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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Tieteulehu und die Nmgcgciidm. Amtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 10. Freitag, den 1. Ieöruar 1870. Tagesgeschichte. Dresden, I. Februar. Wie in Abgeordnetenkreisen verlautet, ist der Schluß des Landtags nicht vor Ende dieses Monats zu er warten. Die Jagdsaison ist zu Ende und mancher Jagdlustige hat seine Feuerröhre wohlausgeputzt in den Schrank gestellt, um solche bis zum Egiditage (t. Sept.), wo die Jagd wieder aufgeht, ausruhen zu lassen. Ein Rückblick auf die verflossene Jagdperiode zeigt, daß die Ausbeute Heuer der anderer Jahre bedeutend nachsteht. Man kann » höchstens V» soviel annehmen, tvie andere Jahre, weshalb auch die höheren Preise des Wildes erklärlich. Wahrscheinlich haben die Mo nate Juni und August v. I. mit ihrer außergewöhnlich rauhen Witterung dem jungen Wilde (Hasen und Rebhühnern) viel gescha det, denn im Frühjahre hoffte man, daß es viel Wild geben werde. Leipzig, 27. Januar. Unser Carneval wird diesmal eine et was veränderte Physiognomie annehmen. Während er bisher nur von einer Gesellschaft, dem altbekannten „Klapperkasten" ausgerichtet wurde, soll er nunmehr den Charakter eines allgemeinen Volksfestes erhalten und alle geselligen Zirkel vereinigen. Viele angesehene Bür ger der Stadt unterstützen das Unternehmen aufs Thäligste. Alles ist zur Betheiligung eingeladcn: Studentenverbindungen, Ballgesell schaften, Gesangvereine, Kegelklubs, Stammtische, kurz Alles, was Sinn für Geselligkeit hat. Die Betheiligung ist bereits eine sehr er freuliche und namentlich erfahren die im Schützenhaus veranstalteten Narrenabende einen ungemein starken Zuspruch. Ein schreckliches Ende hat am Sonnabend in der Schneidemühle von Unger und Schmidt in Riesa der seit langen Jahren dort mit Beaufsichtigung des Getriebes betraute Arbeiter Blüthgen genommen: derselbe ist nämlich von einer Welle erfaßt, mehrmals herümgeschleu- dert und dabei auf das Gräßlichste zerfleischt worden; die Arme wa ren ihm buchstäblich herausgerissen. Der.Unglückliche, welcher 3 unerzogene Kinder hinterläßt, war sofort eine Leiche. Die Nachricht aus Stollberg wegen Auffindung von vier Leichen der auf der Neuen Fundgrube zu Lugau Verschütteten be stätigt sich, wie man dem Zw. W. mittheilt, nicht. Freiberg, 29. Januar. Ein Maueranschlag verkündigt soeben den Bewohnern unserer Stadt, daß laut einer gestern eingetroffenen telegraphischen Mitlheilung des Stadtraths Sachße die zweite Kam mer die Concession für die Freiberg-Duxer Bahn einstimmig, die der Leipzig-Dresdner Gesellschaft zu crtheilcnde Concession für die Nossen- Freiberger Bahn aber (und zwar nicht im Muldenthale, sondern durch den Zellaer Wald) gegen 6 Stimmen bewilliget hat. Wieder ein Schritt vorwärts! Die "erste Kammer wird ohne Zweifel bei treten. In Waldheim sind in der Nacht zum 27. Januar bis jetzt unermittelte Diebe in ein dortiges Contor gewaltsam eingebrochen und haben daraus gegen 400 Thlr., darunter ca. 300 Thlr. in div. Kassenanweisungen gestohlen. Am 27. Jan. ist der Strumpfwirkergeselle Ferdinand Götze in Thum, welcher sich auf den Brennofen der Nagel'schen Ziegelei in Lipprandis gelegt, um vermuthlich sich wärmen zu wollen, einge- schlafeu ung dann durch Einathmung von Kohlendunst erstickt. Reichenbach, 27. Jan. Von glaubwürdiger Seite wird über eine seltsame Himmelserscheinung berichtet. Diesen Morgen, einige Minuten nach 3 Uhr erschien plötzlich der ganze Himmel hell und Alles war wie von einem blendenden Lichte beleuchtet. Menschen, die sich im Freien befanden, schraken