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18 sonore Stimme noch ungemein gehoben. Ihm würdig zur Seite stand Frau Feist als „Pompa dour/' Wir halten dieselbe bisher nur als komische Alte gesehen und waren freudig erstaunt über das Spiel, das sic entwickelte. Namentlich waren einige Sccnen von wahrhaft künstlerischer Vollendung. Höchst lobenswerlh spielten auch Fraulein Feist und Herr O. Feist. Die übrigen Rollen sind von geringerer Bedeutung. Die Decorationen sind sehr nett und die Costümes höchst geschmackvoll und an ständig. Eine weitere Besprechung der Darstellung des Stückes müssen wir aus Rücksicht auf die aus wärtigen Leser d. Bl. unterlassen. Wir machen nur noch daraufaufmerksam, daß die Vorstellungen nicht mehr um 8, sondern um 7s Uhr ihren An fang nehmen. Ein pünktlicherer Beginn derselben ist wünschenswerth. Endlich sei für Solche, welche sich der Kalte wegen vom Theaterbesuche haben ab- halten lassen, bemerkt, daß an den Spielabenden stark geheizt wird und Niemand eine Erkältung zu befürchten hat. — Auch eine Ansicht über Venetien. Zm vorigen Jahre erschien kurz vor dem Weih nachtsfeste die französische Schrift: „Der Papst und der europäische Congreß", welche mittelmäßige Köpfe so lange für eine bloße Schriftsteller-Arbeit ansahen, bis die Ereignisse bewiesen, daß sie eine Staats schrift sei, deren politisches Programm das Ergebniß des nabenden Jahres wurde. Jetzt, wiederum vor dem Weihnachtsfeste, ist in Paris eine neue Schrift: „Franz Joseph und Europa" erschienen, die wie derum von blöden Augen verkannt bleiben wird in ihrer historischen Bedeutung, bis die Tage kommen, wo ihre unausbleiblichen Folgen sich thatsächlich bewahrheiten werden. Die neue Schrift ist eben so kurz, eben so schlagend, eben so frei, eben so wahr und eben so schlau wie die vorjährige. Sie ist wie die vorjährige ein so bedeutendes Meister stück der Diplomatie, daß unsere diplomatischen Köpfe wieder Monate brauchen werden, um sie nur halb und halb würdigen zu können. Sie ist im Plane genau so gearbeitet wie die vorjährige und hat als Ziel genau dasselbe im Auge wie jene. Sie ruft zum Schein dasselbe Tribunal, den Congreß der europäischen Mächte, auf den Schauplatz, mit derselben stillen Ueberzeugung, daß daraus nichts wird, und sie appellirt genau wie die vorjährige vorweg an die öffentliche Meinung, weil sie mit vollster Zuversicht berechnet, wie dieses große Ap pellationsgericht so schnell in erster Instanz sein Endurtheil fällen wird, daß das angerufcne Tribu nal Europas verdutzt die kommenden Dinge sich wird müssen über den Kopf wachsen lassen. Im vorigen Jahre war der heil. Valer der Gegenstand der Behandlung, jetzt ist es Franz Joseph. Im vorigen Jahre wollte Louis Napoleon dem heil. Vater das weltliche Regiment aus der Hand neh men, ohne selber dabei die Hand im Spiele zu haben. Wie machte er das? — Er ertheilte ihm den Rath, das Unhaltbare aufzugeben, nicht direct sagte er es ihm in vertraulicher Eröffnung, wie es zwischen Cabineten sonst üblich ist, sondern richtete ihn in der öffentlichen Meinung durch eine namen lose Broschüre so zu, daß der heil. Vater unmög lich den Rath befolgen und eben so unmöglich sich den Folgen entziehen konnte! Man mache sich nur einmal eine Vorstellung davon, was der heil. Vater im vorigen Jadre nach dieser Broschüre hätte thun können. — Ein Schriftchen von sechs Blattern, ohne Namen, ohne anerkannte Bedeutung, sagte damals dem heiligen Vater: „Siehe, du bist so erhaben, so göttlich, so edel, so fromm und so weise, daß du sicherlich einsichst, wie dein weltlicher Arm völlig lahm ist. Wenn Frankreich dich fallen laßt, mußt du vor deinem eigenen Volke die Flucht ergreifen und bist in all deiner großen Herrlichkeit nicht im Stande, ein kleines Plätzchen in deinem Reiche zu behaupten, wo du deinen heiligen Stuhl hinstellen kannst. Also, erhabener, göttlicher, edler, frommer und weiser heiliger Vater, bücke dich ge fälligst vor der öffentlichen Meinung dieser sechs- blätterigen, kleinen, namenlosen Broschüre, die dir ein Stückchen Raum gönnt, und höre auf, das weltliche Regiment zu führen! — Hätte Louis Napoleon dem heiligen Vater dies heimlich und ver- traulich und mit jenem politischen Nachdruck gesagt, der wirklich nur das Ziel und dies mit Festigkeit im Auge hat, so hatte der heilige Vater gut oder übel die Form finden können, um vor der Welt in scheinbarer freier Aufopferung das zu thun, was ihm unabwendbar erscheinen mußte. Aber so konnte der heilige Vater nichts Anderes thun, als die bittern Rathschläge verwerfen! — Die heutige Broschüre ist genau nach demselben Plane und genau auf dasselbe Ziel hin ausgearbeitet. Die heutige Schrift verlangt, daß Franz Joseph Venetien verkaufen solle, und sie beweist in so sicherer Weise, daß Franz Joseph den Willen dieser namenlosen Broschüre befolgen müsse. In dieser Oeffentlichkeit der Forderung liegt aber zugleich, daß Franz Joseph unter solchen Umständen den Willen nicht mehr befolgen kann! Man lese diese Schrift! Wer sie liest, wird sagen: Wahrhaftig, Franz Joseph kann nicht anders, er muß Venetien verkaufen! Dies ist der einzige Rath, der einzige vernünftige Ausweg! Aber weil alle Welt so sagen wird, kann es Franz Joseph nicht thun , wenn er nicht einer namenlosen Broschüre vor all r Welt gehorchen will. Und weil er wiederum das einzig Vernünftige nicht thun kann, wird er sich dem Resultat zu entziehen nicht im Stande sein, und möglich ist's, daß er in einem Kriege Venetien doch verliert! — Genau so wie die vorjährige Schrift die öffentliche Meinung vor bereitete auf die Zurichtung des Kirchenstaates, ge nau so thut es die diesjährige mit Franz Joseph, dem sie ankündigt, daß nicht die Armee, sondern die öffentliche Meinung den Sieg über ihn erringen wird. Genau so wie die vorjährige es dahin brachte, daß der heilige Vater Alles verlor, was er opfern