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252 Alberne und so Niederträchtige geben, die zu ihm stehen. — Aber was mußte er erleben? Er hat uns bereits zu einem Siege verhalfen, zum schönsten, unzerstörbaren. Der Böse wollte Fluch bringen, und er brachte bereits Segen. Es giebt kein Norddculschland und Süd deutschland mehr, es giebt nur noch ein einiges Deutschland. Wir lassen uns nicht mehr zerreißen, damit wir in der Getrenntheit nichts sind und nichts gelten. Die Franzosen haben einen Tanz der Unsitt- lichkeit, sie nennen ihn Cancan, der Waffentanz, zu dem jetzt Napo leon ihnen aufspielt, ist der Kriegscancan. Was die Franzosen wollen? Raufen — in Eitelkeit ihre Kraft mit dem friedfertigen Nachbar messen — und Länderstrecken erobern, weil freiwillig Niemand Ver langen hat, an der französischen Herrlichkeit Theil zu nehmen. Was können die Franzosen auf ihre Kriegssahne als Spruch schreiben? Weiter nichts, als: wir wollen raufen und rauben! Was aber wollen wir Deutschen? Was können wir auf unsere Fahne schreiben? Das sittlich Reinste und Heiligste. Seit eineni Jahrhundert dauert der Kampf um die Gleichberechtigung der Menschen vor dem Gesetz. Un vergessen soll es bleiben — denn wir Deutschen sind gerecht auch gegen den heutigen Feind — daß die Franzosen Großes in diesem Kampfe geleistet. Die Gleichberechtigung vor dem Gesetz ist im We sentlichen errungen. Heute kämpft Deutschland um die Gleichbe rechtigung der Völker. Was wollen Vie Franzosen? Sie wollen den Vorrang, die Vormundschaft über die Völker, das sogenannte Ursstigs. Sie erfrechen sich dem Nachbarvolke zu sagen: Du darfst dich nicht wohl befinden, weil Ich mich auch nicht wohl befinde, du darfst deine Angelegenheiten nicht ordnen, wie es dir gut dünkt, du mußt die Suppe essen, wie Ich sie dir salze, und natürlich gehört vor Allem mir zuerst, was mir schmeckt — ich bin das auserwühlte Volk der Freiheit und Zivilisation. Diese Großmäuligkeit der Fran zosen, hinter der sich noch dazu die Länder-Raubsucht versteckt, muß den Schlag bekommen, den sie verdient. Das Blut, das nicht mehr als Schamröthe über die eigene Verkommenheit ins Gesicht steigen will, muß verspritzt werden, da keine Verständigung, kein Weg der Bildung helfen wollte. Unser deutscher Fahnenspruch heißt: Gleich berechtigung der Völker. Wir befreien uns und die Welt von der Anmaßung der Franzosen und befreien die Franzosen selbst von ihrer Anmaßung. Wir wissen, was wir wollen und dürfen es laut beken nen. Die Franzosen müssen sich etwas einreden und der Welt durch alle falschen Künste etwas einzureden suchen. — So gewiß es ist, daß die Wahrheit über die Lüge siegt, so gewiß ist der Sieg unser. Nordstetten, Juli 1870. Berthold Auerbach. (Berl. V.-Ztg.) Tagesgefchichte. Die „D. A. Z." schreibt: In so vernichtender Weise ist kaum je der frevelnde Hochmuth zum Falle gekommen, so rasch und so schla gend hat sich Ungerechtigkeit und Unredlichkeit selten an ihren Urhe bern gerächt, ein so furchtbares Gottesgericht ist selten über eine Nation und ihre Führer und Verführer gehalten worden als in die sem jetzigen von Frankreich, oder doch von dessen Kaiser mit Zulassung des Volks, muthwillig heraufbeschworenen Kriege! Im Feldzüge von 1866 hielt die österreichische Armee doch sieben Tage aus, bestand eine Reihe blutiger Gefechte und zuletzt die mörderische Schlacht von Königgrätz, wo der Sieg auf der Schneide eines Messers schwebte, ehe sie den fluchtartigen Rückzug nach Wien antrat: — die Armee Napoleons III., die so oft als unüberwindlich ausposaunte, von ganz Europa so lange gefürchtete Armee, die Siegerin von Sebastopol, Magenta und Solferino, sie wendet sich auf ihrer ganzen Linie zur Umkehr, nachdem sie kaum mit unsern Truppen Fühlung gewonnen und nur in zwei Gefechten standgehalten hat! Sollen wir darin nur die Ueberlegenheit unserer Waffen, unserer Krieger, unserer Feld herren über die des Gegners erkennen und