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2 2 bürgerliche Gefangene waren diesmal die bedaucrnswcrthcn Opfer. Der Zug ging durch mehrere Straßen, und die Bevölkerung verhielt sich zuerst ganz ruhig, die Geistlichen beteten und sprachen ihnen Trost zu. Bald aber nahm das Volk eine drohende Haltung an. Im Nathhause, von Bellcville ließ man den Gefangenen eine Viertelstunde Zeit, um ihr Testament zu machen, dann bewegte sich der Zug wei ter, das Volk wurde immer wüthender, fortwährend noch von scham losen Rednern aufgehetzt. Endlich war man an O,rt und Stelle. Plötzlich fielen aus der Menge Schüsse und damit begann das Ge metzel, welches über eine Viertelstunde dauerte. Manches der Opfer war schon von dem Blute seiner Leidensgefährten bespritzt lind hatte dem Todeskampfe derselben zusehen müssen, ehe es selbst von dem tödtlichen Schüsse ereilt wurde. 47 Männer wurden auf diese Weise ermordet. Am Ende stürzten sich, wie Augenzeugen bekunden, noch drei Offiziere, zwei Föderirte und ein Weib auf die Leichen, stampf ten auf sie mit Füßen und machten ihnen, als sie noch eine Spur von Leben entdeckten, mit Revolverschüssen und Säbelhieben den Garaus. Am andern Tage erschienen Männer mit Fleischermessern, schnitten den Opfern die Kleider auf und plünderten sie vollkommen aus; dann warfen sie sämmtliche Leichen in einen an den Platz an stoßenden unterirdischen Raum. Aus diesem wurden sie am 29. her vorgezogen; eine einzige Leiche zeigte die Spuren von nicht weniger als 67 Schüssen. In Rom, wo jetzt das schönste Frühlingswetter ist und Alles sich des Lebens freut, muß der Papst hübsch das Zimmer hüten und kann den Vatican nicht verlassen. Es kam ihm auch die Lust an, sich einmal wieder unter die Menschen zu begeben. Er gab daher Befehl, anspanncn zu lassen, um eine Spazierfahrt zu machen. Das war aber nicht möglich, weil, seine Hausjesuiten bereits Pferde und Wagen verkauft hatten, ohne ihm etwas davon zu sagen. Zur Volkserziehung. Die in Dresden erscheinende Constitutiouelle Zeitung, ein Blatt, welches auch in den drückendsten Zeiten der Beust'schen Reaction die Fahne des Fortschrittes auf politischem, religiösem und socialem Gebiete hochgehalten und nun die Genugthuung hat, ein in der Hauptsache geeintes Deutschland zu sehen, brachte vor Kurzem einen Leitartikel, den wir seines treffenden und beherzigenswerthen Inhaltes halber unsern Lesern hier vollständig mittheilen. „Seit 1800 Jahren liegt die Erziehung des Menschengeschlechtes in den christlichen Staaten fast ausschließlich in den Händen der Kirche. Die Kirche hat auch — cs ist Dies nicht zu leugnen — Jahrhunderte lang Liese Aufgabe vortrefflich erfüllt. Von den Kirchen und Klöstern strahlte im Anfänge des Mittelalters das Licht der Cul ur in die Finsterniß der Barbarei. Aber schon im 16. Jahr hundert war die Kirche der Aufgabe, die Menschheit weiter zu ent wickeln, nicht mehr gewachsen, und daß dieselbe namentlich in den Ländern, in welchen sie die Herrschaft hatte bis auf den heutigen Tag, das Volk dcmoralisirt und zu Grunde gerichtet hat, das be darf wohl keines weiteren Beweises.*) Die Kirche hat uns also seit Jahrhunderten nicht vorwärts, sondern sie hat uns — wir wissen wohl, was wir sagen — an den Rand eines Abgrundes gebracht, von ihr dürfen wir für zukünftige Geschlechter Nichts mehr hoffen. Selbst unsere deutschen Regierungen scheinen neuerdings eine Ahnung von dieser längst erkannten Wahrheit bekommen zu haben, denn überall wendet man seine Hoffnungen mehr oder weniger offen, mehr oder weniger entzchieden dec Schule zu, und in der That dürfen wir von der Schule, wenn wir sie nämlich danach einrichten, viel erwarten — aber nicht Alles. Wir haben stets hervorgehoben, was die Volksschule für die künftigen Geschlechter leisten könne, wir Haben sie als den Hauptfactor bei der Volkserziehung angesehen, allein sie kann nicht Alles leisten, man muß von ihr nicht das Un mögliche verlangen. Was Hilst es in den Schulen zu lehren: Du sollst nicht stehlen, wenn die Kinder hungert? Cs ist Nichts leichter als in tugendhafter Entrüstung die Gemeinheit des Diebstahls zu