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stadt 23 Wohnhäuser und 25 Scheunen und in Langburkersdorf 38 Wohnhäuser und 9 Bauergütcr, hierdurch aber am ersteren Orte 50, am letzteren 77 Familien obdachlos geworden, von denen ziemlich Lie Hälfte sehr arm und umsomehr zu beklagen sind, als ihr Mobiliar wegen der Feuergefährlichkeit der Gebäude nicht zur Versicherung an genommen worden ist. Kirchberg, 30. Mai. Heute Mittag ^1 Uhr brach in der Antern Vorstadt, dem Gasthofe „zum Brühl" gegenüber an einem sehr gefährlichen Orte Feuer aus, das bei einem heftig wehenden Westwinde in kurzer Zeit drei Wohnhäuser in Asche legte. Nur dem tüchtigen und umsichtigen Eingreifen der hiesigen Feuerwehr ist es zu danken, daß das Feuer bei dem starken Winde nicht weiter um sich griff. Im Hause des Stiftspropstes Döllinger in München sind in den letzten Tagen ernstliche Verhandlungen über eine Ki rchcnreform gepflogen worden. Es waren Abgeordnete aus allen deutschen Gauen zugegen und es soll die Errichtung einer deutschen Nationalkirche ohne Papst in der Absicht liegen. Von speciellem Interesse für Deutschland wäre, falls er sich be stätigen möchte, ein Artikel des „Gaulois" über die Zahlung der französischen Kriegsschuld. Danach soll ein internationales Bank- Consortium in Bildung begriffen sein, welches unter Beanspruchung -der betreffenden Zinsersparniß die ganze Kriegsschuld auf eigenes Nisico schon jetzt tilgen wolle. Die französische Regierung hätte dem Consortium nur Deckung in verzinslichen Nentenscheinen zu gewähren. Unstreitig wäre das für Frankreich wie für Deutschland die ange nehmste Erledigung der Fünf-Milliarden-Angelegenheit. Paris ist ruhig, aber wie die Zustände wirklich beschaffen sind, lehrt der Umstand, daß die Mehrzahl der wieder erscheinenden Blätter — und daß dies keine communistisch gesinnten sind, liegt in der Natur der Sache, das Aufhören der summarischen Hinrichtungen verlangt und auf Verweisung der Gefangenen vor die regelmäßigen Gerichte dringt, während auf der andern Seite noch mehrere Mordversuche gemeldet werden, die von Männern, Weibern und jungen Mädchen noch am 29. Mai gemacht wurden. Die in mehreren Stadttheilen in Thütig- kcit befindlichen Kriegsgerichte verurtheilten am 29. Mai „eine Menge" Gefangener. Die summarischen Hinrichtungen dauerten auch am 30. noch ,jim großen Maßstabe" sorr; Hinrichtungen wurden „in Masse" auf dem Pere Lachaise und im Hofe des Gefängnisses der Noquette am 29. und 30. vollzogen. Sämmtliche Soldaten, die sich der Commune angeschlossen, werden erschossen. „Le Siecle" vergleicht die jüngsten Straßcnkümpfe von Paris mit den Metzeleien der Bartholo mäusnacht, nur daß jetzt zu der Wuth, womit der Franzose den Franzosen abschlachtete, noch alle Hilfsmittel der modernen Zerstörungs kunst gekommen seien und man wie von Sinnen gewesen sei in dem Gedonner und Gekrach und in der von Pulverdampf und Petroleum qualm geschwängerten Athmosphäre. Ueber die Verluste an Menschenleben, die der mörderische Kampf gekostet hat, liegen nur erst oberflächliche Schätzungen von Versailler Seite vor, wonach die Insurgenten bis zum 22. Mai verloren hätten: an Todtcn und Verwundeten 12,000, an Gefangencnen 25,000, und in der blutigen Woche des Straßenkampfes vom 22. bis 29. Mai 11M0 Tobte; 20,000 Gefangene wurden nach Versailles abgeführt. Le Soir schreibt: „Die Zahl der im Kampfe auf dem Pere Lachaise gefangen genommenen Insurgenten wird auf mehrere Tausend ge schätzt; alle, welche Widerstand leisteten, wurden ohne Weiteres füsi- lirt, nur die, welche sich ergaben, blieben verschont. Jin Quartier Mouffetard allein wurden 5000, im Dorfe Ivry 6000 Gefangene gemacht." Die Verluste der Truppen sind noch nicht bekannt und Verlustlisten in Frankreich nicht beliebt, doch soll allein das Corps des General Douay 40 Offiziere und 600 Mann an Tvdten und Verwundeten haben. Mit