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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.07.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190807190
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19080719
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19080719
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-07
- Tag 1908-07-19
-
Monat
1908-07
-
Jahr
1908
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Vezugr-Prei» l»r «d »>ok»n» durch unser* Lrt^r »»» S^dU«r» «I Huu» ,«bracht r »»««a»« t luur m»ra«ch) »trchatithrltch I» MI., muuuMch l Mi.; Durch dt, M»ü »» dr;tetr»: (4 «ch lt^tch) marrdalb reutlchland« au» »er druttsrn ktalantr» »irrreliLdrUch b,L «.. -»u-rltch H7L M. autlchl. «,«. brttell,«», »r Oeftrrrchch U t! «6 b, Uchi-r» 8 M utartaljthrlich A«rn«'N Vai» »u», Dtuawur^ den DnnaoNaalen, Akaltr», Luxamtma,, *i«darianl>«, N «wegen. Rut» land. Schwede^ »chtuet, uu» Spaaiea. Ja all«» tdrtoen Staate» nur direkt d»rch »i» Lx»«d.».«. «rblltlich. «donnemeiU-Miniadut«: A»r»ft>«platz »«> anierr» Mrta«», lktUa^n, Sp«o>teure» »ad «nnahauftellen, schvte MastLmkern u»d vrtettrSgrr», Mt« etrqeln« dt«»»« kalket 10 V» ^«daktta» a»d Lr-«dUta»! Jodaaattgasl« 8. »«irrIum «r. 1«VL «r. l«SV8. Nr.!«»». Morgen-Ausgabe S. KhMerTa-Mall Handelszeituug. Amtsblatt des Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. A«zr1-e».PreW dch«; —ai»»,>«»«)«., „««,«, 7b V. ««Na»«, llv «. S-Krat»,.»«»»»«, ^a»iliche»r»a««1. veilage^dtldr bvt. ». Maul«»» »xN. M»N- aedühr. »e>chts««a»Het,ea ,» deaoreaaier Stalle Un Vrril« «rdiht. «tadakt «ch Lar» gefterteUte LaiirLg« linnen ittchl »urtck- ae»oge» w«r»«n. ,^tk va« »rlchetne» an debimwtea Lagen und Ml1>«> wir» «eine Garantie ud«nomine» Diget^».«a»a»me, U»xall»«»i«» », »et ILmtltche» Filchle» a. alle» «iononerw »tvedltt-ee- I» «ch Lxatoatx«. Sauuk.Milial» «er«», T«el L»»a«r. v«r,o,U «aar. tzald»^ dandlaag, t!litz»»ftrade Kl. iLelevdon V i, -Ur. 4üc»iz chanot-Siltal, Dresde»! Seeitra»» 4. i <Lüe»»a» 482U. Nr. 198. Sonntag 19. Juli 1908. 192. Jahrgang. Dns Wichtigste. * Zum Rektor Mag nifikus der Universität Leipzig für daS Jubiläumsjahr 1908/09 wurde gestern Gebeimer Rat Professor Dr. Karl Binding gewählt. sS. Lpzg. Ang.) * Das Elfte Deutsche Turnfe st in Frankfurt a. M. nahm bisher einen glänzenden Verlaus. Selbst deutsche Turner aus Amerika und Südafrika sind eingetrossen. sS. d. des. Art.) * Wie verlautet, hat eine Anzahl Offiziere in Adrianopel das Telegraphenamt besetzt. * In Bahia (Brasilien) kam es zu antifranzösischen Massendemonstrationen, weil die Landesflagge durch einen Franzosen beleidigt wurde. * In Bombay sJndien) verursachten arbeiter Ruhestörungen. sS. Ausl.) 14 000 streikende Fabrik- Arrf Umwegen. Tie neueste causa aelebrs ist wirklich des Aufsehens wert, das sie macht. Es ist in der großen Öffentlichkeit wenig beachtct worden, daß der Erfolg des .Dreadnought" in England gerade Brasilien veranlaßt hat, schon im vorigen Jahr zwei dieser Panzerkolosse zu bestellen; und zwar in England. Die südamcrikanischen Republiken haben sich zwar ost ein wenig auf Seekrieg eingerichtet. Chile hat einen solchen auch mit Peru geführt und einige Jahre später hat cs erlebt, daß seine Re volutionspartei