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130 der Prüsungsmodus der Amendements vereinfacht werden, die Regie rung verpflichtet sein, diejenigen Tarifmodificationen zur Genehmig ung vorzulegen, welche durch internationale Verträge stipulirt werden sollen. Das Jnterpellationsrecht soll ausgedehnt und andere Unzu träglichkeiten weggeschafft werden. Auch die Befugnisse des Senats sollen weiter erwogen werden. Die Kammer ließ am Schluß dieser Erklärung, die vom 11. Juli aus St. Cloud erlassen wurde, den Kaiser hochleben. Tags darauf baten die Minister um ihre Ent lassung, der Kaiser nahm sie an, doch vernimmt man, der Minister Rouher und der Kriegsminister Niel würden auchi m neuen Ministe rium bleiben. Sogleich nach Abgabe der kaiserlichen Botschaft ist der gesetz gebende Körper vertagt worden. Sobald der Senat seine Beschlüsse gefaßt hat und das neue Ministerium ernannt ist, soll die Kammer wieder zusammenbcrufen werden. Der Senat ist auf den 2. August einberufen. In der letzten Sitzung des gesetzgebenden Körpers in Paris ging es noch stürmisch zu. Kaum halte der Minister Rouher die kaiser liche Botschaft wegen der beabsichtigten Reformen und das Vertag- ungsdecret mitgetheilt, da bat Jules Favre um das Wort und legte Protestatio» gegen den Widerspruch ein, der zwischen der kai serlichen Botschaft und dem Vertagungsdecret liege, das er eine Un schicklichkeit nannte. Unter dem Beifall der Opposition und denPro- testationen der Majorität gab es einen gewaltigen Lärm. Der Prä sident mußte den Redner zweimal zur Ordnung rufen. Zuletzt ging die Versammlung still auseinander. Wird nun wirtlich in Frankreich das persönliche Regiment aufhören und das parlamentarische eintreten? Der Kaiser hat aller dings Concessionen zu machen versprochen, nur will er nicht zur Ausführung schreiten, ohne erst den Senat gehört zu haben, wie die Verfassung es vorschreibc. Er ist froh, ein Hinterthürchen gefunden zu haben. Ehe der 2. August kommt, und die Senatoren zusammen treten, kann noch gar manches anders werden. Es ist richtig, das französische Volk hat sich schon lange vergebens nach liberalen In stitutionen gesehnt, aber es will auch Ruhe und Ordnung haben, das Kaiserthum soll bleiben, nur der Druck soll schwinden. Ob das durch die neue Aera, die jetzt anbrechen soll, geschehen wird, wissen wir nicht. Das aber kann und wird sich der Kaiser selbst sagen, daß etwas geschehen muß, um die Macht der unversöhnlichen, die in Paris, Lyon und Marseille großen Anhang haben, nicht stärker wer den zu lassen. Das Wort des Deputirten Pelletan: Der 2. Decem- ber ist ein Verbrechen, hat dem Kaiser manche schlaflose Nacht ge macht und klingt ihm immer in den Ohren. Man zweifelt sehr, daß Napoleon mit seinen halben Conces- sioncn viel ausrichten werde. Wenn er auch auf kurze Zeit einen scheinbaren Frieden erreiche, die Linke werde doch bald mehr ver langen, um das persönliche Regiment nach und nach zu Grabe zu tragen. Werden erst die Leidenschaften auf beiden Seiten aufgeregt, dann kann man nicht dafür stehen, wie das endigen wird. Wien, 14. Juli. Der Kaiser hat mit Handschreiben vom gest rigen Tage und mit Juzistministerial-Erlaß von heute dem Bischof Rudigier die über denselben verhängte Kerkerstrafe und deren Rechts gen nachgesehen. Herächt und gerichtet. Eine Dorf- iiud Lrimüuügcschichie von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Marianne war beim Kommen des Protokollführers aufgestanden und hatte sich erschöpft in eine Ecke des alten zerbrechlichen Sophas geworfen. — Der Protokollführer ging jetzt freundlich auf sie zu und sagte: „Marianne sein Sie nicht mehr traurig, der Him mel kann noch Alles zum Besten lenken." Sie schüttelte den Kopf: „Ich sehe keine Hilfe." „rind Ihr Lieblingsfpruch?" er kannte ihn durch die öfteren Besuche bei seiner Braut und sprach ihn jetzt mit tiefem Gefühl: „Er sitzt dort hoch in stiller Einsamkeit lind sinnt auf unser Wohl, Den großen Schooß voll Wahrheit weit und breit Und beide Hände voll." Ihr Auge suchte den Himmel, der über den Dächern in reiner Bläue lag. Die Sonne glänzte so rein und golden, ein Vogel stieß im Vorüberfliegen einige Jubcltöne aus, aber ihr starrer Blick konnte heute nicht mehr ein Vaterauge finden, das liebend auf seiner Welt ruht, sie seufzte tief und ein Thränenstrom machte ihrem ge preßten Herzen Luft. „Verzweifeln Sie nicht, wo die Noth am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten, das bleibt doch ein altes gutes Wort. „Ich darf nicht mehr hoffen," entgegnete sic. „Und wenn Sie dennoch dürsten?" Diese mit Betonung ge sprochenen Worte machten Marianne aufmerksam, ein Strahl von Freude glitt über ihr Gesicht, um eben so schnell zu verschwinden; es war ja unmöglich, wo sollte jetzt noch Rettung Herkommen? „Sie dürfen hoffen," wiederholte der Protollführer, „es sind Sachen an das Licht getreten, die für Georg sehr günstig, vielleicht sogar —" „Sagen Sie das nicht," unterbrach ihn Marianne, „ich lasse mich nicht täuschen, Ihre Gerichte sind schrecklich, wen sie einmal er faßt, den machen sie schuldig, der ist verloren." „Hm, mein alter Justizrath ist boshaft und eigensinnig, so find Sie nicht Alle, es giebt noch viele rechtschaffne Juristen, die die Un schuld an das Licht ziehen." „Was hilft das dem Georg? man glaubt mir nicht, daß er kein Mörder." „Ich glaub' es, noch mehr, ich weiß es, Georg ist wirklich un' schuldig!" — Marianne lachte wild auf, sie nahm es für Spott, er' der ihr stets aus den Akten Georgs Schuld überzeugt nachgewiesen, sprach jetzt von seiner Unschuld. „Das hab ich nicht verdient, Herr Berger," sagte sie vorwurfs voll, „ich will lieber ertragen, daß Sie mir alle Protokolle mit- theilen, als diesen Scherz." „So höre doch!" mischte sich die Nätherin ins Gespräch und warf sich mit weinenden Augen an die Brust der Freundin. „Georg ist wirklich unschuldig! er wird frei." „Frei!" jauchzte Marianne, und die Bauerndirne, die so lange in engen Bauden eingeschnürt worden, machte sich in ihr Luft. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür— „Georg!" — „Marianne!" und zwei glückliche Sterbliche hielten sich jubelnd umschlungen. Der Protokollführer zog seine Geliebte zu sich hin, die einen Strom von Freudenthränen vergoß, und sagte ermahnend: „Warum weinst Du denn? das ist ja ein unendliches Glück!" aber in dem selben Augenblicke mußte er auch schon das Taschentuch hervorziehen und sich die Augen trocknen. „Dummes Zeug! zu weinen," fuhr der gute Mensch fort und konnte sich der Thränen nicht enthalten. Wäh rend die beiden Zuschauer in freudiger Rührung in Thränen zer flossen, kam in die Augen der beiden Glücklichen kein feuchter Tropfen. Mariannens Wangen waren mit Purpur übergossen, alles Leid, alle blassen Sorgen schienen mit einem einzigen Hauche hinwcgge- weht, ihre Brust war stark genug, den hohen Wellenschlag des Glückes zu ertragen. Wie viel hatten sich die Beiden zu erzählen, welche Veränderun gen in ihren Schicksalen waren geschehen! Georg fragte erstaunt, was Marianne hier treibe und wie sie in die Stadt gekommen. „Mein Vater ist so launenhaft, ich konnte eS nicht länger bei ihm aushalten," stotterte sie hervor. „Nein, glauben Sie das nicht," eiferte sogleich die zukünftige Frau Protokollführerin, „die