verachten, wenn man gut zu Mittag gegessen hat, aber es ist unmöglich nicht zu stehlen, wenn man dem Hungcrtode nahe ist. Wir unseres Theils erinnern uns wenigstens nicht, je gehört zu haben, daß ein Millionär in einem Bäckerladen ein Brod gestohlen habe und wir sind fest überzeugt, daß noch Niemand Hungers ge storben ist, ohne diesen Versuch, wenn auch vergeblich, gemacht zu haben. Man mag Materialist sein oder nicht, so viel wird Jeder zugeben müssen, der nur irgend welche Erfahrung und Menschen kenntnis; besitzt, daß jede moralische und intellektuelle Entwickelung unmöglich ist, bevor man nicht die nöthigsten materiellen Bedürfnisse befriedigt. So lange der Proletarier hungert und friert, wird er *) Nach der Statistik, vor der man namentlich in Nom des bösen Gewissens halber einen heillosen Schreck hat, kommen «uf 100 eheliche Geburten: in London 4, Leipzig 20, Paris 48, München 01, Wien 118, Rom 240 außereheliche, also 61 mal mehr als in London, d. h. ein geordnetes Familienleben ist in der Residenz des heiligen Vaters nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme. Wie steht es um die öffentliche Sicherheit in den verschiedenen Ländern? Es kommt eine Mordthat: in England auf je 178,000 Einwohner, in Holland 163,000, in Preußen 100,000, in Oesterreich 67,000, in Spanien 4113, in Neapel 2760, aber in Rom, im Patrimonium Petri und der Jesuiten, kommt eine Mordthat auf je 750 Ein wohner. Die zweite Zusammenstellung beweist, daß nian in Rom, Wo außer dem Papste auch noch der Jesuitengeneral (Pater Becke, ein geborener Belgier) seinen Sitz hat, und wo die Segnungen des Jesuitismus von jeher aus erster Hand zu beziehen waren, 237mal so viel Aussicht hat, todtgeschlagen zu werden als in dem ketzerischen England, und 133'/^mal mehr als in dem zu 2 Drittheilen von Pro testanten bewohnten Preußen. ebcil trotz alles Predigens und Lehrens in allen Kirchen und Schulen der Welt derselbe gemeine Proletarier bleiben. Gebt ihm zu essen, kleidet ihn warm, gebt ihm Seife, sich zu waschen, und er wird — gebildet werden! Wir müssen hier einer Thatsache gedenken, die Wenigen unserer Leser bekannt sein dürste, wir meinen die -Rolle, welche im Mittelalter die Klöster spielten. Es ist wahr, die Klöster ernährten Tausende von privilegirten Faullenzern, das ist allgemein bekannt, aber sie ernährten auch Hunderttausende von fleißigen armen Leuten — und das ist nicht bekannt. Ja Hunderte armer Menschen strömten zur Mittagszeit an des Klosters Pforte und erhielten ein reichliches gutes Mahl ohne Entgelt und gingen heim, gesättigt mit Speise und Freude. Aber die Klöster wurden aufgehoben und ihr Vermögen fiel an weltliche Herren. Die Capitalisten und Bourgeois der Jetztzeit theilen keine Speise unentgeltlich aus, sie „zeichnen und gründen", um wieder zu zeichnen und zu gründen — und der Proletarier hungert und sriert oder nährt sich im besten Falle kümmerlich — mit Kasfee, Schnaps und Kartoffeln. Weil er nicht „ordentlich" ißt, kann er nicht „ordentlich" arbeiten und weil er nicht „ordentlich" arbeitet, verdient er nicht genug um „ordentlich" zu essen — das ist der ewige trostlose Kreislauf. Wir müssen daher um jeden Preis Einrichtungen schaffen, um vor Allem den heruntergekommenen Proletarier unentgeltlich besser zu nähren. Geld darf man ihm nicht geben, denn, wie er nun einmal ist, kauft er dafür nicht Speise, sondern — Schnaps. Wir müssen Volksküchen an allen Orten schassen, welche an die Stelle der Klöster des Mitrelalters treten, und wenn Dies der Staat nicht thut, so müssen es die „Zeichner und Gründer" thun, wenn auch nicht aus Menschenliebe, so doch aus Eitelkeit und Ehrgeiz. Immer besser als wenn nichts geschieht, auch die Fehler der Menschen haben so ihre guten Folgen. Wenn dies nicht zu erreichen ist, so steht es um die Volkserziehung schlimm, denn, wie gesagt, alles Lehren und Predigen ist eitel, so lange der Mensch im Elende steckt. Aber man richte dann wenigstes die Volksschule so ein, daß sich das Proletariat, wenn auch langsam, so doch nach und nach aus diesem Elende heraus arbeiten kann. Ist es doch jetzt, um an der Volksschule rein