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niß besäßest, nm auch den abgefeimtesten Heuchler zu durchschauen, Aber ich hege nicht den mindesten Zweifel, daß diese aalglatte," fran zösische Bedientenseele an Deinem Vater den schändlichsten Verrath »geübt." „Er muß auf der Stelle fort," rief Templeton dazwischen, der Den Ausruf des Doctors gehört. ß „Nein, nein," erklärte Willibald, „damit würden wir uns jede 'Gelegenheit entschlüpfen lassen, ihr ichändliches Geheimniß zu er gründen. Meine Ahnung wird mich nicht-betrügen. Niemand anders -als dieser Aeamhat die Werkzeuge in das Gartenhaus gebracht, um Deinen Vater zu verderbe»?' - . Harriet jauchzte laut auf: „Ja, so ist es, es muß so sein! O, Du giebst mir das Leben wieder!" Mary wurde von diesem Gedanken ebenso lebhaft ergriffen und Templeton rief ungewöhnlich rasch: „Dann soll der Bube an unserm höchsten Galgen baumeln." ? „Noch ilt nichts damit gewonnen, aber ich hoffe, daß wir den noch die Schurken überlisten. Vor allen Dingen müssen wir Jean in Sicherheit wiegen und ihn nicht Has Mindeste merken lassen. Harriet, Du mußt ihm sogar morgen eine Guinee schenken, als Be weis Deiner vollsten Zufriedenheit." /.Stockschläge wären weit besser angewandt," meinte Templeton. Da stürzte die alte Betty ganz gegen ihre Gewohnheit in großer Hast herein und berichtete m gewaltiger Aufregung: „Unser Jean ist soeben ausgerissen." „Ah, er hat bereits gemerkt, daß seine Nolle hier ausgespielt ist," rief Willibald. „Der Schändliche! ich fragte ihn, was das bedeuten solle," fuhr die Alte mit zitternder Stimme fort, „und der freche Mensch ant wortete mir, er wolle nicht mehr in einem Hause wohnen, wo der Herr —" sie mochte das verhüngnißvolle Wort nicht aussprechen und fuhr mit der Schürze an die feuchten Augen. Die rasche Flucht Jeans brachte auf die Schwestern die nieder- schlagendste Wirkung hervor. Damit waren die letzten Hoffnungen zertrümmert und das Schicksal ihres armen Vaters war für immer besiegelt. Da an Betty weitere Fragen.nicht gerichtet wurden, zog sie sich mit dem Respect einer guten alten Dienerin zurück. Willibald flüsterte Harriet zu, daß er mit der Alten noch etwas zu sprechen habe und folgte ihr in die Kühe. Sie war nicht wenig verwundert, als der Fremde ihr Gebiet betrat, auf dem sie allein mit dicatorifcher Ge walt den Scepter schwang. „Ich möchte Sie noch Einiges fragen", wandte sich Willibald an die Alte, die statt aller Antwort einen tiefen Knix machte. Sie war augenscheinlich von jener verdrossenen Schweigsamkeit, wie solchen Leuten eigen wird, die jahrelang in einem stillen kleinen Haufe still ihre Be schäftigung verrichtet haben. - „Jean war Franzose und hat Ihnen gewiß all' feine Liebes abenteuer erzählt?' Trotz ihres Alters errvthete Betty und warf auf den Fremden einen sehr übellaunigen Blick. Sie fand diese, an eine ehrbare Frauens person gerichtete Frage höchst unpassend, sogar beleidigend. Sie murmelte nur einige unverständliche Worte, die fast zweifelhaft ließen, ob sie für den Doctor ein Compliment waren. l H Willibald achtete nicht weiter auf ihre Mißstimmung. „Sagen Sie nur, welchem Mädchen der Nachbarschaft Jean den Hof gemacht hat, es ist dies von höchster Wichtigkeit," drängte Willibald. Obwohl Betty die Wahrheit dieses Ausspruches nicht begreifen konnte, sagte sie doch: „O er hat viel geschwatzt, wie soll ich nur alles behalten." „Und kennen Sie nicht wenigstens seine letzte Liebschaft? Ent schuldigen Sie nur, daß ich an Sie solche Fragen stelle," fuhr Willi bald fort, da er den höher steigenden Unwillen der Alten bemerkte; „sch muß es wissen, das Glück der Herrn Waxmann hängt "davon ab." > „Er schwatzte mir zuletzt von dem hübschen Kindermädchen des Dr. Ham", berichtete die Alte. , „Kennen Sie das Mädchen?" „Warum sollte ich das schwatzhafte kleine Ding nicht kennen?" entgegnete Betty mürrisch, „treibt sie sich doch den ganzen Nachmittag mit ihren Kindern in der Nähe unseres Hauses herum." „Können Sie mir die Kleine näher beschreiben?" „Sie ist eine Französin und die Einzige hier auf unserm Platze." Der Doctor wußte genug; mehr war ohnehin von der Alten nicht herauszupreffen nnd rasch verließ er das Haus — vielleicht begünstigte ihn das