sich auf die Flotte setzte und den ungesetzlichen Präsi denten Balmaceda überwand. Auch Brasilien hatte bisher eine kleine Flotte. Uns liegt gerade das Stärkeverzeichnis von 1904 vor: 2 Linien schiffe 3. Klasse zusammen 10 700 Tonnen, 13 500 Pferdestärken; 2 Küstenpanzer 6322 Tonnen, 6800 Pferdestärken; 7 kleine Kreuzer 15120 Tonnen, 41 4M Pferdestärken; 1 Kanonenboot, 1 Torpedoboots zerstörer, 8 Torpedoboote. Besatzung etwa 3000 Mann. Seitdem wird dies und jenes geschehen sein, sicherlich ober ist keine durchgreifende Re form vollzogen. Trotzdem hat Brasilien im Jahre 1907 3 Ricsenpanzerlinienschifse in England bestellt» die den „Dreadnought" an Größe noch überragen. Außerdem 27 kleinere Schiffe, wohl meist Torpedoboote, Unterseeboote und dergleichen. Brasilien kann natürlich so viel Schiffe bauen wie es will. Niemand macht ihm das Recht dazu streitig. Dennoch hat man schon damals Zweifel ausgesprochen, ob wohl Brasilien der eigent liche Besteller sei. Denn 150 Millionen Mark, vielleicht mehr, gibt man doch nur dann aus, wenn man eine vernünftige Verwendung dafür hoi. Man fragt sich also: wo liegt die Notwendigkeit, plötzlich eine derartige Seerüstung zu betreiben? Von den amerikanischen Staaten mit Ausnahme der großen Republik des Nordens, haben nur Argen tinien und Chile eine nennenswerte Kriegsflotte. Diese beiden sind zur See nicht stärker als Brasilien. Argentinien hatte 1904 zwei Panzerkreuzer in Genua gerade fertig, als der ostasiatische Krieg aus- brach. Gerade vor Torschluß konnte es sie noch an Japan verkaufen, dem es gelang, sie durch den Sueztanal nach Ostasien zu bringen, ob wohl die Russen mit Uebermacht in ihrer Nähe blieben, um sie bei oer ersten Nachricht vom Ausbruch des Krieges zu überwältigen. Argen tinien und Chile sind zur See nur für die Verteidigung gerüstet. Obendrein sind sie traditionelle Gegner. Rücksicht auf sie gebot also den Brasilianern nicht die plötzliche Verstärkung. In der Presse schlief die Sache bald wieder ein. Europäische Mächte schienen sich auch nicht sehr für die Entschlüsse Brasiliens hin- sichtlich seiner Flotte zu interessieren. Inzwischen gingen die drei nominell für Brasilien bestimmten Dreadnoughts allmählich ihrer Voll- endung entgegen. Jetzt mit einem Male spricht alle Welt davon, sie seien überhaupt gar nicht für Brasilien bestimmt gewesen; dieses sei nur sozusagen ein Kommissionär gewesen. Zuerst sollte der eigentliche Besteller Japan sein; dieses habe auch das erforderliche sin-anzielle Arrangement getroffen. Japan sei es auch, das die schwer einzuhaltende Bedingung erzwungen habe, daß die drei Riesenschiffe schon bis zum nächsten Herbst zu liefern seien. Namentlich ward in den Vereinigten Staaten auf den Busch ge klopft, worauf denn freilich japanische Stimmen entrüstet antworteten: man sucht niemand hinter dem Busch, man habe denn selbst dahinter ge sellen. Die Erregung ist rasch im Wachsen und interessiert auch die gan- unbeteiligten Länder. Natürlich genug! Wenn es wahr ist, daß Japan seine Flotte um diese Schiffe vergrößern will, so sucht man bei ihm nach dem vernünf- tigen Zweck. Der wäre nicht schwer zu finden. Schon im Dezember 1906 verdüsterten sich die japanisch-amerikanischen Beziehungen. Im