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ihnen vorangegangcn und durch die Kugel eines in die Uniform der Marinesoldaten gekleideten Gegners gefallen sei. In demselben Ge fechte fiel General Peschaux; General Montandon und sein Stabs- Chef wurden verwundet. „Ueberhaupt," lautet der bedenkliche Schluß satz, „waren die Verluste jenes Tages stärker an Ofsi eieren als an Soldaten." Der Kampf wird überhaupt mit größter Erbitte rung geführt, die Franzosen schlagen sich viel besser gegen ihre eige nen Landsleute als gegen die Deutschen. Die Officiere kämpfen für ihre Existenz, für ihre Zukunft. General Gallifet sagte: Einen Krieg ohne Gnade und Barmherzigkeit erkläre ich diesen Möroern. Und ein Nationalgardist sagte: Es ist ein Vernichtungskampf zwischen uns und Versailles. Entweder sie oder wir. Alle meine Kameraden denken genau so wie ich. — So herrscht aus beiden Seiten die ra sendste Erbitterung des Bürgerkrieges , sie kämpfen nicht nur für ihre Ideen, sondern für Leben und Selbsterhaltung; den» der Triumph der Gegenpartei würde das Signal zur entsetzlichen Rache geben. Die Versöhnung zwischen Paris und Versailles ist vollständig gescheitert und die rolhe Commune schlägt Capital daraus. Auch sonst ist sie nicht faul, Capital zu machen. Alles Silberzeug aus dem Hanse Thiers ist in die Münze gewandert, ebenso das Silber zeug aus den Klöstern und Kirchen. An den Osterfeiertagen hat in Paris keine Glocke geläutet. Der Finanzminister der Commune will die Kirchen den Geistlichen vermiethen. Auf Befehl der Commune giebts nur noch eine Fahne in Paris, die rothe. Die in Paris gefangenen Priester, der Erzbischof voran, beschwören Thiers brieflich, Niemand mehr erschießen zu lassen, für je I Pariser in Versailles müßten je 3 Geißeln in Paris ihr Leben lassen. Paris, 18. April. Das „Journal officiell" der Commune ver öffentlicht folgendes Decret betreffs der Schuldenrückzahlung: Art. 1. Zur Rückzahlung aller bis zum heutigen Tage contrahirten und jetzt fälligen Schulden, welcher Art sie auch sein mögen, wird eine Frist von 3 Jahren gewährt, vom 15. Juli 1871 ab gerechnet. Art. 3. Die Gesamnstsumme des Schuldenbetrages wird in 12 gleiche Theile zerlegt, welche in vierteljährlichen, vom 15. Juli ab fälligen Raten zurückzuzahlen sind. Jeder Schuldner, welcher von dem durch dieses Gesetz bewilligten Aufschübe Vortheil zieht und während dieser Frist sein Aktivvermögen zum Nachtheile seines Gläubigers bei Seite schafft, veräußert oder vernichtet, macht sich, wenn er Kaufmann isR des betrügerischen Bankrotts, und wenn er nicht Kaufmann ist, des Be truges schuldig und kann wegen desselben sowohl vom Gläubiger, als auch vom Staatsänwalt verfolgt werden. In den rothcn Morgenblältern vom 15. geht ein furchtbares Gebrüll gegen Thiers wegen seiner der Commune gestellten Be dingungen los. Rochefort's Blatt nennt Thiers einen allen Sudler. „Rothmütze" schreit auf: das ist der Krieg bis auf's Messer! „Commune" donnert: Die Revolution oder der Tod! Die versöhn lichsten Vorschläge sind mit Verachtung zurückgewiesen worden. Wir -sind Aufrührer. Picard außerhalb des Gesetzes gestellt. Die Gewalt wird ihren Verlauf bis zur Vertilgung haben: Das ist das letzte Wort von Versailles. Seitdem hat bekanntlich die Commune selbst über den Thiers'schen Bedingungen den Stab gebrochen. Was den Geldmangel der Commune in Paris anlangt, so muß derselbe in der That sehr empfindlich sein, denn die Rüttel, welche man ergreift, um Metall zum Prägen von Münzen zu schaffen, er innern eher an das Gebühren einer Räuberbande als an eine Halb wegs geordnete Regierung. Die Kirchen, und viele Privatgebäude werden geplündert, "das vorgefundene Silbergeräth nach der Münze gesandt und selbst die von der Commune ungeordnete Demolirung der Bendomesäule, welche in einer Reihe