Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.07.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080722020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908072202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908072202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-07
- Tag 1908-07-22
-
Monat
1908-07
-
Jahr
1908
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
«. u Ulck>. in. aus. piucr. etiag l ganz tat! hr. m Sie vensou »Ibl» ilvi-l. Ä«» ckvuuu tisaa av, n m. tt Liier tt. vrklotr, inter »r öraor. «vrt tsed. t, negen- ll-Palast. Rttter- . 70 an. osr«7 «ße U. -1, 4—12. rxruwm. sau«. >»ri»7 , -«-rieche 'akck. »oirs» tisch ster. 1 >os»i BrzuftS-PreiS M L«tp«la und <>oc»rte durch nnser» IrL-« und SpaLitene, in« Hau» gebracht! «usaad» 4 (nur muraen») virrtrljthrltch 8 »., manatüch 1 Susaab« L (morgen« und abend») vierlel- jährlich «.SV M., monalltch I.SO M. Durch die Poft >« beet ehr»: fl mal täglich) inuerhalb Deutschland« und der deurlchen klolonten vtertrlttbrlich S.2S M., monatlich 1,7L M. an»lchl. Post bestellgeld, ür Oesterreich S L 66 n, Ungarn 8 L vierteljährlich, fferner in Bel gien, Dänemark, den Donauftaaten, Italien, Luremburg, Niederlande Norwegen, Ruß land, Schweden, Schloß- und Spanien. In alle» übrigen Staate« nur direkt durch di» Epped. d. Bll erhältlich. Abonnement.««nähme t Auguftulplatz 8, bei unseren Drägern, Filialen, Spediteuren »nd «nnahmeltellen, iowt« Postämtern und «rief träger«. Dt« etnjeln« Rümmer kost« 10 chfH. Rrbaktto« und Grveditt»»: Johanniägast« 8. Delevbon Nr. 14692, Nr. 146S3, Nr. 11SS4. Abend-Ausgabe 8. UrMgerTaMait Handelszettung. Ämlsklatl -es Mates und -es Molizeianrtes -er Lta-t Leipzig. Luzeige«'Preis ttr gnierut, «ul Leipgia und Umgebung di» Saelpalten« Patitgeil» 2ü Pf., stnaaziell« Lngeigea 80 Pt., Reklamen IM.; von an»lvärtt 30 Pt., ReNamen 1.20 M.; vom Aulland SOPt., finan,.Antigen 7LPt. Reklamen I^SO M. Inserate v. vehbrden tr «tätliche« Teil «0 Pt. Brilagegedühr üM. p. Dausend «xkl. Post, gebühr. Geschäfttanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhitzt. Rabatt nach Dan AefterteUte Austräge kinnen nicht zurück- gezogen werden. Für da» ltrscheinen an bestimmten Dagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. L «zeigen- Annahme: Lugufttiüulatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Sipeditionen de« In« und Antlande«. Haupt-Filiale Derlin: Larl Duncker, Herzogi. Papr. Hofbuch» Handlung, Itützowftrabe 10. (Delephon VI, Nr. <603). Haupt-Filiale Lreüden: Leeslratze 4,1 (Delephon 4621). Nr 201. Mittwoch 22. Juli 1908. 102. Jahrgang. Da- wichtigst«. * Für den 11. August soll eine Begegnung des Kaisers mit König Eduard geplant sein. (S. Dtschs. R.s * Die Heeresverwaltung wird Besitzern von für Kriegsdienste geeigneten La st automobilen Unterstützungen gewähren. lS. Dtschs. R.) * Die Jungliberale Tagung findet am 10. und 11. Oktober in Elberfeld statt. sS. Dtschs. R.s * Präsident Fallisres reist heute abend von Kopenhagen nach Stockholm, wo er am 24. d. M. eintreffen dürfte. * Der neue finnische Landtag wird am 1. August eröffnet werden. Herr? r>. tucanrrr. Herr v. LucauuS ist schwerkrank und wenn auch die Aerzte noch nicht alle Hoffnung aufgegeben haben