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2 Moltke, bis wie Vliichcr — Weltruhm er als Greis gewann. — Gott erhalte rc. — Als cs aber zum Singen kam, stimmten die Studenten in vollem Chor an: Gott erhalte unsern Rektor — trotz dem großen Kirchenbann! — und alle, alle stimmten jubelnd ein. Man wird in Rom wohl auch die Jugend und den Wein excommuniziren müssen. Bonn, 4. August. Zu dem IV. allgemeinen deutschen Turnfest sind 4000 auswärtige Turner aus Oesterreich-Ungarn, Schweiz, Bel gien, Rußland, England und Amerika hier eingetroffen. Das Fest wurde durch eine glänzende Rede Bleibtreu's eröffnet, worin beson ders die Zusammengehörigkeit Deutschlands und Oesterreichs betont wird. Nach ihm erhoben sich mehrere Redner aus Oesterreich, Schwa ben, Amerika und Belgien, welche sämmtlich Deutschlands Führer schaft hervorhoben. — Der Turntag ging über den bekannten Pro test der Barmer Turngemeinde wegen seines politischen Charakters zur Tagesordnung über. — Der Festzug der Turner fand trotz des Regens unter Bcthciligung von mehr als 5000 Personen in bester Ordnung statt. Viele Laien und Geistliche in Deutschland werden freier auf- athmen, wenn die Jesuiten fort sind. Diese stillen Leute sind ge waltige Herrscher, die wie ein Alp auf vielen Seelen und Geistern lasten. Ein Katholik in Posen spricht in Krakauer Blättern offen seine Freude über die Entfernung der Jesuiten aus, viele andere wagen es noch nicht. „Wir sahen, schreibt er, den verderblichen Einfluß und das politische Uebergewicht unserer Geistlichkeit, und hatten nicht den bürgerlichen Muth, das erniedrigende Joch abzu schütteln; da erscheint der Fürst Bismarck und wird dadurch unser Wohlthäter, daß er die Geistlichkeit (auch durch das Gesetz über die Schulaufsicht) in ihre Schranken zurückweist. Wir jammerten über das freche Auftreten des Jesuitismus, der jeden Fortschritt der Bildung zu hemmen suchte und dahin strebte, unsere Landbevölkerung, den nieder» Vürgerstand und die Magnaten in Dummheit zu erhalten. Wir hätten uns gern der Jesuiten entledigt, aber es fehlte uns der bürgerliche Muth und selbst unsere sonst so klugen und rührigen Zeitungsschreiber wagten nicht die Stimme gegen das Treiben der Jesuiten zu erheben. Da hilft uns der Fürst Bismarck aus aller Noth und Verlegenheit, indem er die Jesuiten, dieses eiternde Geschwür unsrer Gesellschaft, über die zehnte Grünze treibt." Wie mannigfach auch die Combinationen über die Ursache der Kaiser-Zusammenkunft in Berlin sind, darin stimmen alle ver ständigen Organe überein, daß die Zusammenkunft eine verläßliche Fricdensbürgschaft bildet. Eine ofsiciöse Wiener Correspondenz deS „Dresdn. Journ." findet in der Zusammenkunft die Verwirklichung eines während des letzten Jahres vielfach erörterten Gedankens: der Bildung einer europäischen Friedens-Coalition. „Jeder Theilnehmer an diesem Friedensbunde, wozu auch Italien gehört, — so heißt es in dem Briefe — „zieht den wichtigen Vortheit, daß er unangreifbar ist. Es bedarf da gar keiner Anstrengung, den Welttheil in Ruhe zu erhalten. Wem möchte es einfallen, Staaten anzugreifen, die zusammen über 180 Millionen Einwohner zählen, lauter kriegswichtige Stämme, wenn sie entschlossen sind, sich gemeinsam zu verlheidigen? Es kommt nur darauf an, Alles fernzuhallen, was dem Einvernehmen schädlich werden könnte, und daraus sind alle vier Monarchen und ihre Regierungen bedacht. Deutschland ist freilich ein Bundesreich, allein alle königlichen und fürstlichen Bundesgenossen Kaisers Wit- hclm's sind mit ihm in dem Verlangen und den Mitteln einig, Ruhe und Frieden in Europa zu erhalten." „Atan sagt ferner", so fährt der Ofsiciö'e fort, „daß zwischen Oesterreich-Ungarn einer- und Ruß land andererseits bei der Verschiedenheit der Ziete