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Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ^7 44. Freitag den 9. Juni - 1871. Tagesgeschichte. Das k. s. Ministerium des Cultus lind öffentlichen Unterrichts macht Folgendes bekannt: Mit Allerhöchster Genehmigung Sr. Maj. des Königs ist aus Anlaß des zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossenen Friedensvertrages die Veranstaltung eines feierlichen Dankgottesdienstes im Königreich Sachsen beschlossen und im Anschluß an die im Königreich Preußen und in anderen deutschen Staaten dieserhalb getroffenen Anordnungen, der zweite Sonntag x. Irinit., der 18. Juni 1871 zur Abhaltung dieser mit den üblichen Gottes diensten dieses Tages zu verbindenden und am Vorabende mit allen Glocken einzulcitenden kirchlichen Dank- nnd Friebensseier festgesetzt worden. Das Ministerium verordnet daher an Alle, die es angchl, sich hiernach gebührend zu achten. Der sprichwörtlich gewordene, ungezogene, witzelnde Ucbermuth der Berliner Straßenjungen scheint sich auch auf Dresdens Schuljugend zu verpflanzen. Dieser Tage traten zwei Knaben in einen Bäckerladen in der Pirnaischen Vorstadt, in dem sich der Prinzipal selbst befand, den der Eine von ihnen in sehr eiliger Weise fragte: „Hören Sie, haben Sie auch Hörner?" Als dies der Meister in gefälliger Weise bejahte, machte sich der junge Flegel eiligst mit den Worten aus dem Staube: „Da sind Sie auch ein Ochse!" Der Knabe rief und der Bäcker lief — nämlich den beiden kleinen Eulenspicgeln nach — er wischte auch einen derselben und kühlte sein Müthchen an ihm, so gut es gerade ging. Freilich war es gerade nicht der Rädelsführer — aber mitgchangcn — milgcfangen! (Dr. N.) Berlin. Der „Staatsanzciger" veröffentlicht einen kaiserlichen Erlaß, das Statut betreffend die Verleihung einer Kriegsdenkmünze für Combattanten und Nichtcombatlantcn. Eine Bekanntmachung des Neichskanzleramtes zeigt an, daß alle vertragsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland Wie vor dem Kriege wieder in Kraft treten. Demgemäß ist deutscher seits der Zollsatz von 2^ Thaler pro Centner französischer Weine wieder in Wirksamkeit. Die „Kr.-Zlg." schreibt: Um, außer dem Gardecorps, dem 5. und 7. Armeecorps :c., welche, wie bekannt, bereits Beseht zum Rückmarsch erhalten haben, die spätere Rückkehr der Truppen aus Frankreich vorzuberciten, sind mehrere Truppenverschiebungen in Frankreich besohlen worden. Das 2. kgl. bayerische Armeecorps ist über Sezanne, Vitry, Bar le Duc auf Nancy (cvent. Weitermarsch dieses Corps von Nancy bis zum Rhein), — das 12. (kgl. sächsische) Armeccorps (ausschließlich einer Infanterie-Division) über Verdun, Metz, Saarbrücken, Kaiserslautern, Mainz auf Frankfurt a. M., — die kgl. würtcmbcrgtsche Feld-Division über Neufchaleau, Miröcourt, St. Dio auf Straßburg, — die großh. hessische (25.) Division über Zabern und Weißenburg auf Mannheim, — das General-Commando des 9. Armeccorps, die 18. Infanterie-Division, die CorpS-Artillerie und die Trains sind über Luncville, Dicuze, Saargemünd, Zwei brücken, Neustadt auf Mainz (mit der Aussicht, demnächst per Bahn befördert zu werden) in Marsch gesetzt worden. Das von dem 12. (kgl. sächsischen) Armeccorps bcsctzte Dcpartenicnt Aisne wird von dem 1. Armeccorps besetzt. Die vom 12. Armeccorps im Departe ment Ardcunes znrückbleibcnde Infanterie-Division ist dem Ober kommando der II. Armee unterstellt. Die von deck, würtembcrgischcn Fclddivision und von dem 9. Armeccorps bisher besetzten Departe ments werden von der II. Armee besetzt. Sofort nach Abschluß des Frankfurter Friedens ist in competenten militärischen Kreisen die Frage wegen der neuen Bewaffnung der deutschen Armee in Berathung gezogen worden. Es ist seiner Zeit mitgetheilt worden und auch Baron Stoffel erwähnt in seinen Be richten diese Thatsache, daß bereits vor Beginn des Krieges ein ver bessertes Zündnadelgcwehr probeweise an einzelne Bataillone vertheilt worden war, welches manche Vorzüge vor dem Zündnadelgewehr alter Construction hatte, nach dem Ürtheile der Fachmänner aber allen Anforderungen an eine vollkommene Feuerwaffe auch nicht ent sprach. Als der Krieg ausbrach, mußten die Bataillone die neucon- struirlen Gewehre wieder abgebcn und erhielten ihr altes Gewehr. Nun drängt sich die Frage auf: soll das Chassepotgewehr