verehren? Gern und freu dig thun wir dies. Aber es ist keine Beeinträchtigung dieses wohl verdienten Ruhmes unserer Heere, im Gcgentheil, es verleiht dem selben nur noch eine höhere Weihe,, wenn wir als wesentlich mit streitendes und mitsicgendes Element in diesem Kampfe neben dem physischen auch ein sittliches annehmen: das Bewußtsein aller unserer Krieger und jedes einzelnen unter ihnen von der zweifeltvsen Gerech tigkeit der Sache, für die sie kämpfen, und von der ebenso zweifel losen Eimnüthigkeit, womit hinter ihnen und in ihren eigenen Reihen das ganze deutsche Volk den Kampf mit besteht. Die Franzosen ha ben bei ihrem Abzüge aus Saarbrücken diese gänzlich offene, strate gisch in keiner Weise wichtige Stadt in Brand gesteckt. Schon vor her hatten -sie, ohne allen ersichtlichen Grund, wiederholt Granaten hineingeworfen! Sie chabeu sich dadurch als die würdigen Enkel jener Scharen ausgewiesen, die einst unter einem Melac sengend und bren nend, plündern und mordend die unglückliche Pfalz durchzogen. Sie haben gezeigt, was wir zu erwarten gehabt hätten, wenn es ihnen gelungen wäre, in Deutschland einzubrechen. Das ist ihnen nun glücklicherweise, hoffentlich für immer, versalzen! Statt daß sie in ihrer großmäuligen Weise sich rühmten, am 15. August den Geburts tag Les ersten Napoleon in Berlin zu feiern, mögen sie zusehen, ob nicht unsere Truppen bis dahin vor Paris stehen. Auch könnte es leicht geschehen , daß der Kaiser den Geburtstag seines Oheims schon nicht mehr als Kaiser, sonder« vom französischen Boden ausgetrieben aus fremder Erde feiern müßte. Das Gefecht voin 6. August bei Spichern unweit Saarbrücken hat größere Dimensionen und Resultate gehabt, als bisher bekannt gewesen ist. Das französische Corps des Generals Frossard ist in demselben fast gänzlich ausgelöst worden. Die Verluste desselben an Todten und Verwundeten sind außerordentlich bedeutend. Das Lager einer ganzen Division und bedeutende Magazine sind genommen wor den. Außerdem wurden eine sehr große Anzahl Gefangene einge- bracht, deren Zahl sich noch stündlich vermehrt. Bis jetzt zählt man bereits über 2000 Mann Gefangene. Aber auch der Verlust der preußischen Truppen ist sehr bedeutend. Preußische Patrouillen streifen bereits bis 2 Meilen vor Metz. Sonst ist am 9. August bis jetzt nichts von Belang gemeldet worden. Bei Forbach haben die preußischen Truppen dem Feinde einen vollständigen Brückcnlrain von etwa 40 Wagen abgenommen. Daß dies geschehen konnte, wird als ein Symptom sehr starker Demorali sation der französischen Armee angesehen. Der französische Verlust in der Schlacht bei Wörth belief sich auf wenigstens 5000 Tvdte und Verwundete, darunter viele Offiziere und 6000 Gefangene. Die Armee unter MacMahon floh unter Zu rücklassung der ganzen Bagage, vieler Geschütze und zweier Eisenbahn züge mit Proviant. Unsere verfolgende Cavallerie traf viele Tau sende Versprengte, welche die Waffen fortgeworfcn hatten. Unser Verlust ist zwischen 3000 bis 4000 Todte und Verwundete. (C. Z.) In Paris die furchtbarste Aufregung über den Sieg der Deutschen bei Weißenburg, alle Straßen von Menschen überfüllt, aller Verkehr gehemmt, großer Tumult. Die offiziellen Depeschen melden den Parisern, die Franzosen hätten einer Ungeheuern Ueber- macht weichend sich auf die Linie nach Bitsch zurückgezogen. Die Dreher'sche Brauerei „geschlossen bis zur Einnahme von Berlin", weil ein Commis gerufen haben soll: das (der Weißenburger Sieg) ist die Revanche für Saarbrücken! Man erwartet Napoleon in seiner empörten Hauptstadt. Welche Haltung die Kammern kinnehmen, ob sie die Absetzung des Kaisers und die Proklamation der Republik dccretircu werden, steht dahin; die Lage der kaiserlichen Familie ist jedenfalls eine äußerst kritische geworden, doch ist nicht außer Acht zu lassen, daß Frankreich in sei nen Niederlagen die Kraft zur Entfaltung eines aufflammenden Pa triotismus zu finden versucht nnd man sich auf