sollen, so wird der 78jäbrige Doch kaum mehr wieder in sein Amt zurückkehren. Mit ihm scheidet eine der interessantesten Persönlichkeiken unserer Tage von der politischen Schaubühne. Interessant vielleicht eben darum, weil um seine Tätigkeit das Geheimnisvolle, daS dem Höfischen noch immer anhaftet, leine Schleier wob und weil sie, deren Wirkungen man doch ost genug spürte, so ganz und gar sich jedweder öffentlichen Kontrolle entzog. Es ist kein Zweifel, daß unter Kaiser Wilbelm das Kaisertum oder altpreußisch ausgebrückt: daS Königtum an Glanz und äußerer Machtiülle gewonnen hat. Die Initiative in weiten Kreisen des Bürgertums Ha4 abgenommen, die Neigung wuckS, allen Segen von oben zu erwarten und scheu und ängst lich auf die Signale zu warten, die von den Höhen gegeben werden. Hand in Hand damit stieg aber auch die Macht des KabineltSchefS. Minister sind oft monatelang, mitunter — man denke nur an die letzten Zeiten des Grafen PoiadowSky — Jahre hindurch nickt mehr vom Kaiser zum Beitrag besohlen worden. Herr v. Lucanus aber hielt dem Monarchen stän dig und allerorten Vortrag; zu Wasser und zu Lande; an den Hoflagern zu Berlin und Potsdam wie im eilenden Hofzug; in der Stille der Romin- tener Heike wie wenn die „Hobenzoll-rn" sich auf den blauen Wogen deS Mittelmeers schaukelte. DaS mußte dem Manne mit den Jahren ein ungeheure« Uebergewichr geben über die amtlichen und verantwort lichen Ratpfleger der Krone und hat e« ihm wohl auch gegeben. Hst, weit dies Uebergewicht im einzelnen gegangen und was im besonderen Falle auf seinen Einfluß zurückzuführen gewesen ist, wird sich schwer aufweisen lassen. Herrn von Lucanus einzigartige Stellung be ruhte ja mit darauf, daß sie mit unerfchütterlicher Diskretion von einem Manne wahrgenommen wurde, der ;u schweigen verstand. Schroff hervorgekebrt und mit Schärfe pointirt wird Herr von Lucanus aber schwerlich diesen Einfluß je haben. Er bat sich ohne Frage immer in erster Reihe als der gehorsame Boll strecker der kaiserlichen Willensmeinung gefühlt, und daß er sich so fühlte, io ohne Zaudern und Widerspruch jeden Auftrag des Monarchen auS- sührte, ist ihm gerade wiederholt zum Vorwurf gemacht worden. Will man gerecht sein, wird man freilich hinzufügen müssen, daß ohne diese göttliche Gabe der Anpassungsfähigkeit, der Unbedenklichkeit in der Aus führung gewordener Miksioncn Herr v. Lucanus kaum so lange Jahre Kabineltsches des Kaisers geblieben wäre. Eine bedeutsame Seite leiucr Tätigkeit waren die Heimführuugcn fällig gewordener Minister. Von Bismarck bis auf Posacowsty hat er sie alle nach VcnsionopoliS geleitet. Die ihm gern und willig folgten, weil sie den Kreislauf deS Ministerdaseins erfüllt zu haben glaubten, und die schwer und ringend sich von Amt und Macht trennten wie Miquel oder PosadowSky oder der große Eisenkanzler selber. An diese nicht immer sympathischen Funktionen dachte man im großen Publikum vornehmlich, wenn man von dem Kabinettschef sprach. »Der Lucanus geht um", hieß eS, wenn durch die Blätter daS unruhige, nervöse Ge flüster glitt, das den Ministern anzeigte, daß sie sterben müssen. Und »der Lucanus hat ihn geholt", sagte man wohl, wenn das Erwartete Ereignis geworden war. , Indes war die Sphäre, in der Herr