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2 brochen, allwo Nettungsmaßrcgeln wegen Abwesenheit der Feuerwehr auf dem Bahnhöfe erschwert werden. Es weht ein scharfer Wind mit Schneegestöber. In manchen Provinzen Rußlands haben die Bauern ein ziem lich sicheres Mittel, daß die Cholera nicht in ihr Kirchspiel ein dringt. Dieses besteht darin, daß in der Mitternachtsstunde mit einem Pfluge rund um das Kirchspiel eine Furche gezogen wird, den Pflug müssen zwölf Jungfrauen ziehen und die 13te Jungfrau muß das Mädchengespann führen. Eine solche Umpflügung fand kürzlich in dem Kirchspiel Dawidkowo bei Moskau statt und die Mädchen besorgten das Geschäft beim Vollmond unter fröhlichem Lachen und Singen. Am nächsten Tage weihte die Geistlichkeit die Furche in feierlicher Prozession. Da der Ort von der Cholera wirklich ver- ,schont blieb, so steht die Tugend der schönen Pflügerinnen in hohem Ansehen. Mu halb Jahrhundert, oder: Allftund aufrecht. Von Marie von Roskowska. (Fortsetzung.) Einige Tage darauf versammelten sich mehrere Hänpter der -rrstcn Handelshäuser im Komptoir. Orthie wußte, daß etwas Wich tiges vorgehe — die Frau las in der Bibel, der Prinzipal war heute noch bleicher als sonst gewesen, hatte das Frühstück kaum berührt; Paul war nicht mehr im Hause, der Kassirer aber verzehrte in seiner qualvollen Aufregung so viel Brod, wie er sonst in der Theuerung bei seiner Bescheidenheit und Aufopferung kaum in einer Woche zur Biersuppe aß, welche man, da Kaffee und Thee unerschwinglich ge worden war, Morgens genoß. Die Brauer hatten zwar aus Mangel an Malz eine Zeitlang fast zu brauen aufgehört, begannen jetzt jedoch wieder damit. In der Petrikirche, welche als Magazin diente, waren durch die rrrssischen Kanonen fast alle Scheiben zertrümmert und die Glassplitter so dem Getreide beigemischt worden, daß dieses nur eben noch zum Brauen benutzt werden konnte und verhültnißmäßig billig verkauft werden mußte. Gespannt wartete das Mädchen auf die Entfernung der Fremden. Endlich gingen sie und der Herr kam zur Mutter. Ein Blick auf sein Antlitz zeigte, daß er sich wesentlich erleichtert fühlte gegen heute morgen; es lag sogar die Verklärung innerer Befriedigung darauf. Still verließ sic das Zimmer, nahm den Kleinen mit sich. Lange stand in der weitgeöffneten Thür des Komptoirs und schaute bald zurück nach den Stühlen, welche die Herren eingenommen, bald auf die Hausthür, durch welche sie sich entfernt hatten. Bcün Anblick OrthieS stürzte er auf dieselbe zu, umarmte sie und drückte der Ucberraschten auf jede Wange — einen schallenden Kuß. Zuerst erschrak sie lebhaft. Wenn der gesetzte alte Herr so uner hört sich benahm, was mußte dann geschehen sein? Sie fürchtete ernstlich für seinen Verstand und konnte sich seinen Armen doch nicht gewaltsam entziehen, denn in seinen Augen funkelten zwei groge Thränen, rannen langsam über die gefurchten Wangen und netzten dann ihre Stirn, die er wieder küßte. Fritz war höchlich erstaunt, hatte ja noch nie gesehen, daß Je mand mit seiner Orthie so umging. Er zog aus Leibeskräften den Kassirer an den langen, fast bis auf die Knöchel reichenden Schößen des Frackes, welchen der treue Diener zu Ehren des Geschäftes an diesem denkwürdigen Tage angelegt hatte. Das schien den alten Herrn zu sich zu bringen. Er ließ das Mädchen los lind sagte gleichsam entschuldigend: „Ein Küßchen in Ehren darf Niemand verwehren. Und wenn ich Dir dreie gab — ich bin so glücklich, möchte die ganze Welt umarmen und wären selbst die Franzosen mit drunter. Weiß mich gar nicht zu fassen