von melallnen Basreliefs die Thalen des ersten Napoleon verewigt, scheint in der Hauptsache erfolgt zu sein, uni Metall für die Münze zu schaffen. Versailles, 17. April. Eine Depesche der Regierung an die Präfeclen rechtfertigt das bisherige Verhallen der Regierung. Das selbe bezwecke abzuwarten bis genügende Streitkräfte vorhanden seien, den Widerstand möglichst unblutig zu bekämpfen und der Rebellion Zeit zur Besinnung zu lassen. Die Regierung beabsichtige Richt, die Republik zu stürzen, vielmehr nur den Bürgerkrieg zu beendigen, Ordnung, Credit und Arbeit hcrzustellen und die Kriegskosten zu be zahlen, damit die deutschen Truppen das Land verlassen. Die De pesche wiederholt die Ausicherung der Verzeichnung für alle Ausgaben jeden Kanonenschuß für Kampf in Wahrheit. Die Situation ist un verändert seit einer Reihe von Tagen. Die Municipalwahlen sind auf den 30. April angesetzt. Nachrichten zufolge haben sich die Re gierungstruppen des Schlosses von Becon bemächtigt, eines wich tigen, Asniercs beherrschenden Punktes. Die Nationalversammlung in Versailles hat einen Credit vor 72'/, Millionen Francs sür den Unterhalt der deutschen Truppen auf Antrag der Regierung ein- stnnmig finit 5L6 Stimmen) genehmigt. Der größere Theil'dieser Summe war be kanntlich schon seit einiger Zeit faltig. Ein von Londoner Blättern veröffentlichter Brief Guizoös über die Zustände in Frankreich spricht sich dahin aus, daß der Aufstand nicht an Ansdehnung gewinne. Euizot billigt das Verfahren der Nalionalversammlung, welches intelligent, weise und gerecht sei, und giebt der Hoffnung Ausdruck, der jetzig? Kampf werde nur von kurzer Dauer sein; die Entscheidung müsse binnen Kurzem erfolgen, eine Entschei dung, welche man der Tapferleit der Armee verdanken werde. Die „Newyorker H.-Ztg." schreibt: Die Wasfenseuduugeu »ach Frankreich, welche am 3. September vorigen Jahres ihren Anfang nahmen und bis zum 28. Mürz dieses Jahres dauerten, umfaßten 19 eomplete Dampferladungen, repräsenlirten nach zollamtlichen Auf stellungen einen Gesammiwerth von 14,617,886 Dollars und bestanden aus: 609,531 Musketen, 95,530 Büchsen, 41,750 Carabinern, 35,860 Pistolen, 21,760 Revolvern, 116,982,954 Patronen, 10,800 Säbeln, 10,925 Bahouneten, 420,000 Zündschnuren rc., 91 Feld- battcrien, 109 Kisten Artilleriestücken, 13,382 K. Munition, 4775 K. Sattelzeug und 80,040 Tornistern." Zim Finger. Kriminalnovelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „Der Schurke!" rief der Angeklagte, alle seine bisher gezeigte Besonnenheit verlierend. „Er ist selbst der Mörder, ich nicht!" fuhr er in größter Heftigkeit fort, „und sein armer Bruder soll für ihn leiden? Er Hal geschossen, denn er kann schießen wie der beste Jäger! Aber ich hab', bei Gott! in meinem Leben noch nie eine Ftinle in der Hand gehabt!" „Du Haft nicht geschossen, aber den Ermordeten berauben helfen und die Getdkatze bei Seite geschafft!" „Das hat der Schurke allein gethan!" Nicht gut möglich, denn zehn Minuten nachher sind Leute ge kommen, und Du allein hast die Ermordeten beraubt! In solcher Schnelligkeit konnte Dein Bruder nicht mit Allem fertig werden!" „O, er ist schnell!" entgegnete der Jnculpat mit fast komischer Heftigkeit. „Alles hat er gemacht, und das Geld wird sich finden im Walde!" „Du wirst uns die Stelle zeigen!" „Barmherzigkeit! Aio umiom Laun porviockRoc:! Ich weiß es Ihnen nicht zu sagen!" „Und Dein Bruder soll in zehn Minuten den Ermordeten be- beraubt, das Geld vergraben und das Gewehr wieder sorgfällig gereinigt haben? Nein, nein, das können nur vier Hände, und die Deinen sind dabei im Spiet gewesen! Gestehe es nur! Ein offenes Geständnis; erleichtert Deine Strafe! Und weil Du nicht geschossen, kommst Du ja mit eiu paar Jahren davon." Der finstere Bursche blickle bet diesen Worten düster vor