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Wickelung der Dinge in Frankreich seit dem 18. März, an welchem Tage bekanntlich Paris durch die Thiers'sche Regierung verlassen und der Commune preisgegeben ward. Wenn das Vordringen der Truppen der Negierung von Ver sailles bis jetzt in derselben Weise vor sich gegangen ist, wie am 21. und 22. Mai, so dürften dieselben bereits die Hälfte der Haupt stadt in ihrer Gewalt haben. Der Plan des General Mac Mahon ging darauf hinaus, an mehr als fünf Stellen die Enccinte im Westen, Nordwesten und Südwesten zu überschreiten und die in ver schiedenen Colonnen vorrückenden Abdeckungen an wichtigen Straßen knoten zu vereinigen. Die starken Befestigungen der Aufständischen am Triumphbogen scheinen durch Flankenbewegungen von der Porte Dauphin her und wahrscheinlich auch von der Porte Asnicres aus umgangen worden zu sein, da die Negierungslruppen schon gestern am 22. Mai den neuen Opernplatz besetzt hatten, welcher ca. 1t) Mi nuten vom Vcndomeplatz entfernt ist, affo ziemlich nahe dem Centrum der Stadt liegt. Aus allen bisherigen Depeschen ist nicht zu ersehen, ob es in der Stadt zu Kämpfen kam; vermuthlich Ivar der Wider stand der Pariser Commune schwach, sonst würden die Versailler nicht so rasch ein bedeutendes Terrain gewonnen haben. Die Haupt- "rädelsführer der Commune sind jedenfalls längst über alle Berge, einzelne versuchten wenigstens Lie Flucht schon am 20. Mai, dies er hellt aus der Gefangennahme des edlen Bürger Rochefort, dem man nach einer Depesche aus Versailles daselbst nicht den liebenswürdigsten Empfang bereitet hat. Das Volk insutlirte ihn wörtlich und thällich. Rochefort hat sich durch seine Hetzereien im Interesse der Commune sein wohlverdientes Schicksal selbst bereitet. Es ist ein wahres Glück für die Versailler Negierung, daß sie diesen Hauptschreier und Störenfried erwischt hat. Auf dem Montmartre weht die Tricolore!! Auf dem Montmartre begann der Nundlauf der Revolution, hier endigt er. Zwei Monate und einige Tage sind darüber hingegangen, was den Versaillern grade kein günstiges Zeugniß ausstelll. Als in Paris bekannt wurde, daß die Preußen einen Einzug halten würden, war bekanntlich große Entrüstung. Die Communaleu thaten auch so, benutzten aber die ihnen angenehme Nachricht, um sich auf dem Montmartre und in der Umgegend zu verbarnkadiren — gegen die Preußen, wie sie sagten, falls diese das ihnen für den 1. Mürz zugcwiesene Terrain überschreiten würden. Jeder Unbefangene wußte, wein die Barrika den galten; die Versailler wußten es nicht. Jetzt haben sie endlich den Montmartre wieder. Wir freuen uns hierüber, wegen der hal ben Milliarde, die wir dreißig Tage nach dem Wehen der Tricotore in Paris bekommen. Die heutige „N. A. Z." bemerkt: Uebcr das, was nach Wieder herstellung der Ordnung in Paris geschehen werde, haben wir nicht die Aufgabe, Vermuthungen anzustellen. Doch wollen wir nicht un erwähnt lassen, daß man dem Brüsseler „Nord" aus Versailles nrit- thcilt, Herr Thiers habe den Entschluß gefaßt, nach Niederwerfung der Pariser Jnsurreclion sich in's Privatleben zurück zu ziehen. In der That dürste auch eine andere Kraff dazu gehören, das tief zer rüttete Staatsleben Frankreichs wieder in seine Fugen einzulenken. Versailles, 21. Mai. „Agcnce Havas" meldet: Die Ne gierungstruppen rückten heute Nachmittag 4 Uhr auf 2 Punkten durch Porte Saint Cloud beim Point du jour und durch Porte Montrvugc in Paris ein. Die Wälle wurden von den Insurgenten verlassen. Versailles, 24. Mai. Die Ncgierungsttuppen vertrieben gestern die Insurgenten aus den: Faubonrg St. Germain und andern Orten, und dringen unausgesetzt siegreich vor. Einer Meldung des „Bureau Havas" zufolge stehen der Louvre und