einen Verzweiflungs kampf gefaßt machen kann. Paris, 8. Ang. Eine neue Proklamation der Minister ist so eben an den Straßen angeschlagen worden. Dieselbe besagt: „Jetzt, Franzosen, haben wir Euch die volle Wahrheit gesagt. Jetzt ist es an Euch, Eure Pflicht zu thun. Ein und derselbe Ruf möge von allen Franzosen von einem Ende Frankreichs zum andern tönen! Möge das ganze Volk sich erheben in Hingebung, um großen Kämpfen Stand zu halten. Einige unserer Regimenter sind unterlegen; die ganze Armee ist noch nickt besiegt. Derselbe Hauch der Unerschrocken heit beseelt sie noch immer. Setzen wir der jetzt von glücklichem Er folge begleiteten Kühnheit des Gegners Zähigkeit entgegen, welche die Geschicke beherrscht! Wie 1702, wie bei Sebastopol mögen jetzt unsere Niederlagen nur die Schule zum Siege sein! Es wäre ein Verbrechen, auch nur einen Augenblick an der Wohlfahrt des Vater landes zu verzweifeln, noch mehr, nicht zu derselben beizutragen. Bleibt aufrecht also! Aufrecht! Ihr Einwohner des Centrums, des Nordens und des Südens, auf denen nicht die Bürde des Krieges lastet, eilet mit Eimnüthigkeit und Elan den Brüdern im Osten zu Hilfe! Möge Frankreich, das iu den Erfolgen einig gewesen, noch einiger sein in Zeiten der Prüfung! Gott segne unsre Waffen!" Paris ist in Belagerungszustand erklärt worden. Die Kaiserin hat nachstehende Proklamation erlassen: Franzosen! Der Beginn des Krieges ist für uns ungünstig gewesen., Unsere Waffen haben eine Niederlage erlitten, seien wir fest gegenüber diesem Unfall, beeilen wir uns ihn gut zu machen, möge es unter uns nur eine Partei geben, der alle Franzosen angehören, nur eine Fahne, die unserer nationalen Ehre, möge voran wehen. Ich komme in Eure Mitte, treu meiner Mission, meiner Pflicht, werdet Ihr mich als die Erste bei jeder Gefahr sehen, wo es gilt die Fahne Frankreichs zu verthei- digen. Ich beschwöre alle guten Bürger die Ordnung aufrecht zu er hallen. Dieselbe jetzt stören, wäre nichts anderes als mit den Fein den zu conspiriren. Eugenie.— Das „JournalOfficiel"veröffent licht ein Decret, wodurch die Kammern zum 10. August einberufen werden. Ein weiteres Decret verfügt, daß alle kräftigen Bürger von 30 bis 40 Jahren in die Nationalgarde einzuziehen sind, ebenso sind alle jungen Manner unter 30 Jahren, sofern sie nicht bereits zur Mobilgardc gehören, iu die mobile Nationalgarde cinzurcihen. Die Nativnalgarde wird bei der Vertheidigung der Hauptstadt und Er bauung von Befestigungen zur Verwendung kommen. Paris, 9. August. In der heutigen ersten Sitzung des gesetz gebenden Körpers theilte Minister Ollivier mit, daß der Marschall Graf Palikao mit der Bildung eines neuen CabinetS beauftragt worden sei. Laut Mittheilungen dcr „Pallmall Gazette" aus Paris beab sichtigen die Orleanisten und Republikaner in den Kammern die Ein setzung einer provisorischen Negierung vorzuschlagen. Die Freunde des Kaisers sollen die Flucht der Kaiserin und des Thronerben vor- bereiten. Der „Soir" veröffentlicht nachstehenden Brief aus dem Lager von Chalons, vom Mittwoch, den 3. August: „Gestern, um 5 Uhr, große Revue der Mobilgarde vor dem Marschall Canrobert. Der Commandant des sechsten Corps hielt vor jeder Compagnie der beiden ersten Bataillone, und legte den Soldaten die Frage vor, ob sie mit Allem versorgt seien ? Bei der dritten Compagnie angekonunen, wurde er mit dein Geschrei empfangen: „Nach Paris", „nach Paris", welches von etwa dreißig Kehlen ausgestvßen wurde. „Ihr seid unwürdig des französischen Namens", schrie der Marschall zoruge- röthet. Die Offiziere stürzten sich auf die Meuterer, und es gelang ihnen bald, sie zu beruhigen. Einer derselben jedoch, Herr von Re- verso, wurde leicht am Kopfe verwundet. Die Nachricht von diesem Vorfall machte im Lager einen tiefen Eindruck. Die Unzufriedenen und die Chauvins vereinigten sich, um jede Solidarität mit den Meuterern zurückzuweisen. Unstreitig wirft die Thatsache der Ver-