Ausnahme von Paskal Grousset und Felix Pyat sind sämmtliche Mitglieder der Commune und sonstige Führer des Aufstandes theils gefallen, thcils niedergemacht, theils gefangen. Das Einscharren der tobten Insurgenten soll mehrfach so rasch gewesen sein, daß auch manche noch lebend begraben wurden. So wurden bei der Barrikade in der Nähe des Cafo Della mehrere Verwundete lebendigen Leibes in einem Graben verscharrt. Auf dem Boulevard Rochechouart sollen einzelne wieder ausgegraben sein. Paris erhebt sich mit der Elasticitüt des Leichtsinnes aus dem Elend der vergangenen Woche. Noch liegen Leichname unbecrdigt auf den Straßen, noch bemerkt man an den Rinnensteinen schwarz- rothe Blutflecken, noch rauchen die Trümmer, noch sperren Barrikaden den freien Verkehr, Soldaten marschiren überall, die Chassepots sind scharf geladen; aber die Stadt lebt wieder auf, die Läden sind ge öffnet, die Tische und Stühle draußen vor den Casos sind von plaudernden Gruppen in Beschlag genommen, die Börse macht wieder ihre Geschäfte — und die Presse fängt ihre gewohnte unselige Wühlerarbeit wieder an. Gerade wie sie in den letzten Jahren nicht wenige der Minen gelegt hat, welche endlich in dein unheilvollsten Krieg Frankreichs explödirten, so schimpft und hetzt sie auch jetzt schon wieder gegen Preußen. So läßt sich die ncuerftandene Zeitung, Le Tricolore, indem sie die Candidatur des Herzogs von Aumale zur Präsidentschaft der National-Versammlung empfiehlt, in folgen- i dem Tone aus: „Die Republik wird noihwendig die Negierungs form Frankreichs bleiben, aber das Land kann das Haupt der Re publik nur unter den Prinzen des Hauses Orleans wählen. Ein solches Haupt würde für Preußen eine beständige Drohung, für Frankreich die Verkörperung der Hoffnung auf die einstige Wieder eroberung der geraubten Provinzen sein. Die Prinzen des Hauses Orleans, frei von persönlichem Ehrgeize würden um keinen Preis, dessen sind wir sicher, die Abrechnung auf sich nehmen, welche das s Kaiserreich und die Regierung der Herren Gambetta und Consorten hinterlassen haben. Nicht auf einer verstümmelten Form, wie Frank reich jetzt ist, werden Prinzen, die ein Schwert tragen, wie das ihrige, ihren Thron errichten wollen." Der Geist des 16 Juli 1870 scheint wieder auf die französischen Blätter hinabgestiegen zu sein. Der Francais, und nicht dieser allein, schleudert gegen die Prusfiens die ungeheuerliche Anklage, daß sie die mittelbaren Brandstifter der heiligen Stadt Paris seien, und zwar aus Neid und Eifersucht — damit es keine schönere Hauptstadt mehr gebe, als Berlin! Mailand, 31. Mai. Die italienische Regierung hat in Anbe tracht der ihr von Seite der clericalen Reactionspartei in Frankreich drohenden Gefahr die Einberufung aller beurlaubten Offiziere in Aussicht genommen. Der Enthusiasmus für die Einheit Italiens ist größer denn je, der Haß gegen die Franzosen ist allgemein. Rußland. Am 20. Mai wurde in Moskau von den Deutschen, jedoch unter sehr starker Betheiligung der russischen Bevölkerung, die Friedcnsfeier begangen. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Telegramm an Se. Maj. den deutschen Kaiser und König von Preußen abge sendet, aui welches folgende Antwort erfolgte: „Berlin, 22. Mai 1871. An den deutschen Consular-Canzler Gillet in Moskau. Das Telegramm, welches Sie im Namen der Deutschen in Moskau Mir sendeten, ist mir ein erfreulicher Beweis, wie dieselben auch in der Ferne die großen Ereignisse, die Deutschland neu gestalten, mit Dank gegen Golt feierten. Mögen die Wünsche zum Gedeihen Deutschlands Einheit in Erfüllung gehen und ein gesegneter dauernder Frieden uns von der Vorsehung beschieden werden, den die unvergleichliche Tapferkeit und Ausdauer der Armee uns errang. Wilhelm." Aus einsamen Kelsen. Novellette von Ludwig Habicht. (Schluß.) Margarethe hatte geträumt, an der Seite ihres Mannes als kühne Jägerin die Wälder