v. Lucanus wirkte, naturgemäß viel größer. So groß, wie sie nur unter einem Kaiser werden konnte, der sein eigener Kanzler fein wollte. Daß ein- solche Ausweitung der Stellung eines Mannes, der streng genommen nicht mehr fein dürste als der königlichen Geheimschreiber Oberster, für unser BerfassungSleben und den Gang unserer Politik mancherlei Unzuträgliches mit sich bringen mußte, liegt auf der Hand. Die Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung trat denn auch zutage, als vor Jahr und Tag eine Erhöhung der Be züge für Herrn v. Lucanus vom Landtag abgelehnt wurde. DaS war keine Unfreundlichkeit gegen den liebenswürdigen und zuvorkommenden Herrn; das war ein Protest gegen die allgemeine Gestaltung der Dinge. Und ob die sich unter Herrn v. Valentini, der voraussichtlich definitiv Herrn v. Lucanus zum Nachfolger gesetzt werden wird, ändern wird, darf wohl billig bezweifelt werden. Die wirren in Mazedonien. Die Gärung in Mazedonien zieht immer weitere Kreise und findet namentlich bei dem Militär Unterstützung. So wird jetzt auö Kon stantinopel gemeleet, daß in Smyrna 500 Reservisten sich geweigert haben, sich nach Saloniki einzufchiffen. Dabei dauern nach einem Tele gramm des Wiener K. K. Telegr.-Norresp.-BureauS die jungtürkischen Drohakte und Attentate im Bereiche des dritten Korps in Saloniki fort. In ven letzten Tagen ist der Oberstleutnant Nazim in Saloniki verwundet, ein Kavallerie-Oberstleutnant in Serres und der Mutessarif von Dibre sind ermordet worden. Daß diese Vorgän ze nicht vereinzelt Lasteben, ergibt sich daraus, daß die Lage im Bezirk Beredba des 2. und 3. Armeekorps sich immer ernster gestaltet. Das jung-türkiscke Komitee hat fast die ganze Negierungsgewalt an sich gerissen. Es treibt die Steuern ein und die türkischen Behörden sind vollständig machtlos. In Bodena ist ein Major mit zwei Offizieren und einer Kompanie Infanterie zu den Aufständischen übergegangen. Gegenüber solchen Ereignissen helfen auch keine Palliativmittelchen, wie sie der Sultan jetzt versuchte, indem er sämtliche Offiziere der Konstantinopeler und Avrianopeler Korps um einen Grad beförderte. Wie tief die Erbitterung der Jnngtürken wurzelt, erkennt man schon aus den Kundgebungen des VizemajorS Niasi, der jetzt aus Starowan an Hilmi Pascha telegraphierte, er verlange Antwort auf seine an den Sultan und die Hohe Pforte gerichteten telegraphischen Vorschläge und Hilmi Pascha ersuchte, bei dem Sultan unv auch im Ministerrat vorzubringen, daß er, Niasi, einen Teil von Ober-Albanien bereist und gesunden habe, daß die Behörde überall tyrannisch vorgehe. Die Be völkerung fei unzufrieden. Niasi fordert Hilmi Pascha auf, für die Schaffung einer Verfassung einzulrelen. Er gebe nun mit 250 Ein geweihten nach Epirus, um dort die Revolution Hervorzurusen. — Damit würde die Brandfackel in ein Gebiet getragen, daS ohnehin einer Pulverliste gleicht und jeden Augenblick in hellnn Aufruhr stehen kann. Erst dieser Tage sand in Ferizowiljch eine Versammlung von über 10 000 bewaffneten Albanesen statt, um über die Lage zu beraten. Dazu kommt noch das Auftreten neuer Banden. So Hal am letzten Sonnabend eine etwa lOO Mann starke griechische Bande ras bulga rische Dort Ribarci angegriffen, 