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170 ein Verrath an dem deutschen Interesse und an der unglücklichen deutschen Bevölkerung im Norden Schleswigs. Haben die tapsern Preußen und Oester« reicher geblutet, um die Norbschleswiger den fürch terlichen Mißhandlungen der nach Rache dürstenden Dänen zu überantworten? Nein, wie die tapfern Truppen Schleswig erobert haben und besetzt halten, so müssen die deutschen Gesandten jetzt das alte Schleswig-Holsteinsche Grundrecht „auf ewig un« getheill" ebenso tapfer in der Konferenz geltend machen. Es wird gelingen, wenn die drei deutschen Mächte einig sind und bleiben. Bezüglich des Her zogs Friedrich aber hat nicht die Londoner Con- ferenz den Erbrechtstitel desselben zu prüfen, son- dem höchstens der Bundestag und schließlich hat das Volk der SchleSwig-Holsteiner zu entscheiden und für dasselbe feine Slände. Kurz vermelden müssen wir noch eine engli sche Unverschämtheit und eine preußische offi ziöse Erklärung. Jene geht dahin, daß Kiel nicht deutscher Bundeshasen werden dürfe; diese, daß Preußen keine Einverleibung Holsteins rc. beab« fichtige. Prinz Friedrich Karl soll in Schleswig zu der Deputation, welche ihn empfing, gesagt haben: „Ihr seht, ich trage das schleSwig-holstein- sche Kreuz. Lon höherer Politik verstehe ich nichts, aber ich bürge euch mit meiner Person dafür, daß Dänemark euch nicht wieder bekommt." Diese Worte wurden mit einem donnernden Hurrah er- wiebert. — Papst Pius IX. scherzte neulich: Mein Nach folger wird noch etwas warten müssen; es ist noch nicht die Reihe an mir, zu sterben; ein Mastai tritt nicht vor dem 80. Jahre vom Schauplatz- ab. — Der Papst hat Recht: die Mastai's find gute Naturen. Gras Mastai, des Papstes Later, wurde 82 Jahre alt, sein Großvater 96 Jahre; des Papstes Brüder zählen 80 und 84 Jahre und seine Schwester 77 und ist noch wohlauf. Italien scheint an das HauS Rothschild zu fallen. Mit 200 Mill. Fr. vom letzten Anlehen steht Italien noch in Rothschild's Schuldbuch, und jetzt werden demselben Hause für 190 Mill. Fr. Slaatsdahnen und für 250 Mill. Fr. Staats- und Kirchengüter verkauft. — DaS Prügelgesetz in Mecklenburg hatte dem Großherzog in Darmstadt einen kalten Em pfang bereitet. Zu seiner Hochzeitsfeier wollten die Bürger und Zünfte weder Auf« noch Fackelzug halten, die Sänger wollten nicht singen, die Turner nicht Spaliere bilden und Ordnung halten. Jllu- minirt wurde zwar, aber spärlich. Dem Großherzog konnte der Grund der Abneigung, das Prügelgesetz, nicht verborgen bleiben; er ward zornig und ließ den Telegraphen heim an seine Minister spielen: „Wart', ich will Euch Streiche machen, wenn ich nicht daheim bin." In München nimmt die schamlose Bettelei gewaltig überhand. Der junge König wurde nach feiner Thronbesteigung in unverschämtester Weise überlaufen, daß er stch fast nicht zu retten wußte; dem König Ludwig sollen nach seiner Rückkehr von Algier in drei Tagen an 3000 Bittgesuche jeder Art zugekommen sein, darunter zwei Drittel auS München. Er war außer sich, obwohl er gern die Hand öffnet. Ein Opfer der Jesuiten. Brüssel, 23. Mai. Das ungeheuerste Aufsehen erregt im ganzen Lande ein soeben vor dem hiesigen Assisen« Hofe verhandelter Proceß. Der Held oder vielmehr das ausersehene Opfer jenes ProcesseS, Neffe und einziger Erbe eines steinreichen Mannes, ist durch nachgewiesene Einflüsse zu einem verderbten Sub- jecte geworden und seit etwa 20 Jahren von einem Gefängnisse ins andere gewandert. Während dieser Frist haben die Jesuiten die 4—6 Millionen starke Erbschaft des Onkels erlangt. Eben sollte nun jener unglückliche Mensch bas Gefängniß von Lil« vorde verlassen, als er mittelst eines ihm zugcschriebe- nen, nach dem Ausspruche der Jury gefälschten Droh briefs aufs Neue auf die Anklagebank gebracht wurde. Zum Jubel des Publikums wurde er sreigesprochen, und seitdem beschäftigt sich die ganze Presse des Landes mit dieser csuse celebro. Flugschriften und Blätter erscheinen in Fülle über die Angelegenheit, und Sammlungen werden veranstaltet, um dem be rechtigten Erben mittels eines CivilproceffeS zur Wiedererlangung seines Gutes zu verhelfen. Haus und Schule. VI. Lange vorher freuen sich die Kinder auf den Tag, wo sie der Schule für immer Lebewohl sagen und die verhaßten Bücker in den Winkel stellen können. Und die Eltern? Sie freuen sich oft mit. Freilich tritt in vielen Familien die Nothwcndigkeit ein, daß sich das consirmirte Kind sein Brod nun selbst verdiene, Aber nicht bei Allen ist dies der Fall. Also ist die Bildung wohl vollendet? Man sehe nur zu, man höre, wie viele von den Nek'Men noch ordentlich lesen und schreiben können. Das Wenige, was sie aus der Schule mitnahmen, es ist in den 6 Jahren größtrntheils wieder verloren gegangen. Selbst solche, die in der Schule sich durch Fleiß und Kenntnisse auszeichneten, müssen gestehen, daß sie zurückgegangcn sind. Biele rühren keine Feder wieder an, nehmen kein Buch als höchstens das Gesangbuch in die Hand. Es fehlt uns an Zeit und an Gelegenheit, uns fortzubilden, werden manche sagen. Aber manche schöne Stunde wird mit unnützen Dingen todtgeschlagen und wer nur die Gelegenheit zum Lernen sucht, wird sie auch finden. So viel Interesse hat jeder Lehrer an seinen ehemaligen Schülern, daß er denen, die fortlernen wollen, mit Rath und That beisteht. In größeren Städten, wo man die Nothwendigkcit der Fortbildung längst eingesehen hat, haben sich Vereine gebildet, die jungen Leuten Gelegenheit geben, die Lücken ihrer Schulbildung auszufüllen. Warum kann das nicht überall sein? Sollten sich