in meiner Herzensfreude!" Und er nahm den Knaben auf und tanzte umher mit ihm, der gegen diese Freuden- und Liebesbezeugungen nichts ein zuwenden hatte. „Aber was ist denn — was ist geschehen?" „Ach so. Ich dachte, die ganze Welt müsse es schon wissen; ver steht es sich doch auch eigentlich von selber. Wir erklären uns nicht für zahlungsunfähig, salliren nicht." „Falliren nicht?" echote sie. „Ich begreife nicht —" „Und doch sagtest Du erst vor wenigen Tagen, die Herwyns könnten nicht zu Grunde gehen. Du sprachst im prophetischen Geiste. Das „Allstund aufrecht" hat uns jetzt wirklich oben aufgehalten. Es ist doch wahr, Eitern können den Kindern Etwas vererben, was mehr Werth ist, als Geld und Gut, was Einem bleibt, selbst wenn dieses verloren geht in stürmischen Zeiten. Das ist ein Name, an dem nicht der leiseste Mangel klebt; das ist allgemeine Achtung, die selbst Leute beherrscht, welche nur au ihren Vortheil denken. Dem Kaufmann be sonders ist ein solches Erbe unschätzbar; es ist gleichbedeutend mit Allem, was er braucht, mit Vertrauen, d. h. Kredit!" Sie schaute ihn erwartungsvoll an. „Du bist nicht umsonst jahrelang iu einem Handlungshause ge wesen, nicht, Orthie? Hast einen offenen Kopf, wirst also auch wißen nur tvas es sich hier handelt, was ein Bankerott bedeutet?" Sie nickre. „Nun, wir standen auf dem Punkte dazu. Ein Wunder ist das eben so wenig, wie eine Schmach, hier und in diesem fürchterlichen Jahr. Haben doch viele unsrer reichsten Häuser ihre Zahlungen ein stellen müssen. Kciil Handel und Absatz seit mehreren Jahren — im vorigen Jahr liefen im Ganzen elf, sage c l f Schiffe ein in die See- handelsstavt Danzig! Dieses Jahr hindurch stockt vollends aller überseeischer Verkehr. Unser Schiff ist mit Beschlag belegt, ein großer Theil der Waaren zu einem Spottpreise äbgeschätzt und in die Magazine abgeführt, ohne daß wir einen Heller baares Geld erhielten. Wohl aber mußten wir zu der freiwil ligen Anleihe — wer nicht zahlte, wurde in Weichselmünde eingesperrt — des Gouvernements vreißigtauseud Gulden beitragen und zu fast unerschwinglichen Lasten und Kriegskosten der Stadt, die sich auf viele Millionen belaufen, je nach Verhältniß oder vielmehr nicht nach Verhältniß, denn Andere wußten sich dabei zu drücken. Dazu all die Verluste durch zahlungsunfähige Schuldner, die Ein quartierung auf die vielen Grundstücke und jetzt die Zerstörung des Landhauses in Pelonken und daß Zahlungen von auswärts bei der Belagerung ja nicht eingehen können. Da bleibe mir einmal einer bei Kasse und noch dazu ein Herwhn, der nie die Hand bei Geschäf ten im Spiele hat, die nicht ganz sauber und ehrenhaft sind. Daß sonst geschah, was möglich war, das weiß Gott und die ganze Stadt. Wir arbeiteten Tag und Nacht, um Leute zu ersparen; die Frau gab ihren Schmuck und das Silbergeräth hin und der Herr verkaufte das schon alte Haus in der Langgaffe, weil sich grade ein Liebhaber dazu fand, und zog hierher, wo man sich wie in einem Gefängniß be findet. An uns lag es also nicht, daß es zur völligen und rettungs- loscu Ebbe in der Kasse kam. Der Prinzipal wollte die Zahlungs unfähigkeit erklären, da kommt der Hauptgläubiger, der Senator Büsching — Ehre sei dem Wackern Manne! — Er sagt ihm: das Aeußcrste würde ihm zu Leid sein und müsse sich abwcnden lassen. Und nun sind sie heute Alle hier zusammengetreten, gegen die wir Verbindlichkeiten haben. Der Principal setzt ihnen den Stand der Dinge dar und ich will zur Bestätigung die Bücher vorzeigen. Da erklärte der Senator: das sei wenigstens für ihn nicht nöthig, das