Glück. — Er hatte kaum den Platz betreten, da sah er ganz in der Nähe ein Mädchen unter einem Baume fitzen, daß sein Gesicht in seine Schürze begraben hatte und heftig Zu weinen schien. Die ihrer Ob hut anvertrauten Kinder tummelten sich weit entfernt auf dem schat tigen Platze herum. . Der Doctor trat langsam näher und fragte dann in leisem theil nehmenden Tone auf französisch: „Was fehlt Ihnen Fräulein?" Trotzdem die hübsche Kleine heftig erschrocken war, nahm sie so gleich die Schürze von den Augen, verbeugte sich und entgegnete mit dem ganzen theatralischen Aufwande, der jeder Französin zur Verfüg ung steht: „O mein Herr, ich bin sehr unglücklich — verlassen von aller Welt!" » „Haben Sie bei Ihrer Jugend schon solche Erfahrungen gemacht?" : „lind welche! Es ist unglaublich!" und sie nahm eine wahrhaft tragische Mibne an. ' - . l „Armes Kind! Wer kann so nichtswürdig sein, ein solch' hübsches blühendes Mädchen treulos zu verlassen." ) In all ihrem Schmerz fand dies Compliment einen Eingang in ihrem Herzen, „Sst. sind sehr liebenswürdig", sagte sic geschmeichelt, „aber es ist doch so, er hat mir wohl versprochen, daß er mich nicht vergessen will, aber ich weiß schon, ich werde ihn nie Wiedersehen. Bei solcher Jugend schon so viel Erfahrung, dachte Willibald ; ein deutsches Mädchen würde den Versicherungen des scheidenden Ge- lixbten doch mehr Glauben schenke» — aber-diese Französinnen kennen bereits die Welt, wo die Deutschen noch mit ihrer Puppe spielen. „Warum hat er sich denn überhaupt von'Ihnen gbtrenn^ er Miter. „O das ist ganz plötzlich gekommen, vor einer Viertelstunde stürzte et mit Sack und Pack an mir vorüber. Ich fragte ihn, wohin plötz lich die Reise gehen solle und er sagte, er möchte nicht länger in dem Hause eines Mannes. bleibe», der zur Deportation verurtheilt worden, denn Sie müssen wissen mein Herr, daß er Bedienter bei dem Falsch ¬ münzer da ,drühen war. Wer »hätte das aber denken-können, so ei» anständiger Mann und die jungen Fräulein sind gar nicht so steif stolz wie all die Engländer. O es ist ein Jammer!" Sie mußte sich wieder ihre Thränen trocknen und es blieb ungewiß, ob sie noch ihr eigenes oder schon das fremde Leid beweinte. „Warum ist er dann erst jetzt gegangen und so plötzlich?" „Das hab' ich auch nicht gefragt," entgegnete die kleine Franzest» lebhaft, „aber ich durchschaue seine Schändlichkeit. Er hat es nur als Vorwand benutzt, um mich zu verlassen, weil er eingesehen, daß er mich doch nicht hintergehen kann." „Das wäre ja nichtswürdig, wenn er einem solch' hübschen artige» Kinde nicht treu sein wollte." „Und doch war es der Fall," rief die Französin lebhaft und fuhr mit großer Erregung fort: „O ich habe die Beweise dafür!" Fast jeden Abend war er nicht zu haben nnd er redete mir vor, er habe einen reichen Oheim zn besuche», den er beerben wolle und deshalb nicht vernachlässigen dürfe und ich Thöriu glaubte Anfangs an diese» abgenutzten Onkel in der Komödie; endlich wurde mir die Geschichte zu bunt, der Onkel wollte seinen Neffe" alle Abende sehen — ich mußte Licht habeu in dieser dunklen Sache und gestern Abend wußte ich mich auf einige Stunden frei zu machen, lauerte ihn auf und schlich ihm nach. Ja, der Onkel wohnte sehr weit nnd es ging durch eine Menge Straßen, die ich nie gesehen, und mir wurde ganz Angst; aber ich mußte endlich hinter seine Schliche kommen und nahm mein Herz in meine Hände. Immer weiter ging die Reise, endlich blieb er vor einem alten, übelaussehendcn Hause stehen, ans dem schon von weitem wildes Geschrei und Gesang erschallte. Er verschwand in der gemeine» Spelunke — dort also wohnte sein Onkel. — Durch die Fenstcrritze konnte ich zwei Harfenmädchen erblicken, nnd wie er an ihnen vorder ging, küßte er die eine, ich hab' es noch deutlich gesehen. Und ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn cs cin anständiges Wirthshaus ge wesen wäre, aber seine Abende im „durstigen Hering" znzubringen, an statt bei mir, das konnte ich ihm nicht verzeihen." „Der „durstige Hering" ist vielleicht ganz anständig und sah nur von Außen etwas schäbig ans," meinte Willibald. „Nein, nein," eiferte die Kleine, „die elende Schänke liegt in dem verrufensten Matrosenviertel, wie