Lause des Sommers beschloß die Regierung zu Washington, nahezu ihre ge- samte Panzerflotte nach dem Stillen Ozean zu senden. „Man muß diesen Asiaten einmal recht deutlich kommen", sagte im letzten Winter der Kriegssekretär Rovt. In der Tat, Japan verstand den Wink und duckte sich, ohne einen Laut zu verlieren. Es war im Augenblick nicht in der Lage, einen Krieg mit den Vereinigten Staaten zu führen. Wenn es aber wahr ist, daß es sich alsbald entschloß, drei Riejenjchiffe in England in Bau zu geben, so werden die Amerikaner nicht zweifeln» daß sie es sind, gegen welche die ostafiatische Großmacht sich aus die Hinterfüße stellt. Sie werden dann den großen Strauß einige Zeit später auszufechten haben. Auch sie arbeiten stark an der Verstärkung ihrer Flotte. Sie haben fünf Panzer-Linienschiffe im Bau. Aus fallend ist, daß sie nicht früher Lärm geschlagen haben, wenn sie Ver dacht hatten, daß Brasilien sich zum Diener japanischer Intrigen her- gebe. Auch dies letztere ist unwahrscheinlich. Brasilien ist mit den Ver einigten Staaten im besten Einvernehmen. Man hat im vorigen Jahre einen Gegenseitigkeitsvertrag mit Zollbevorzugung abgeschlossen. Brasilien gilt als der Vorkämpfer nordamerikanischer Interessen in Südamerika. Darf man annebmen, daß cs einer so unwürdigen In trige seine Dienste leihe, die darin bestände, daß es sich zur Deckadresse für die Lieferung einer Kriegsflotte an den präsumtiven Feind der Vereinigten Staaten machte? Sollte derartiges doch' an den Tag kommen, so würde es mit den guten Beziehungen wohl vorbei sein. Brasilien bleibt vorläufig dabei, jener „Dreadnoughts" für seine eigene Flotte zu bedürfen. Die rasche Entwicklung des Landes, die Angreif, barkcit seiner 3500 Kilometer langen, mit vielen Häfen versehenen Küste verlange einen weit stärkeren Schutz, als bisher vorhanden gewesen. Die Bestellung dieser Schisse, sowie der kleineren Fahrzeuge, gehöre zu der vom Kongreß anssührlich und in aller Ocsfentlichkeit beratenen Re form der brasilianischen Wehrkraft. Diese gehe auch zu Lande vor sich und Hobe zu der Bestellung von 150 Batterien Feldartillcrie mit 750 Ge schützen bei Krupp geführt. — Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen, steht aber doch schief darum. Denn die unabweisbare Frage liegt nahe: glaubt Brasilien wirklich, einmal solche Riesenschiffe nötig zu haben? Und weiter: hat es Offiziere, Mannschaften, Seeleute, Seesoldaten, denen es die Führung solcher Schiffe übergeben kann? Und nun kommt die Nachricht, England wolle die drei für brasi lianische Rechnung in England erbauten Schüfe selbst kaufen. Für sich? Oder für wen? Vielleicht für Japan? Die Angelegenheit wird immer verwickelter. Wenn sich England tatsächlich entschlossen haben sollte, die Schiffe für sich selbst zu erwerben, so wäre das als politisches Symptom von erheblicher Bedeutung. Man denke dabei auch an die Zeit der Be stellung. Es war die Zeit der englischen Abrüstungspropa- ganda. Sollte hier der Schlüssel zu sind?» sein zu der Frage, wes halb eventuell dieser Umweg über Brasilien gemacht worden ist? Die ganze Sache scheint uns dringend weiterer Aufklärung bedürftig zu fein. In jeder Beziehung heißt es: non lignot! Die ganze Frage wird auch