Wort eines Herwhn eben so gut, wie das, was Schwarz auf Weiß stehe, dann sagte er weiter, daß er es vor Gott und seinem Gewissen nicht verantworten könne, wenn er selber Antheil hätte an dem Fall eines Hauses, wie das unsrige, das schon seit Jahrhunderten hier blühe und jetzt lediglich durch die Zeitverhältniffe erschüttert sei. Auch käme ja bei der völligen Unmöglichkeit, unsere Waarenbestände — meistens Hanf — zu vcrwcrthen, für die Gläubiger kein nam hafter Vortheil heraus bei dem Fallissement; dieses nicht zu hindern, wäre also vom kaufmännischen Standpunkte aus eine Untlughnt. Ueberhaupt habe er bisher als Kaufmann gesprochen. Als Mensch müsse er dem Geschäftsmann völlig zustimmen. Ja, es würde ihm eine Schuftigkeit dünken, den seligen Herwhn in seinem Sohn nicht dadurch zu ehren, daß man seinem Namen auch den Hauch dessen er spare, was in der Geschäftswelt als Makel gelte. Er würde sagen, cs habe nie einen so achiungswerlhen und redlichen Mann gegeben, ein solches Muster eines Burgers und Kaufmannes, dem der Handel nicht blos Gelderwerb sei, sondern Herzens- und Ehrensache zugleich. Aber damit träte er Andern zu nahe; dem Sohn, der denFußlapfcn des Vaters folge, den Vorfahren des Hauses, diesen Zierden ihres Staudes und der Stadt! Alle aber seien ihnen zum größten Dank verpflichtet um der GruuLsätze willen, die sie stets bewährten, die das Haus gleichsam zu einem Leuchttburm machten, zu einem Leitstern in Nacht und Sturm, Brandung und Wogcnschwall. Gegenüber solchen Menschen, wie der Selige und sein Sohn, wie die Herwhns überhaupt, dürfe man nicht verfahren, wie in anderen Fällen, bei gewöhnlichen Leuten. Er schlage daher vor, die zahl baren Summen zu strmden, und zwar nicht bi» zu einem gewissen Zeitpunkte, weil man ja nicht wisse, was die nächste Zukunft dringe, sondern auf unbestimmte Frist, bis dahin, wenn das Haus fähig sein werde, seinen Verpflichtungen ohne Beschwerde nachzukommen!" Orthie unterbrach ihn aufjauchzend! Das macht alle Noth, allen Kummer wett! Und was sagte der Herr, was sagten die Anderen?" (Forts, folgt.) Vermischtes. * Das Berliner „Fremdenblall" berichtet, daß die preußischen Minister im allerhöchsten Auftrage den Befehl erlassen haben, sämmt- liche Beamte mögen sich mit ihren Familien — impfen lassen. Die Berliner Feuerwehr wurde bereits abthcilungsweisc zu den einzelnen Impf-Anstalten geführt. Drei heiß« Tage hat der Congreß für die Mode in Berlin durchzumachen gehabt. Es waren sehr viele deutsche Städte durch ihre Kleidcrkünstler, Modeherrcn und Fabrikanten vertreten und aus der Berathung ging ein NeichstagSüberrock, ein deutscher Frack, der mehr einem Jaquet ähnlich sieht, und ein deutscher Hut, den man beim Grüßen nicht abzunchmcn braucht, hervor. Ein entsetzlicher Vorfall ereignete sich in einer Papierfabrik in Prag. Der Kutscher Franz Materna hatte Kohlen in die Fabrik geführt. Während des Abladcns im Hofe spielte er mit seiner Peitsche, diese verfing sich an der Transmissionswelle. Indem der Kutscher die Peitsche losmachen wollte, näherte er sich der Welle; augenblicklich wurde der arme Mann an seinen Kleidern erfaßt, drei bis viermal in der Luft herumgedreht und endlich an den Wagen geschleudert, wo er mit zerquetschter Brust liegen blieb. * Am kl. Febr. erschoß sich in Königsberg ein Feldwebel von der Festungsartillcrie, nachdem er vorher seine sämmtlichcn Acten, Bücher und Belege im Stubenofen verbrannt hatte. Wie sich jetzt herausstellt, soll er sich die Unterschlagung amtlicher Gelder im Betrage von 10,000 Thlrn. haben zu schulden kommen lasien.