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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und Umgegenden : 01.10.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782021922-189610018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782021922-18961001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782021922-18961001
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn ...
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Jahr
1896
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Monat
1896-10
- Tag 1896-10-01
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Monat
1896-10
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Jahr
1896
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Aufnahme aussprach. Die nunmehr folgenden geschäftlichen Verhandlungen nahmen längere Zeit in Anspruch. Der Ver band umfaßt jetzt 38 Wehren und hielt im Berichtsjahre 5 Ausschuß- und 2 Commandantensitzungen, sowie 6 Inspek tionen ab. Der vom Ausschuß beantragten Erhöhung der Verbondssteuer wurde nach mehrseitiger Aussprache zugestimmt. In denjenigen Gemeinden, wo die Wehr die Verbandssteuer selbst bezahlen muß, soll darauf hingewirkt werden, daß die Steuer künftig von der Feuerlöschkasse entrichtet wird, da manche Wehr eine Mehrbelastung nicht auf sich nehmen kann. Die meisten Gemeinden bez. Fabrikleitungen leisten auch schon diese Beiträge. Als nächster Vorort zum Verbandstag wurde Gorbitz gewählt. Freudigen Beifall rief die Bekanntgabe von zwei Stiftungen für die Verbandskasse in Höhe von 50 bez. 20 Mark hervor, welche von Herrn Oeser und einem unge nannten Herrn geleistet worden waren. Aus der Mitte der Versammlung wurde dem Ausschuß der Dank, für die mühevolle Ausübung seiner Thätigkeit ausgesprochen. Die vorgenommene Neuwahl des Ausschusses hatte folgendes Ergebniß: Oeser- Cölln 37, Herrmann-Dresden 37, Naumann Tharandt 35, Thum-Radeberg 3l und Kelling-Rabenau 27 Stimmen. Das bisherige Mitglied Geißler.Wilsdruff hatte ersucht, daß man von seiner Wiederwahl absehen möge, erhielt aber trotzdem 27 Stimmen. Nachmittags fanden Uebungen der Ortswehr statt, nach welchen sich die Kameraden zu geselligem Beisammensein im »Albert-Salon* einfanden. — Ein Handwerksmeister in Meißen, welcher zwar die Kunst des Radfahrens erlernt hat, aber ein solches Vehikel noch nicht sein eigen nennen kann, benutzte öfters zu seinen Touren das Rad eines befreundeten Nachbars. Als er nun dieser Tage wieder einmal schnell etwas erledigen wollte und der Nachbar nicht gleich zu sehen war, nahm er sich das Rad ohne Erlaubniß und fuhr damit fort. Auf dem Rückwege begegnete er einem Bekannten, welcher ihm zurief: „Hast Du es schon gehört, Deinem Nachbar, dem M Karl, ham'se heute sein Rad gemaust, er ist schon uff der Polizei gewesen und hat's angezeigt." Sapperment! Nun galt es aber schnell machen, damit die Sache nicht dumm wurde, denn vor der Polizei und dem Gericht hatte der Handwerker großen Respekt. Schweißtriefend kam er bei seinem Freunde an und überbrachte ihm sein Rad mit der ängstlichen Frage: „Jst's wahr, daß Du schon Anzeige gemacht hast?* „Nu natürlich,* entgegnete der Gefragte barsch, „Dir will ichs schon anstreichen lassen.* „Aber Karl,* erwiderte der geknickte Radfahrer, „ich hab' doch Dein Rad nicht mausen wollen, das weeste doch!