die Völkerrechtslchre sehr lebhaft inter essieren. Der Lstolok. : (Bon unser'm Petersburger H-Korr« >pon deuten) Petersburg, 2/15. Juli. Chomjakow, der Dumapräsident, der an alles denken muß. ist in großen Sorgen. Gestern ist der Pristaw des hohen Hauses bei ihm gewesen und bat ihm berichtet, „daß der Potolok aufs neue wackele". Lo ein Potolok läßt nicht mit sich spaßen; das hat er bereits allen Ernstes bewiesen, damals, als er in frühester Morgenstunde hernieder stürzte und gegen allen Respekt die Bänke der geehrten Abgeordneten mit Sctmtr und Holzabfällen bedeckte. „Hoben Sie es sicher bemerkt, daß er wackelt? Oder glaubten Sie vielleicht nur, es annebmen zu dürfen, etiva deshalb, weil es in rustischen Tienskgebäuoen öfters wackelt? Ich bitte um Aufrichtigkeit, Herr Pristaw." Ter Pristaw hcbi beide Arme gen Himmel, als wolle er rechts und links schwören. „Wie können Exzellenz nur glauben! Gesehen hab ich's und gebärt. Wie eine Welle ging es über die geehrte Decke im Katha- rineniaal. lind nun zieht sich ein fingerdicker Spalt von der einen Seite bis zur andern." Der Präsident starrt durch die Scheiben seines Arbeitslabinetts. „Warum ließ Golowin ihn auch reparieren. Wenn bei uns etwas re pariert wird, so wird es immer schlechter", murmelt er vor sich hin. lind lauter lügt er hinzu: „Wir werden iotgeichlagen werden, bevor wir die erhöhten Diäten bekommen haben. Tann läßt der liebenswürdige Verkehrsminister uniere sterblichen Neberreste per Exlrazug in die Heimat befördern." Der Pristaw macht „Oh", als gäbe es für ihn nichts Kostbareres, als io ein Teputiertenlebcn. Bei sich ober denkt er: „Schade war S gerade nicht, namentlich nicht um diese Kadetten, die ihre Nase in alles stecken." Schließlich sagt Chomjakow: „Hören Sie, Pristaw. Das geht nicht so weiter. Ter Potolok darf nicht mehr wackeln. Jedesmal, wenn er wackelt, kommt die vorlaute Presse und schreibt, daß die Duma wie derum wackele. Es gibt Vergleiche, die mir auf die Nerven gehen. Ich will nicht, daß die Telegraphen-Agentur aus unserem Fell Riemen schneidet." Der Pristaw kaut an seinem herabhängenden Schnurrbart. Offen bar überlegt er, was zu tun sei. Indessen setzt Chomjakow seine Re flexionen fort: „Wer garantiert mir dafür, daß diese verdammte Decke nicht gerade w ä h r e n d einer Sitzung uns aus die Köpfe fällt? Dann kommt natürlich die Regierung und streicht uns die Diäten für diese Sitzung, weil wir nicht brav gearbeitet haben. Jetzt, wo die Fleischpreise so hoch sind! Denken Sie nach, Herr Pristaw, und finden Sie etwas." „Wie wäre es denn. Euer Exzellenz", fragt der Pristaw» „wenn man die Regierung bäte, der Duma ein — neues Haus zu bauen?" Als habe ihm eine Biene zwischen Rücken und Beine gestochen springt Chomjakow in die Höhe. „Sind Sie verrückt geworden, Pristaw? Ein Parlamentsgebäude! Wer soll denn das befahlen?" p,,Es könnte ja aus Holz iein", wendet der erschreckte Pristaw be scheiden ein. „Vielleicht wäre der Direktor von „Royal Vio" — Sie wissen, Exzellenz, das Kinematograpbentheater aus dem Marsfelde — bereit, seine Bretterbude der Duma für ihre Sitzungen zu überlassen? Ich glaube, der Reichsrat würde dazu seine hohe Zustimmung geben; wenn man ihm die Bitte in geeigneter Form