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Tagesgeschichte. Nach einer neuerlichen Verordnung des kgl. Kriegsministeriums sind die den Ehefrauen und Kindern der zum Dienst einberufenen Reservisten und Landwehrleute bewilligten Unterstützungen nicht mehr, >vie zeilhcr, von den Bezirks-Steuer-Einnahmen, sondern vom 1. Januar au von den Stadtrüthen, bez. Gemeindevorstäudcn aus- zuzahlen. Aus Radeberg vom 31. Decbr. berichtet man der „C. Ztg.": In dem kurzen Zeiträume von 2 Monaten brach heute Morgen 1 Uhr das vierte Schadenfeuer innerhalb unserer Stadt, und zwar in ein- und demselben Stadttheile aus. Es brannte das Stallgebäude des Mühlenbesitzers Pöthig nieder. Die geängstigten Bewohner des Stadttheils haben ganz besondere Nachtfcuerwachen eingeführt, trotz dem ist das Unglück nicht zu verhüten gewesen. Eine nach der Brandstätte führende Schneespur läßt wieder ebenso wie in den früheren Fällen auf Brandstiftung schließen, es hat aber den größten Bemühungen der Polizeiorgane noch nicht gelingen können, den Böse wicht zu entdecken. Am 29. Dccember v. I. ist in der Nähe von Großmilkau bei Rochlitz am sogenannten Kirchstcig der 40 V2 Jahr alte Strumpf wirker und Hausbesitzer Voigtländer aus Zetteritz erfroren im Schnee liegend aufgefunden worden. Derselbe war verheirathet und Vater von fünf unerzogenen Kindern. Unterhainsdorf, 30. Dccember. Gestern Mittag zwischen 12 und 1 Uhr hat der 20Jahr alle Gutsbesitzerssohn Hermann Lacher seinen 17 Jahre alten Bruder Franz Lacher beim Schießen von Sperlingen durch Unvorsichtigkeit erschossen. Die „B. B. Z." bringt folgende Bemerkungen: Der 1. Januar brachte seit Jahren unter den zahllosen Gratulationsbesuchen und Neujahrsconren eine, welche von aller Welt mit Spannung, mit einer über das Maß der Neugier hinausgehendcn Erregtheit beobachtet ward. Das war die Neujahrscour am kaiserlichen Hofe zu Paris. Die Lippen Napoleons 111. vertraten die Toga-Falten des alten Römers, welcher Krieg oder Frieden geben konnte; ein Lächeln des Kaisers entzückte die Welt, sein Stirmunzeln erschütterte alle Börsen. Diese Stunde am Neujahrstage zeigte mehr als alles Andere die un natürliche Lage der Dinge in Europa, vermöge welcher Alle in Angst waren vor der Macht und dem bösen Willen des Einen. Handel, und Wandel, das fühlte Jedermann, konnte nicht eher einen gesunden Aufschwung nehmen, als bis die knechtische Furcht vor Frankreich gewichen, bis die Macht dieses Landes richtiger geschätzt und bis sein Herrscher nicht mehr in der Lage sein würde, um seiner Selbst- erhalluug willen zu irgend einer Zeit den Krieg mit irgend einem seiner Nachbarn vom Zaune brechen zu können. — Heute ist der Bann gebrochen, Europa athmet tief auf. Zwar sind auch in diesem Augenblicke die Augen der Welt auf Paris gerichtet, aber nur um das Bernichtungsdrama in seiner Entwickelung zu verfolgen, welches das frevelhafte Volk und seine eitle Hauptstadt über sich herabgcrufen haben. Und der Manu auf dessen Schnurrbartzipfeln das Glück und Unglück der Völker balancirt zu werden pflegte, wandelt heule in den Gemächern seines Prunk-Gefängnisses düster auf und nieder, und wenn er die Schneelandschaft vor seinen Fenstern zu einförmig findet, so kann er die Trümmer von hundert verbrannten Dörfern und Städten Frankreiebs vor sich vorüber ziehen lasten, welche sein Wink der Vernichtung geweiht hat. — Jene Weltgeschichte machenden Neu- jahrscouren kehren in Paris nimmer wieder. Der Zauber franzö- sjswer Allmacht ist gebrochen, die Nichtigkeit, welche sich hinter dem äuß ren Schimmer barg, liegt nackt vor den Blicken der Welt. Der Friedensschluß, welcher demnächst diesem Kriege ein Ende machen wird, dürfte das Siegel werden auf dem Grabe französischen Ueber- gewichts. Das Jahr 1870 hat den nationalen Ning für unser Vater land geschlossen — es hat das Netz zerrissen, mit welchem Frankreich Europa umstrickt gehalten. Versailles, 2. Januar. Der König hielt bei