ihrer orientalischen Politik nie ein aufrichtiges Eiuvcrständniß bestehen tonne. Das sind jedoch Betrachlungen für die Zukunft die uns, mindestens gesagt, auf lange Zeit hinaus nicht beschäftigen und veunruhigen werden. Jede Zeit hat ihre Plage, und wir wollen es der Zukunft überlassen, wie sie diese Fäden entwirren wird." Die sociale Frage — so schreibt die „Kreuzztg." — wird demnächst einer parlamentarischen und einer diplomatischen Erörter ung unterliegen. Im September wird der socialistische Congrcß, das Parlament der Internationale, zusammentreten und im Octobcr sollen in Berlin die bei den Salzburger Besprechungen des vorigen JahrcS in Aussicht gcnommenen Consercnzen über die Behandlung der socialen Frage eröffnet werden. Wie man versichert, soll es sich bei Letzteren keineswegs um Repressivmaßregeln, sondern um organi satorische Einrichtungen handeln, und es scheint, daß auch das socia listische Parlament sich mit neuen Organisationen in seinem Sinne beschäftigen wird. Den Nachrichten zufolge, welche über die letzte Bcrathung der Londoner Ccntralstclle verbreitet wurden, handelt es sich darum, eine große Arbeiterpartei zu organisiren, welche auf par lamentarischem Wege den Staat in ihre Gewalt bringen bez. auf dem Wege der Gesetzgebung den historisch gewordenen Staal in einen Arbeiterstaat verwandeln soll. Dieser Plan ist jedenfalls sehr weit aussehend und — wenn man erwägt, daß er mit Hilfe von Massen ausgeführt werden soll, welche gewöhnt sind, in ihrer Kurzsichtigkeit nur den Vortheil des Augenblicks zu bedenken — chimärisch genug, immerhin aber ist es doch ein bedeutungsvolles Zusammentreffen, daß in dLmselben Augenblicke, in welchem staatlicherseits die bedenklichen Consequenzen der „liberalen Wirthschaftslehre" so lebhaft empfunden werden, daß man die Nvthwendigteit einer staatlichen Fürsorge auf wirthschaftlichem Gebiete empfindet, die socialistische Agitation ihrer seits sich auf das politische Gebiet zu werfen entschlossen"ist. Vielleicht ist gerade die Besorgniß auf der cinen — die Zuversicht der andern Seite. Wenn man auf der einen Seite erkennt, daß die „Freiheit", wie sie von unserer Zeit verstanden wird, eigentlich nur die Auflösung ist und ein in Atome aufgelöstes Volk keine Nation mehr darstellt, so mag man auf der anderen Seite bedenken, daß jene Atome immer hin doch „Staatsbürger" und jedenfalls geneigt sind, ihre staats bürgerliche Gleichheit auch als Besitz- und Genuß-Gleichheit cm- pfinden zu wollen. „Wir sind die Zahlreichsten", sagen die Agitatoren der Arbeiter, und wenn die Zahl allein entscheidet, kommt der Un verstand immer zu Ehren. Lose Sandkörner lassen sich von jedem Winde bewegen. Wird die staatliche Fürsorge sich von der als Freiheit empfohlenen Tendenz der Auflösung abwendcn und die Herbei führung naturgemäßer Verbindungen acceptiren? Die Stimmung würde ihr auf diesem Wege entgegenkommen. Man weiß, welchen großen Eindruck während des jüngsten Bergmannsstrikes die Erklär ung des großen Industriellen Alfred Krupp hervorrief. „Gegenseitige Treue hat das Werk so groß gemacht", sagte Herr Krupp, indem er verhieß, auch fernerhin seinerseits nicht von dieser Treue zu lassen, zugleich aber forderte, daß auch die Arbeiter ihrerseits Treue be wahrten. Der große Industrielle bekannte sich offen zu einem durch aus feudalen Princip, aber in der Noth der Zeit drückte selbst die liberale Presse ein Auge zu und bekannte — im vollen Widerspruch mit der als absolute Wahrheit verkündeten Theorie der modernen Wirthschaftslehre — daß allerdings in der Wiederherstellung der per sönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, also in der Wiedereinführung sittlicher Momente in das so unendlich frei ge wordene Wirtschaftsleben, der rechte Schutz