vortrüge natürlich", beeilt er sich hinzuzufügen. „Royal Vio? Hm! Das ließe sich überdenken. Sie 1>abcn manch mal ganz gescheite Ideen, Pristaw. Wirklich, gar nicht so übel, dieie Kombination", lobt Chomjakow. Durch die Anerkennung ermuntert, fährt der Pristaw fort: „Viel, leicht wäre es angängig, in geeigneten Momenten während der Sitzungen kinematographische Bilder vorzusühren? Zum Beispiel: Purysckke- witsch will Miljukow einen Kronleuchter an den Kopf Wersen. Die Situation ist äußerst kritisch, denn so ein Kronleuchter ist teuer. Da — plötzlich beginnt der Kinematograph zu arbeiten. Die Leinwand zeigt den „Glöckner von Notre-Damc" wie er in Nächstenliebe und Seelengröße schwimmt. Puryschkewitsch zaudert. Die Hand, in der der abgebrochene Arm des Kronleuchters ruht, sinkt herab. Tränen stürzen ibm aus den Augen. Und mit den Worten: „Ich will dein Freund und Bruder sein und schlag' dir nicht den Schädel ein!" stürzt er sich in die wcitgeöfsneten Arme des KadettenbäuptlingS. Friede» Freundschaft, Sakusta im Büsettzimmer, Brüderschaft." Die Augen des Pristaws leuchten. Ans Chomjakows rechtem Auge fällt eine De- vutiertenträne. Historischer Augenblick. „Oder aber", phantasiert der Pristaw weiter, „oder aber es gibt eine neue Flottenvorlage. Maklakow steigt aufs Katheder und ist im besten Zuge, das Tichusimaregister anszurollen. Da beginnt der Kine matograph zu arbeiten. Man siebt eine Flottenrevue im Seekriege der Zukunft. Voran die bewimpelten Admiralichisse Rußlands, Frankreichs und Englands. Hinter ihnen die zerschossenen Panzer und Kreuzer Deutschlands. Die Musik spielt den „Einkreisungsmarsch". Tie Wir- kung aus die Duma-Abgeordneten ist elementar. Alle erheben sich w,e ein Mann. Puryschkewitsch legt auf die Pulte der TrudowiN und oec Sozialdemokraten die russilche Trikolore. Maklakow proponierl oer Duma ein Begrüßungstelegramm an Admiral Boström, das die in- ständige Bitte enthält, ja nichts am bisherigen Marineprogramm zu ändern und von Reformen nach Möglichkeit abzusehen. Unter den Klängen des Walzers „Neber den Wellen" tänzeln die gerührten De putierten an die Kasse, um eine Gratifikation entgegenzunchmen, die ihnen die Regierung in Anbetracht ihres pflichtbewußten Benehmens in Gnaden bewilligt hat. Jeder Tevutierte erhält außerdem als lymdoli- sches Andenken einen wasserdichten Regenmantel und ein Paar Galoschen." In Chomjakow wogen die Gefühle wild durcheinander. „Schade", io denkt er, „daß meine Deputierten schon abgereist sind. Ich hätte die Frage fönst unbedingt als dringlich zur Tiskuision gestellt. Wer weig, ob Royal Vio bis zum Herbst seine Bretterbude nicht schon abgerissen „Was soll mit dem Potolok geschehen, Exzellenz?" wagt der Pristaw deniütig zu fragen. „Lasten sie ihn mit Kommissionsprotokollen verkleben. So haben diese Dinger wenigstens einen Zweck." „Zu Befehl, Exzellenz!" Ballons. Wenn Fremde nach Cayenne kommen, in Frankreichs Kolonie, wo der Pfester wächst, dann warnt man sie: vor gelbem Fieber. Wenn Fremde letzt nach Deutschland kommen, wo die Linde blüht und kein Pfeffer wächst, muß man sie gleichfall warnen: vor dem Äallonfieber. Zeppelin steigt. Zeppelin steigt nicht. Zeppelin wird doch steigen. Die Schraube am vorderen Motor