zu verzweifeln! Die drei Artikel kennt Jeder, der sie verläßt, aber wie er sich gut und billig nährt, wie er sich gesund erhält, um tüchtig und redlich arbeiten zu können, weiß Niemand! Man spotte über solche hausbackene prosaische Ideen, so viel man will.: nicht eher wird die Menschheit vorwärts kommen, als bis die Physiologie endlich in ihre Rechte eingesetzt wird. Ja man lache so viel man will: die Lehrer der Zukunft werden ihren Unterricht damit beginnen, die höchsten metaphisischen Probleme, wie die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele angehenden Schulbuben vorzudociren, welche von alledem gerade so viel verstehen, wie der Berliner Droschkenkutscher von der Keilschrift, sondern sie werden damit beginnen, ihnen zu sagen, daß ein Arbeiter kein leinenes, sondern ein baumwollenes Hemd tragen muß, daß er seine Wäsche oft wechseln muß, daß Milch, Fleisch und Eier besser zur Arbeit geschickt machen ais Kaffee und Kartoffeln, daß ein Liter Erbsen nur 25 Pfennige kostet und doch sehr viel Nährstoffe enthält, daß der Mensch nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig arbeiten darf, wenn er geistig und körperlich gesund bleiben will u. s. w. Freilich wir zweifeln, daß wir diese Zeiten, in welchen man die Menschen nicht mehr durch eine unsichere Anweisung auf das Jenseits um das Diesseits schändlich betrügen wird, je erleben werden, aber kommen werden sie, diese Zeiten. — Das ist unser Glaube! — -n. 6. 1. Ein halb Jahrhundert, oder: Allstund aufrecht. Von Marie von Roskowska. (Fortsetzung.) Auf dem Langemnarkte erschallt lauter Hammerschlag. Troß des Sonntags wird vor der Börse ein Gerüst zur Illumination er richtet, um das sich schon jetzt Schaulustige drängen, froh die Er lösung besprechend und das Glück, daß man nun wieder preußisch werde. Die Abziehenden hören es und schreiten stumm weiter. Die Vorbereitungen zum festlichen Empfange der Sieger entgehen ihnen ebensowenig, wie die freudig erregte Stimmung der Einwohnerschaft. Sogar Rapp, der übrigens Wort gehalten nnd die strengste Ordnung unter seinen Leuten erhalten hat, wirft einen Blick auf das Gerüst vor der Börse und den Fahnenschmuck. Einst und oft illuminirte man zu Ehren der französischen Siegesthaten, doch schwerlich so gern; jetzt ist es vorbei damit. Auf dem Glazis des Hagelsberges legen die Soldaten die Waffen ab — die Offiziere behalten die Degen. Aus den Reihen tritt nun eine nicht unbeträchtliche Zahl — die. Spanier, Holländer, Westphalen. Sie alle bitten, nicht in Gefangenschaft geführt, sondern nach der Heimath gesandt zu werden, damit sie den Kampf, welchen sie nur gezwungen für den Kaiser führten, geg-en denselben freiwillig auf nehmen können. Nach dem Abmarsch der Entwaffneten zieht der Herzog zum Olivier Thor ein, hier von Abgeordneten der städtischen Behörden empfangen. Im Langgassischen Thor erwarten ihn zwölf festlich ge kleidete Jünglinge und Jungfrauen, streuen Blumen, überreichen ihm mit Ansprachen ein Gedicht, eine Fahne, einen Lorbecrkranz und den Becher mit dem Ehrcnwcin. Vor dein Nathhause harrt seiner der Rath. Vor der Börse — dem ArtuShofe, die Kaufmannschaft. Ueberall lauter Jubel, echter, nicht gemachter, wie er sonst wohl dem Sieger in eroberten Stäotcn zu Theil wird; ist ein solcher doch nicht immer der Befreier nnd Retter. Nachdem das ganze Belagcrungsheer, von den Zuschauern an gestaunt und freudig begrüßt, am Herzog vorübergezogen ist, verläßt es wieder die Stadt, nur Wachen bleiben zurück. Die Generalität, die Behörden und die Einwohner begeben sich in die zum griechischen Gottesdienst eingerichtete Johanniskirche, dann in die „Pfarr" zur Abhaltung des Tedeums; während desselben donnern fünfhundert Kanonenschüsse von den Wällen. Sie rütteln Frau Herwyn aus einem Halbschlummer. Voll An theil, mit verklärtem Blick und Lächeln lauscht sie der Erzählung des heimgckehrten Sohnes. Innig, wie irgend Jemand nimmt sie An theil an der allgemeinen Freude. Nicht minder aber lächelt sic Orthie zu, die mit duftender Hühnerbrühe — endlich ist cs gelungen, ein Huhn anfzutreiben — zu ihrem Lager tritt. Sie kostet jedoch nur.