* Aber erst als der al« etwas knauserig bekannte Handwerker sich erbot, ein Fäßchen Wein und ein feines Abendbrod zu geben, wenn die dumme Geschichte aus der Welt geschafft würde, erklärte sich der Radbesiyer zur Zurücknahme des Strafantrages bereit, und heute sind die Nachbarn wieder die besten Freunde, zumal sich bei dem fröhlich verlaufenen Wein-Abend heraus stellte, daß die Geschichte Mit der Polizeianzeige nur Mittel zum Zweck war und der dritte Freund, welcher ebenfalls am Wein-Abend theil nahm, instruirt war, die Schreckensbotschaft zu überbringen. — Dresden. Die Ausstellung des sächsischen Hand werks und Kunstgewerbes ist am Sonntag Abend feierlich ge schloffen worden. Zahlreiche Aussteller und Mitglieder der Ausschüsse, sowie ein zahlreiches Publikum hatte sich gegen 8 Uhr im Kuppelsaale des Ausstellungspalastes eingefunden. Die Kappelle des Schützenregiments Nr. 108 leitete die Feier mit dem Vortrage einer Lohengrin-Phantasie ein. Dann bestieg der erste Vorsitzende des geschäftsfübrenden Ausschusses, Herr Geheimer Hofrath Ackermann, die Rednertribüne, die sich vor der mit Blumen geschmückten Büste d.s Königs Albert erhob, und sprach nachstehende Worte: Wir hatten gebauet ein stattliches Haus Und wollten des Bürgers Fleiß beglücken; * Was Schönes das Handwerk ersonnen sich aus, Das sollte nun unsere Hallen schmücken. Wir riefen laut in das Land hinein: Kommet her, wir wollen nun hier ergründen, Was uns das Handwerk noch immer kann sein Im fleißigen Schaffen und im Erfinden. Da seid Ihr gekommen und habt un« gebracht, Was in der Werkstatt zu Haus Ihr ersonnen, Was Kunst im Gewerbe hat sinnig erdacht, Was Fleiß aus der Hände Arbeit gewonnen. Das All-s, das habt Ihr hier ausgestellt, Wir haben bewundernd es angesehn. Der Beweis ist geführt nun der heimischen Welt: Das Handwerk — das darf uns nicht untergehn. Und ist auch nicht Jeder im Kampfe und Wehr, Gekrönt, so kann er von sich doch sagen: „Im Buche d-s Wettstreits dem Handwerk zur Ehr — Da ist auch mein Name eingetragen." — Doch Alles auf Erden ein Ende hat, Es schließen mit heute sich unsere Hallen, Und nicht mehr hört man aus alter Stadt Die Lust und den Frohsinn munter erschallen. Der Anfang, das Ende sind wohl verwandt, Am Anfang freilich viel Zweifel, Bedenken, Das Ende aber, das hat es erkannt, Es muß sich alles zum Guten wenden. Ihr dürft nicht, ich bitte, nun grollend gehn — Erfüllt sich nicht alles Hoffen hienicden, Bleibt mancher Wunsch auch weiter bestehn — Wir wollen doch scheiden in Freundschaft und Frieden. So geht wieder heim mit neuem Muth Und schaffet und rüstet mit neuer Stärke; Gott mehre die Habe, Gott mehre das Gut, Gott segne Euch Eurer Hände Werke! Lebt wohl! wir danken mit Herz und mit Hand, Und laßt uns beim Scheiden die Bitte noch sagen: Was uns hier für Kunst und für Handwerk verband, Das bleibe gewahrt auch den kommenden Tagen. An das Gedieh, dessen Worte „Wir wollen scheiden in Freundschaft und Fueden* lebhaften Anklang fanden, schloß sich der Vortrag des Dankgebets von Kremser. Dann nahm Herr Geheimer Hofrath Ackermann noch einmal das Wort: „Und nun wollen wir schließen mit den Worten, mit denen wir unser Werk begonnen haben, indem wir den allerhöchsten Patron unserer Ausstellung unsere ehrerbietigste Huldigung dar bringen. Se. Majestät der König Albert er lebe hoch!