gegen die socialistische Wühlerei zu suchen wäre. Leider läßt sich, namentlich nach der unter dem Schutze der neuesten Gesetzgebung erfolgten Beseitigung des Handwerkes und Umwandlung persönlich geleiteter Etablissements in Actienunternehnumge», an Wiederherstellung persönlicher Beziehungen nur in Ausnahmefällen denken, immerhin aber wäre es möglich, daß, wie früher der Grundbesitz, jetzt das industrielle Etablissement mit Rechten und Pflichten bekleidet würde, welche die dauernde Verbin dung der Arbeiter mit ihm Herstellen, d. h. die Arbeit und den Ar beiter sicher stellen. Ein schwacher Anfang ist mit dem Gesetz wegen der Haftpflicht bei Unglücksfällen gemacht worden; aber die Fürsorge des Staates wird Weiler gehen müsse», wenn dem Organisationsplän der socialistischen Secten sein bethörender Reiz genommen werden soll. Paris hat den glänzenden Erfolg der Anleihe am 30. Juli durch eine Illumination gefeiert. Die großen Boulevards strahlten im hellsten Glanze, die Häuser waren beflaggt, vcnetianische Laternen brannten auf den Straßen und dichte Menschenmasscn wogten auf und nieder. Selbst die entferntesten Gassen hatten ihre Fahnen und Lampions. Paris, 6. August. „Vien Public" bespricht die Zusammenkunft der drei Kaiser; das Organ von Thiers sagt, dieselbe trage wesentlich einen friedlichen Charakter und liefere den neuen Beweis für das all gemeine Bedürfniß des Friedens. Frankreich brauche sich in keiner Weise zu beunruhigen, bei den drei Negierungen herrschen gegen wärtig für uns die besten Gesinnungen. Wir wollen Niemanden be unruhigen und Niemand denkt daran uns zu beunruhigen. Mehr als alle andern Mächte hat Frankreich das Bedürfniß des Friedens, wir müssen mit Befriedigung jeden diplomatischen Schritt oder Act be grüßen, welcher dazu dienen kann, den Frieden zu sichern und zu beseitigen. Wie das italienische Blatt „Fansulla" aus Monaco berichtet, haben die Jesuiten großartige Besitzungen in der Nähe des Berges Carlo erworben, um'ihre Brüder ans Preußen und Italien vorläufig unterzubringen. Fortwährend kommen unzählige Kisten und Kasten aus dem Vatikan und aus den römischen Klöstern an. Mit jeder Sendung kommt ein Begleitschreiben, das die Liste der spedirtcn Gegenstände enthält und unterzeichnet ist: Logrotaria clio Ltato — Llovorno kontisteio: StaatSkanzlci — Kirchenstaat. In Algerien wüthcn fortwährend die Blattern. Französische Aerzte ziehen von Stamm zu Stamm, um die Eingcborncn zu impfen und werden überall gut ausgenommen, was früher nicht der Fall war. Die Eingeborncn Algeriens schmelzen unter der Herrschaft der Franzosen immer mehr zusammen: Aufstände, Hnngersnoth und nun die Blattern — eS sind dieselben Nölhe, welche unter den Indianern so schnell aufgeräumt haben. Petersburg, 5. August. Seit 30. Juni kamen 1405 Cholcra- erkrankungen vor. 376 Erkrankte sind genesen, 641 gestorben. Von der Allmacht des Dollars in Nordamerika entwirft die Augsburgerin in einem Aussatze abschreckende Bilder aus der Ge- Gefchäftswelt, aus der Verwaltung der Städte und des Staats. Der Betrug, die Bestechung, Unterschlagung und der Schwindel sollen sich tief eingefressen haben und um so strafloser sein, je größer sie sind. „Der Diebstahl bis zu 50 Dollars Werth findet augenblickliche Be strafung; wo aber 10,000 D. gestohlen werden, ist schon die gericht liche Beweisführung sehr schwierig; wer 50,000 D. nimmt, ist vor Uebcrsührung ganz sicher; ein Diebstahl von 100,000 D. bringt völlige Üngcstraflhcit; wer sogar 250,000 D. fremden Geldes sich aneignct, bekommt den Ruf eines unternehmenden Mannes; 500,000 D. stempeln den Schwindler zu einem firmen Geschäftsmann und eine Million zu einem großen Finanzier." Dieses Thema wird nun in hundert Variationen aus dem öffentlichen Leben verarbeitet.