13Gehösie verbrannt und 25 Personen, darunter Frauen und Kinder, getötet und fünf Perlonen verwundet. Aus Karajeria wird ebenfalls das Auftreten einer großm griechffchcn Bande, angeblich 300 Mann stark, gemeldet, die den Zweck verfolge, die walachischen Dörfer anzugreifen. Auch aus Mirowtscha, an der Bahn ¬ strecke Saloniki-UeSküb, wird daS Erscheinen starker griechischer Banden angezeigt. So begreiflich es ist, daß die Pforte in solcher Zwangslage durch Verhaftungen und ähnliche Maßnahmen sich zu helfen sucht, so bedauer lich ist es auch, wenn dabei Vorkehrungen getroffen werden, die offen bar daneben treffen und nur noch mehr Gegner deS Herrschenden Systems schaffen müssen. In Konstantinopel sind nämlich nicht nur eine Anzahl Armenier in Hast genommen worden, sondern auch noch 6 jung- Damen, welch- den dortigen ersten Familien an gehören, was großes Aussehen und viel Erregung zur Folge hatte. DaS wäre al>'o nur Wasser auf die Mühle der Jungtürken, deren Vorgehen immer noch unterschätzt zu werden scheint. Um welche ernste Sache eS sich jedoch hierbei handelt, erhellt schon varauS, daß die Bewohner von Ochrida die Mittel für die Verpflegung deS bewaffneten Korps aus zubringen haben, über welches vie Jnngtürken verfügen. Das Komitee stellt den Bewohnern dafür Quittungen aus, die seitens der behördlichen Organe, die Steuern und Abgaben einzuheben haben, an Zablungsstatt au- zunehmen sind. Die Entnahme dieser Mittel wird in den verschledenen Ortschaften unter den in Kriegszeiten üblichen Modalitäten erfolgen. Besonders drastisch klingt der Anfang des Aufrufes an die Bürger Les Kreises von Ochrida. Da heißt eS wörtlich: »DaS Geld, das rhr der Regierung zahlt, hat bis beute nur dazu gedient, einige Individuen zu bereichern, oder es wurde in unaussprechlichen Schlemmereien vergeuret. Dagegen habt ibr keine Sicherheit für euer Leben, euere Ehre und euere Güter." Zum Schluß heißt eS: „Sollten sich die Steuereinhcber weigern, unsere Quittungen enlgegenzunehmen, so möge man uns sofort den Namen des Betreffenden aufgeben und denjenigen nennen, der demselben den Befehl gegeben bat, die Annahme ru verweigern." Den Behörden droht der Aufruf Torturen an, wenn sie wagen sollten, die Steuereinnehmer zu veranlassen, sich der Annahme der Quittungen zu widersetzen. Deutsches Reich. Leipzig, 22. Juli. * Der Kaiser und König Eduard. Wie uns ein Privattelcgramm aus München meldet, lassen sich die „Münchner N. N. , angeblich offi ziös, aus Berlin melden, König Eduard habe amtlich den Wunsch nach einer Begegnung mit dem Kaiser ausgesprochen, die am 1l. August auf Schloß ,,riedrichshof bei Homburg stattfinden solle. — Anderseits wird uns aus Berlin telegraphiert, daß eine Be gegnung zwischen den beiden Monarchen bestimmt nicht stattfindet. Das Gerücht fei auf die Tatsache zurückzusübren, daß im August in Homburg ein Denkmal für die Landgräfin Elisabeth von Hessen enthüllt wird, zu dem, wie Kaiser Wilhelm, auch König Eduard einen erheblichen Teil der Kosten beigesteuert hat. * Wahlrecht und Armenunterstützung. Bekanntlich hat die Vor schrift des Reichslagswahlgesetzes, wonach der Empfang von Armen unterstützung den Verlust des Wahlrechts und der Wählbarkeit nach sich zieht, groß- Schwierigkeiten