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1871. Freitag den 10. Februar Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebentel)« und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Madtrath daselbst. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 9. Februar. (Eingesandt.) In einer zweiten am 5. d. Mts. in Dresden abgehaltenen von Vertretern der Gerichts amtsbezirke Döhlen, Dresden II., Dippoldiswalde und Wilsdruff besuchten Versammlung liberaler Wähler unseres Bezirkes entschied sich die Majorität der Anwesenden bei der Abstimmung über die bei den ausgetretenen Candidaten Redacteur Siegel in Dresden und Rittergutsbesitzer Grahl auf Zschcckwitz für Letzteren und beschloß, Liesen als Candidaten der liberalen Partei zur RcichstagSwahl für den 6. Wahlkreis aufzustellen. Die Minorität schloß sich nunmehr der Majorität an, und einigte man sich noch dahin, in einem ge meinsamen Wahlaufrufe Herrn Grahls Wahl zu empfehlen. Der Candidat hat zugesagt, vor der Wahl einmal hier in einer Wahl versammlung aufzutrelcn. Leipzig, 6. Febr. Heute ging eine Anzahl verwundeter und kranker sächsischer Soldaten hier durch, welche als Gefangene in Pa ris gewesen und jetzt nach der Capitulation ausgewechselt worden waren. Sie schilderten die Verwüstungen, welche das Bombardement in Paris angcrichlet hatte, als sehr bedeutend ; sie selbst hatten, wäh rend sie im Lazarett) gelegen, oft genug die Geschosse sausen hören und waren voll Sorge gewesen, Latz sie bei ihnen cinschlagen möch ten. Auch Hunger hatten sie in der letzteren Zeit ganz gehörig leiden muffen; die Pferdefleischportionen waren auf ein Minimum reducirt worden; sonst aber soll die Behandlung und ärztliche Pflege sehr gut gewesen sein. Das war eine große Freude, als sämmlliche 914 deutsche Ge fangene in Paris die Freiheit erhielten und gegen eben so viele französische Gefangene ausgetauscht wurden. Man hofft, daß die in Pau, Ortbcz und anderen Orten in der Nähe der Pyrenäen ge fangenen Deutschen nunmehr wohl auch ausgcwechselt worden sind. Berlin, 8. Febr. Die Provinzial-Correspondenz" führt in einem Artikel, überschrieben: „Zum Frieden", aus, Deutschland könne von der Wiedervereinigung des Elsaß, Deutschlothringen, Straßburg und Metz mit Deutschland als Bürgschaft gegen weitere Bedrohung und Vergewaltigung nicht ablassen. Deutschland werde seinerseits auch beim Friedensschlüsse nicht vergessen, daß die beiden benachbarten Völker ihre Ehre und Streben nicht auf dauernden Zwiespalt und Kampf, sondern auf höheren, edleren Wettkampf in gemeinsamer För derung der Völker Wohlfahrt und der geistigen Entwickelung zu rich ten haben. Das Höchste, was uns der Frieden bieten könnte, wäre neben der unmittelbaren Sicherung Deutschlands, die beiderseitige feste Gründung dieses tieferen Bewußtseins in beiden großen Völkern und damit die Grundlegung eines echten und dauernden Friedens. Die inneren Verhältnisse Frankreichs sind so eng verknüpft mit dem, gegenwärtig noch nicht zum Abschluß gekommenen Kriege, daß es gewiß gerechtfertigt erscheint, wenn wir den täglich über dieses Thema einlaufenden Nachrichten einige Beachtung schenken. Die zahl reichen telegraphischen Meldungen aus den verschiedensten Städten Frankreichs behandeln in der Hauptsache einmal die Kundgebungen und Schritte der beiden Negicrungsabtheilungen in Paris und Bor deaux und andererseits die Stimmung des Volks, wie sie sich in der Presse und öffentlichen Versammlungen wiedergiebt. Trotz vieler Widersprüche in diesen kurzen Mittheilungen ersieht man bereits jetzt, daß der größere Theil der Franzosen dem Frieden geneigt ist, und daß auch die Wahlen zur Nationalversammlung wahrscheinlicherweise eine große Majorität von FricdenSmännern aufweiscn werden. Dies gilt ganz besonders von dem Norden, Osten und Westen Frankreichs, woselbst die Einwirkungen des Krieges am lebhaftesten empfunden worden sind. Im Süden dagegen hat Gambetta init seinem Pro gramm „Krieg bis aufs Aeußerste, Widerstand bis zur vollständigen Erschöpfung" mehr Anhang, der sich in Versammlungen und öffent lichen Kundgebungen sehr breit macht. Man hätte dort auch ohne Zweifel den von Bordeaux ausgehen den Decrelen Gambetta's in Bezug auf die Beschränkung der Freiheit der Wahlen gehorcht und die der