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Wochenblatt - für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 43. Dienstag, den 13. Juni 1870. Tagesgeschichte. Wilsdruff, den 12. Juni 1876. Vorüber sind die Tage der fieberhaften Spannung, an denen in der hohen 2. sächsischen Kammer über das Wohl oder Wehe der Stadt Wilsdruff und seiner Umgebung entschieden werden sollte; nun, der Würfel ist nicht zu unsern Ungunsten gefallen, aber immer hin noch nicht so gut, daß wir Victoria rufen könnten, noch hat sich die t. Kammer zu entscheiden, doch hoffen wir auch dort das Beste. Das aber können wir heute schon bestimmt ausfprechen, hätte nicht unser Herr Bürgermeister seit langen Monaten mit aller Geisteskraft und Energie fÜK diese Sache gewirkt, wir sicher auch zu denjenigen Petenten gehörten, deren Petitionen so zu sagen in den Papierkorb gewandert sind. Mit besonderer Wärme haben sich in der Kammer die Herren Abgeordneten Oehmichen und l)r. Meischner für unsere Petition verwendet. Die Deputation, welche unsere Petition begut achtet und auf deren Gunst wir so Großes gesetzt, empfahl der Kammer unsere Petition um Herstellung einer Eisenbahn in -iefer Finanz periode abzulehnen, dagegen die k. Staatsregierung zu ersuchen, die zukünftige Erbauung einer normalspurigen Secundäreisenbahn in Erwägung zu ziehen. Das war allerdings wohl fast das Wenigste, was sie für uns thun konnten. Dagegen beantragten Abgeordneter Oehmichen und 14 Genossen: „die k. Staatsregierung zu ersuchen, in Erwägung zu nehmen, ob sie nicht beim nächsten Landtage eine Vor lage zu Erbauung einer Eisenbahn von Dresden eventuell Porschappel über Wilsdruff nach Nossen an die Ständeversammlung gelangen lassen wolle." Abgeordneter Oehmichen macht für seinen Antrag geltend, daß erst durch die Verbindung mit Nossen den Petenten das Recht verschafft werde, das ihnen zustehe, da schon vor 13 Jahren sich ein Comitö zur Erbauung der Bahn gefunden, damals aber der Staat den Bau dieser Bahn für sich reservirt habe. Die Steigungsver hältnisse seien günstig. Wesentlicher Vortheil würde aus der Er bauung der Bahn dadurch erwachsen, daß der Verkehr zwischen Dresden und Leipzig dann nicht mehr abhängig sei von einer Brücke und daß die schwierige Strecke Tharandt-Freiberg entlastet werden könne. Sein Antrag gehe nicht soweit, daß die Regierung schon dem nächsten Landtage eine Vorlage machen solle, sondern nur dahin, daß die Regierung den Bau der Bahn in Erwägung ziehe. Ferner brachte Abgeordneter Or. Meischner den Antrag ein: „Die königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem nächsten Landtage eine Vorlage zur Erbauung einer Eisenbahn von Dresden eventuell Potschappel über Wklsdruff nach Nossen zugehen zu lassen." Abgeordneter vr. Meischner hält es für recht und billig, daß den Wünschen der Stadt Wilsdruff entsprochen werde. Leider wurde dieser Antrag abgelehnt, dagegen schlüßlich der Oehmich'sche Antrag mit 33 gegen 18 Stimmen angenommen. Auch die Herren Abgeordneten Klopfer und Hart wig hatten sich für uns zum Worte gemeldet, mußten aber wegen Schluß der Debatte darauf verzichten. Vielfach hört man fragen? Hat sich denn unser Vertreter, Herr Abgeordneter Blüher gar nicht für uns verwendet? Nun, in der Kammerverhandlung ist er selbst zu unserm Leidwesen nicht vorgegangen, daß er aber für unsere Petition in feiner Fraktion gewirkt und erst recht für den Oehmichenschen Antrag mit gestimmt hat, glauben wir mit Bestimmt heit aussprechen zu können. Aus der Begründung des Oehmichenschen Antrages heben wir schlüßlich noch einmal einen Satz hervor, der wohl Jedermann ins Auge springen muß; der Antragsteller sagt: „Daß erst durch die Verbindung mit Nossen den Petenten das Recht verschafft werde, das ihnen zustehe, da schon vor 13 Jahren sich ein Comitä zur Er bauung der Bahn gefunden, damals aber der Staat den Bau dieser Linie für sich reservirt habe!" Liest man diesen Satz, so muß man sich auch gleich darauf sagen: „Nun, so hat doch auch eine hohe Staatsregierung in vorliegendem Falle eine Verpflichtung übernommen, die die hiesige