und Ungleichmäßigleiten hervorgerufen. Im ReichSanue des Innern wird ceshalb ein Get etzentwurf ausgearbeitel, durch welchen dem Einflüsse der Armenunterstützung auf daS Wahlrecht und ebensowohl auf andere öffentliche Rechte (Schöffen- und Ge- schworcnendienst usw.) bestimmte und engere Grenzen gezogen werden sollen. * Tie Junggcscllcnfteucr. Halbamtlich wird erklärt, daß bei den verbündeten Regierungen keine Absicht vorliege, die Einführung einer Jungge>e!l-nsteuer in Vorschlag zu bringen. * Aulomobillastwageii für das Heer. Nachdem im dieSjäöri..eu ReichSbausbaltsciat giößere Summen für Beschaffung und Bcreuuailung vonAutoiuoblllastwagen derHceresverwaltung zurVersügung gestellt worden sind, bat riese besondere Grundsätze für die Unterstützung von in Privatbesitz befindlichen kriegsbrauchbaren Krastfahr. Feuilleton. Was man Verruchten tut, wird nicht gesegnet. Goethe. Zwischendeck. Von Walter Tursziusky. Langsam ringt sich der schwere Leib des Hapagschiffes aus dem Ge wirr der Masten los, die ihn eingckreift halten und gleich spitzem Lanzcnjchäften zu feinen Seiten stehen. Ein winziger Dampfer, fauchend, graublauen Dampf verströmend, ist es, der das massige Un- geheuer in die Nacht hineinfchleppt, die ihm mit taufend Lichtaugen — goldenen, silbernen, grünen, roten — entgegenstarrt. Weiter zurück weicht der Mastenwald. Die steilen Silhouetten der Häuser unk Speicher rücken von uns ab. Schweigend, nur durch ihre Lichter leben dig, begegnen uns kleinere, mit hastigen Bewegungen die schwarze Elbe furchende Dampfer. Dann sind die „Wolkenkratzer" fort, die Lager räume, die Einbuchtungen des Hafens, in denen sich die Riesenschiffe wir zu einem gewaltigen Knäuel zusammengepreßt haben, oder in denen sie in stolzer Paradefront nebeneinanderstehen. Vom Schleier der Nacht verhängt werden die Linien der Hamburger Villenkolonien sichtbar und verabschieden sich von den in die Ferne Gleitenden mit leuchtenden Grüßen. Auf den sanften Höhen des „Süllberg" schimmern die Bogen lampen und die strahlenden Fenster wie riesige Demanten, wie sie die Brasilienpilger unseres „Corcovado" vielleicht einmal in glücklichen Stunden zu finden hoffen. Auch Blankenese gibt sich mit funkelndem Fenstersternen deutlich zu erkennen. Dann blinzelt noch ab und zu ein Flammenauge zu unserem Fahrzeug herüber, bis uns nur noch das letzte — in der Distanz mehr und mehr absterbend — geleitet. An den Ufern liegt der schwarze Wald mit gerundeten, üppigen Baumwipseln, wie eine Herberge der Geheimnisse. Er läßt seine Peripherie immer schärfer zurückweichen, liefert unser Schiff immer mehr dem Element aus, das cs beherrscht. Auch der kleine Dampfer trennt sich von seinem gewal tigeren Kollegen, der nun mit immer sichrerem Schritt vorwärtsstrebt. Wahrlich: schon zum dritten Male habe ich dieses Schauspiel erlebt, um doch immer wieder neue und starke Eindrücke daraus zu holen. Man fühlt förmlich, wie mit jedem Schritt vom Lande weg die Seele dieses Kolosses an Selbstgefühl gewinnt, bis er mächtig und frei in seine Bahn einlenkt..... Aber ich will von Menschen reden. Nickt von den Leuten, die mit mir die erste Kajüte dieses Schisses bevölkern- obwohl Sennora Nosita, die soeben neben mir mit schlanken, schmalen