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Wochenblatt Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 41. Freitag dm 27. War 187Ü. Tagesgeschichte. Wilsdruff, den 26. Mai 1870. Ein herrlicher Morgengesang der „Liedertafel" verkündete uns gestern , daß abermals einem seiner Mitglieder ein außer gewöhnlicher Festtag angebrochen sein müsse; und dem war auch so. Einer unserer geachtetsten Mitbürger, der Herr Leimfabrikant Krippenstapel und dessen Gattin feierten ihre silberne Hochzeit. Wie wir hören, find dem achtbaren Jubel paare während des ganzen Tages von Seiten Verwandter und Freunde vielfache Beweise der Liebe und Achtung gezollt worden. Wir schließen uns nachträglich (da wir vorher nichts davon wußten) diesen an, mit dem herzlichen Wunsche: daß dem werthen Jubelpaare inmitten Ihrer Familie dereinst der goldne Hochzeits morgen wirklich golden heraufsteigen möge. Die diesjährigen Wollmärkte in Sachsen fallen: in Neichen bach auf den 7. Jani, in Bantzen ans den 10. Juni, in Dresden auf den 11. Juni und in Leipzig auf deu 13. und 14. Juni. Das „Dr. I." schreibt: In der am 30. März 1868 publicirten Kirchenvorstands- und.Synodalordnung hat das Kirchenregiment der evangelisch-lutherischen Kirche die Zusage gegeben, aller fünf Jahre, da nöthig auch in kürzeren Zeiträumen, zur Vertretung der Gesammt- heit der Kirchengemeindcu und Berathung über die Bedürfnisse der Landeskirche eine Synode berufen zu wollen. Die ziemlich umfäng lichen Vorarbeiten für die Einberufung der ersten sächsischen Landes- synodc waren seitens des Kirchcnrcgiments bereis im Jahre 1868 in Angriff genommen worden, mußten jedoch während des letzten Land tags ruhen. Gegenwärtig sind jedoch, wie wir aus guter Quelle hören, diese Vorarbeiten, die sogleich nach Beendigung des Landtags wieder ausgenommen wurden, soweit gediehen, daß die Einberufung der ersten Synode für nächsten Herbst mit Sicherheit erwartet wer den darf. Dresden. Bei der Rückkehr in sein, in der Pirnaischen Vor stadt gelegenes Geschäftslokal fand am 23. Mai in der 7. Stunde ein Barbicrstubeninhaber einen seiner Gehülfen, einen geborenen Dresdner, an einem zusammengedrehten Handtuch an der Wand hängen. Er befreite ihn sogleich von der gefährlichen Schlinge und brachte ihn durch energische Rettungsversuche bald wieder zum Be- wußlseiu. Dresden wird immer mehr Weltstadt und steht bald Berlin besonders in Reklame machen nicht nach. Am 24. Mai cngagirte z. B. eine dasige Firma (Schiffner im Lhaisenhaus) 2 Dienstmänner, welche ihre Dienstmützen absetzten und dafür jeder einen großen ame rikanischen Niesenstrohhut auf ihr „thcurcs Haupt" bekamen, um nun damit auf den Straßen herum zu spazieren. Der Hnt des Einen war mit rothem, der des Andern mit gelbem Bande verziert, auch war auf jedem eine Etikette angebracht: „ä Stück 5 Sgr." Professor Semper in Zürich soll, nachdem seine Entwürfe zu dem neuen Hofthcater in Dresden die Genehmigung erhalten ha ben und ihm die Oberleitung des Baues definitiv übertragen worden ist, mehr und mehr geneigt sein, von der Professur am Schweizeri schen Polytechnikum zurückzutretcn und nach Dresden überzusiedeln. Der „F. A." berichtet aus Freiberg: Am 20. Mai unternahm die 4. Eompagnie des hiesigen Jägerbataillons einen Uebungsmarsch nach Oederan und kehrte gegen 1 Uhr hierher zurück. Den Tour nister gehörig gepackt, rückte diese Compagnie aus; es war ein heißer Tag und die Straße war staubig, der Weg war lang und der Tournister drückend. Auf dem Rückwege in Kleinschönberg wieder angekommen, vermochten Mehrere sich kaum noch fortzuscblcppen. Einer besonders, der Sohn des Tuchmachers Löffler in Lengefeld, fühlte sich zum Tode ermüdet; „doch fort muß er wieder, muß wei ter fort ziehn!" Er vollbringts, schleppt seine Last in sein Quartier; es war sein letzter Gang, dort eingetroffen, sinkt er nieder, und liegt jetzt, erlöst, im Grabe, während ein andrer seiner Kameraden den Sonnenstich hat. Leipzig, 23. Mai. Im Laufe der beendeten Ostermesse sind beim Fremdcnbureau des Polizeiamts 25018 Anmeldescheine ausge stellt worden, 2059 Anmeldungen und 708 Scheine mehr als in vorjähriger