« In das begeistert oufgenommene Hoch mischte sich die Sachsen hymne, vom Orchester gespielt, während das Geläute aller Glocken begann. Während dieser feierlichen Klänge leuchteten plötzlich gegen 100 bengalische Flammen um den Ausstellungs palast auf und übergossen ihn mit flammender Röthe. Dann schloffen sich die Pforten der Hallen, das Publikum aber lust wandelte noch lange in den illuminirten, von Buntfeuer er leuchteten Park und feierte dann bis weit nach Mitternacht in der reizenden alten Stadt den Abschied von der schönheitsvollen Stätte, über die nun Schweigen und Stille ausgegossen sind. — Die Drucksachen haben in der Ausstellung einen sehr guten Absatz gesundes. So wurden von der ersten Nummer des „Dresdner Anzeigers«, die mit theilweiser Benutzung dec alten Platten ougefertigt worden war, 23,000 Exemplare ver kauft, ferner wurden 46,000 Kahnfahrten auf den Spree kanälen unternommen, 12,000 Stück Bänkelsängerlieder, 176,000 Postkarten, 25,000 Theaterzettel verkauft und 18,400 Aufzüge im Wartthurm, der Aufzug zu 4—6 Personen, be wirkt. Was die Theateraufführungen anbelangt, so ist die Schauertragödie „Male« 168 Mal aufgeführt worden. Nach Ausweis der Bücher ist die Ausstellung von rund 1'/? Mill. Personen besucht worden. Die Ausstellung soll einen Rein gewinn von 100,000 Mark erzielt haben. — Am Dienstag fand in der Kreuzkirche zu Dresden die Trauung von Fräulein v. Schönberg-Purschenstein mildem Lieutenant v. d. Bussche-Haddenhausen statt. Unter den Fest theilnehmern befanden sich neben der Mutter der Braut, Frau Kammerherr o. Schönberg-Purschenstein, deren Bruder, Herr Kultusminister v. Seydewitz, der frühere Oberprästdent von Schlesien und vormalige Reichstagspräsident v. Seydew tz nebst seinem Sohne, dem Landeshauptmann v. S. aus Görlitz, ferner Kammerherr v. Schönberg-Rothschönberg, Oberstlieutenant v. d. Bussche aus Bautzen, Finanzrath v. Seydewitz u. A. m. Die weihevolle Traurede hielt der bekannte Kanzelredner Pfarrer v. Seydewitz aus Leipzig über den Text: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln* (Psalm 23). Unter den Be suchern, die in dicht gedrängter Menge das schön geschmückte Gotteshaus füllten, bemerkte man u. A. die Frau Herzogin von Schleswig-Holstein nebst Prinzeß-Tochter Feodora. Das Hochzeitsmahl wurde im königl. Belvedere eingenommen. — Dresden, 29. September. Einen schauerlichen Mord und Selbstmord verübten heute Vormittag die Eheleute Kett schlag, welche in der Vorstadt Striesen eine kleine Strohhut färberei betrieben. Als heute Vormittag 9 Uhr die Thür der Wohnung noch nicht geöffnet war und sich Niemand von den Eheleuten zeigte, meldete man die Wahrnehmung der Polizei. Als diese die Wohnung gewaltsam geöffnet hatte, bot sich den Eintretendcn ein entsetzlicher Anblick. Das Ehepaar lag, aus vielen Wunden blutend, am Boden. Nach dem Thatbestand zu urtheilen, hat der Ehegatte erst seine Gattin und dann sich selbst erschossen. Der Mann verstarb, nachdem man in die Wohnung eingedrungen war und die schwer verwundete Frau wurde nach dem Carolahause übergeführt. Das Motiv zu der unglückseligen That ist in den zerrütteten Vermözensverhältnissen der Beiden zu suchen. — Letzter Tage spielte in dem in der Amtshauptmann schaft Leipzig belegenen Orte Göhrenz ein 5jähriges Kind mit einem geladenen Revolver, den