Fingern Abschiedsgrüße an den geliebten Europäer nicdcrschreibt, gewiß ein ebenso verlockendes Schilderungsobjekt wäre, wie Sennorita Mathilda, die feurige, schlanke Tcuffchbrafiliancrin, die so lange die Seekrankheit verspottete, bis sie sie hatte. Nein: auf dem Zwischendeck Hausen die Menschen, denen, seit ich sie leben und leiden sah, meine Teilnahme mehr gehört, als allen den distinguierten und hochgebildeten Ueberscern rings um mich her. Da sind zweihundert böhmische Bauern, Tschechen, die in den Kabinen der „zweiten Klasse" kampieren und bei Tage ihr Leben auf den Flächen des mit grauschmutziger Sackleinwand bespannten Sonnendeckes ver bringen. In Brasilien wollen sie ihre von der Heimat verschmähten oder nicht genügend ausgenützten Kräfte zur Fruktifizierung des Landes zur Verfügung stellen, und nun betrachten sie das ungewohnte, bald be hagliche, bald furchtbare Wunder der Seefahrt mit glotzenden, »ctzt melancholischen, jetzt entsetzten Augen. Ganz so werden sie auch von uns betrachtet. Wir alle, zumeist deutscher Abstammung, haben längst vcr- gessen, daß diese Landsleute Ziskas uns, solange sic Heimatsboden traten, wenig grün zu sein pflegen. Sie sind uns jetzt nur Objekte für unser Interesse und unser Mitleid. Als ich vor zwei Sommern den Orient aufsuchte, suggerierte uns alle, die wir zu den Passagieren des „Prinz regent Luitpold" zählten, die fremde Welt der „Chinesenküche", in welcher die an Bord des Lloydschifscs versprengten chinesischen Kulis ihre zwiebclgespickten Speisen zubereiteten. Das kostete regelmäßig einen Kognak, weil uns das Zwiebelaroma übel machte: aber wir ließen es auf den Kognak ankommen. Tie Böhmen sind anziehungsreicher und teurer zugleich. Wer ihre Stilleben betrachtet, und man tut das gern, weil diese Stilleben zwar unsauber, aber pittoresk sind, wird zum mindesten zwei Kognaks zur Restaurierung nötig haben. Tenn die Gruppen und das Leben dieser Lerne, ich sagte es schon, sind bunt und schmutzig wie der Orient Jedes Winken, mit dem die Sonne sich am gewöhnlich nebelgrau verdeckten Himmelsfenstcr sehen läßt, lockt sie aus ihren niedrigen Sack- leinwandzcltcn, die sie sich vor den Eingängen zu ihren Kabinen erbaut hoben. Am liebsten kommen sie, wenn beim Vormittagskonzert die Stewardkapelle auf verstimmten Blasinstrumenten die präzisen Rhythmen einer Mazurka schmettert. Dann hocken die Männer zu sammen, werfen sich bäuchlings auf die mit Leinen bespannte Fläche des Teckpodinms oder qualmen sitzend aus den Pfeifen, deren Kopf Franz Josefs Porträt schmückt. Man findet die Merkmale der Rasse: niedrige Stirnen unter borstigem, ungepflegtem Haargestrüpp . . . aufgestülpte Mongolennasen übe,- wild wuchernden, kraulen, nach unten gewölbten Schnurrbärten. Neber der schweren, kurzen Flausjoppe mit den bunten, gestickten Säumen hängt, auch am Halse der Männer, das Kreuz. Bei den Frauen verdeckt des farbige Kopftuch, zinnoberrot, auittengelb. gras grün. mit einfachen Mustern oder tschechischen Sinnsvrüchen bedruckt, das Haar und steh» gleich einem Nahmen um die gerundeten, braun gelben Wangen, zwilchen deren Polstern de* Stomps der Kartoffelnase bervorstebt. Formlose Jacken, schlaff und faltig, bis zu den Fußknöcheln herniederschlotternde Röcke sind sonst die Gewandung dieser Frauen. Nur drei alle Weiber, mit denen Macbeths Hexen furchtlos und des Sieges sicher in Schönheitskvnlurrenz treten könnten, und denen krause Zotteln in die flachen, gelblichen Stirnen hängen, tragen runde, schwarze Tuch kappen mit grünen Arabesken. Eine Blondine in erdbeerfarbenem Sommerkleid, mit einer dünnen Glasperlenschnur um den Hals, scheint die Modedame dieser „Sippschaft". Sic alle aber begegnen sich in zwei Punkten. ^.