenbar L cksur wains zu gebrauchen. Liest man sie von vorn, so ist sie interkonfessionell politisch; liest man sie von hinten, so ist sie unpolitisch konfessionell. Oder umgekehrt? Wir wissen es nicht. Und wir resignieren. Katholische oder Zentrumspresse; Katholikentag oder Zentrumsparade — nennt's, wie ihr wollt. Uns soll es nichts verschlagen. Soll es um so weniger verschlagen, als die Augsburger Veranstaltung für den Außen stehenden von tödlicherLangeweile war. Gewiß, diese Einheitlichkeit der 35 000 Männer, die dort versammelt waren, hat etwas Impo nierendes. Es heißt schon etwas, sie in unzäh ligen öffentlichen und geschloffenen Haupt-, Zweig- und Nebenversammlungen vier Tage lang zusammenzuhalten, mit Reden (wenigen guten nur) zu überschwemmen und alle Viertel stunden zu Beifall, lebhaftem Beifall, jubelndem Beifall und donnerndem Beifall zu veranlassen. „Kein Mißklang störte die Geschlossenheit der Kundgebungen." All die vielen Redner waren der freudigen Zustimmung der Versammlungen von vornherein sicher. Alle Viertelstunden zum mindesten dröhnte eine Beifallsalve durch den Raum. Gewiß, in dieser Einmütigkeit liegt etwas Imponierendes. Eie ist ein Zeichen von Stärke. Aber für den, der nicht an dieser Einmütigkeit teilnehmen kann, wirkt diese ab solute Einmütigkeit, dieser ständige Beifall, diese durch vier Tage konservierte, jederzeit explosionsbereite Begeisterung wie Chloral- hydrat. Kein Leben, kein Kämpfen, kein Auf einanderprallen der Meinungen, kein Ringen der Geister. Was den Soldaten des trefflichen Friedrich Wilhelms l., mit Stock undFuchtelklinge auf körperlichem Gebiete eingebläut wurde, das haben Katholizismus und Zentrum ihren An hängern auf geistigem Gebiete beigebracht. Ein Wille leitet all diese Tausende bei jeder Geistes regung. Ein geistiger Gleichschritt ist erreicht, vor dem sich der körperliche Gleichschritt der Drillzöglinge Leopolds von Dessau verstecken muß. Imposant, gewiß. Aber auf den Dritten wie der geistige Tod wirkend. Der Präsident des Katholikentages, Reichs tags- und Landtagsabgeordneter Marx, hat das als besonderen Vorzug gerühmt. Mit Stolz bekannte er: „Wenn einer unserer Altvorderen, die um das Jahr 1500 gelebt haben, hier bei uns anwesend gewesen wäre, er würde gesagt haben: ,Das sind meine Elaubensbrüder, das sind dieselben Ideen, die wir genau so, aber auch genau so wie im Jahre des Heils, 1500, vertreten haben, und nichts ist daran geändert und es wird sich auch nichts daran ändern!'" Herr Marx irrt: „Genau so, aber auch genau so" wie vor vierhundert Jahren, sind die Katholiken, die Zentrumskatholiken von heute doch nicht. Das ist unmöglich. Vier hundert Jahre geschichtlicher Entwicklung, tech nischer Fortschritte unerhörter Art, wirtschaft licher und sozialer Umwälzungen, Zivilisations errungenschaften gehen nicht spurlos vorüber. Auch an dem nicht, der keine Spuren davon zu empfangen wünscht. Vis dahin aber hat er recht: soweit es überhaupt menschenmöglich ist, eine Entwicklung hintanzuhalten, sich geistig zu mumifizieren, soweit ist dieses Ziel erreicht worden. Ein gigantisches Werk. Aber eins, aus dem kein Segen, sondern der Fluch der Unfruchtbarkeit ruht. Die Klügeren unter den Führern sind sich dieses Fluches dumpf bewußt. Und sie suchen geistiges Leben unter ihren Anhängern zu