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75 des verflossenen Monats höchst beklagenswerthe Un ruhen stattgefunden, welche Menschenleben gekostet. Die Entstehung derselben läßt sich bis jetzt nur aus einer Adresse des hoben Adels an den Kaiser erklären. Wir geben dieselbe im Auszuge in Fol-' gendem wieder: Die letzten Ereignisse seien nicht von einer Volksschicht ausgegangen, sie seien viel mehr der innerste, einmüthige Ausdruck der unbe friedigten Bedürfnisse des Landes. Langjährige Lei den, Mangel eines legalen Organs, um die Wünsche vor den Thron zu bringen, zwingen uns, uns durch Opfer Gehör zu verschaffen. In der Seele eines Jeden lebe ein starkes Nationalgefühl, das durch nichts zu schwächen fei. Das Land sehe mit Schmerz den Mangel an Vertrauen. Gewaltsame Maßre- » geln verschafften kein Vertrauen. Das Land appel- lire an die Gerechtigkeit des Kaisers. . Die erste Volksdemonstration fand am 25. Febr., am Jahrestage der Schlacht von Grochow, welche bekanntlich im Jahre 1831 die Niederlage der pol nischen Revolution entschied, statt. Sie wurde mit Waffengewalt unterdrückt. Fünf Personen, zwei Gutsbesitzer, ein Gymnasiast, ein Maschinenbauer und ein Franzose, wurden getödtet, viele verwundet. Dec Fürst-Statthalter gab der Bevölkerung War schaus die Zusicherung, daß die Bestattung der Gefallenen mit allein Gepränge ohne Assistenz des Militärs und des Polizei vor sich gehen solle. Am Beerdigunqstage, 27. Febr., wurden an den Häu sern große Trauerdrapcricn angebracht und die ganze Bevölkerung halte sich bis in die untersten Schich ten hinab in tiefe Trauer gekleidet. Aus den Schau fenstern sämmtlicher Kaufleute hatte man alle bunten Stoffe entfernt und dieselben durch Trauerstoffc er setzt, Mittags 12 Ubr fand in einer Kirche ein großer Trauer-Gottesdienst statt. Die Kirche war nicht im Stande, die Zahl der Erschienenen zu fassen, die grüßte Hälfte war genüthigt, vor dem Gotteshause zu bleiben. Nach beendeter Feier rückte die ganze Masse in geschlossenem Zuge nach der Krakauer Vorstadt. Dort traf die Menge zufällig ein Begrabniß und cs verbreitete sich das Gerücht, die Leiche gehöre zu den am 25. Gefallenen. In der Krakauer Vorstadt standen feit Mittag Caval- lerie- und Infanterie-Piquets, welche die Ordnung aufrecht zu erhalten hatten. Eine dieser Cavalleric- Abtheilungcn, aus etwa 50 Mann Kosaken beste hend, wollte nun die Vereinigung der von der Leschno straße kommenden Menge und dem Begrabniß, welches die Krakauer Vorstadt entlang kam, ver hindern , ritt daher entgegen und wollte sie zurück bringen. Da dies auf friedlichem Wege nicht glückte, machten die Kosaken Gebrauch von den Lcderkant- schuhen, die sie zum Antreiben der Pferde benutzen. Vorn im Zuge befanden sich Ordensgeistliche, und diese waren die ersten, welche von den Kosaken auf diese Weise zurückgetrieben wurden. Dies etbittertc die Menge, sie griff nach Koth und Steinen, warf damit nach den Truppen und zwang dieselben, unter allgemeinem Hohngelächter ein Stück zurückzugchcn. Die Kosaken sammelten sich indessen baldigst wieder, griffen nach den über den Rücken hängenden Flin ten, schossen erst einige Mal blind, und als die MeNge nicht wich, der Angriff mit Steinen vielmehr fortgesetzt wurde, scharf. Vier Personen fielen todt nieder, mehrere wurden mehr oder weniger erheblich verwundet. Die Menge stob nunmehr auseinander. Die Läden wurden geschlossen. Die Leichen wurden auf Breter gelegt und hoch emporgehoben durch die Straßen getragen. In kurzer Zeit sammelten sich wiederum große Menschenmassen, welche den Schau platz zu sehen wünschten. Sie durchzogen bis spät in die Nacht die Straßen. Die Truppen zogen gegen Abend ab. — Zur Tugessrage. Lys den zur Veröffentlichung gelangten diplo matischen Aktenstücken geht hervor, welch' scharfes Auge England aus etwaige neue Annexionsgelüste Frankreichs gerichtet hält; und in der That mag es Grund genug haben, sie vorauszusetzcn, und bei Zeiten ihnen zu begegnen. Wenn Ehre die Annexi- rünH der mittel-italienischen Herzogthümcr und eines Theiles des Kirchenstaates Frankreich den Vorwand gab, „zu seiner Sicherheit" die Hand nach Savoyen und Nizza auszustrecken, um wie viel muß cs nach dieser Logik sich berechtigt fühlen, in der weiteren Aneignung des Restes des Kirchenstaates und Unter- Italiens durch Sardinien einen noch weit triftigeren Grund zu entsprechender Erweiterung seines eigenen Gebietes zu erblicken. Nur der Rückhalt, den Sar dinien an dem jetzt gerüsteten England hat, schützt dasselbe gegen weitere Begehrlichkeit der napoleoni schen Politik. Ligurien oder Sardinien würden nicht verschmäht werden, jetzt aber sind es saure Trauben, die für den Fuchs keinen Werth haben. Was mit einer uncultivirten Insel, wie Sardinien, anfangen? sagte der französische Minister dem Lord Cowley, als dieser ihm auf den Zahn fühlte. Liguriens ge dachte er nicht, und allerdings Ware dieser Bissen auch schmackhafter, als die Insel. Daß aber auch die letztere willkommen wäre, ist nicht zu bezweifeln. Daß sie verwahrlost ist, benimmt ihr nichts an ihrem sonstigen politischen Werth. Gibraltar ist ein kahler Felsen, aber um kein Geld den Englän dern feil,. Die Thronrede Victor Emanuels im ersten itälienischeN Parlament bringt England den heißesten Dank dar für die unvergeßlichen Dienste, die cs der Sache Italiens geleistet habe; und in der That, nur ihm verdankt man den Rückzug der französischen Flotte von Gaeta, der dessen Fall und damit die Niederlage der Contre-Revolution in den Abruzzen zur Folge gehabt hat und haben wird. Das Vcrhaltniß zu Frankreich ist in weit kühlerer Weise berührt, und sicher nicht ganz ohne Absicht. Auch die römische Frage muß sich definitiv erledigen und mit der Räumung Roms durch die Franzosen enden; denn eine permanente Besetzung desselben wird England nie dulden, und gäbe cs eine natio- nüle deutsche Politik/ so müßte sic sich England 10*