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Stollberg, 28 März. Heute am Gründonnerstag, mitten un- tcrm Gottesdienste, ertönte die Feuerglocke und das brachte vielfache Bewegung in der gefüllten Kirche hervor. Oberhalb der Stadt brannte die Glänzel'sche Wirthschaft mit drei Gebäuden im sogen, oberen Gurrenbache total nieder. Dieselbe wurde von 5 Familien bewohnt, von denen außer dein Besitzer alle Inwohner ohne Ver sicherung ihr Alles, 7 Webstühle cingeschlossen, verloren haben. Von den Inwohnern waren die Familienglieder einer Familie, von deren Angehörigen eins zum erstenmale communicirte, in der Kirche. Die größere Entfernung von den andern Häusern unseres Ortes ließ zwar eine Ausbreitung des Feuers nicht zu, mochte auch die Ursache sein, daß so wenig gerettet werden konnte. Unserer trefflich organisirten Feuerwehr blieb natürlich wenig zu thun übrig. Die Zeitungen reichen — etwas schüchtern — eine Verlobungs karte umher: König Ludwig — Prinzeß Marie. Die Prinzessin ist die Tochter des Prinzen Friedrich C»rl von Preußen und ge boren 1855. An den deutschen Liedcrcomponisten Franz Abt sind aus Amerika zwei ehrenvolle Einladungen ergangen, eine aus St. Lonis zum großen deutschen Sängerfest und eine von dem Germania- Männerchor in Baltimore, der ihm zu Ehren ein Abt-Conzert giebt. Der erfreute Componist hat beide Einladungen angenommen und wird im Mai abreisen. England. Durch schlagende Wetter wurden am 28. März in einer Kohlengrube bei Atherthon in Lancashire 28 Männer und Knaben gctödtct und 11 verletzt. Ein halb Jahrhundert, oder: Allstund aufrecht. Von Marie von Noskowska. (Fortsetzung,) „Gesühnt, getilgt, ja — denn mein Heinrich ist, ich darf es wohl sagen, ein vortrefflicher Mensch. „Aber in Vergessenheit begraben?" Er sprach abgebrochen und sein Auge nahm einen seltsamen Ausdruck an. „Der mütterliche Segen soll nicht fehlen." „Kremann, wir sind eigentlich noch Ihre Schuldner, haben Ihnen nie unsern Dank gebührend ausgesprochen, sagte der Stadt- rath. „Zuerst lehnten Sie ihn so schroff ab — später kam es in Vergessenheit." „Für die Aepfcl damals, Panl!" Sie nannte den Jugend freund zum ersten Mal wieder bei dem Vornamen uud bot ihm die Hand. „Dank — dafür?" Betreten schaute das Ehepaar ihn und daun einander an. Er preßte die Worte gleichsam hervor, seine Lippen bebten und tiefe Blässe bedeckte das runde, volle, sonst so blühende Gesicht. Der Blick wurde immer starrer. Sie hielten ihn für unwohl, fahen sich nach Hülfe um. Er sagte jedoch hastig: „Es ist schon vorüber — es war nur ein Schwindel", und ent fernte sich rasch. Andere Personen traten heran, nahmen besonders Frau Herwhn, die nicht oft hierher kam, in Anspruch. Ihr Gatte gesellte sich zu seinen Freunden — sie vergaßen daher den Vorfall bald. Kremann nickte im Vorübergehen seinem Sohn mit einem Läch eln zu, dessen Erzwungcnheit diesem nicht auffiel, das er nur herzlich erwiderte. Seiner Gattin aber sagte er leise und mit einer Entschiedenheit, wie er dieselbe nie gegen dieselbe herausgekehrt, da sie sonst ziemlich einig gewesen waren und er ihr in Kleinigkeiten ohne Widerede nach- gegebcn hatte: Hertha Herwhn wird und muß unsere Schwieger tochter werden. Verstehst Du, ich will eZ!" Sein Ton flößte ihr fast Schrecken ein. Als sie aufschaute, war er nicht mehr im Saale. Auch ihr ließ es keine Ruhe, sie be