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Tngesgeschichte. Was die Zollpolitik betrifft, fo waren auch noch am vierten Tage der Verhandlungen Negierung und Reichstag weit auseinander. Abg. Richter erklärte am Ende feiner laugen und fehr durchdachten Rede, die Fortschrittspartei fei eiustimmig gegen die Erhöhung (?) der Tabaks- und Brausteuer, gegen den Petroleumzvll und gegen Zölle auf Getreide, Vieh und unentbehrliche Lebensmittel. Abg. v. Bennigsen scheint eine Vermittlung anbahnen zu wollen, aber auch nur uuter allerlei Bedingungen. Er ist bereit, eine mäßige Erhöhung verschiedener Schutzzölle zu bewilligen, wenn das Bedürfnis; uachgcwiesen wird; er will auch Finanzzölle und die Tabakssteuer bewilligen, wenn aus ihr entfernt wird, was eine zu starke Schädigung des ganzen Gefchäfts hcrbeiführen würde. Die Bierstcnervvrlage will er auf das nächste Jahr verschoben und nur mit der Branntweinsteuer zugleich gelöst wissen, weil die Vertheuerung und Beschränkung des Biergenusses zu größerem SchnapSgeuuß hiudrüngen würde. Fraglich ist noch, ob Bennigsen diese Zugeständnisse im Namen der großen nativnalliberalen Partei ge wacht hat oder nicht; das scheint noch nicht klar. Aber auch diese Zu geständnisse hat Bennigsen an eine Hauptbediugung geknüpft. Er will auf jeden Fall und vor allen Zugeständnissen das Einnahme- und Ans gabebewilligungsrecht des Reichstags ausdrücklich gewahrt und bestätigt haben. Wenn, sagte er, die seither von dem Reichstage bewilligten Matrikularsteuern ganz oder zum Theil wegfallen und der Reichstag aus den Schutz- und Finanzzöllen eine so erhebliche Summe bewilligt, die wahrscheinlich um 90 Mill, den jetzigen Etat noch übersteigt, so ht das seitherige Bewilligungsrecht des Reichstags zu erhalten, ja noch Zu verschärfen. Das Bewilligungsrecht betreffs der Matrikularbciträge seitens des Reichstag hat seither auf die Sparsamkeit des Reichs haushalts den größten Einfluß gehabt und dieser muß erhalten werden. Am Schluß einer übersichtlichen Darstellung der Generaldebatte des Reichstags bezüglich der Wirthschaftsreform bemerkt die„Prov.- Korrcsp." von der Rede des Abg. v. Bennigsen: Durch diese Kund gebung des angesehenen Führers der gemäßigt liberalen Partei, welche den Höhepunkt der bisherigen viertägigen allgemeinen Berathung be zeichnete, ist in der That die Hoffnung auf einen erfolgreichen Verlauf und Abschluß der wichtigen Verhandlungen wesentlich erhöht worden. Der Reichskanzler bat bekanntlich aus Veranlassung des preußischen Justiznünisters einen Antrag an den Reichstag auf strafrechtliche Ver folgung des Abgeordneten Hasselmann wegen Verstoßes gegen die 88 2^ und 25 des Sozialistengesetzes gerichtet. Es handelte sich um die Verbreitung verbotener Schriften. Dieser Antrag ist der Geschäfts- vrdnungskommiffion überwiesen und in derselben verhandelt worden. Die Kommission hat beschlossen, dem Reichstage die Zustimmung zu dem Strafantrage vorzuschlagen. Der Abgeordnete Ackermann ist niit schriftlicher Berichterstattung betraut. Bisher hat der Reichstag die Verfolgung seiner Mitglieder während der Session regelmäßig abge lehnt. Hasselmann hat seit geraumer Zeit sich von den Sitzungen des Reichstages fern gehalten. Die Petitionskommission des Reichstages hat über eine Reihe von Petitionen mit ungefähr 30,000 Unterschriften um Aufhebung des Zivilehegesetzes durch den Abg. Baumgarten Bericht erstattet und selbstverständlich Uebergang zur Tagesordnung beantragt. Die feierliche Eröffnung der Gewerbe-Ausstellung in Berlin am 1. Mai hat einen Eindruck gemacht, welcher ganz dem imposanten Bilde entsprach, welches die von schönen und gediegenen Erzeugnissen des Kunstgewerbes gestillten Hallen boten. Das selbstbewußte Wort des Vorsitzenden der Ausstellung, des Fabrikbesitzers Kühnemann, daß. die Gewerbetreibenden sich nur auf ihre eigenen Kräfte verlassen hätten, fand er ein anerkennendes Echo in den Reden des Handels- winisters und des Oberbürgermeisters v. Forckcnbeck, und dem nicht wißzuverstehenden rügenden Hinweise des Ausstellungchefs auf das Unvorsichtige Urtheil, welches über die deutsche Industrie, in Phila delphia — wo eben die tüchtige deutsche Industrie fast gar nicht vertreten gewesen — gesprochen ist, entsprach die Aeußerung des Ministers Maybach: „die Ausstellung sei rin Beweis