dem Nenjahrs- empfang im Schloß Versailles am 1. Januar halb 12 Uhr Bormit lags solgende Anrede: „Große Ereignisse haben geschehen müssen, um uns an diesem Orte und diesem Tage zu vereinigen, und ihrem Heldenmu!he, ihrer Ausdauer, sowie der Tapferkeit der von ihnen geführten Truppen habe ich es zn verdanken, daß es bis zu diesem Erfolge gekommen ist; aber noch und wir nicht am Ziele, noch lie gen groge Aufgaben vor uns, ehe wir zu einem ehrenvollen und daue: haften Frieden gelangen können. Ein solcher Friede ist uns gewiß, wenn sie gleiche Thaten, wie sie uns bis zu diesem Punkte geführt haben, auch weiter vollbringen; so können wir getrost in die Zukunft schauen und erwarten, was Gott nach seinem gnädigen Willen über uns entscheidet. Den Parisern wird das neue Jahr das alte Wort, daß füh len muß, wer nicht hören will, sehr empfindlich zu Gemüthe führen. ES wird sehr bald um die Stadt eineu Geschützkampf geben, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat. Bis zum 14. Januar werden noch 10 preußische. FestungSartillerie-Compagnien (ü 204 Mann) bei dem Belagerungshcere cinlreffen, daß dann 25,090 Mann FcstungSartille- Ee zählen'wird.. Gegen 1500 Geschütze verschiedenen Kalibers, Rie- nmörser, die bei Straßburg die Probe bestanden, 96- und48-Pfün- c von den Küstcnbattcnen rc. werden bis dahin in Stellung ge- acht sein. Ein Vorrath von 750,000 Schußladnngen ist theits vor- anden, thcils auf dem Wege. Sollte derselbe verschossen sein, ehe ^c weiße Fahne auf den Wüllen erscheint, dann erfordert es min destens 5 starke Doppelzüge, um den Tagesbedarf herbeizuschaffen. Bei Straßburg, wo 200 Geschütze arbeiteten, konnten 32Vahnwagen kaum das Nöthige beischaffen. Aus Ostfrankreich wird berichtet: Chaumont, 29. Dccember. Es erweckt die gerechte Erbitterung unserer Truppen, daß das heim liche Zerstören der Eisenbahnen, damit die Züge verunglücken, so häufig geschieht. So ist die Eisenbahn von Chaumont nach Trohes nun schon drei Mal in der Weise zerstört worden, daß die Schienen abgerissen und sodann so locker wieder aufgelegt wurden, daß man die Zerstörung nicht sehen konnte. Es geschah dies auch wieder am 24. Dccember bei Bricon, nicht weit van hier, wobei ein ganzer Mi litärzug mit 500 Mann aus dem GelcisE gericth. Kaum war dies geschehen, als ein im Walde verborgener Haufen von Franctireurs herbcistürzte, um die Soldaten gefangen zu nehmen. Glücklicherweise hatten die braven Landwehl männer weiter keinen Schaden gelitten, sammelten sich schnell und empfingen die anstürmeudcn Franctireurs nun mit einigen so wohl gezielten Salven, daß diese schnell mit . Hinterlassung von Tobten und Verwundeten die Flucht ergriffen. Aus Corbeil bei Paris, 27. Dccember, schreibt man der ! „Nat.-Zlg.": Das v. d. Tann'sche Corps soll in den nächsten Tagen j von Orleans, wo es sich gegenwärtig befindet, hierher zurückgezogen s werden, weil sich in Folge der heftigen Kämpfe mit der Loirearmee ! das dringende Bedürfnis) hcrausgcstellt hat, die zusammcngeschmolz^nm Truppen von Neuem zu orgauffiren. Das Corps, welches ursprünglich mit etwa 32,000 Mann ausgcrückl war, zählt gegenwärtig nur einen Bestand von ungefähr 15,000 Manu. Zur Ergänzung der Cadrcs treffen Ende dieser Woche 9000 Mann bayerischer Truppen hier ein, die unter die einzelnen Regimenter vcrthcilt werden sollen. Ganz besonders stark waren, die Verluste des 1., 4., 10., 13. und des Leib- RegimentS. Das 10. Regiment soll fast zu einem Bataillon zusam- mcngeschmolzen sein, ja es soll an Offizieren 62 ciugebüßl haben, während cs nur mit 56 ins Feld gerückt ist, welcher Umstand nur in der Weise erklärt werden kann, daß auch ein Theil der erst im Laufe des Krieges beförderten Officiere in den blutigen Schlachten um Orleans gefallen ist. — Was das zweite bayerische Corps aube langt, welches gegenwärtig vor Paris steht, so Hal auch dieses bei Sedan und noch jüngst bei Chatillon harte Verluste erlitten, allein