Pariser Negierung ignorirt, ja selbst in vielen anderen Landestheilcn wird man in Zweifel gewesen sein, wessen Befehlen man Nachkommen solle. Diese Zustände konnten für Frankreich bei all dem schon vorhandenen Elende noch viel verderb licher werden und daher mußte sich die Pariser Negierung zu einem energischen Schritte entschließen; der drohende Bruch zwischen Gam betta und Jules Favre war unvermeidlich. Jules Fravre kam den Stipulationen des Waffenstillstandes, „eine freigewählte Ver sammlung zu berufen", nach und erklärte in einem Decrete Gam betta's Anordnungen für null und nichtig, während gleichzeitig außer dem schon dahin gereisten Jules Simon drei weitere Mitglieder der Pariser Regierung nach Bordeaux gingen, um die dortige Regier- ungsabtheilung von der Nutzlosigkeit des ferneren Widerstandes zu überzeugen. Die Maßregeln Favres sind denn auch von bestem Er folg begleitet gewesen, denn ein Telegramm bringt die Kunde, daß Gambetta definitiv seine Demission gegeben und dies dem Präfecten in besonderem Erlasse angezeigt habe. Wenn auch nün durch dieses Abtrelen Gambetta's vom politischen Schauplatze alle Schwierigkeiten, die dem wirklichen Friedensschlüsse entgegen stehen, noch nicht gehoben wurden, so kann man doch sagen, daß wir demselben ein bedeuten des Stück näher gerückt sind. Mit Gambetta fällt sein kriegswüthiger Anhang und die Vernunft kommt in Frankreich ans Ruder. Auf den Ausfall der Wahlen wird der Rücktritt des Dictators ganz entschie den vortheilhaft cinwirkcn. Man sollte nicht glauben, wie schwer cs den Franzosen fällt, ein Unrecht einzusehen, einzugestehett und die Buße auf sich zu nehmen. Ist das ein wüstes, sinnverwirrendes Geschrei über die Zerstückelung Frankreichs. Haben sie denn nicht Jahrhunderte lang in deutschen Städten und Landschaften (siehe z. B. die Pfälz) gesengt und ge- brcnut, geplündert und ganze Provinzen eingesackt? Das war zur Zeit, als das deutsche Reich uneinig und schwach oder wie der Ka puziner sagte, das Reich ein Arm und die Länder Elender waren. Sind sie endlich nicht im Juli v. I. mit Roß und Rcissigcn, mit Kanonen und Kugelspritzen ausgezogcn, um die Nheinprovinzen zu erobern? und hat hinter dem Kaiser und seinen Reissigen her nicht das ganze französische Volk wie ein Mann Jubel und Beifall ge brüllt? Und hat nicht Gambetta selber für den Raubkrieg in der Kammer gestimmt? Ihr Kaiser, den sic jetzt verwünschen, hat nie etwas Populäreres unternommen, als diesen Raubkrieg. Und nun, da sie unter Strömen edelsten Blutes besiegt Und niedergeworfen worden sind und herausgeben sollen, was sie zusammengeränbt, da kommt ihnen das Hel ausgeben und Gutmachcn als eine Schmach ohne Gleichen, als etwas rein Unmögliches vor. Der Kaiser hat den Krieg geführt, Er hat's gethan! schreien sie. — Nein, die Fran zosen haben's gethan und sie haben's immer so gemacht, einerlei, wen sie zum Herrscher hatten, und der Fürst, der's nicht so machte, z. B. Louis Philipp, den haben sie fortgejagt und Napoleon hätten sie auch fortgejagt, wenn er dem Rache- und Beuteschrei widerstanden hätte. Daher nehmen wir, was unser war, Elsaß und Lothringen, nicht vom Kaiser oder König oder von der Republik, sondern von Frankreich zurück, zu dem der Raub geschlagen worden ist. Das Faustrecht habt Ihr Herreil proclamirt und müßt's auch gegen Euch gellen lassen. Hättet Ihr still gesessen, so hättet Ihr 'heute noch, was einst unser war, einen Krieg hätten wir darum nicht angcfangcn. Soll ich aber dem, der mich gestern niedergewotsen und mir den Geldbeutel abgenommen hat und der mich heute überfällt, um mir auch die goldene Uhr abzunchmen, und den ich nun zu Boden ringe, zum Dank den Geldbeutel lassen? Ihr nennt die Rückgabe von Elsaß „eine Zerstückelung." Jeder Deutsche antwortet, wie der gute Kamerad: „Es ist ein Stück von mir!" Paris nach der Capitulation wird von einem Engländer so ge schildert: Eine Niedergeschlagenheit und Demüthigung herrscht, wie sie nie für möglich gehalten worden, doch sind 90 Procent der Be völkerung mit der Capitulation einverstanden. Die Straßen sind überfüllt, aber es ist still, das Volk ist zu elend zum Aufruhr, wenn es selbst Lust dazu hätte. Sehr viele haben zwei Tage lang gar nichts gegessen, die untersten Klassen haben die verdorbenen Pferde-