des Vertrauens welches die deutsche Industrie und der deutsche Gewerbefleiß in sich fklbst setzten trotz des ungünstigen Zeugnisses, das ihnen vor wenigen Jahren an anderer Stelle ertheilt worden." Es hat allgemein er freut, daß der Handelsministcr dieses Zugeständnis gemacht und nicht jenen Stimmen bcigepflichtet hat, welche vor einer erst nach dem harten Spruche „billig und schlecht" und in Folge desselben einge- tretenen Einkehr und Besserung unierer Industrie phantasiren. Die Aufnahme der Ausstellung im Publikum ist nicht dlos eine aner kennende, sondern geradezu begeisterte. Jedenfalls verdient das Ur teil eines Mannes, der alle große Ausstellungen seit der ersten Londoner 1851 besucht hat, auf dem gestrigen Fest-Banket Erwähnung: rr habe noch keine Ausstellung am Eröffnungstage so wenig unfertig, voch keine auf den ersten Blick so befriedigende gesehen. Bei diesem Banket, welches gestern Abend 300 Personen vereinigte, erregte eine französische Kritik des Unternehmens, welche Herr Fritz Kühnemann wsitheilte, große Heiterkeit. Mochte sie eine scherzhafte Erfindung jcm oder wirklich dem Gaulois oder einem ähnlichen Blatte ent- »oinmen sein; sie hatte ganz den Ton des Herrn Tissot über Berlin ^troffen. Man darf mit einiger Spannung den weiteren Urtheilen der französischen Presse, welcher das glanzvolle Unternehmen ein Born im Auge sein muß, nachdem das Tissol'sche Buch soeben unser Berlin als einen Höllcnbreugel voll Noth, Hunger, Verzweiflung und -verbrechen geschildert hat, entgegensetzen. Von den englischen Blättern dürfen wir ein gerechteres Urtheil gewärtigen Berlin steht — wie es mit jedem Tage mehr zu einer der schönsten unter den Haupt- Uadten Europas sich ausbildet — nach dieser Kundgebung seiner Leistungsfähigkeit auch als Industriestadt unbestreitbar unter den ersten der Welt. Petersburg, den 6. Mai. Ueber die Auffindung der „geheimen Bruckerei" resp. der Stätte, wo revolutionäre Schriften geheim ge- ?vuckt wurden, werden folgende sichere Daten bekannt: Der Pächter . Druckerei des Kommunikativnsministeriums ist feit zehn Jahren ^"Deutscher, Namens Boenke, von bestem Leumund und durchaus rechtschaffener Gesinnung. In Folge eines Winkes hielt die Polizei tage für Disdruff, Darandt etc. in der Nacht zum 5. d. Haussuchung bei ihm und seinem sämmtlichen Setzerpersonal, sowie in den im Ministerium gelegenen Lokalitäten. Die Nachsuchung war lange vergeblich. Gegen Morgen endlich fand man bei dem Sohn des alten Setzers Kors die Proklamationen des Revolutionskomitees, welche mit den Lettern der Druckerei und in dieser gedruckt waren. Mit kors zugleich wurden neun kompromitirte Setzer und eine Setzerin verhaftet. Der Leiter der ministeriellen Druckerei Boenke selbst wie das gesammte andere Personal blieb voll kommen unbehelligt. In der Orientfrage geht jetzt Alles seinen friedlichen ruhigen Entwickelungsgang und der Berliner Friede ist nahe daran, zur voll kommenen Wahrheit zu werden. Diesen Eindruck wenigstens bekommt man, wenn man die Antwort liest, welche Lord Salesbury im eng lischen Oberhause auf eine Anfrage des Führers der Opposition, Lord Granville, gegeben hat. Der Inhalt diem Antwort läuft im Wesent lichen auf Folgendes hinaus: „Die Wahl des Prinzen von Batten berg zum Fürsten von Bulgarien sei von den Mächten genehmigt, die Verfassung Bulgariens sei votirt worden, die Feststellung der Grenzen Bulgariens durch die Grenzregulirungs - Commission sei in der Aus führung begriffen. Die Schleifung der bulgarischen Festungen habe noch keine großen Fortschritte gemacht und dürfte diese Frage die wei tere Aufnierksanikeit der Mächte in Anspruch nehmen. Die Regulir- ung der Grenzen Ostrumeliens befinde sich ebenfalls in der Ausführung. Aleko Pafcha sei mit Zustimmung der Mächte zum Generalgouverneur Ostrumeliens ernannt worden, das organische Statut für Ostrumelien bedürfe nur noch der Ratifikation durch den Sultan. Artikel 22 des Berliner Vertrages bestimme, daß die Räumung Ostrumeliens durch die russischen Truppen ain 3. August d. I. beendet sei, so daß nach dieser Zeit sich weder südlich noch westlich des Balkans noch russische Truppen befinden würden. Die Verfassung für Kreta sei in einem durchaus liberalen Sinne einer Revision unterzogen werden. Was die Unruhen in den Gebirgen angehe, so habe, wie er