schaffen. Von Kultur ward denn auch genug geredet auf diesem Katholikentag. Geredet; gespürt hat man von ihr wenig. Trotz des heißen Mühens, sich modern zu geben. Trotz Abstinenz- und Frauen- und sozialer Bewegung. Unter den sämtlichen Reden, die auf dem Katholikentage gehalten wurden — wir haben sie durchaus studiert mit heißem Bemühn — scheint uns nur eine etwas Be sonderes zu sagen. Es war die des Dr. Bern- Hardt-München. Hier sprach ein Meister des Wortprunks, des feierlich daher stolzierenden erhabenen Stiles; einer, den man mit einigen Einschränkungen einen Künstler nennen darf. Aber auch seine Rede war tot. Trüb durch gemalte Scheiben fällt das Sonnenlicht hinein in den Weihrauchdampf, der aus den hieratisch feierlich geschwungenen heiligen Gefäßen empor steigt. Chorknaben singen. Brausend spielt die Orgel die Melodien Notkers des Stammlers. Gewiß, den Aestheten kann es gelüsten, dem feierlichen Schauspiel aus längst vexmoderter Zeit ein Weilchen zu lauschen. Wer aber das Leben will, der stößt nach kurzer Frist die Tür auf und badet sich in Sonnenlicht, Baumgrün und Vogelsang. „Flieh, auf, hinaus ins weite Land!" Dr. Bernhardt hat einen sehr klugen Satz gesprochen. „Die ernste Mitarbeit der Katholiken an der wahren Kultur des deutschen Volkes wird die religiöse Zer klüftung erträglicher machen." Ein kluger, ein fast weiser Satz. Woher aber soll diese ernste Mitarbeit der Katholiken an der wahren Kultur des deutschen Volkes kommen? Woher solange man sich stolzen Mundes rühmt, seit vierhundert Jahren nicht von der Stelle gerückt zu sein? Uns bleibt es unerfindlich. Die Frage -es Tages hat bis jetzt noch keine Antwort gefunden. Des Deutschen Reiches fünfter Kanzler sitzt schweigend in Hohenfinow und seine offiziösen Organe sammeln sorglich, was andere zur Königsberger Kaiserrede sagen, vermeiden aber jeden Versuch einer eigenen Meinungs bildung. Und doch warten tausend und aber tausend ernste Staatsbürger in erregter Spannung auf eine Aeußerung des obersten verantwortlichen Beamten im Reiche und in Preußen, denn man hegt mit Recht die Be fürchtung, daß jede Verzögerung einer auf klärenden Kundgebung die ohnehin schon höchst prekäre Situation nur noch erheblich verschärfen wird. Aber Herr von Bethmann Hollweg schweigt, er schweigt wie schon so oft, wo reden für ihn Pflicht gewesen wäre, und nirgends im Reiche wird man ihm für diese eigentümliche Zurückhaltung Dank wissen. Der Kaiser kommt erst am 31. August wieder nach Berlin, auch die Rückkehr des Kanzlers in die Reichshaupt stadt war für diesen Tag erwartet. Früher scheint eine Aussprache zwischen beiden Männern nicht in Betracht zu kommen, und früher ist, wenn über Nacht nicht noch anderes beschlossen wird, eine ministerielle Erklärung auch nicht zu erhoffen. Inzwischen wird die Verdroffen- heit im Reiche weitere Fortschritte machen, aber Herr von Bethmann wird dem Reichstag Rechenschaft über die Gründe seines unfaßbaren Zögerns ablegen müssen, und der Reichstag wird zweifellos eine sehr deutliche Sprache reden. Vettere pretzltlmmen. Die konservative .Krtuzzeittmg" hat erst am Sonnabendabend einen längeren Artikel über die Königsberger Ka.serrede gebracht. Dafür ist dieser ausgesucht hinterlistig gegen den Liberalismus. E» werden da zunächst einige scharse Stimmen aus demo