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44. 1872. für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Aintsölatt für das Königliche GerLchtsamt Wilsdruff und den Gtadtrath daselbst. Freitag den 7. Juni Die Arbeitseinstellungen. Die deutsche allgem. Ztg. bringt nach einer Norddeutschen Zeitung folgenden interessanten Artikel: Aehnlich dein Kriege, bei welchem der Nationalwohlstand nicht bloS durch Zerstörung, sondern durch Sistirung der wirthschaftlichcn producirenden Thätigkeit beein trächtigt wird, wirken die Arbeitseinstellungen. Wenn 1000 Arbeiter aushören zu arbeiten, so werden nicht blos viel Tauschwerthe weniger producirt, es fällt auch sofort der Lohnsatz von täglich 500 Thlrn., oder, wenn es gelernte Arbeiter sind, von 1000 und mehr Thalern täglich aus, und dies vernrsacht eine mehr oder weniger empfindliche Störung im ganzen wirthschaftlichen Organismus. Wohl zu über legen ist cs deshalb, ehe zu solcher äußersten Maßregel, die wie der Krieg nur im zwingendsten Nothsalle gerechtfertigt erscheinen kann, geschritten wird, und eine schwere Verantwortlichkeit trifft diejenigen, feien sie Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, welche zu diesem äußersten Mittel greifen. Vielfach ist mit freventlichem Leichtsinne von Arbeitern zu dieser Maßregel geschritten worden; schwer gestraft, materiet und sittlich geschädigt sind sie aus dem Kampfe, aus der Periode des Feierns heimgekehrt; von Unterstützungen in der Zeit des Müßigganges leben müssen, das ist nicht die Art, wie man freie Bürger erzieht, die auf männliche Selbstständigkeit halten wollen. Wir haben der Coalitivnsfreiheit unsere volle Sympathie cntgegengetragen, wir möchten nicht wieder die beschränkenden Be stimmungen in Kraft treten fchcn, welche vor der deutschen Gewerbe ordnung galten, aber das hat sich gezeigt, daß die gegebene Freiheit arg gemigbraucht ist, daß die. „selbstständigen Arbeiter", welche auf ihre Freiheit gern pochen, vollkommen unfrei sind gegenüber gewissen Phrasen und Redensarten, hingeworfeu von unbekannten Obern oder professionsmäßigen Clubrednern. Der Unsinn des gleichen Lohnsatzes für gute und schlechte Arbeiter, die Anmaßung von Comitces, daß alle Arbeiter, nur mit ihrer Genehmigung, blos auf Grund eines von ihnen ertheillen Erlaubnißscheines, gleich wie früher die Polizei derartige Scheine oder Bücher auSfcrtigte, arbeiten dürfen, die hohe Besteuerung in der Form von Abzügen zu den Strikckassen, das wird, wir wissen cs, mit einer gewissen Beschämung gefühlt; aber cs wird still getragen; denn wer hätte Lust oder Courage, Opposition zu machen gegen Jemand, der im Namen menschlicher Freiheit spricht. Freiheit, Freiheit, wie viel ist in deinem Namen gesündigt, gebrannt und guillolinirt, und jetzt — gestriket worden! Der Mißbrauch, welchen die Arbeiter vielfach mit der Koalitions freiheit getrieben haben, hat zu Gegenmaßregeln Anlaß gegeben. Die Bauhandwerksmeister in Berlin haben sich, der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, zusammengethan, um ihrerseits den Be dingungen der Arbeiter Gegenbedingungen zu stellen, um dem Uebel stande vorznbeugen, daß erst einige Meister durch Arbeitseinstellungen zur Nachgiebigkeit gezwungen werden und dann die folgenden an die Reihe kommen, um auch ihrerseits nachgeben zu müssen. Es ist sicher eine große Calamität, wenn Tausende von Maurer- und Zimmergcscllen aus der Arbeit entlassen werden, aber wie der Ber liner sagt: „Karnikcl hat «»gefangen!" Die Gesellen haben sich solidarisch den Meistern gegenübcrgestellt, um höhere Lohnsätze zu er zielen; die Meister folgen dem Beispiele, und, was wohl zu beherzigen ist, 20 Meister können den Verlust, der ja unzweifelhaft für alle Theile vorlicgt, eher und länger ertragen als die zehn- und zwanzig- fache Zahl der Gesellen. In Hamburg stehen die Werste seit zwei Monaten leer, auf den Zimmerplätzen der nächsten Umgebung der Stadt ist die Arbeit eingestellt, die Schneiderwerkstätten sind ge schlossen, die Eisengießereien haben ihre Thätigkcit eingestellt, die Tischler und Anstreicher sind im Begriffe, dem von den Schneider- gesellen gegebenen Beispiel zu folgen und bis zur Bewilligung einer verkürzten Arbeitszeit die Arbeit niederzulegen. Aehnlich in Königs berg. Es sind das traurige Zustände, die epidemisch weiter nm sich greifen wie die Cholera uud