es vom T'sche genommen hatte. Hierbei entlud sich die Waffe und traf das Kind so unglücklich, daß es nach kurzer Zeit verstarb. — Meerane, 26. September. Der Führer der deutschen Sozialdemokraten August Bebel wollte heute Abend in einer Volksversammlung im hiesigen Kuchengarten sprechen und Sonn tag in einem dort abzuhaltenden Arbeiterkommers die Festrede halten. Da beides von Seiten der Polizei verboten worden ist, war für Sonntag Nachmittag nach dem im nahen Seiferitz ge legenen „Tivoli* eine Versammlung einberufen worden, in welcher gleichfalls Bebel sprechen, und der ein Instrumental-und Vokal konzert folgen sollte. Jedoch auch diese ist von der königlichen Amtshauptwannschaft Glauchau verboten worden. — Am 24. d. M. ward in Glauchau ein von derkgl Staatsanwaltschaft zu Dresden wegen Betrugs steckbrieflich ver folgter Schlossergeselle Sch. festgenommen. Der junge Schwindler, welcher öfter einen weißen Matrosenanzug trug und sich seit Kurzem in Rothenbach aufhielt, steht dringend im Verdacht, noch weitere Betrügereien verübt zu haben. Bewohnern von Rothenbach halte der Bursche mit fast beispielloser Frechheit er zählt: Er sei der einzige Ueberlebende des Dampfers „Elbe", habe bei dem Untergang dieses Schiffes noch ein Menschen leben gerettet und dafür vom Kaiser die Verdienstmedaille be kommen; auch sei er der einzige im Königreich Sachsen, welcher die Matrosenuniform tragen dürfe. — Aus dem Vogtlande, 28. September. Als ein bemerkenswerthes Vorkommniß dürfte es bezeichnet werden, daß in diesem Herbste die Walderdbeere zum zweiten Male zahlreich blüht. Auch die Preißelbeersträucher stehen in den Wäldern wieder vielfach in schönster Blüthe. — Leipzig. Ein Vorkommniß, das man in unserem sogenannten „aufgeklärten* Jahrhundert kaum für möglich halten sollte, ist jetzt hier durch Anzeige bei der Staatsanwalt schaft bekannt geworben. Die Heldin dieser geradezu unglaublich klingenden Geschichte ist die Kartenlegerin Crone, Böttchergäßchen Nr. 9. Ein junges Mädchen, das als zweite Köchin im Krank'Nhause bedienstet war, hatte sich in einen jungen Arzt, der jetzt in Chemnitz praktzirt, sterblich verliebt. Als Frau Crone dem Mädchen aus den Karten weissagte, daß „ein blonder Herr" sich sehr lebhaft für sie interesstre, wurde die Gluth der Leidenschaft noch mehr angefacht. Dies nutzte die freche Schwindlerin nun gehörig aus, sie sagte, jetzt käme es darauf an, den „blonden Herrn" durch „Sympathie« zu gewinnen, die sie von einem Scharfrichter in Berlin und von den Frei maurern gelernt habe. Diese kostete 3 Mark 7 Pfg. und bestand in einem kleinen Päckchen weißen Pulvers, das sie sechs Tage bei sich tragen und am siebenden Tage verbrennen solle. Da dies Mittel jedoch nichts half, so entnahm das Mädchen von der Kartenlegerin noch drei weitere Sympathien, welche diesmal aber 7 Mark 1 Pf., 10 Mark 9 Pf. und 20 Mark 1 Pf., im Ganzen also 37 Maik 11 Pf. kosteten. Um die theuerste „Sympathie« wirksam zu machen, erklärte Frau Crone, selbst nach Chemnitz reisen zu müssen. Wo der Arzt geht, wolle sie das Pulver streuen, das müsse helfen. Für diese „Reise" bezahlte das bethörte Mädchen 8 Mark, faßte sich aber in Geduld und wartete. Als sich nichts rührte, ging sie wieder zu Frau Crone. Nun sagte ihr diese, ihr Freund, der Scharfrichter, sei bei ihr gewesen und habe