hier wird der Abgang allwöchentlich durch neue Truppen ersetzt, während bei dem ersten Corps der Schwierigkeit des Transports wegen nicht in gleicher Weise verfahren werden konnte. Das Feuer der deutschen Batterien auf die Ostfronte der Pariser Vertheidigungswerke dauert also, wie der Telegraph Meldet, fort und es wird hierdurch nunmehr bestätigt, daß der Angriff auf die Forts Nogcnt, Rosny und Noisy mit aller Energie geführt wird, um den Franzosen keine Zeit zu gönnen, die zum Schweigen gebrachten Batterien ihrer Werke wieder in Stand zu setzen. Nur das Fort Nogcnt konnte bisher das Feuer schwach erwidern, die beiden anderen scheinen in der That arge Zerstörungen erlitten zu haben. In der Umgegend von Belfort ist es schon jetzt zu heftigen Kämpfen gekommen, über welche aber alle sicheren Nachrichten hoch fehlen. Nach Schweizer Mitthciluugen hätten wohl die Franzosen versucht', mit Umgehung des von den Deutschen beseitigten Mvnlbeliard oder Mömpelgard dicht an der Schweizer Grenze hin im Nucken des Belagerungscorps vor Belfort zu gelangen, sie wären aber bei Croix und Abevillers von den Deutschen geschlagen und ein Theil derselben Franctireurs vom „Corfs der Rache") auf Schweizer Gebiet ge drängt und gefangen genommen worden. Welcher Armee diese. Fran- f zosen angehören und welche deutsche Truppen sie schlugen, ist Nicht ! im entferntesten angedeutet, wir müssen daher detailline Nachrichten abwarten. Eiu Rück- und Rundblick. Das Jahr 1870 war in politischer Hinsicht das bedeutung-dollste unseres Jahrhunderts. An Fülle und Großartigkeit der Ereignisse haben wir nie Gewaltigeres gesehen oder Erschütternderes erlebt. Die Jahre des deutschen Vvltserwachcns aus langer politischer Ohnmacht: 1813—15; die Zeil der gedankenreichen, ersolgcarmcn politische» Ju gendschwärmerei: 1848 und 1849 — ste waren die Vorläufer eines welterschütternden Drama's, das in unsern Tagen seinen Höhepunkt, seine gewaltige Katastrophe — will's Gott — seinen für unser Volk segensreichen Abschluß findet. Es ging friedlich an, das Jahr 1870. Der regsame menschliche Geist entwarf Pläne der Fortentwicklung der Wissenschaft, dem Blü hen und Gedeihen des Handels und der Industrie gewidmet. Mit Genuglhuung blickte man auf die eben vollenvete große Thät der Durchstechung des Suezkanals zurück; ein kühnes Projekt: die Al pen mit eisernen Schienen beim St.Gotthard zu überschreiten, und die gewaltige Durchstechung des Mont-Cenis, rief das Interesse Dentschlands, Frankreichs, der Schweiz und Italiens ans, und, die deutsche Wisseufchaft, unterstützt von deutscher Seetüchtigkeit, sandte ihre Jünger in die kalten Zonen des Nordens, um die unerforschten Polargebiele der menschlichen Erfahrung aufzudecken. Alle civili- sirten Staaten wetteiferten mit einander, die Werke des Friedens auszuführen. Eine schlimme Vorbedeutung hätte man es nennen kön nen, daß mitten in diesem Vorwürtsstrebcn der Völker zu Nom eine „heilige" Gesellschaft, zusammengesetzt ans Vertretern und Hirten der ganzen katholischen Christenheit, über Mittel und Wege brütete, dem Fortschritt in geistigen Dingen einen gewalsamcn Hemmschuh anzu legen. Das ökumenische Concil beriech die Unfehlbarkeit des Pap stes und übte das liebevolle Amr der Vcrflucbungen aller Anschau ungen und Meinungen ans, die irgend einem Dogma Roms zuwider- liefen. Alle Geister wurden dadurch in eine lebhafte Aufregung vor setz! und die Erörterungen für und wider waren das Tagesgespräch der Presse und der Einzelnen. Dennoch schliefen auch die Politischen Fragen nicht. Die Trennung der Parteien wnrde in allen Ländern Europa'» eine schä» sere. Die Fragen der Herrschaft in Staat und Gesellschaft, das alte unerschöpfliche Thema, wurden von zahlreichen Parteien bespro chen. Sic traten in Norddeutschland hervor im Reichstage, der i» Berathung eines allgemein deulscycn Strafgesetzbuches der deutsche» Rechtspflege zu größerer Einheit half, und — wie allerwärts — i»