die Tuilericn in Flammen. Die Insurgenten sollen mittelst Petroleum Feuer angelegt haben. Es heißt, die Insurgenten versuchen durch Belleville nach Pantin zu entkommen. Btllioray ist gestern gctödtet worden. Viel Gefangene wurden heute nach Versailles gebracht. — Dombrowsky ward verwundet in St. Denis verhaftet. Versailles, 24. Mai. Eine Depesche des „Bureau Havas" meldet: Die Insurgenten zündeten außer dem Louvre uud den Tui- lerien noch den Patast der Ehrenlegion, den des StaatsratheS uud andere Gebäude an. Die Regierungstruppen rückten ans dem linken Flügel über die Vorstadt Belleville hinaus vor, im Centrum bis zu dein Louvre und den Haves Centrales und auf dem rechten Flügel bis zum Observatorium. St. Denis, 24. Alai, Morgens. Die Barrikaden auf dem Vcndomeplatze und dem Concordienplatzc, welche von den Versailler Truppen angegriffen werden, leisten verzweifelten Widerstand. Die Versailler haben bedeutende Verluste. Man hegt die Hoffnung, daß die Jnsurrection bis zum Abend unterdrückt ist. Große Feuersbrünste sind in der Nnc-Rivoli, im Quartier Madeleine, in der Ruc-Bvissh und in der Rue-anglaise auSgebrochen. Paris, 21. Mai, Morgens 9 Uhr. Das Central-Comits fordert diejenigen Grundbesitzer, welche die Stadt verlassen haben, aus, binnen 48 Stunden zurückzukehren, widrigenfalls ihre Besitz- documente vernichtet wecd.m würden. Die Haussuchnngen in Paris nach „Rebellen", die vor das Kriegsgericht gestellt werden sollen, werden neuerdings so veranstaltet, daß man ganze Straßen absperrt und dann ein Haus nach dem andern durchstöbert; dabei kommen Sccncn vor, wie am 17. in der Rue de Choiseuil, wo einem fast 60jährigen ehemaligen Kaufmanne von den Häschern, als er sich weigerte, ihnen zu folgen, das Bayonett durch den Leib gestochen wurde. Am 16. um 2 Uhr war Revue über das Bataillon der „Amazonen der Commune" im Hofe der Tuilericn; zwei höhere Offiziere nebst einem Dclegirten des Stadthauses waren zu dem absonderlichen Feste erschienen, wo 2500 „Troupieres" unter männlichen Chefs in blauer Jacke, Käppi mit Federbusch und rother Cocarde aufzvgen. Die Hauptsache ist, daß diese „Bürgerinnen- Soldatcn täglich 1^2 Fr. nebst Lebensmitteln beziehen. Da die Commune befohlen hat, daß die Polizei alle öffentlichen Frauen zimmer verhaften soll, so steht zu erwarten, daß dieses Amazonen- Bataillon bald zu Divisionen anschwcllcn wird. Damit der Carneval der Commnne vollständig werde, organisirt der neue Director der großen Oper Sonntags-Vorstellungen mit Gesang und Tanz; die erste Vorstellung sand am 21. statt: bei Tage Volksbelustigung nebst patriotischer Geldsammlung auf dem Eintrachtsplatze. Mit diesen Orgien wird der dritte Monat der Belagerung, der am 18. begann, eingeleitet. Die obligate Begleitung bildet das verstärkte Feuer der Versailler Batterien. Auf einsamen Kelsen. Novcllctte von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Auf dem Schiffe änderte Richard plötzlich seilt Betragen; er trat aus seiner kühlen Ruhe heraus und überhäufte jetzt Marien mit Be weisen von Zärtlichkeit, die sie befremden mußten; dabei ruhten seine grauen Augen in verzehrendem Feuer auf seiner Schutzbefohlenen. Diese sehnte sich daher nach dem Ende der Fahrt und erwartete mit Ungeduld, wenn die Küste Englands vor ihr auftauchen würde. Zwei Tage vergingen und nicht der schwächste Streifen Landes wollte sich zeigen. Margarethe konnte nicht länger ihre Ungeduld verbergen, doch Richard beruhigte sie: „Wir segeln nicht erst nach London, sondern bald an die nördliche Küste, und haben da nur eine Land- rcise von drei Stunden." Wieder vergingen zwei Tage und Mr. Smith zeigte zur Qual Margarethens, immermehr den zärtlichen Liebhaber, anstatt den künftigen Verwandten. — Auch