ihr ein Stück Reh leder abgelassen, das sie, das junge Mädchen, in ein Kleid nähen lassen müsse. Das Mittel kostete 7 Mark 50 Pf., helfe aber unfehlbar. Die Bedenken des Mädchens über die Geldausgaben wußte Frau Crone zu zerstreuen. „Aber, lüki Kind," sagte sie, „das Geld bekommen Sie ja zehnmal wieder. Der Mann kann mit keinem anderen Mädchen verkehren, als mit Ihnen, dem haben wir sein Leben verpfuscht." Das jungt Mädchen ließ sich vertrösten, zahlte auch noch die 7 Man 50 Pf. für das „Rehleder" und wartete abermals. Nach fünf Wochen nahm Frau Crone dem Mädchen wieder 20 Mar! ab; mit dem Gelde müsse sie, Frau Crone, „Nachts 12 Ubr auf den Friedhof gehen und dort beten.« Dann begab sich die Liebetolle selbst nach Chemnitz, die „kluge Frau" gab ihr einen Zettel mit, den sie in der Wohnung des Arztes „verlieren' solle und ferner ein Fläschchen mit Tropfen, die sie sofort nach Verlassen der Wohnung nehmen solle, denn die eben gelegte Karte zeige — ein Kind. Die Tropfen kosteten natürlich wieder 10 Mark. So gewappnet reiste also das Mädchen, schön geputzt, nach Chemnitz. Dort angekommen, ließ sie sich melden war aber erstaunt, daß der Arzt sie nicht wieder erkannte. M sie ihm gesagt, wer sie sei, und daß sie ihn vom Leipziger Krankenhause aus kenne, da unterhielt sich der erstaunte Arzt mit dem Mädchen eine Zeit lang, ohne nur im Geringsten irgend welche Intimität zu bezeigen. Das junge Mädchen reiste wieder ab. Vorläufig sagte sie Niemand etwas von ihren Erlebnissen. Mittlerweile hatte sie einen anderen Dienst ange nommen. Da kam ein Brief, der sie zu Frau Crone führte. Der Brief trug die Unterschrift des Arztes und enthielt die Bitte, ihm 50 Mark zu senden, die er ihr baldigst zurückzahlen wolle. Mit dem Briefe ging sie zur Frau Crone, die ihr aus den Karten bestätigte, baß es seine Richtigkeit habe. Das Geld sollte an eine Mittelsperson zur Weitersendung an den Arzt gegeben werden, und diese Mittelsperson wollte sie, Fran Crone, sein. Da das Mädchen auf dem Tische der Crone genau solche Briefbogen und Couverts liegen sah, schöpfte sn endlich Verdacht, daß die Geschichte Schwindelei sei. Sie machte ihrer Dienstherrin Mittheilung, und dadurch ist jetzt die ganze schamlose Plünderei zur Kenntniß der Staatsan« waltschaft gekommen. Der kleine Schornsteinfeqer. (Nachdruck verboten.! Aeltere Bewohner von London erinnern sich noch der Zeit, wo sie nicht selten ganz kleine, kaum fünfjährige Bübchen wit rußigem Gesicht und im Kaminfegeranzug auf den Straßen av- trafen, erinnern sich auch des Mitleids, das der Anblick del Kleinen in ihnen erweckte. Ein Parlamentakt hat seitdem die Verwendung so junger Kinder für das Schornsteinfegerhandwelk verboten, und wohl nie war ein Verbot besser angebracht und nothwendiger. Es gehörte nämlich zu den ganz alltäglichen Dingen, daß Knaben zu diesem Zweck gestohlen wurden. Der Bedarfs kleinen, schmächtigen Gestalten war für eine besondere Art vv" Schornsteinen immer ein sehr großer, und da selbst arme Leutl ihre zarten Kinder nur äußerst selten zu einem so mühsam^ und gar nicht ungefährlichen Gewerbe Hergaben, die dazu ver wendeten Kleinen auch gewöhnlich den Anstrengungen und Ent behrungen bald erlagen, bildete sich eine förmliche Industrie d^ Kinderdiebstahls heraus. Verkommene, gewissenlose Subjekt strichen in der