<1 eins: barfuß betreten sie alle die Planken des Schiffs- bodins. Tas würde, in Anbetracht der Temperatur, nichts auf sich haben. Aber die böhmischen Füße, die auf diese Art sichtbar werden, sind nicht gerade als Augenziel aufs innigste zu wünschen, und in der Farbe dem Eisen ähnlicher als dem Alabaster. Kurz: trotzdem sie sich aufs hohe Meer gewagt haben, sind diese Tschechen dem Wasser scheinbar sehr feindlich gesonnen. Und ihr Schmutz, dafür möchte ich garantieren, da ich die Sauberkeit des Hapagpersonalä kenne, ist kein vom Schiffs- baden stammender, kein „moderner" Schmutz, sondern ein mehr antiker, L la Pompeji und Herkulanum Ich habe noch einen zweiten Punkt zu konstatieren, welcher die Identität dieser Tschechen ohne weiteres feststellen läßt. Sie haben Kinder! Was sage ich: Kinder? Kinderschwärmc, Kinderhordcn, Kinderheere. Zu Paketen zusammengewickelte, mit Decken in Körbe hineingequetschte, mit Füßen gestoßene, durcheinandcrstolpernde, quiet schende, fallende, wie Gummibälle wieder emporschnellende und natür lich auch pcchschmutzige Kinder. Knaben mit breiten, filzernen Rund hüten über den vorwitzigen Gesichtchen; Mädel, die bereits das Kopf tuch und die andere lotterige Kleidung der Mutter kopieren. Zuweilen tragen sie freilich statt der weichen Kopfhülle nur Kämme in den Haaren .... doch sie machen wenig Gebrauch davon. Sic alle aber, die mehr und die weniger Ausgewachsenen, enthüllen zwanglos und scho nungslos ihre Intimitäten dem Auge des Publikums. Das kann auch für den Abgehärteten böse Konsequenzen haben, wenn seine Neugier gerade an eines jener Ensembles geraten muß, in denen — wie vor Boulogne — Sturm und Seekrankheit aus diesen gelbhäutigen Männern und Frauen einen Schwarm durcheinandertorkelnder, um Hilfe ächzen der, bleicher Halbleichen machte. Sonst aber gibt's meistens Idyllen mit leicht naturalistischem Anflug zu schauen. Abends singt ein Bursch, dessen lockig gebrannten Friseurkopf die Militärmützc schmückt, die trüb sinnig-melodischen Liedchen, deren Klänge die böhmische Heimat hervor keimen lassen; und die anbern, auf den Bäuchen oder auf dem Rücken gelagert, stimmen unter dem wolkenbespannten Himmel plärrend mit ein. Bei Tag aber verschlingen sich die Körper der Frauen und Kinder liegend zu scheinbar unlöslichen Gliedergeflechten. Vor tausend Augen schmausen die Bambini an den strotzenden Schläuchen der Mutterbrüste, während zugleich die suchende Hand der Mutter den Scheitel ihres Lieb lings betastet, wobei sie ganz besondere Zwecke verfolgt. Wie soll ich diese Zwecke nur zugleich dezent und deutlich auSdrücken? Na also kurz: diese Leute suchen in der Ferne ihr Glück und auf den Köpfen ihrer Kin der....andere Dinge.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite