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268 sein; das ist aber nur höchst selten der Fall. Selbst Diejenigen, die es sich angelegen sein lassen, der Welt ihr Glück zu zeigen, sind nicht glücklich, denn sie bedürfen den Beifall oder den Neid der Menge, um an ikr Glück glauben zu können. Der wahr haft Glückliche, das heißt, der mit sich und seinem- Schicksale Zufriedene, braucht Niemanden zu seinem Glücke, höchstens eine gleichgestimmte Seele, die seinen stillen Lebensgenuß noch erhöht. — Der Uebcrfluß erzeugt keinen Frieden, er reizt uns nur zur Aufsuchung neuer Genüsse und führt bald jene Unbehaglichkeit herbei, die nur noch auf Augenblicke an Diesem oder Jenem Gefallen sinket und der bald Alles zuwider ist. Betrachte jenen Reichen, dem alle Genüsse offen stehen, nach seiner Mahl zeit, oder wenn er aus dem Theater kommt, oder von einer Lustpartie zurückkekrt — schau in sein Gesicht — strahlt cs von Glück? o nein! er sieht verdrießlich, gelangweilt, abgespannt aus. Unter diesen Menschen giebt es die meisten Hypochondristen. Mein armer Freund, diese Krankheit plagt dich nicht! Arbeit und Mäßigkeit, scbon durch deine Verhält nisse geboten, erhalten dich gesund. Deine Kartof feln, dein Stück Brod haben dir vortrefflich ge schmeckt und kommt erst der Sonntag, der dir eine Erholung, Lin Vergnügen oder einen Spaziergqng bringt, wie lacht da dein ganzes Gesicht bei der Heimkehr. Sieh, du hast, was jener Reiche, den Tausende beneiden, nicht hat; beneide du ihn nicht, der Neid ist eine garstige Krankheit der Seele, die nur unzufrieden macht und die kein Glücklicher empfindet. Aber du fragst: wie kann man arm und doch reich sein? Damit du nichts entbehrst, war Cato's weise Lehre: „entbehre". Ja, entbehre, und du besitzest Alles! Gewöhne dich, bas was du nicht hast, nicht haben kannst, als nicht vorhanden zu betrachten und du stehst dann mit dem Allerreichsten auf gleicher Stufe, ja noch höher ass er. Was er sich mit Anstrengung für sein Geld zu verschaffen sucht, das brauchst du nicht, und ob er von den Sinnen getauscht, von einem Genüsse zum andern eilt, das Glück kann er sich mit allem Gelbe nicht erkaufen. Der Mensch bedarf nur zwei Dinge: „Gesund heit und Arbeit", um glücklich zu sein, hat er bei des, und ist es dann nicht, so liegt es an ihm! Durch hundert Beispiele könnte ich die Wahrheit des hier Gesagten Nachweisen, aber ich will heute weder Personen noch Namen nennen. Die Mehr zahl jedoch beruft sich auf ihre Schwache, sic sagt: ich kann nicht, ich kann mich nicht beherrschen, das heißt: sie will nicht! Durch stetes Nachgeben gegen ihre sinnliche Natur hat sie die Herrschaft des Wil lens verloren, ist voll Unruhe und fühlt sich un glücklich. Und dennoch braucht der Mensch wirklich wenig zu seinem Glück. Ein Mittagsmahl bei Peter dem Großen. Herr v. Launagc, Canonicus von Lüttich, be schreibt ein solches in einem Briese an den Chur- sürsten von Cöln vom Jahre 1717 wie folgt: „Am Freitage kam ich nach Spaa, wo Czaar Peter sich gerade befand und in einem Zelte wohnte. Ich nahm .mir die Freiheit, ihm ein Becken voll Feigen und Kirschen aus meinem Garten zu prä- sentiren. Das war ihm sehr angcnetm; er machte sich sogleich darüber her und obschon er an dem selben Morgen 21 Gläser Wasser zu sich genommen Katte, verzehrte cr mit unglaublicher Geschwindigkeit 12 Feigen und 6 Pfund Kirschen. Tags drauf lud cr mich zu seiner Tafel. Es wäre nicht halb recht, wenn ich von dieser Mahlzeit, wie sie der Czaar gewöhnlich zu kalten pflegt, keine Beschreibung geben wollte. Die Tafel war eigentlich nur zu 8 Ge decken, aber man hatte das Geheimniß verstanden, 12 Personen daran zu keilen. Der Czaar saß oben an in einer Nachtmütze und ohne Halsbinde, wir übrigen saßen um den Tisch Kin, wohl aber einen guten Fuß davon ab. Zwei Soldaten der Garnison trugen jeder eine große Schüssel auf, in welcher platterdings nichts war, außer daß am Rande irdene Näpfchen voll Fleisch brühe standen, in deren jedem ein Stück Fleisch lag. Jeder nahm seinen Napf und stellte ihn vor seinen Teller Kin. Dadurch entstand aber, di^ Entfernung vom Tische hinzugenommen, eine solche" Weitläufig keit und Unbeholfenheit, daß man, um einen Löffel Suppe herauszuholen, den Arm soweit ausstrccken mußte, als wenn man mit einem Nappiere fechten sollte. Hatte man seine Fleischbrühe verzehrt und verlangte noch mehr, so sprach man ohne Umstände dem Napfe des Nachbars zu, wie denn Ee. Maj. öfters mit dem Löffel in den Napf des Kanzlers fuhr. Der Galecren-Admiral schien keinen Appetit zu haben; denn cr amusirte sich damit, an den Nägeln zu kauen. Nun kam ein grobknochiger Kerl, der acht Flaschen Wein auf den Tisch nicht stellte, sondern warf. Der Czaar nahm eine davon und schenkte jedem Gaste ein Glas ein. Mein Platz war neben dem Kanzler. Als dieser gewahr wurde, daß ich das Fleisch ohne Salz aß — eS stand ja nur ein Salzfaß auf dem Tisch ganz oben vor dem Czaaren — sagte er höflich: „Wenn Sie Salz haben wollen, so langen Sie nur 8»N8 Hoon zu." — Um nicht tölpelhaft zu sein, langte ich grade vor den Czaaren hin und versorgte mich mit Salz. Auf dem Tische sah es schön aus. Fast aus allen Näpfen war Brühe auf das Tischtuch ge schüttet, auch der Wein, weil die Flaschen nicht verkorkt waren. Als die Tafel aufgehoben wurde, war das Tischtuch über und über mit Wein und Fett getränkt. — Nun kam das zweite Essen. Einem Soldaten, der zufällig an der Küche vorbei gegangen war, hatte man eine Schüssel aufgcpackt und da cr nicht Zeit gehabt hatte, seinen Hut ab- zuthun, so schüttelte er beim Eintreten mit dem Kopfe, damit er herunter siel. Aber der Czaar gab