Ostermesse. In Folge des traurigen Selbstmordes eines Soldaten in Oels- nitz im Voigtlande wurde auch gegen den Leutenant H., Sohn eines Leipziger Barbiers, das kriegsgerichtliche Verfahren eingelcitet, weil derselbe den Sergeant Weber zu der Mißhandlung des unglücklichen Soldat Rache veranlaßt haben sollte. Der Leutenant ist für schul dig befunden und mit IV2 Jahr Festungsstrafe belegt worden. Plauen, 19. Mai. Gestern brach in Altensalz auf bis jetzt noch nicht ermittelte Weise Feuer aus, welches 5 Wohnhäuser, 2 Scheu nen und 1 Schuppen verzehrte und wobei auch einige Stück Vieh mit verbrannten. Wie die „K. Z." aus guter Quelle von Berlin hört, stehen im Bereiche der Postverwaltung mannigfache Veränderungen auch Betreffs der Leistungen der einzelnen Beamtcn-Kategorien in Aussicht. Auch sollen die Beamten von dem Zwange des Uniformtragens befreit werden, was von den cxpedirenden Beamten gewiß mit Dank ausge nommen werden wird, zumal der eben nicht wohlfeile Uniformrock wohl jährlich zu erneuern ist. In Belgien, Holland, Frankreich, England und Oesterreich tragen, außer den Briefträgern, die Post beamten auch keine Uniform, ohne daß der Dienstbetrieb darunter litte. In Preußen waren bis 1849 nur die unmittelbar mit dem Publikum als ausgebende oder annehmendc verkehrende Beamten uniformirt und aus dieser Zeit erst datirl der allgemeine Uniform zwang. Auf eine andere, tiefer greifende Erleichterung der Postbe amten wird aber weiterem Vernehmen nach gesonnen, und es ist nur die Frage, ob und wie die Absicht auszuführen ist, den Postbeamten, nach einer gewissen Reihenfolge, Erholungsferien in den Sommer monaten zu gönnen. In vielen Ländern und Landtagen steht die Abschaffung der Todesstrafe auf der Tagesordnung. Es handelt sich in der Haupt sache um das Princip, in der Praxis ist die Todesstrafe in der jüng sten Zeit selten geworden; sie wurde sogar in solchen Fällen nicht vollzogen, wo der Mörder mehrere Personen oder sogar Verwandte umgebracht hatte und zum Tode verurtheilt worden war. Im bay rischen Landtage wurde nach mehrtägigen Verhandlungen, in welchen namentlich den Theologen scharf zu Leibe gegangen wurde, welche sich auf den Spruch des Alten Testamentes beriefen: Wer Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden, der Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe mit 76 gegen 67 Stimmen abgclehnt. Der Justiz minister erklärte die Abschaffung für eine Cultur- und Zeitfrage. Der in letzter Zeit viel genannte Staatsanwalt Wülfert stritt u. a. mit Beispielen aus der Praxis gegen die Todesstrafe. „Angenommen, ein Mensch mordet einen hartherzigen Wucherer, welcher ihn und seine Familie planmäßig ins Verderben gebracht hat und in seinem Elend noch verhöhnt wird, er wird zum Tode verurtheilt. Hätte er das Kind seines Feindes in der scheußlichsten Weise verstümmelt und für Zeit seines Lebens unglücklich gemacht, wäre er demnach noch grausamer gewesen, so könnte er höchstens mit 16 Jahre Zuchthaus bestraft werden. Das ist menschliche Gerechtigkeit, vernünftig ist es nicht." — „Ein Mann mordet, bemächtigt sich des Vermögens seines Opfers, bleibt uncntdcckt, ist durch sein Verbrechen reich geworden, lebt herrlich und in Freuden. Nach 21 Jahren kommt sein Verbre chen auf, aber er lacht dazu; dcnu nach 20 Jahren war ja Ver jährung eingetretcn. Der Andere, ein sittlich viel höher Stehender, fühlt Reue, zeigt sich selber an und wird enthauptet.. Wollen Sie nun das Princip der Verjährung streichen? Nein, es ist ein billiges, wvhlthätigcs, gerechtes, die Zeit gleicht vieles aus, aber die Todes strafe streichen Sie; wenn 20 Jahre ein Missethat löschen, so löscht sie eine 20jährigc Zuchthausstrafe auch." Berlin, 23. Mai. Dem „Dr. I." meldet man vom Reichstag: Bei der dritten Lesung des Strafgesetzbnchentwurfes beantragte Kar- dorff folgendes: § 78 lautet: Der Mordversuch gegen das Bundes oberhaupt oder einen Souverain wird als Hochvcrrath mit dem Tode bestraft. Graf Schwerin spricht für die Annahme des Antrages. Graf Bismarck bedauert, den wichtigen Verhandlungen der letzten Wochen fern geblieben zn sein, er bezieht sich aus Leonhardts Rede