mir ein Polizeimann sagte, den ich um Beistand bat, mich aus diesem Labyrinth herausznführen. Es war mir daher gar nicht zu verargen, daß ich ihm heut Morgen einige Vorwürfe machte, brauchte deshalb der erbärmliche Feigling gleich Reißaus zn nehmen?" Die Französin blickte mit ihren klugen, leb haften Augen den Doctor fragend an. „Gewiß nicht! Sie haben ganz recht daran gethan, ihm den Onkel aus dein durstigen Hering vorzichalten," entgegnete Willibald, grüßte artig und verschwand dann zum Erstaunen der Kleinen in dem Hause des Falschmünzers. In London grenzt das Elend ganz dicht an die Größe, den Neich- thum nnd die Pracht; seine stolzesten Marmorpaläste werfen ihre Schatten auf kümmerliche Wohnungen der Armuth, auf moderfeuchtc Stätten des Verbrechens und parallel mit seinen vornehmste» und lebendigsten Straßen läuft auf beiden Seite» ein verfallenes Gassenge wirr, in welchem die Fäulniß, der Schmuz und die Verworfenheit ihren bleibenden Wohnsitz aufgeschlagcm Nicht weit vom Quadrant, jenen, prächtigen Straßenbogc» am Ende von Regentstreet, mit dem Denkmal des Herzogs von Uork, den breiten Treppen, die zum Park uiederführcn und der Aussicht auf die dichte», dunklen Baumgruppen desselben, steht eine Reihe von vier oder fünf Säulen zwischen den Häusern, mit einem Architrav, daß sie in ihrer stattlichen Höhe verbindet und unter welchem man ans der breiten weltberühmten Hauptstraße in eine kleine, dunkle, schmale und ver kommene Seitengasse einbiegt, Unter-Johnstreet genannt. Am Ende dieser Gasse befand sich die Taverne zum durstigen Hering. Es ging heute sehr lustig zu im „durstigen Hering." Matrosen, Abenteurer aus aller Herren Länder hatten sich eingefunden, die dem Wirthshausschild völlige Rechnung trugen. Die kleine Französin hatte Recht gehabt, Jean war hier Stammgast und durfte auch heute nicht fehlen. Während an den meisten Tischen gelärmt, getrunken oder ge spielt wurde, konnte er den galanten Franzosen nicht verleugnen und war eifrig um die beiden Harfenmädchen beschäftigt, die mit ihren, Spiel und Gesang den wilden Lärm noch zn erhöhen hatten. „Dieser Jean bleibt doch ein nichtswürdiger Schürzenheld!" rief ein Mann aus einer Ecke des Zimmers mit kräftiger Stimme; „er streicht um die dicke Laura herum, wie eine Schaluppe-um einen Dresi master." Da der Mann deutsch gesprochen hatte, verstanden ihn nur Wenige am Tische, die aber dasür in ein desto schallenderes Gelächter ausbrachen. Nun wollten auch die Andern wissen, was der Knebelbart gesagt, unter welchem Spitznamen Mr. Müller hier allgemein bekannt Ivar. Er mußte es ins Englische und Französische übersetzen. „Ja, diese Franzosen sind Alle Don Juan's," meinte ein Engländer nnd das Lachen begann von Neuem. Trotzdem Jean der dicken Laura seine Huldigungen darbrachtc, hatte er das Wort doch gehört. „Wie soll mau denn in Eurem schwarzen London anders die Zeit todtschlagen," rief er lachend hin über; „Alles ist bei Euch schwarz, die Häuser, die Denkmäler, die Sperlinge sogar." „O, es lebt sich ganz prächtig in diesem gewaltigen Bienenstock," entgegnbte Müller, nur die englischen Sonntage sind mir ein Gräuel, die Engländer freilich haben sich mit ihre», altbewährten Phlegma da rein gefunden und betrinken sich in, Stillen, aber wir Deutsche wolle» lachen und lustig sein, wenn wir uns mit einem Trunk das Herz er leichtern," nnd er goß mit einen, Ruck ein großes Glas Grog in sein» Kehle. Die anwesenden Deutschen stimmten ihm lebhaft zu. Es waren gerade nicht Leute, auf die Deutschland stolz sein konnte, die hier im durstigen Hering das deutsche Element vertraten. Es Ware» Bassermann'sche Gestalten, mit wilden Bärten, aufgedunsenen Gesichtern und rohen Manieren, die nach der Themsestadt verschlagen, hier ver zweifelt um ihre Existenz rangen. Mehrere von ihnen sahen ganz dar nach aus, als hätten sie lange Zeit deutschen Zuchthäusern znr Zierde gereicht. Verzweifelte Elemente, die alle ihnen zu Gebote stehende In telligenz und Energie anwandten, um sich durch allerhand kühne Schurken streiche durch das Leben zu schlagen, während sie mit der Hälfte dieses Aufwandes von Geist und auch Talent sich Hütten ein ehrliches und behagliches Dasein verschaffen können. (Fortsetzung folgt.)