Englands zu durchstreifen und sich ihr zierliches Gewehr mitgenommen. Die mitleidigen Matrosen legten es mit einigem Schießbedarf zu ihr in das Boot. Richard ließ sie ge währen und schien es nicht zu beachten; er saß finster brütend beim Steuermann und starrte vor sich hin: sein Herz klopfte — noch glaubte er, Margarethe würde im letzten Augenblick vor einem solch' finsteren Schicksal zurückscheuen, auf ihn zustürzen und endlich feine Wünsche erhören — aber sie stieg fest und ruhig in das Boot — kein Laut kam über ihre Lippen; einige alte Matrosen blickten gerührt auf die blühende Erscheinung, die so jung und lebensfrisch einem solch ent setzlichen Loose entgegen ging; sie wischten sich heimlich die harten Augen — jetzt setzten sie die Ruder ein, das Boot durchfurchte die Wellen. — Richard Smith sprang auf und Todenblässe bedeckte sein Antlitz, einen Augenblick schien er schwankend, ob er nicht das Zeichen zu ihrer Rückkehr geben solle — „nein," murmelte er zwischen den Zähnen, sie trotzt mir auch jetzt noch—ich hasse sie, mag sie ihrem Schicksale verfallen!" und mit finsterem Lächeln ging er in seine Kajüte. Mit der Gewandtheit einer echten Französin hatte sich Marga rethe in ihre traurige Lage gefunden; sie verlor sich nicht in müssigen Klagen, sie vcrüand zu handeln, und trotz der harten Kämpfe und Entbehrungen, die ihr bevorstauden, athmete sie hoch auf, weil sie nicht länger das verhaßte Antlitz ihres Feindes sah. Margarethe rastete nicht eher, als bis sie in den Felsen eine mächtige Höhle auf gefunden, die beiden Frauen eine sichere Zuflucht und eine ausrei chende Wohnstätte bot, und jetzt entfaltete auch die alte Dienerin ihr Talent, sie errichtete einen Kvchheerd, schleppte trockenes Moos für das Lager herbei, und wußte in wenig Tagen die dunkle Höhle in einen freundlichen Salon zu verwandeln, wie Margarethe scherzend anerkannte. Von den wilden Ziegen, die auf den Felsen herum kletterten, wurden zwei eingefangeu und gezähmt, nun gab es Milch im Ueberfluß. Die häuslichen Arbeiten übernahm Johanna, Mar garethe dagegen wurde eine ausgezeichnete Jägerin: sie durchstreifte rastlos das Gebirge, erklomm mulhig die fast unbesteigbarsten Felsen und ihr nie fehlender Schuß brachte reichliche Beute nach Hause. Die Jagd allein zerstreute sie und brachte ihre schmerzlichen, qual vollen Gedanken zur Ruhe, und indem, sie aller Gefahr zu trotzen suchte, gewann ihr Geist die nöthige Spannkraft, ein solch' trauriges Geschick zu ertragen. Eines Tages, als Johanna an ihrem Heerde saß und nachdenk lich in das Feuer starrte, das sie eben angezündet, warf ihr die von der Jagd heimkehrende Margarethe ein unförmliches schwarzes Thier in den Schooß. Die alte Dienerin rief verwundert: „Was ist das?" „Ein junger Bär," entgegnethe Margarethe. Bei diesen Worten wollte Johanna aufspringen und erschrocken das junge Thier von ihrer Schürze schütteln, doch Margarethe hielt sie lächelnd zurück: „Fürchte Dich nicht vor diesem kleinen Kerl, er ist zwar noch ein recht ungelenker junger Bär, aber er wird uns später ein recht köst liches Spielzeug werden," und sie streichelte das Fell des jungen Petz. „Sie wollen doch nicht das wilde Thier bei sich behalren?" fragte Johanna erstaunt. „Gewiß, wir haben Milch, um es aufzufüttern, und wir werden uns an ihm einen sehr treuen Freund heranziehench „Der uns später erwürgt!" sagte die alte Dienerin bedenklich. „Es ist ja kein Mensch!" entgegnete Margarethe bitter und höhnisch, „nein, nein, das wird eilt guter Kamerad, gieb Acht!" und als ob der junge Bär schon jetzt dies bestätigen wollte, ließ er ein schwaches, freundliches Brummen vernehmen. „Hörst Du, der ist ohne Falsch," bemerkte Margarethe mit weiblicher Beweglichkeit wieder in einem scherzenden Ton übergehend, „nun gieb ihm Milch, denn er wird Hunger haben." Ich hätte ihn nicht seinen Aeltern entrissen: aber sie hatten noch