kratischen und liberalen Blättern zusammengestellt, dann wird gesagt: „Diese Uebereinstimmung von Liberalismus und Demokratie kann nicht überraschen, denn der gesamten Linken ist das Dogma von der Volks souveränität gemeinsam, während König Wilhelm II. an der konservativen Auf fassung festhält, daß dem König von Preußen die Krone von Gottes Gnaden allein ver liehen sei und nicht von Parlament, Volksversamm lungen und Dolksbeschlüssen. Es ist darum Spiegel fechterei, wenn liberale und demokratische Zeitungen sich auf die Verfassung berufen. Als habe die Verfassung, indem sie das Volk mündig sprach, den König entmündigt. Za, das war die Hoffnung der Liberalen und Demokraten, als in den Novembertagen der König sich Schweigen auferlegt und still über sich er gehen ließ, woran andere die Haupt schuld trugen." Daß die „Kreuzzta." im Dorübergehen dem Fürsten Bülow noch einen Fußtritt versetzt, entspricht ganz der Sinnesart dieses Organs. Auch ein neuer Artikel der klerikalen „Germania" ist auf den Ton gestimmt, daß die Liberalen und die Sozialdemokraten wieder einmal unnötigen Lärm machen. Nur eine Probe der Erläuterungskunst der „Germania". Es heißt da: „Was der Kaiser in Königsberg gesagt hat, patzt ja nun gar nicht recht in unsere konstitutionellen Verhältnisse hinein. Das ist wahr, allein wir meinen, auf dte Worte kommt es gar nicht soviel an." (!) Die agrarische „Deutsche Tageszeitung" veröffent licht einen Leitartikel über „Gotlesgnadentum und Verfassung", der folgende formitable Sätze enthält: „Wenn manche, ja viele Blätter, fragen, was der Kanzler zu der Kaiserrede sagen werde, jo wird man das abwarten müssen. Verfassungsmäßig trägt er für die Rede keine formelle Verantwortung, zumal da sie Fragen der Tagespolitik nicht berührt hat. Wir zweifeln aber keinen Augenblick, daß der Kanzler geneigt sei, wie man so sagen darf, innere politische Verantwortung für die Worte des Kaisers zu über nehmen. Wir wüßten nicht, was einen kon stitutionellen Staatsmann veranlassen könnte, diese Verantwortung abzulehnen." Die „Nordd. Allg. Ztg." beschränkt sich darauf, Prcßstimmen über die Kaiserrede zu sammeln. Söul- Nikita. Die Sache berührt zunächst etwas lächerlich: Unter all den kleinen Raubstaaten auf der Balkanhalbinsel ist Montenegro der kleinste. Fürst Nikita — noch ist er nicht mehr — ist Herr über ungefähr 9000 Quadratkilometer (genaue Zahlen sind unbekannt; die Berechnungen weichen um volle 700 Quadrat kilometer voneinander ab) und über ziemlich genau halb soviel Seelen als Leipzig 1900 zählte, nämlich etwa 227 000. Dieser Fürst will seine Monarchie im Liliputformat in ein Königreich umwandeln. Der Spott liegt nahe und ist billig. Und doch hat die Sache ihre sehr ernsthafte Seite. Sie ist in hohem Matze politisch; zunächst balkanpolitisch. Bei der Be deutung aber, die die Balkanvorgänge für den Frie den Europas haben — wir brauchen ja nicht sehr weit zurückzudenken, um Serbien und Montenegro im Mittelpunkte des politischen Welttnteresses zu sehen—, hat sich auch der deutsche Politiker durchaus mit der Sache zu befaßen. Es ist im Grunde die alte Wahrheit von der Relativität der Größen. Es schadet gar nichts, daß jemand sehr klein ist. Wenn er das Glück hat, am rechten Platze zu stehen, kommt er doch zur Geltung. Und Montenegro genießt dieses