zusammen und vernahmen ein donnerähnliches Krachen, mit welchem däs Phänomen nach kurzer Dauer endete. Der König von Preußen hat den guten Entschluß gefaßt, allen noch in Frankreich befindlichen wclfischen Legionären vollständige Amnestie zu erthcilen, wenn sie in ihr altes Vaterland zurückkehren wollen. Die erforderlichen Reiscmittel sollen ihrm angewiesen, werden. Als Kaiser Napoleon am 29. Jan. auf der Terrasse des Tui- leriengarteus spazieren ging, wurde er von einem Arbeiter insllltirt. Die Polizei verhaftete den Thäter. In Rom ist der 1859 aus seinem Lande vertriebene Großher zog von Toskana gestorben. Getrennt nnd wledervereinigt. Eine Erzählung aus dem Leben. Von I. Franz. (Schluß.) Hedwigs Wohnung war erreicht. Max schaute an dem Hause empor. Das eine Fenster war erleuchtet; ein Mann stand an die sem Fenster und sah in die Nacht hinaus. „Papa, das ist der böse Mann mit dem langen Gesicht, den ich auf dem Schloßberge sah!" rief der Knabe aus. „Ja, das ist er, ich erkenne ihn ganz deutlich wieder!" Wellmann und "Hedwig wechselten einen Blick des Einverständ nisses. Theophilus Zach — war es ihm zuzutrauen, daß er den heimlichen Beobachter gemacht hatte? „Hedwig, Du bleibst lange aus, die Nachtluft wird Dir scha den!" Mit diesen Worten empfing Theophilus seine heimkehrcndc Cousine. „O, mir ist gauz wohl." Sie sprach die Wahrheit. Sie befand sich nun ganz wohl, sie hatte auch plötzlich Muth bekommen, ihrem Vetter entschieden entgegenzutreten. „Da können wir am Ende gar schon morgen unsere Reise sort- setzen?" „Das ist ja nicht so eilig. Ich habe meinen Plan geändert; mir gefällt es so in Heidelberg, datz ich noch auf unbestimmte Zeit hier bleiben werde." „Ist das wirklich Dein Ernst?" „Ja, ja, Theophilus, mein völliger Ernst." „Hedwig, Hedwig, Du gehst falsche Wege! Hüte Dich vor den Schlingen des Satans!" „Weißt Du denn, wo ich gewesen bin? Kennst Du meine Wege?" Leider!" „Also ist es doch wahr?" „Was?" „Daß Du mir nachgeschlichen bist, mich belauscht hast?" „Ich leugne es nicht. Die Sorge um Dein leibliches und gei stiges Wohl trieb mich, Dir nachzugehen. Was ich ahnte, bestätigte sich. Ich mußte sehen, mit Entsetzen scheu, daß Du Deinem größ ten Feinde wieder begegnet bist." Hedwig lächelte. „Meinem größten Feinde? Ich glaube gerade das Gegentheil." „Hedwig, auf welche Abwege bist Du gcralhcn! Weißt Du uicht, daß Wellmann . . .?" „Wittwer ist", siel Hedwig schnell ein. „Wittwer?!" Theophilus starrte seine Cousine sprachlos an. Ein Schreck hatte sich seiner bemächtigt; es bedurfte einiger Minuten, ehe er sich wieder sammelte. Er ging cinigemale im Zimmer auf und ab, dann trat er vor Hedwig hin. „Schon einmal rettete Dich der Himmel aus den Händen die ses — dieses . . . ." „Ich muß Deinem schwachen Gedächtnisse zu Hilfe kommen, lieber Vetter: Professor Doctor Wellmann heißt der, von dem Du sprichst." „Ich mag diesen Namen nicht aussprechen. — Schon einmal rettete Dich der Himmel aus den Händen diejes Menschen und Du rennst zum zweiten Male in Dein Verderben. Er hat Dich nie ge liebt; hätte er Dich sonst so schnell verg-ssen und jene Thealerprin- zessin heirathen können?" „Frommer Vetter, ehre wenigstens das Andenken der Dahin- geschiedenen!" „Nur nach Deinem Vermögen strebt er." „Theophilus! wäre ich nicht in einer so heitern Stimmung, ich würde Dir antworten, wie Du es verdienst." „Trieb ihn nicht der Hvchniuthsteufcl, die Sucht "ach eitlem Ruhm aus seinem Wirkungskreise fort und hierher a die Hoch schule?" „Ist Wellmann seinem An te nicht gewachsen?" Theophilus war in größter Aufregung; auf seiner Stirn standet Schweißtropfen; seine Stimme bebte.