ist kaput. Man wird bis morgen eine neue be'chassen. Zeppelin steigt heute abend um sieben. In Italien wird auch ein Ballon losgelassen. Neber Berlin kreuzt das Militar- lnstschifs. Von der „Patrie" hört mar gar nichts mehr. Der arme Graf Zeppelin: jetzt ist das Höhensteuer wieder kaput! Ob er in vier- zehn Togen steigen wird . . . Ballonfieber. Und die friedfertigsten Menschen werden die waghalsigsten Phan tasten. Noch ist die absolute Lchung des lenkbaren Ballons^nicht er wiesen, aber sic haben alle den ersten Ballon, dem man mit Schrauben und Steuern den Wolkenwcg vorickreiben wird, längst in Verkehr ge setzt, haben schon ein zweites, ein drittes System, verachten schon das eine ob geringerer Qualitäten und ziehen das andere bei weitem vor: ganze Lustschstflottillen haben sie schon, über deren Verwendung sie grübeln. Und sie kommen nicht so leicht mehr in Verlegenheit. Erstens wird man eine direkte Luftichiffverbindung von Brüssel noch Rom be werkstelligen. Gleich darauf wird die Linie Rom—Wien eröffnet wer den. Und dos wEd praktisch sein: man muß sich in der Eisenbahn nicht mehr in verrauchte Coupös setzen oder in enge Nichtraucherwagen, wo die BabyS schreien, die man einfach über Bord wirst, wenn sie ein jo modernes Vehikel, wie ein Lustautomobil, durch albernes Geschrei zu be leidigen versuchen; man muß keine Umweackmehr machen, die über zelt- raubende Berge führen, und durch keine Tunnels mehr, die einstürzen können, indes einem weiter nichts passiert, wenn man per Lustschwimm- qürtcl im Falle einer Luftbahnbetriebsstörung gelosten' zu diesem schäbigen Erdplaneten für eine Weile wieder herunter muß. Man wird endlich alle Ziele bei gleichmäßigem Fortschritt der Luftsmifstechnik mit rasenden Geschwindigkeit erreichen und in zehn Jahren schon m Leip zig bei der Abreise das Frühstück, das Diner auf dem Brenner,nehmen, nachmittags sich ein wenig an Monte Carlos Rouletten vergnügen und noch nachts sehr frisch sein, wenn man wieder in Leipzig ins Zimmer der Gattin durchs Fenster steigt. Und man wird schwebende Bahn stationen, fliegende Bahnwächter und freischaukelnde Signale haben, Luftschnellzüge und Personenzüge, Luftrundreiiebilletts und Lustlast trains. Das alles wird eine Segnung im friedlichen Verkehr der Völ ker sein, sie alle werden — wenn man einigen Romanschriftstellern glauben darf, die mit dem Vorrecht des Poeten noch vor Zeppelin lenk bar durch die Luft kutschierten — auf ihren Vergnügungsreisen nach grübeln, wie sie sich gegenseitig am besten in der Luft ober durch die Luft totschlagen. Tic Zukunft des Krieges liegt in der Luft. Es wird keine Phrole sein, daß etwas in der Lust liegt, und man wird Las bekannte Wort vom Guten dahin aoändern müssen, daß alles Unheil von oben kommt. Jetzt sind die Tage nicht mehr fern, daß wirklich Herr Wal- demar Quint, der Held aus Ewald Seeligers neuem Roman „Der Schrecken der Völker , mit seinem blauen Luftschiffgeschwadcr über den englischen Flotten erscheint und die schönen, teuren Kriegsschiffe eins nach dem andern von oben in die Tiefsee spediert. Er wird sich dazu keine Kanonen mehr mitnehmen müssen,, denn im Zeitalter der Lust muß alles leicht und luftig sein, und so werden ihm die kleinen, ver- beerenden