Glück. Was seinerzeit die bosnische Krise so ver schärft hat, was sie über Monate hingezögert und ihr den Stachel ständiger Kriegsgefahr gegeben hat, das waren die „großserbischen Aspirationen". Wie die Slawen überhaupt, seit ihrem politischen Er wachen, eine rege Ausgrabungstätigkeit auf histo rischem Gebiete getrieben haben, um sich mit der Er innerung vergangenen (und übertrieben gesehenen) Glanzes über die Katzenjämmerlichkeit der Gegen wart hinwegzutrösten, so hat man im Königreich Serbien die Erinnerung an das serbische Groß reich (alle Größen sind relativ) heraufbeschworen, das einst den Streichen des Türkensäbels erlag. Dieses Großreich neu zu begründen, das war Immer hin ein Programm. Ausführbar? Man muß schon sehr sehr kühner Illusionist sein, um es für ausführbar zu halten; aber die Ausführbarkeit politischer Programme ist nicht nur an der Morawa ein Umstand, den man gern außer Augen läßt. Als Agitationsstoff war das chimärische Großserbenreich unvergleichlich. Ganz Bosnien mitsamt der Herze gowina, ganz Südwestungarn, erhebliche Fetzen der Türkei und natürlich auch Montenegro konnte man dafür reklamieren. Ob die österreichisch-ungarisch oder türkisch geknechteten Brüder mit dieser Reklama tion einverstanden waren, schien ohne Belang. Sie waren aber geknechtet und konnten nur heimlich in ihre Ketten knirschen. In Belgrad hatte man so feine Ohren, daß man diese sonst nirgends ver nommene Gefühlsäußerung genau vernahm. Weniger bequem lag die Sache mit Montenegro. Diese Brüder waren schon vom Fremdenjoche befreit. Sie mußten schon von Haus aus das zu errichtende, neu zu er richtende Kroßkönigtum Serbien als Ziel heißer Sehnsucht im Slawenbusen trogen. Sehr schön. Nur wollten sie nicht so recht. Fürst Nikita, dieser kleine Peter der Große der Schwarzen Berge, ist nämlich ein sehr real denken der Politiker. Er ließ der Eroßserbenagitation gegenüber einstweilen die Zügel locker. Nicht gern. Denn es mußte ihm von vornherein klar sein, daß er durch diese Agitation in die Rolle eines Belgrader Vasallen hinabgedrückt wurde. Aber es war ein Ge bot der Klugheit, einstweilen gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zum bald sehr bösen Spiel: in Belgrad ist Monarchenblut nicht sehr hoch bewertet. König Peter, der durch einen gemeinen von ihm mit vorbereiteten Meuchelmord auf den Thron der Obrenowitsch gelangte, trug kein Be denken, durch ein ähnliches Mittel den Thron im Czernogorzenlande frei zu machen. Bombenwerfer gingen in seinem Auftrage ins Bergland. Sie wur den gefaßt und überführt. Und dann hat Fürst Nikita zugegrisfen. Die paar einheimischen Vertreter des großserbischen Gedankens sitzen hinter Schloß und Riegel. Eine etwas mittelalterliche, aber dem Lande angepaßte Präventivmaßregel. Die jetzt ihre Er gänzung im Positiven findet: in der Erklärung Montenegros zum Königreich. Da-istdiedenk barschärfste Absage andas Eroßserbcn- tum. Auch der Schein der llntergeordnetheit Montenegros gegenüber dem präsumtiven Großkönig wird ausgetilgt. Ein König als Vasall des andern? Das ist nicht gut möglich. Und in Belgrad mag man im Konak wie in den politischen Klubs der Schlag hart genug empfinden. Fürst Nikita aber hat einen neuen Beweis seiner außerordentlichen Geschicklichkeit ge geben, die er schon oft bewiesen hat. Sein