gab sich nach Hause, geradezu in das Zimmer ihres Mannes. Er stand am Wandschrank, in dem Anblick seines Inhaltes so vertieft, daß er ihr Kommen nicht wahrnahm. Uebcr seine Schulter blickend, erstarrte sie fast. Da waren Vor- rüthe verschiedener Art anfgehänft, Eier, ein Stück Butter, vornehm lich aber Aepfel und feines Weißbrod. Und obenauf lag das Huhn, das heute der Köchin aus der Küche abhanden gekommen war, um dessetwillen sie mit derselben einen heftigen Auftritt gehabt. Kein Fremder war im Hause gewesen, die Katze nicht in der Küche; diese konnte übrigens die schwere Henne nicht einmal fortschleppcn, was sollte man also zu dem spurlosen Verschwinden der Henne sagen? Und ihr Mann selber war der HauSdicb, über den die Köchin so ost geklagt hatte, weil ihr Manches unter den Händen verschwunden. E" betastete einige Papicrdüten. „So, da ist Zucker, Kaffee, Thee. Run fehlt aber eigentlich noch ein Huhn, aber ein lebendiges, wo könnte ich wohl Eins auftrciben? Und außerdem der Korb." „Mauu, was treibst Du — bist Du denn wirklich verrückt?" rief sie endlich. Er wandte sich zu ihr. „Gut, daß Du da bist, Emmeline. Ich muß eS Dir nur sagen, der Korb mit Lebensmitteln, den ich Euch brachte, worüber sich Deine Aelteru so freuten, daß sie in unsere Verbindung Willigkeit — er war für Herwyns bestimmt." „Für Herwyns! Welcher Korb denn? Ich weiß ja von nichts und begreife nicht —" „Wie, Du weißt nicht mehr, daß während des Waffenstillstandes, ä kurz vor der Uebergabe der Stadt auch Euch die Vorräthe ausgiugen augenblicklich nichts aufzutreibcn war, was Euch verwöhnten Glücks kindern mundete? Und daß ich das hörte und dann einen Korb mit guten Dingen brachte, von denen Euch namentlich die Hühner und die Aepfel lieb waren, so daß Dein Vater, der schon lange darnach Gelüsten trug, uns unsere Bitte nicht abschlagen konnte?/ „Jetzt erinnere ich mich. Aber das sind nun ja fast fünfzig Jahre her. In einem halben Jahrhundert vergißt man dergleichen." „Ein halb Jahrhundert!" Er strich mit der Hand über die Stirn. „Ja, ja, fo lange mag es her sein. Ich hatte es allmählich auch vergessen, ganz und gar, bis ich jetzt wieder daran erinnert wurde, und nicht wieder loskommen kann davon und sie mir Tag und Nacht vor Augen steht!" „Wer? Um des HimmelSwilleu, was siehst Du so seltsam da rein? Welche Bewandtniß hatte es mit jenen Lebensmitteln und was solls mit diesen?" „Ich spare sie zusammen, um sie Herwyns zu erstatten." Sie sank händeringend auf einen Stuhl. „Aber das ist ja Heller, wirklicher Wahnsinn. Besinne Dich, Paul, komme zu Dir, Dil mit Deinem klaren Verstände kannst doch nicht plötzlich zum Narren geworden sein. Gott, diese Schande!" Ihre Jammerlaute brachten ihn zum Bewußtsein zurück. „Ich glaube fast selber, daß ich närrisch bin, denn was nützen jetzt diese Lebensmittel? Sie ist todt — verschmachtet durch meine Schuld — die Andern haben, was sie brauchen, sind reich, auch herrscht keine Hungersnoth. Aber meine Gedanken gehen mit mir durch, wie scheue Rosse mit ihren Lenkern. Emmy, ich — ich glaube selber, ich bin wahnwitzig oder werde es doch mit der Zeit. Es peinigt mich zu sehr." Im tiefsten Seelenschmerz bedeckte er das Gesicht niit beiden Händen. Sie schauderte: „Was peinigt Dich? „Sieh, als ich damals — Du weißt, Deine Mutter hatte ge äußert, sie möchte gern einen Bratapfel essen, Dein Vater dagegen erklärte, er würde eine Hühnerbrühe vorziehen — als ich also aus der Wollwebergasse in die Langgasse einbiege, treffe ich auf einen stämmigen jungen Burschen, der einen Korb schleppt, so gefüllt, daß ihm einige Aepfel herunterfallcn. Während er sie aufhebt, frage ich: „Für Wen soll das sein?" und er antwortet ziemlich unwirsch: „Für Wen soll's sein — für Herwyns!" Ich dachte zuerst, ihm et was abzukaufen, begriff jetzt, daß das nicht anginge und hätte mich so gern bei Deinen Acltern in Gunst gesetzt. Herwyns haben viele Freunde in der Nachbarschaft — sic erhalten gewiß vieler solcker Sendungen, nun das Thor geöffnet wird, vermissen diese also nicht. Oder ich kaufe auch nächstens auf dem Markte, was in dem Korbe ist, schicke es ihnen hin, so daß sie imhts merken. Kurz, ich sage dem Burschen, daß ich zum Herwyn'schen Hause gehöre und den Korb mituehmen will. Er traute mir zuerst nicht; als ich aber auf gut Glück hinwcrfe, er sei von Herrn v. Rödenberg und wir erwar teten die Sachen schon mit Ungeduld, gab er mir den Korb und trollte sich, zufrieden mit dem reichlichen Trinkgeld und daß er nicht weiter gehen dürfe. Alles fügte sich nach Wunsch — ich schmiedete das warme Eisen und Deine Eltern sagten Dich mir zu. Da treffe ich meine Jugendgefahrlin aus dem Waisenhause. Selber entsetzlich abgezehrt, klagt sie nur, daß Frau Herwhn, schwer erkrankt, nach einem Apfel verlange und sie keinen auflreibcn könne. Bei Euch stehen Aepfel auf dem Tisch, dieselben, die ich nur unrechtmäßig an- gceignet chatte. Einen nach dem andern stecke ich unbemerkt in die Tasche, kann jedoch uicht früher fort, bis nach Mitternacht, denn es ist ja Sylvester. Herwyns Thür finde ich noch unverschlossen, höre ihn und Orthie reden, entnehme daraus, daß sie sich in größter Noth befinden durch das Ausbleiben dieser Sendung, sehe dann die kranke Frau — sterbend — durch mich! Die Labung kommt zu spät. Emmeline, kennst Du dieses Wort aus dem Munde einer Sterbenden, Verschmachtenden? „Allstund aufrecht!" ruft sie den Ihrigen zu. Es treibt mich fort, gellt mir furchtbar in den Ohren. Ich habe mich nicht allstund aufrecht erhalten, bin der Versuchung erlegen — zum Dieb, zum Mörder geworden." „Daß Du damals erschrackst, kann ich mw denken. Aber warum lässest Du die alte Geschichte nicht ruhen? Es kommt nichts davon heraus, und Du warst Doch sonst kein empfindsamer Träumer. In Zeiten, wie die damaligen, haben Manche noch ganz anderes gethan. Jeder ist sich selbst der Nächste, uud eine böse Absicht hattest Du nicht. Die Herwyn wäre ohnedies gestorben — wie viele Leute starben damals nicht? Die Aepfel nahmen ihr wenigstens nicht das Leben." „Doch mir die Ruhe der Seele, des Gewissens. Dieses schlum merte lange, ist nun aber um so lauter erwacht, als ich einst Her wyns Hausknecht auf derselben Stelle, mit demselben Korbe, in der selben Stellung, entfallene Aepfel auflescnd, treffe, dieselben Worte von ihm höre." „Und ein solcher Zufall macht einen angehenden Millionär fast närrisch, bringt einen anerkannt klugen Mann aus dem Häuschen. Es ist doch ein armselig Ding um Eure vielgepriesene Vernunft, Ihr Herren der Schöpfung!" (Forts. folgt.) Kircheunachrichten aus Wilsdruff. Sonntag den 7. April Vormittags S Uhr: Ordination, Einweisung und Antritts- Predigt des Herrn Diakonus C/tnitz. Nachmittags kein Gottesdienst.