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Stevmlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsämt Wilsdruff und deK Stadtrath örrselbst. T-' 27. Freitag den 5. April 1872. Etwas vom Hcirathcn und Nichtheirathen. Daß Hcirathcn gut, Nichtheirathen besser sei, daran erinnert be kanntlich schon der Apostel Paulus. Es ist das, die nöthige Be schränkung vorausgesetzt, gewißlich wahr. Wie Viele haben schon, als cs gehcirathct war, dem Apostel vollkommen bcigcstimmt in Be zug auf das Nichtheirathen. Vorher freilich haben sie sein Wort für Uebertreibung gehalten. Das Hcirathcn muß wohl gut sein, denn auf der reckten Ehe ruht ja die Wohlfahrt von Mann und Frau, die Wohlfahrt des Heranwachsenden Geschlechts, die Wohlfahrt eines Volkes. Es ist auch das Naturgemäße, daß der Jüngling sich mit der Zeit nach einer Lebensgefährtin umsteht, daß die Jungfrau wünscht, im Leben ein Mal nicht allein zu stehen, sondern an dem Mann einen sichern Halt und eine kräftige Stütze, einen freundlichen Leiter und Führer zu haben. Und doch können so viele nicht ehelich werden, weil die gegebenen Verhältnisse es einfach verbieten. Wie kann ein Mädchen heirathen, wenn es keinen Bräutigam findet? Und das ist ja das Auffällige, daß die Anzahl der heirathsfähigen und heirathslustigen Töchter die Zahl der heirathsfähigen und heiraths- lustigen Männer bei Weitem, schier ungeheuer übersteigt, wie die Statistik schlagend nachweist. Gar mancher Ehebund, der zu Stande gekommen wäre, bleibt nun auch ungeschlvssen infolge des letzten Krieges. Tausende von deutschen Jünglingen kehren nimmer heim aus dem fränkischen Land. Sie schlafen in ihren Heldenehren in fremder Erde, in unbekannten Gräbern. Andere, die wiedergekommcn, kamen so elend und ver stümmelt zurück, daß sie an's Heirathen, Gründen und Ernähren einer Familie nicht denken dürfen. Gar manche Jungfrau, die ohne diesen Krieg voraussichtlich Gattin, Mutter, eine Hausfrau geworden wäre, wird's infolge desselben nicht. Es ist das eine neue Aufforderung an unsere Heranwachsenden Töchter, sich zusammen zu nehmen, um durch eigene Kraft sich durch das Leben einmal hindurch zu bringen. Denn darin wird ja so viel versäumt, so viel gesündigt. Freilich wird Allerlei gern gelernt und geübt, aber gar oft so wenig Tüchtiges, Ernstes nnd Ersprießliches. In Berlin hat ein edler Menschenfreund cs unternommen, Frauen zu ihrem Fortkommen in der Welt behülflick zu sein. Bon 3000 Frauen, die sich während 4 Jahren an denselben wandten mit der Bitte um Versorgung und Arbeit, hat derselbe nur etwa 200 nützlich werden können. Man bedenke, nur etwa 7 "/g waren tüchtig, 93Po zu jeder ordentlichen Arbeit untauglich. Ist das nicht erschrecklich? Und die Folgen?! Brauchen wir uns da zu wundern über die schweren Klagen wegen der zunehmenden Unsittlichkcit in der neuen Kaiscrstadt! Was thut aber ein Mann mit einer Frau, die eigentlich doch bloß sich zu putzen und Gesellschaften zu besuchen versteht, die ui Küche und Keller fremd ist, die nichts „Gröberes" angreifen darf, UM sich die eleganten Kleider nicht zu ruiniren, die zarten Hände nicht zu verderben, die zu jeder dem Hauswesen förderlichen Arbeit kein Geschick, keine Lust, keine Kraft besitzt? Wie kanns da vorwärts gehen, ist der Mann auch noch so fleißig? Die Frau, die als Gräfin oder Edcldame vielleicht leidlich an ihrem Platze gewesen wäre, wird im Bürger- und Beamtenhause cjn ewiger Hemmschuh des Gedeihens, ja wohl geradezu zur zurückwärtswirkendcn Kraft. Das Volk nennt eine solche Frau eiu „Ding", sie wird nicht ein Mal für eine Person geachtet. Wehe dem Hause, wo die Frau diese Bezeichnung verdient! Aber wenn nun auch der Mann unbrauchbar, träge, ungeschickt, lie derlich — wenn er das ist, was das Volk wieder sehr bezeichnend einen „Dingerich" oder einen Dingkerts nennt — was muß dann für eine Ehe herausspringen, was da für ein Hauswesen sich ge- gestalten? ' Daß Gott erbarm! Darum aufgeschauet ihr, die ihr ehelich werden wollt! Nicht das Geld thut's, wornach leider in unserer Zeit zuerst gefragt zu werden pflegt, fondern zunächst die Person. Die tüchtige Person bringt in ihrer Kraft und Geschicklichkeit, in ihrem