eingcführt, sollen die dem Feinde abgenommenen Chassepotgcwehre in vervoll kommnete Zündnadel-, resp. Werdergcwehre umgewandelt werden? Diese Umwandlung würde in Bayern wenig schwierig und ebenso wenig kostspielig fein, denn Werder und Chassepvt haben fast gleiches Kaliber und gleiche Patronen. Bei der Umwandlung in preußische Zündnadclgewchre würden größere Schwierigkeiten zu überwinden fein und dennoch könnte man nur unvollkommen das angestrcbte Ziel erreichen. Den Franzosen sind ungefähr 540,000 Chassepotgcwehre abgcnommen worden und es fragt sich nun, ob diese in Gebrauch genommen, ob die ganze Armee damit versehen werden soll, wobei man die ernstesten Versuche mit dein vortrefflichen Wcrdcrgcwchre und dem in der englischen Armee jüngst eingeführten Martinigewehre anstellcn will, ehe diese Frage vollständig und definitiv gelöst wird. Die deutsche Armee bekommt eine einheitliche Feuerwaffe. Die entthronten Fürsten haben für Oesterreich eine eigene Lieb haberei. Auch Napoleon will England verlaßen und hat bereits den Fürsten Metternich beauftragt, das Schloß Miramare bei Triest für ihn zu kaufen. Von Miramare, seinem Schloß, zog Erzherzog Max zum blutigen Abenteuer nach Mexiko aus; und dahin will ihm Napoleon folgen? Fürchtet er nicht den blutigen Schatten seines Ver führten Opfers? Die Napoleons sind doch sonst abergläubisch, oder fürchtet er nach dem großen Unglück kein anderes mehr? Vom l.Juni berichtet die „Times" aus Paris: Von Aufregung ist heute äußerlich kaum eine Spur wahrzunehmen. Für die Poli tiker cvncentritt sich alles Interesse auf die Entwickelung der Dinge in Versailles. Die Verhaftungen dauern fort, doch kümmert sich Niemand darum; es ist schon etwas Altes. Morgen hofft man übrigens, werde die Regierung genug Verbrecher zusammengelesen haben, um die jetzige Beschränkung des Verkehrs einzustellen. Die Hotelbesitzer haben große Bestellungen auf Zimmer erhalten; sobald die Thore wieder offen sind, wird ihr Weizen wieder blühen, denn alle Welt will sich das Vergnügen gönnen, die Verwüstungen der Hauptstadt in Augenschein zu nehmen. Die Furcht vor Meuchelmord und Petro- leumsbrandstiftung, die sich zu einer Panik steigerte, ist im Abnehmen, dagegen nimmt die Furcht vor Epidemien zu. Der Verkauf von Brennmaterial ist streng verboten. Großes Gedränge herrscht vor dem erzbischöflichen Palast in der Rue Grenelle, wo die Leichen Msgr. Darboy's und Msgr. Surat's ausgestellt sind. In der Wohnung Felix Pyat's hat man zahlreiche Briese gefunden, welche die sofortige Hinrichtung der Geißeln verlangten. Im Bcllevillcr Viertel ist cs nicht geheuer. Aus Furcht vor Meuchelmord wollen die Soldaten dort nicht allein umhcrgehen. Der Straßenverkauf der Zeitungen bleibt verboten. Die Vorbereitungen zur Restauration derVendome- säule haben bereits begonnen. Exccutionen finden noch immer statt. Heute früh wurde auch wieder eine Anzahl Weiber erschossen. Für den Mord der Geißeln in La Roquette haben die Executionen dort und in dem gegenüberliegenden Gefängniß furchtbare Rache ge nommen. Am Sonntag sah ein Engländer, der in dem Gefängniß war, 300 Leichen, alles Opfer summarischer Justiz und seitdem sind weitere Gcfangcnengruppen füsilirt worden. Man untersuchte beiden Gefangenen einfach, ob die Schulter an der Stelle, wo der Gewehr kolben ansctzt, gcröthet war. Das komitc natürlich nur von dem Rückstoß des Gewehres herrührcn, der Manu hatte mithin geschossen und dann verdiente nnd erhielt er auf der Stelle den Tod. Jetzt sollen die Exccutionen freilich erst nach einer gesetzlichen Proccdur er folgen, indeß hörten wir am Thor des Kirchhofs Perc Lachaisc, daß dort die noch unbegrabcnen Leichen von 100 erst an diesem Morgeil erschossenen Menschen lagen. Der „Jndcpcndance bclge" wird aus Paris über bouvpartistischc Umtriebe mitgetheilt: Ein angebliches Nationalcomitee versuchte rothe Anscblagezettel zu vertheilen. Mac Mahon hat einen Versuch, ihn für Napoleons Zwecke zu gewinnen, mit einer Erklärung zurückge wiesen, worin es heißt: „Mein Degen gehört Frankreich, er steht keiner Partei zu Diensten." — John Lcmoinne schreibt im „Journal des Dobats": „Wir dürfen in diesem Augenblick keine andere Fahne als die des Friedens haben. Pflanzen wir sic auf die rauchenden Trümmer des großen Paris! Meine Rechte soll eher verdorren, als gegen sie sich erheben!"