Nähe der Gärten und Parks, sowie auf einsamere" Straßen umher, griffen die kleinen Knaben, die ihnen unbe aufsichtigt vor Augen kamen, auf und verkauften sie für gui^ Geld an die Schornsteinfeger, unbekümmert um das entsetzlich'' über die Maßen beklagenöwerthe Loos, dem sie die armen Ge schöpfe überantworteten. In jener Zeit geschah es, daß ein vornehmes und reicht Ehepaar, Lord und Lady Montague, in unbeschreibliches Hersi' leid versetzt wurde. Ihr einziger Sohn und Erbe, der dl"' jährige Harry, war seiner Wärterin beim Spielen im Park ent schlüpft und nicht mehr gefunden worben. Das nach dem freie" Felde führende Parkpförtchen hatte man offen gefunden diesem Hinweis auf die von dem Kinde eingcschlagene Nichts folgend, die ganze Gegend durchstreift, aber alles Suchen Forschen blieb vergebens, wie auch die zahlreichen öffentlich'" Aufrufe mit dem Versprechen hoher Belohnung für dasWie^ bringen des Kindes keinen Erfolg hatten. Die trostlosen Elte'" gaben endlich jede Hoffnung auf, ihren Liebling wiederzuseh'"- und betrauerten ihn als einen Todten. . Fünf Jahre waren so vergangen, in denen die unglü^ lichen Eltern in tiefster Zurückgezogenheit nur ihrem Sch^E, gelebt hatten, als die treue Haushälterin eines Abends zu "" gewöhnlicher Zeit bei ihrer Herrin eintrat. „Mylady," sie, „ich bitte, folgen Sie mir einen Augenblick in Ihr Sch^., zimmer, — ich möchte Ihnen etwas zeigen, — etwas b sames. —" Mit leisen Schritten ging sie der Lady voran' das Z mmer und deutete, als beide eingetreten waren, schweig'" auf das kostbare B.tt. Ja, der Anblick, der sich da bot, allerdings seltsam. In den seidenen, spitzenbesetzten Kiffen - ein kleines, schwarzes Gesicht, ein Köpfchen mit wirren, kram Haaren, denen dec Ruß eine unbestimmte Farbe gegeben, die mageren Formen eines kindlichen Körpers schmiegten si« , die AtlaSdecke. Der Kleine schlief fest, aber selbst im SctsiuN" und unter dem Ruß erkannte man in dem jungen GM^ch die Spuren des Elends, der Mißhandlung, des Hungers- Tief ergriffen stand die Lady da. Alles, was sie seif- Verluste ihres geliebten Kindes gelitten, lebte neu in w Herzen auf. Wohl war da nichts, was sie an ihren sHs"!^ starken blondgelockten Harry erinnerte, der jetzt acht Jahre M - mußte, während das schlummernde Knd anscheinend fünfjährig war, — aber es war immerhin ein Anblick, Herz rührte und mit zärtlichem Mitleid erfüllte. beugte sie sich über den Knaben und forschte in seinen M In diesem Augenblicke glitt ein seliges Lächeln über das zehrte Gesicht, und erschütternd wandte die Lady sich ab- § ja ganz ebenso pflegte Harry zu lächeln, wenn er in Bettchen lag, von holden Träumen umgaukelt; — oder es eine Täuschung des sehnenden Mutterherzens, die Aehnlichkeit oorgaukelte? Gleichviel, dies arme Wesen, sich aus den Drangsalen seines Lebens hierher gerett' wenigstens im Traum wieder lächeln gelernt hatte, soll" vergebens zu ihr gekommen sein. — „Wie ist er wohl Bett gelangt?" fragte sie die Dienerin. „Es sind Schar'' feger im Hause," erwiderte diese, „ich sah sie und har' ji- rauhen Stimmen, als sie dem Kleinen Befehle zuriefen ' die Essen Hinabstiegen. Wahrscheinlich hat nun das . schüchterte Kind den rechten Schornstein verfehlt, ist gekommen und von Müdigkeit überwältigt, in das Bettge"
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