arme Marianne wollte —" „O schweige doch still," bat Marianne. „Nein, ich muß es ihm sagen, wie lieb Du ihn gehabt, damit ers einsieht und nicht vergißt." „Was ist denn geschehen?" fragte Georg. „Marianne wollle Sie retten," erklärte der Protokollführer. „Ihr Alibi nachweisen, und hat das bekannt, was Sie ver schwiegen, darüber zürnt noch ihr Vater. „Marianne," rief der junge Mann mit tiefster Bewegung und drückte das treue Mädchen in überquellender Empfindung noch ein mal an seine Brust. „Das hast Du sür wich gethan? Du treues, liebes Herz!" „Und hast Du nicht mehr gelitten um meinetwillen," entgegnete jetzt Marianne unter Thränen lächelnd, „hättest Du gleich gesagt, daß —" „Und Dir diese Schande gemacht? was sollten die Leute von Dir denken, daß gerade an diesem Abend! —" „Und Du selbst Georg, aber meine Angst um Dich war so groß und ich wußte, daß Du mich nicht für schlecht halten würdest — hält' ich wissen können, welch' Unglück ich damit herbeigeführt, und ich wollte Alles zum Guten lenken und zum Glück." „Ja, ja, wir dürfen eben nicht lenken, da geschieht am meisten etwas Schlimmes," bemerkte der Protokollführer. Nachdem die Freude des ersten Wiedersehens verrauscht, gewahr ten Beide erst, welche Veränderungen mit ihnen vorgegangen. Ma rianne war weißer, blasser geworden, Gram und Sorge hatten jetzt ihre Furchen in das einst so blühende Gesicht gezogen und damit den Zauber der Jugend abgestreift. Sie erschien um zehn Jahr gealtert. Bei Georg hatten jene schweren Tage noch tiefere Verheerungen her vorgebracht, er sah aus, wie ein aus dem Grabe Erstandener, und wohl war es ein Grab, aus dem man ihn hervorgcrusen. Wo war die jugendliche Erscheinung hin, die voll Leben und Gesundheit ge strotzt? Marianne schloß eine welke, zusammengcbrochene Greiscnge- stalt in ihre Arme und doch — wie ruhten ihre Blicke Mit unendlicher Liebe auf dem armen Dulder, dessen cingefallne Wangen -und weiß gewordenen Haare von einer Ewigkeit von Qual und Schmerz er zählten. Sie gingen Beide mit verschlungenen Armen im Zimmer aus und ab, während das Brautpaar sich leise entfernte, um ihnen einen ungestörten Augenblick zu gönnen. Beim Zurückkommen warf Georg einen Blick in den Fensterspiegel und blieb plötzlich stehen, er hatte das Gesicht eines Fremden zu sehen gemeint, so völlig unbe kannt war ihm das Antlitz, das ihm dort entgegentrat. Marianne wollte ihn vom Spiegel wegzichen, er lachte bitter, „ich muß doch sehen, wer der Mann ist, der Dich am Arme sührt." Und nun trat er dicht' vor den Spiegel und seine Augen vergruben sich tief in das erschreckende Abbild, das ihm das rücksichtslose Glas entgegen warf. Er fchauderte vor sich selbst zurück, als er in diese Hohlen, halb erstorbenen Augen blickte, auf das entgegengestellte Antlitz, das ihm wie ein Todtenschädel entgegengrinstc, wie mit einem Schlage stiegen die alten Haß- und Wuthgedanken gegen seinen Peiniger wieder herauf, sein Gefühl verzerrte sich in wildem Grimm, er ballte die Fäuste und rief drohend: „Warte, Elender, jetzt bin ich frei!" Marianne suchte ihn zu trösten, zu beruhigen. „Du wirst wie der gesund und frisch aussehen," sagte sie schmeichelnd, „guck', ich bin auch recht alt und häßlich geworden, wir haben uns nichts vor zuwerfen." „O, es ist nicht darum, aber wenn ich dort in den Spiegel sehe, dann les' ich erst, was in meinem Gesichte geschrieben, was noch deutlicher hier steht," er zeigte auf seine Brust. „Du mußt nicht mehr daran denken," meinte Marianne. „Nicht daran denken?" fragte Georg bitter zurück. „Er hat mich zertreten wie einen Wurm, ich hab' nichts gekonnt, als mich ohnmäch-