Wissen und Kön nen, in ihrem „Abeit gelernt haben" ein ganz vorzüglich rcutircndes Capital mit in den Ehestand. Aber auch nicht verzagt und nicht bitter ihr, die ihr nicht hci rathen könnt, habt ihr euch nur eifrig ungeeignet, was euch durch's Leben ehrenvoll hindurch bringen kann. Es ist nicht immer Glück im Ehestand. Gewiß: Heirathen ist gut, aber das Nichtheirathen unter Umständen tausendmal bessert (Hildbh. Drfztg.) Tagesgeschichte. Die hohe Politik hat auch Feiertage gehalten und die Zeitungen können heute nur die Nachlese von den Tagen vor den Feiertagen halten. Die Stille hat den hohen und höchsten Mit arbeitern und auch den Setzern, Druckern und Zeitungsschreibern so wohl gethan, daß sie heute desto munterer wieder an die Arbeit gehen. <^ie werden Arbeit vollauf bekommen; denn das Wetter ist so frurchtbar, daß es viele Keime im Stillen treibt und zeitigt. Nach dem „Dresdner Journal" betrug die Bevölkerung des Königreichs Sachsen, bei der Volkszählung vom I. Dccember v. I. 2,554,000 Köpfe, gegen 2,426,300 bei der Zählung vom 3. Dccember 1867, ist also in 4 Jahren um 127,700 gestiegen. Die Tischlergchilfen Dresdens und der umliegenden Dörfer haben die Arbeit eingestellt. Die Forderung der Gehilfen besteht in einer Erhöhung des Lohnes um 25 pCt., während die Principale nur eine solche um 15 pCt. zugestehen zu können glauben; besonders mit Rücksicht darauf, daß während der letzten 5 Jahre eine Lohner« Höhung um 30 PCt. bereits stattgefunden hat. Außerdem verlangen die Gehilfen die 10stündige Arbeitszeit mit Einschluß der halbstündi gen Frühstücks- und Vesperzeit, während die Prinzipale mit Ein schluß dieser freien Zeit auf 11 Stunden täglicher Arbeitszeit bestehen. Ein weiterer Differenzpunkt ist die Haltung von Arbeitskarten, welche die Arbeitgeber fordern, die aber von den Arbeitern abgclchnt wer den. Auch sträuben sich die Arbeiter gegen eine Werkstattordnung. Der „Dresdner Volksbote" bringt folgenden Beitrag zur dor tigen Wohnungsnoth: Ein auf dem Gesundbrunnen wohnhafter Schneidermeister B., dem es nicht gelungen ist, zum Quartal eine Wohnung zu bekommen, befestigte dieser Tage folgendes Plakat an seine Fenster: „Ich werde mit Frau und Kindern obdachlos, wenn sich nicht in letzter Stunde noch ein menschenfreundlicher Wirth fin det, der mich mit meiner Familie in seinem Hause aufnimmt. Ich will pränumcrando Miethe zahlen und meinem neuen Wirth einen neuen Anzug unentgeldlich machen." — V. hat diesen Schmerzens schrei auch in Blättern inscriren lassen, bis zur Stunde jedoch noch keinen Wirth. Leipzig, 28. März. Es hat sich heute am hiesigen Platze ein neues großes Fiuanzinstitut unter der Firma „Leipziger Discontoge- scllschast" constituirt; dasselbe wird mit einem Capital von 15 Mill. Thlr. arbeiten, wovon die erste Serie von 8 Millionen Thlr. von einem Consortium österreichischer und deutscher Banken und Capita- liste» übernommen wurde. In das NeichsoberhandelSgericht in Leipzig ist ein Hahn ge kommen, der Professor und Oberappellrath v. Hahn in Jena, — ein Hahn zu andern Hähnen, sagen die Collegcm Am 31. März Abends vergnügten sich in einer in Eutritzsch bei Leipzig gelegenen Restauration mehrere Leipziger Gewerbetreibende beim Kartenspiel. Plötzlich lief einer der Bethciligten aus der Stube hinaus in den Garten und fing, jedenfalls in Folge einer eingetre- tencn Geistesstörung, an, sich seiner Kleidungsstücke zn entledigen. Einem seiner Freunde, der ihm nachgecilt war, gelang cs, den Auf geregten zu beruhigen und zu veranlassen, mit ihm gemeinschaftlich in einer Droschke nach Leipzig zurückzufahren. Unterwegs stellte sich jedoch bei dem Kranken erneute Geistesstörung ein, er sprang aus dem Wagen, entledigte sich abermals seiner Kleidung und ver setzte seinem Freunde, der ihn wieder zu beruhigen versuchte, mehrere Messerstiche. Anderen inzwischen herzugekommenen Personen gelang es endlich, den Rasenden zu bewältigen und mittelst Droschke nach dem Stadlkrankcuhause zu befördern. Leider sollen die Verletzungen, welche der Kranke seinem Freunde zugefügt hat, so erheblich sein, daß der Letztere durch eine zweite Droschke ebenfalls ins Krankenhaus gebracht werden mußte.