Kügelchen schon genügen, die sein Dichter ihn erfinden laßt, Kügelchen, die in der Sekunde ganze Basaltselsen sozusagen auseinander reißen und von denen man, weil sic klein sind, ja Vorrat genug in einen Ballon packen kann, um die Erde damit zu spalten. Das Reich der un begrenzten Möglichkeiten wird jetzt nicht mehr Amerika sein, dieses Reich ist jetzt die Luft, und der jeelige Jules Verne wird sich noch im Grabe einmal umdrehen und vor Wut selbst in die Luft gehen, wenn er sein armseliges Pbantasiegcschwätz gegen die Epopöen hält, die er ichreiben könnte, wenn er fetzt noch lebte. Es wird ein famoses Zeitalter sein, in dem man die verschiedensten Dinge wirklich wird im Fluge er wischen können, und die Lusoschlösser werden keine Sache mehr sein, die man belächelt, man wird sie wirklich bauen können, man baut sie viel leicht schon jetzt . . . Und «an könnte noch vieles anführen, das die neue Zeit verändern wird. Selbst die Sprache wird sich einige Korrekturen gefallen lassen müssen. Wie die Bezeichnung Luftschloß dann ihren Sinn verloren bat, io wird man auch niemand mehr, wenn man ihm schmeicheln will, wie bisher sagen dürfen: „Mein Herr, Sie sind mir Lust." Man wird sich auf ein anderes Gas besinnen müssen und vielleicht moderner jagen: „Mein Herr^ Sie sind mir Knallgas oder Schwefelwasserstoff!" Man wird sich auf ein anderes Gas besinnen müssen, das weniger respektabel ist. Man wird auch nicht mehr fordern dürfen, daß einer, der sich nickt anständig benimmt, ohne weiteres an die Lust gesetzt werde. Man wird ihn wieder an die Erde setzen müssen. Und kann sogar sein, daß er darüber wieder zu Verstand kommt. Die meisten freilich haben ihn zurzeit verloren. Ballonfieber. ES zeppelint. Was Zeppelin schafft, ist fast nicht wissenschaftliche Arbeit, es ist ihnen ein Sport, ein Gefellfchastslbema, die Sensation. Zeppelin steigt. Zeppelin steigt nickt. Zeppelin wird doch steigen. . . . Am Bodensee prüft einer, ob endlich durch Mißtrauen, Gleichgültigkeit er schwerte Arbeit Früchte bat: dazu ein Weltspektakel, der dem Tapferen die Ohren vvllbeult, daß er kaum hören kann. Man reist letzt nicht nach Ostende, man fährt jetzt an den Bodensee. Presse und amtliche Berichte genügen nicht: man muß dabei gewesen sein und man wird klatschen, Hurra schreien, wenn Zeppelin zurückkommt. Dann wäre das Theater, wäre die Premiere aus. Da freilich jetzt die Vorstellung unterblieb, sind alle wütend, die Billetts bezahlten. Fast wird man skeptisch gegen den Mann, — weil man umionst Billetts bezahlte. Es ist eines Er finders Pflicht, in zwei Stunden als erster Generalprobe eines Lebens Schaffen definitiv darzuleacn: wozu fuhr man sonst an den Bodenice... Graf Zeppelin selbst hat jetzt aber genug. So wenigstens scheint s. Er bot nach rechts und links verlauten lassen, daß er nächstens, wenn er wieder einmal „steigen" wird, nicht gestört sein will. Man wird eben nicht wissen, wann er steigt. Und das ist hübsch: er selbst, der Neuerer, der in dielen Tagen vielbesungene, vielbesprochene, rnelsezierte Er- schlicßer neuer Zonen, ist in einem Sinne vorläufig doch nach beim alten Prinzip geblieben: er hat die Snobs an die Lust gesetzt.
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