sich hin. Man sah es, wie die widersprechendsten Gedanken tu seinem Hirn arbeiteten. Plötzlich warf er sich dem Assessor zu Füßen, Thränen stürtzlcn ihm auS den dunklen Äugen und unter Schluchzen stieß er heftig hervor: „O, das ist die Strafe für meine Gedanken! Ich will Alles bekennen, und Gott möge mich blind machen, wenn ich nicht die Wahrheit spreche! Es ist wahr, ich habe meinen früheren Herren gegrollt, weil sie mich aus dem Dienste geschickt, und ich wolll's ihnen gedenken" — er machte dabei eine drohende Geberde—; „aber todtschieß — nein, und wenn sie mich wie einen Hund hinausge- peitschl, ich mag keinem Thier den Kopf abschlagen, — und Men schen —!" —Er hielt erschöpft einen Augenblick inne und fuhr dann aufgeregt fort: „Da mußte mich der Teufel dort hinführen zur Schenke, und ich sagte zum Stas: „ Wenn sie heule durch den Wald fahren, Prägt' ich sie durch, daß sie kein Glied mehr rühren können; denn sie sind doch betrunken!" Und der Schurke, der Stas, bat und jammerte, ich sollt's nicht lhun! das wäre niederträchtig und könnte mir schlecht bekommen. Ich mußte cs ihm versprechen) sie ruhig fahren zu lassen, denn er weinte und es war doch mehr zum Spaß mein ganzes Drohen. Und nun ist er hingegangcn und hat sie todt- gefchvssen! Weit er gewußt, daß' er'S auf auch bringen kann — und das ist der Bruder! Er hat stets gesagt, daß er mir Alles zu Liebe würde! O, ich könnte ihn — den «churken!" Er drückte in höchster Wuth seine geballten Hände an die heißpvchende Stirn. — Es war wie ein Strom voll den Lippen des Polen geflossen, und der Assessor hatte ihm ohne Unterbrechung zugehört. „Und Du bist nicht in den Wald gekommen?" fragte er äußer lich ruhig, obwohl im Innersten empört über die ncne Komödie, die der verschmitzte Bursche mit größter Gewandtheit aufgeführt. „Ich mußte hindurch, aber ich bin gar nicht auf die Haupt straße gekommen, da ich die Waldwege kenne; und als ich von dem Mord hörte, ahnte mir nichts Gutes, weil ich in der Nähe gewesen, und weil ich selbst böse Gedanken gehabt. Und ich muß nun noch leiden für meine bösen Gedanken sogar! Aber ich bin unschuldig, so wahr die Sonne am Himmel scheint!" Ec verschwor sich schon wieder so heftig, daß es ihn erst recht verdächtigen mußte. „Sei ohne Sorge!" entgegnete der Assessor auf diese feurigen Exclamationen und fuhr mit Betonung fort und jede Fiber feines Antlitzes in's Auge fassend: „Du Haft recht, die Sonne wird cs an den Tag bringen! Denn Ignaz Hubert ist nicht todt; er lebt noch, und in wenig Tagen wird er so weit hergestcllt sein, die Mörder zu nennen!" Der Pole blickte einen einzigen Moment zweifelnd auf den Assessor, als wollte er sich vergewissern, daß cs nicht blos eine rich terliche Fiction war. Aber das Antlitz scincs Inquirenten war da bei fo streng, so zum Glauben zwingend, daß der Angeklagte von der Wahrheit jener Aeußerung überzeugt wurde. In seinem wilden, düsteren Antlitz blitzte es freudig auf, und als falle ihm eine fürch terliche Last vom Herzen, entgegnete er leidenschaftlich erregt: „Dann wird er sagen, daß ich unschuldig! O Gott laß ihn nicht sterben, daß ich wieder frei werde und nicht ein Mörder bleibc!" Dabei fal tete er wie zum Himmet stehend die Hände. Es lag bei alledem eine so tiefe Inbrunst und Wahrheit in dem letzten Benehmen des Angeklagten, daß jeder Andere als Ler Assessor in der Meinung seiner Mitschuld wankend geworden wäre. Dieser erblickte darin nur jene unerschrockene Festigkeit, die sich durch Nichts erschüttern läßt. „Angewidcrt" von so „großartiger Heuchelei" ließ er den Angeklagten in's Gefängnis; zurückkehren, nachdem cr die Aussagen desselben sorgfältig zu Protokoll hatte nehmen lassen. Je denfalls war der Assessor mit diesem halben Geständniß des älteren Bruders der Aufklärung der Sache einen bedeutenden Schritt näher