am folgenden Tage sank die Sonne in'S Meer, ohne daß Margarethe das sehnlichst erwartete Land erblicken konnte. Jetzt forderte sie entschlossen eine Erklärung. Mr. Smith bekannte Anfangs verlegen, daß der Steuer mann einen falschen Cours cingeschlagen und als Margarethe darauf drang, endlich — gleichviel wo — au's Land gesetzt zu werden, ent gegnete er, plötzlich die Maske fallen lassend: „Margarethe! warum wollen Sie denn noch ein anderes Herz aufsucheu? ahnen Sie denn nicht, was in meiner Seele lebt? Ich liebe Sic so hciß und innig, wie Sie mein nüchterner Cousin nie geliebt, reichen Sie mir Ihre Hand und ich will einen Himmel um sie bereiten!" Richard war in leidenschaftlicher Erregung vor Margarethe in die Knie gesunken und suchte ihre rechte Haud an seine Lippen zu ziehen. Margarethe wandte sich stolz und verächtlich von ihm ab: „Stehen Sie auf, Herr Smith," sagte sie fast gebieterisch, „die Braut Ihres Cousins will diese Beschimpfung vergessen und Ihnen verzeihen; ich will den ken, daß es ein Anfall von Spleen war, an dem Ihr Engländer zuweilen leiden sollt, aber nun thun Sie Ihre Pflicht und führen Sie mich meinem Bräutigam zu."— „Margarethe, ich kann cs nicht, ich licbe Sie uud Sie müssen mein werden!" rief Smith mit wildem Feuer und wollte seine Arme um Margarethe schlingen. Sie stieß ihn heftig zurück, „niemals!" sagte sie fest entschlossen. Richard sprang auf, seine grauen Augen begannen zu funkeln nnd sein blei ches Antlitz verzerrte sich; aber er beherrschte sich noch und begann mit leiser zitternder Stimme von Neuem: „Es ist zu spät, Marga rethe, ergeben Sie sich in Ihr Schicksal, Sie werden Ihren Verlobten nie wieder sehen, denn wir sind schon aus dem Wege nach Amerika." Ein kalter Schauer durchrieselte Margarethens Körper — so war sie vcrrathen und verloren und in der Gewalt dieses Elenden; — aber der Zorn überwältigte ihre Furcht und mit blitzenden Augen dicht an Smith herantretend, sagte sie kalt und verächtlich: „Selbst für einen Scherz gehen Sic zu weit, mein Herr!" „Ich scherze niemals!" entgegnete Richard finster. „Dann sind Sie ein ehr- und schamloser Verrätber, für dessen Schändlichkeit die Sprache kein Wort hat!" rief Margarctbe zor nig aus. „Ich liebe Sie mit wahnsinniger Leidenschaft, daS ist meine einzige Entschuldigung, Margarethe!" „Und nachdem Sie mich und meinen Bräutigam so schändlich hiutergangcn, glauben Sie, daß ich je Ihnen gehören würde?" —. „Ich hoffe es!" entgegnete Richard bestimmt. Margarethe lachte wid auf. „Zertreten Sie mein Herz in Stücke und es wird doch bis zum letzten Achcmzugc meinem Bräutigam gehören!" Richard Smith sollte zum ersten Male die Erfahrung machen, daß eine echte, wahre Liede allen Stürmen und Gefahren trotzt. Weder Bitten noch Drohen, weder Thräncn noch Zornausbrüche, ver mochten Margarethe zu erschüttern; sie setzte seinem Werben um Liebe bald finsteren Trotz, bald bittern Spott entgegen und immer blieb ihr letztes Wort: „Bringen Sie mich zu meinem Bräutigam." — Licbe und Haß, wie nahe liegen die nicht nebeneinander in einer Menschenbrust. Als Richard sah, daß all sein leidenschaftliches Wer ben an ihrem unbeugsamen Willen abprallte, erfaßte ihn die höchste Erbitterung, und als er noch einmal all seine UeberredungS- und Cchmeichelkünste erschöpft und wieder ihre beständige letzte Antwort erhielt, da verzerrte sich fein Antlitz in wildem Zern, die grauen Augen schossen Blitze, und er stieß heftig heraus: Nein, niemals! ich zertrete Dich, eh' Dich Georg besitzen soll!" sein Entschluß war gefaßt. Noch war die Küste Amcrika'S nicht erreicht; aber dort tauchte eine kleine Insel am Horizonte ans; er wußte, daß sie wüst und unbewohnt — das war ein Aufenthalt für ein solch' starres, unbeng-