glaube, ebenfalls eine Periode der Ruhe ihren Anfang genommen. Znr Ausarbeitung von dem ostrumelischen Statut analoge» Verfassnugen für die übrigen Theile der europäischen Türkei habe bis jetzt noch die Zeit gefehlt. In der griechischen Frage habe gemäß Artikel 24 des Berliner Ver trages Frankreich bereits Vorschläge zu einer Mediation gemacht; so weit ihm bekannt, hätten die Mächte diese Vorschläge angenommen. Bezüglich der Angelegenheiten von Bosnien, der Hezegowina und No- vibazar sei ebenfalls eine Regelung eingetreten. Montenegro habe das ihm zugewiesene Gebiet erhalten, die Unabhängigkeit Serbiens sei an erkannt. Was Rumänien anbetreffe, so hoffe er, daß dasselbe bald Versicherungen vollster und getreulicher Ausführung des Vertrages in Bezug auf die religiöse Frage geben werde, so daß die Anerkennung seiner Selbstständigkeit möglich sei. Die gemäß der Vereinbarung zwischen Rußland und der Türkei in Asien festzustellende Grenze sei soeben gezogen worden, die Südgrenze solle nach einer Vereinbarung zwischen Rußland und England im Beisein einer englischen Commission festgestellt werden. Was endlich die in Asien einzuführenden Reformen betreffe, fo solle eine Commission die lokalen Gründe für die Reformen feststcllen, allein in Wirklichkeit sei wenig zu erwarten, bevor sich nicht die Finanzlage der Pforte gebessert habe." ZVertlichcS und GächfischcS. Ein Bericht des „Dr. Jour." über die Leipziger Ostermesse lautet wenig erfreulich: Obwohl die Messe uns eine große Menge Menschen zugeführt hat und man schon der Hoffnung Raum gab, daß sich wenigstens ein leidliches Meßgeschäft entwickeln würde, so läßt sich aber nur sagen, daß es in den meisten Meßartikeln bisher noch sehr ruhig ging. Wenn nun auch in Tuchen und Buckskins ein ziemlicher Theil der zugeführten vielen Waaren umgesetzt wurde, so waren es aber hauptsächlich die besseren Fabrikate, die auch ziemlich zufrieden stellende Preise den Fabrikanten brachten. Krimmitschau, Forste, Zeitz und Kottbus setzten ganz hübsche Partien um, da diese Orte recht lockende neue Muster auf den Markt gebracht hatten. Die leichten Waaren aus anderen Orten gingen nur theilweise befriedigend um, es wurden aber die Preise sehr gedrückt. Baumwollene Rock- und Hosen stoffe, v»n welchen wieder recht nette Muster zu bemerken waren, wurde ganz wenig befragt, und eS kamen die Fabrikanten wieder nicht auf ihre Meßunkosten. Ebenso erging es den Fabrikanten baumwollener bunter Tücher, und es haben uns mehrere der Fabrikanten versichert, daß sie drei Tage ausgestanden haben, ehe sie noch ein Verkaufsge schäft notiren konnten, weshalb die meisten den für sie so theuern Meß- platz frühzeitig wieder verließen. Wollene Strmnpfwaaren blieben ebenfalls ohne bedeutende Nachfrage, und es waren nur leichte Som- merwaaren, sowie einige Phantasiesachen, die in ganz kleinen Posten umgingen. Für schwere Winterwaare, wie Jacken, Socken uud Unter beinkleider wollte man sich gar nicht interessiren, da trotz des lang an haltenden verflossenen Winters die Lager der Händler keine fühlbaren Lücken aufzuweisen haben. Von böhmischen Glaswaaren ist diesmal gar nichts zn berichten, da darin, was Luxussachen betrifft, so gut wie nichts begehrt wurde und Gebrauchsartikel nur wenig Nehmer fanden. Nossen. Am 5. Mai früh wurde der Restaurateur Worm im „Sächsischen Hof" im Keller erhängt aufgesunden. Dresden, 10. Mai, Nachm. Die hier erscheinende sozialdemo kratische Zeitung „Dresdner Presse" ist von der Kreishauptmannschast auf Grund des Sozialistengesetzes verboten worden. Sahda. Am 6. Mai hatte sich der älteste Einwohner des Dorfes Friedebach, der im 88. Altersjahre stehende Hausauszügler ! Florer, in den Wald begeben, um dürres Holz zu lesen und verrichtete diese seine Beschäftigung m der Nähe von Holzmachern, die mit Baum fällen beschäftigt waren. Ein Baum neigte sich zum Fallen und nimmt bei dem herrschenden Winde eine etwas andere Richtung, als Vie von den beschäftigten Holzmachern geahnte und zwar nach der Stelle zu, an welcher genannter Florer sich befindet. Er ahnt nicht die ihm drohende Gefahr, vernimmt auch, da er schwerhörig, nicht die an ihn aus Leibeskräften bewirkten Zurufe und so kommt es, daß er von einem Aste des niederstürzenden Baumes erfaßt und niedergedrückt wird und auf der Stelle todt liegen bleibt.