Pocken. Absolute Gegenmittel giebt es nicht; zwar ermöglicht die deutsche Gewerbeordnung im ß 108 die Errichtung von Schiedsgerichten unter gleichmäßiger Heranziehung vo» Arbeitgebern und Arbeitnehmern; es ist aber von diesem Mittel, wirthschaftlichen Störungen, durch welche das Kapital nicht geleisteter Arbeit und nicht verdienten Arbeitslohnes vollkommen verloren geht, vorznbeugen, nur selten Gebrauch gemacht worden, und auch die ähnlichen, im Anslande hvchgepriesenen, Mnndella'schen Schöpfungen in Nothinqam werden in England weniger gepriesen und ihr Erfolg wird angezweifelt. Es geht eben mit solchen Krankheiten wie mit den Epidemien: Universalmittcl dagegen giebt es nicht und die eigentlichen Ursachen sind noch nicht ergründet, sowenig die Art des Entstehens als auch die Mittel der Heilung, wenn schöwQuacksalber aller Art die Materie erschöpft zu haben glauben. Friede ernährt, Unfriede verzehrt! — dieses gute alte deutsche Wort mögen alle wohl bedenken, ehe sic sich in einen Kampf cinlassen, aus welchem sie, wie das bei vielen Strikes beobachtet worden, materiell und sittlich geschädigt hervor- gchen. Auch mögen sie bedenken, daß sie allmählich aller und jeder Sympathie verlustig gehen. Wohl konnte man auf ihrer Seite stehen, wenn cs galt, mit Rücksicht auf veränderte Geldverhältnisse höher» Lohn zu erzielen; aber nun plötzlich dafür weniger arbeiten wollen, sich lieber dem Müßiggänge und dem Leben von Almosen hingeben wollen, statt in alter Weise frisch zu arbeiten, das ist ein Moment, bei dem es geboten ist, sich ernstlich die Frage vorzulegen: „Folge ich dem augenblicklichen Strome der Zeit lind verlange die Leistung für eine geringere Gegenleistung, unbekümmert, ob ich mein und der Meinigen Wohl auf das Spiel fetze?" Die ruhigere Ueberlegung wird sagen: „Folge deiner eigenen Uebcrzeugnng, vor welcher das Verlangen einer plötzlichen Abkürzung der Arbeitszeit nicht zu Recht bestehen kann!" Freiheit ist ein köstliches Gut, das aber gebraucht, nicht ge- mißbraucht werden will, sonst tritt das Wort des Mephistopheles ein: „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage." Bei der freien Association des Kapitals wie der der Arbeit sehen wir ein gleiches Uebertreiben; nicht immer waltet die Vernunft, weder bei der Gründung von Actiengcsellschaften noch bei der von Arbeitervercimgungen, und was zum Heile der Menschheit ausschlagcn soll, wird zur härtesten, zur empfindlichsten Plage. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 6. Juni 1872. Wie uns soeben mitgethcilt wird, ist heut früh in der 9. Stunde die dem Herrn Ortsrichter und Gutsbesitzer Lippert in Schmiede- Walde gehörige Wirthschaft niedergcbrannt, nur die dazu gehörige Scheune wurde vom Feuer verschont. Uebcr die Entstehung des Brandes verlautet noch nichts Bestimmtes. — Bei der gestern im Gasthofe zu Limbach stattgefundenen Wahl eines Mitgliedes zum Landeskulturrath für das Königreich Sachsen fielen und zwar in größter Mehrheit die Stimmen auf Herrn Gutsbesitzer Gustav Ranft in Schmiedewalde, der unter allen Anwesenden als eine passende in der Praxis bewährte Persön lichkeit bezeichnet wurde. Zu beklagen war es auch hier, daß so außerordentlich viele der Herren Landwirthe durch ihre Abwesenheit zu glänzen snchtcn, in einer Angelegenheit, wo es ganz in ihren Händen liegt, durch ihre Wahl sich einen Vertreter zu wählen, der ihre Interessen zu vertreten im Stande ist. Das Finanzministerium veröffentlicht untcrm 31. Mai folgende Bekanntmachung, Zahlung in Neichsg oldmünzen betreffend: Um den Zweifeln zu begegnen, welche bei einigen Kasscnstellen in Betreff der Annahme der in 20-Markstücken ausgeprägten Reichsgoldmünzcn vorgekommen sein sollen, werden die königlichen Kassenstellen auf die Bestimmung in Z 8 des Neichsgcsctzcs vom 4. Dec. v. I. (Neichsge- setzblatt 1871, S. 405) noch besonders zur Nachachtung aufmerksam gemacht. Danach können alle Zahlnngen, welche gesetzlich in Silbcr- münzen der Thalerwährung zu leisten sind, oder geleistet werden dürfen, in Reichsgoldmünzen dergestalt erfolgen, daß das I0-Markstück zum Werthe von 3V, Thlr., das 20-Markstttck zum Werthe von KV, Thlr. gerechnet wird. Die königlichen Kassenstellen sind daher zur Annahme von Zahlungen in Reichsgoldmünzcn zu den vorbcmerktcn festen Wertsten unbedingt verpflichtet, aber auch berechtigt, an jeder-