Wohl verhalten während des letzten Türkenkrieges hat seinem Lande den heißersehnten Zugang zum Meere geöffnet. Er hat nicht gezögert, seinen Sohn, Thron folger Prinz Danilo mit einer nicht vielgenannten deutschen Prinzessin zu verheiraten. Die Baiide des Blutes sind nun doch geknüpft. Und alles andere wird mählich vergeßen. Er hat zwei Töchter an russische Großfürsten untergebracht. Ein« ist, wie be kannt, Gattin des Königs von Italien. Alle diese Verbindungen, namentlich die letztgenannte, haben dem Lande viel genützt. Italien hat manche liebe Million Lire in Montenegro hineingesteckt, die sich nicht verzinst, dem Anlagelande aber reichen Vorteil bringt Das bleibt freilich bei allem arm genug. Die stolzen Söhne der Schwarzen Berge leisten als Ar beiter ebensowenig, wie sie viel als Krieger leisten. Der mit Grazie getriebene Müßiggang ist, da es bei der Ungunst der Zeiten doch keinen Krieg gibt, ihnen vor allem erstrebenswert. Fürst Nikita hat wenig stens, was an ihm ist, dafür gesorgt, daß dieser Müßiggang nicht des Lasters Anfang werde. Preß freibeit? Verfassung? Er gibt sie; redigiert aber „die" montenegrinische Zeitung selbst und sorgt mit patriarchalischer Strenge dafür, daß seine Skupschtina Order pariert. Ihm hat das Land vor allem zu danken, daß es in keine Belgrader Wirtschaft mit Dolch, Bomben und Meuchelmord hineingcraten ist. Kurz, wenn Fürst Nikita sich jetzt eine Krone aufs kluge und quicke Greisenhaupt setzt, so kann er sich das Zeugnis ausstellen, daß er sie sich redlich ver dient hat. Deutsches Reich. Leipzig, 28. August. * Das Kaiserpaar in Danzig. An der Parade, über die wir bereits im gestrigen Abendblatt be richteten, nahmen auch 3000 Mann Marinetruppen teil. Sämtliche Truvpen standen in zwei Treffen. Der Kaiser in der Uniform des 2. Leibhusaren regiments begann schon vor 10 Uhr mit dem Ab reiten der Fronten. Dem Kaiser folgte die Kaiserin zu Pferde in der Uniform ihres Kürassierregimentes mit Dreispitz, der Kronprinz gleichfalls als Kürassier, dahinter in einer wunder vollen Reitergruppe die Kronprinzessin und Prin zessin Eitel Friedrich in der Uniform ihrer Dragoner regimenter, Prinzessin Viktoria Luise in der Uniform der Leibhusaren mit Feldmütze, Prinz Eitel Fried rich in der roten Attila der Leibgardehusaren, Prinz Adalbert in Marine-Uniform, die Prinzen August Wilhelm und Oskar sowie Herzog Albrecht von Würt temberg. Nach dem Abreiten des zweiten Treffens mssierte der Kaiser mit sämtlichen Prinzen und den ürstlichen Damen aufs lebhafteste begrüßt die Krie - lervereine in Stärk« von 10 000 Mann, die Re- ervelandwehr-Offiziere und die Kriegsschule von Danzig. — Es folgten zwei Vorbeimärsche, wobei die Marinemannschaften von dem Publikum mit Händeklatschen und Bravorufen begrüßt wurden. Beide Male führte der Kaiser das 1. Leibhusaren regiment und Prinzessin Viktoria Luise das 2. Leib- hufarenregiment der Kaiserin unter dem lauten Jubel und Hurra der Zuschauer vor. Der Kaiser nahm auf dem Paradefelde noch militärische Mel dungen entgegen Die Kaiserin und die Prinzessin tochter begaben sich im Wagen mit Eskorte zur Dan ziger Werft. Die abrückenden Truppen bildeten Spalier. Die Fahnen und Standarten wurden bis zum Eingang der Langfuhrer Allee gebracht. Hier
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