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1871 42 Freitag den 2. Ium Bekanntmachung Die Vogelwiese soll Verfügung an sämmtliche Gemeindevorstände des Gerichtsamtsbezirks Wilsdruff. Nach § 24 des Gesetzes vom 3. December 1868 sind die von den Gemeindevorständen zu haltenden Landtagswahl listen im Monat Juni jeden Jahres einer Revision zu unterwerfen und es ist nach Z 10 der Ausführungsverordnung vom 4. desselben Monats alljährlich zu Anfang des Monats Juni auf die vorzunehmende Revision der Listen, auf das jedem Betheiligtcn zustehende Recht der Einsichtnahme von letzteren und auf die Nothwendigkeit, etwaige Einsprüche gegen den Inhalt rechtzeitig anzubringen, durch öffentliche Bekanntmachung im Orte aufmerksam zu machen. Die sämmtlichen Gemeindevorstände des hiesigen Gerichtsamtsbezirks werden daher zur genauen Befolgung dieser Vorschriften hierdurch noch besonders angewiesen. Königliches Gerichtsamt Wilsdruff, am 30. Mai 1371. Leonhardi. Tagesgcschichte. In auffallenderer Schönheit ist das Pfingstfest gewiß selten ge kommen, als 187!. Zwei Drittel des Monats Mai waren so wider lich kalt, daß gar viele fast verzweifelten, und siehe, in der letzten Woche vor dem Feste klärt sich der Himmel auf, die Sonne scheint klar hernieder, und allenthalben entwickelt sich Leben und Freude. Wie strömt Alles hinaus ins Freie, wie wimmelts allenthalben von bunten fröhlichen Menschen — und in der schönsten Stadt Europas, deren fruchtbare und prächtige Umgebung an Festtagen von Millionen fröhlicher/ lautaufjauchzender Menschen gestillt zu sein pflegte, rauchen die Trümmer zerstörter Paläste und Kunstsammlungen, werden die Leichen der Ermordeten zu vielen tausenden aus Licht gebracht, irren Heimathlose umher nach einer Stätte des Unterkommens, suchen Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern, ohne sie unter den Le benden und Todten sinden zu können, athmet jedes Wuth, Rache, Verzweiflung; keines Frieden und Freude! Wenn wir als Kinder von den Gräueln der ersten französischen Revolution hörten; wenn wir dann in Schillers Glo^e die entsetzlich schöne Schilderung der zu Hyänen gewordenen Weiber und des mit Entsetzen getriebenen Scherzes lasen; da hörten wir immer sagen, daß so etwas einmal dagcwesen sei, daß cs nicht wieder kommen könne. Wer dann so glücklich war, die prächtige Seinestadt besuchen zu können, mit geheimem Schauer die vielen geschichtlich denkwür digen Punkte zu betreten, die Pracht der Mouumeutc zu bewundern, daS Leben und Treiben des Boltes anzustaunen, der konnte sichs nicht verhehlen, daß hier doch eine ganz andere Existenz sein müsse, als er sie daheim gewohnt war. Und jetzt? Was einmal da war, ist nicht so, aber weit, weit schlimmer wieder gekommen, die Menschen sind mehr verthiert als vor 80 Jahren, die Pracht und Herrlichkeit liegt in Trümmern, die Stätten der Freude sind Stätten des Entsetzens! Wer von uns konnte da den Pfingsttag begehen, ohne cinzu- stimmen in des Sängers Wort: Holder Friede, süße Eintracht, weilet, weilet über dieser Stadt! Und dockt giebts Leute, die auch in Deutschland Zustände her bei führen wollen, wie Frankreich sie jetzt erlebt. Wer das nicht glauben will, der lese die Rede des Abgeordneten Bebel in der Sitzung des deutschen Reichstags am 25. d. M. Der deutsche So cialist sagte: „Ich bin fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat, und Alles, waS ein Gefühl für Freiheit hat, sieht auf Paris, und wenn Montag, den 5. Juni d. I., Nachmittags 5 Uhr im hiesigen Nathssessionszimmer meistbietend verpachtet werden. Rath zu Wilsdruff, am 1. Juni 1871. Kretzschmar. Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. UmLsölaLL für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Dtadtrath daselbst. Paris jetzt niedergedrückt ist, so erinnere ich Sie daran, daß der Kampf in Paris nur ein kleines Vorspiel war. Bald wird auch das übrige europäische Proletariat das Schlagwort haben: Krieg den Palästen, Friede den Hütten. — Der einzige Vorthcil, den diese Annexion bringt, ist, daß die republikanischen Tendenzen, die im Elsaß herrschen, jetzt nach Deutschland hinüberkvmmcn, und so das Elsaß den Keim bildet, der es möglich macht, das gesammte monarchische Deutschland aus den Fugen zu bringen." Also Paris ist nur ein kleines Vorspiel dessen, was Bebel mit seinem Anhang in Deutschland ausführen will! lieber den Gang der Ereignisse geben wir noch folgende Uebcr- sicht: Am 21. wog die Ucbcrraschung auf beiden Seiten vor; am 22. fingen die Insurgenten an, sich znm Todeskampfe zu ordnen, und am 23. wurde mit mehr Methode und Disciplin von ihnen ge fochten, als man so wüsten Massen inmitten von Kugeln und Bränden in Versailles zugetraut hatte. Die Versailler Truppen freilich hatten eine heillose Furcht, wurden jedoch nach und nach immer erbitterter und die Grausamkeiten auf beiden Seiten zeigen einen echt afrika nischen Charakter. Die Junischlacht von 1848 ist nach Aussage derer, die beide mit erlebten, gar nicht mit dem Verzweiflnngskampfe der Maitage 1871 zu vergleichen, auch in Betreff der Opfer nicht. Durch Verlustlisten ist der Franzose nicht verwöhnt, eine Schätzung ist ihm genug; bis jetzt aber schwanken die Zahlen so stark, daß man wenig darauf zu geben geneigt wird. Schon am 23. war von 20,000 Todtcn und Verwundeten auf Seiten der Insurgenten, von 10,000 auf Seilen der Versailler die Rede. Thatsache ist, daß die Verluste der ersteren ungleich größer sind, denn sie sind nicht blos von den Chassepvts bedroht, sondern auch von den Bomben und Gra naten, von den Gefahren, die der Kampf inmitten großer Feuers brünste mit sich bringt, und dann kommt hinzu, daß die Truppen, die denen, welche mit den Waffen in der Hand g fangen genommen wurden, keinen Pardon geben sollen, nur zu bald vergessen, über haupt einen Unterschied zu machen. Die Hanptkämpfe verthcilen sich uns sieben bis acht Punkte, die alle hartnäckig vertheidigt wurden. In der Rächt vom 22. auf den 23. beschlossen, wie der „Jndepcn- darcc Helge" berichtet wird, die Insurgenten auf Clusen's Rath, nicht auf den Montmartre, sondern im Ecntrum der Cito die letzte Schlackt Zuschlägen. Mitglieder der Commune, des Wohlfahrts-Aus schusses u. s. w. setzten sich bei Tagesanbruch dort fest und zogen mindestens 30,000 Mann mit 120 Kanonen und Mitraillensen heran; diese Schaar, von der fast zwei Lrittel Fremde waren, coneentrirte sich um den Grcveplatz, während die Reserve sich nach der Bastille