Bevölkerung nach nunmehr 13 Jahren sehnlichst in Erfüllung gebracht wissen möchte. Und wahrlich, die hiesige Gegend verdient eine Berück sichtigung sowohl von Seiten einer hohen Staatsregierung als von Seiten der Volksvertreter, denn wenn eine Gegend in Bezug auf Reichstreue gleichen Schritt geht mit seinem erhabenen Herrscher hause, so ist ganz besonders aber noch hervorzuheben, daß dieselbe Gegend mit erhöhter Liebe seinem engeren Vaterland und seinem Königshause zugethan ist. Möge nun die Zukunft uns bringen, was im weisen Rath derselben beschlossen, die Vertreter unserer Stadt und der Landgemeinden haben das ihre redlich gethan und werden ihr reges Interesse zum Wohle unserer Gegend auch ferner dieser hochwichtigen Sache widmen. — Heute Vormittag 10 Uhr wurde im hiesigen Schulsaale der seitherige Oberlehrer an der Bürgerschule zu Nossen, Herr Ludwig Otto Hildner, als Oberlehrer für die hiesigen Bürgerschulen durch den Herrn Localschulinspector Director Beck in Mitanwesenheit einer gemischten Schülerzahl, des Lehrercollegiums und einiger Herren aus der Bürgerschaft feierlich in sein neues Amt ciugewiesen. Die Amtsniederlegung des Ministerpräsidenten v. Friesen soll einige Zeit nach Schluß des Landtages zu erwarten stehen. Derselbe dürfte nur noch die aus den Beschlüssen des Landtages hervorgehenden Angelegenheiten ordnen, die allerdings umfangreich genug sind: Ein kommensteuer, die neue Rentenanleihe, die Ueberführuug so vieler Privatbahncn in den Staatsbesitz und was damit zusammcnhüngt. Als Nachfolger bezeichnet man den jetzigen Kreishauptmann in Leipzig, v. Könneritz, in weiteren Kreisen durch seine parlamentarische Thätig- keit im Land- und Reichstage bekannt. Die Arbeitskraft des Ministers v. Nostitz-Wallwitz bleibt somit dem Lande erhalten, da fein Bruder auf dem Berliner Gesandtschaftspostcn verbleibt und die Combination zweier Brüder in einem Ministerium nicht persect wird. In einer Zusammenstellung der Ergebnisse des Pfingstverkehrs beziffert das „Dresd. Journ." die Zahl der Personen, die in der Zeit vom 3. bis 6. Juni auf dem böhmischen Bahnhofe in Dresden ein- und auspassirten, auf 155,215. Bei der sächsisch-böhmischen Dampf schiffahrt haben in derselben Zcit 340 Fahrten der Personenschiffe stattgefunden, mit denen 157,000 Passagiere von und nach Dresden befördert wurden. Die „Dresdner Nachrichten" theilcn mit, daß der Reichskanzler Fürst Bismarck einen Strafantrag gegen den Verfasser mehrer in dem genannten Blatte enthaltenen, die Amtsniederlegung Delbrück's behandelnden Artikel gestellt hat. Berlin, 9. Juni. Wie man sich erinnert, hat Fürst Bismarck, als er bei der Beralhung der Reichseiscnbabnvorlage im Abgeordneten hause seine Ansicht über die Modalitäten der Durchführung des Pro- jects auseinandersetzte, die Acußcrung gethan, die Zwischenzeit zwischen heute und dem Termin, an welchem der Uebergang der preußischen Staatsbahnen auf das Reich bewerkstelligt werden könne, werde von Preußen zu benutzen sein, um sein Staatsbahnnetz durch Ankauf wichtiger Linien zu erweitern. Wie sehr es dem Reichskanzler mit diesem Gedanken Ernst gewesen, läßt sich bereits heule nicht mehr verkennen. Mit großer Bestimmtheit berichtet die „Post" von bereits im Gange befindlichen definitiven Verhandlungen über den Ankauf der Thüringer Bahn und stellt ein Gleiches betreffs der Berlin - An halter Bahn in Aussicht. Auch hinsichtlich der Berlin-Potsdam-Magde burger Eisenbahn gingen vor Kurzem bereits ähnliche Gerüchte. Das beschleunigte Tempo, mit welchem diese ganze Angelegenheit allem Anschein nach betrieben wird, hängt wohl mit der Ansicht zusammen, daß die gegenwärtige Conjuntur eine für den Staat ganz besonders günstige sei. Im Anschluß an obige Notiz, daß der Staat wegen Ankaufs der Thüringer Eisenbahn mit der Verwaltung dieser Bahn in de finitive Verhandlungen eingelreten sei, wird der „Post" heute von wohlinformirter Seile mitgetheilt, daß die Verwaltung den Absichten der Staatsregierung das bereitwilligste Entgegenkommen darbringe, und daß die beste Aussicht vorhanden ist, die Angelegenheit in einer