Volltext Seite (XML)
Der Falschmünzer. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze", „Der rechte Erbe", rc. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Mary war von jetzt wie verwandelt — der Alpdruck war von ihr genommen. Sie konnte wieder ihrem Vater das vollste innige Mitleid schenken, Wb sie es vorher nicht vermochte. Ihrer Schwester bekannte sie offen, wie hart sic den Vater beurtheilt und wie sie sich eines bittern Gefühls nicht habe erwehren können, daß er sich selber ehrlos gemacht. Nun aber wußte sie Alles! daß er lieber sich selbst als sein Kind geopfert und nun schlug die grollende Stimmung in ihr Gegentheil uni. Sie mußte ihn lieben und bewundern, der so schwer gelitten und so entschlossen für ihr Glück gekämpft, ohne nur ein Wort davon zu sagen, wie viel für ihn auf dem Spiele stand. Noch besprachen die Schwestern das entsetzliche Geschick des Theuren, da trat Jean herein und meldete, daß Herr Müller da sei und Frl. Mary allein zu sprechen wünsche. So hatte der Vater nur zu richtig vermuthet, der Elende war noch in London und die Anzeige sein Werk. Zitternd vor Aufregung entgegnete Mary: „Wie kann es der Nichtswürdige wagen, unsere Schwelle zu betreten!" aber Harriet rief sogleich rasch besonnen: „Führe Herrn Müller in das Empfangszimmer, Mary wird bald erscheinen.." „Wie kannst Du dem Elenden dies erlauben?" fragte Mary heftig. Die Schwestern schienen ihre Rollen vertauscht zu haben; während die Aelteste aus ihrer passiven Ruhe völlig herausgerissen war und sich jetzt heftiger, leidenschaftlicher zeigte, entfaltete die Jüngste eine Ruhe und Besonnenheit, die ihr sonst fern gewesen und sie entgegnete ohne die mindeste Erregtheit: „Warum sollten wir ihn ans der Stelle zurückweiscn? Vielleicht verräth er sich mit manchem Wort, deshalb Mary zeige ihm Dein ruhiges kaltes Gesicht von früher." „Und haben wir nicht Alles von diesem Schurken zu fürchten?" fragte Mary in großer Erregung. „Ich werde Dich begleiten," war Harriet's Antwort. Aber trotz dem Zuspruch der Schwester war es Mary doch, als versagten ihr die Kniee. — Harriet mußte muthig in das Empfangszimmer voranschreiten, dann erst folgte sie. Herr Müller war schon da und hielt feine großen Augen auf merksam auf die Thür gerichtet; als er die Jüngste zuerst eintreten sah, zeigte sich deutlich auf seinem Gesicht eine Enttäuschung. Dem Abenteurer mußte es in der Zwischenzeit leidlich gut ergangen sein; wenigstens seine Kleidung ließ nichts zu wünschen übrig, sie war ele gant und was bei i.;m viel sagen wollt-», sogar äußerst sauber. Selbst die rothbraunen Glacehandschuh waren völlig neu. Man konnte deutlich bemerken, daß sich der eitle Mensch in feinem neuen Anzüge sehr gefiel. Harriet grüßte artig and nahm zuerst das Wort: „Sie haben zwar meine Schwester allein zu sprechen gewünscht, aber wir sind jetzt unzertrennlich und was Sie ihr anzuverlrauen haben, können Sie ruhig in meiner Gegenwart sagen. Ich hoffe, daß es Sie nicht stören wird." Mary begriff nicht, wie die Schwester diesen verhaßten Menschen mit solcher Höflichkeit behandeln konnte. Bei seinem Anblick kam ihr ja das traurige Schicksal ihres Vaters mehr als je zum Bewußtsein. Das war also der Elende, dessen Verführringskünsten damals der Jüngling unterlegen, der dann den Unglücklichen beständig gequält, verfolgt und zuletzt sogar die Frechheit gehabt, sich einzubtlden, daß sie ihn liebe und ihm willig ihre Hand reichen werde. — Der tiefste Abscheu gegen den Elenden grub sich in ihre Seele — sie mochte ihm keinen Blick gönnen, ob wohl sie suhlte, daß seine Augen auf sie gerichtet waren. Das sichere Auftreten Harriet's machte doch auf Feodor einigen Eindruck; er verlor etwas von seiner kecken Unverschämtheit, die er sonst gern zur Schau trug und sagte nach einigem Zögern: „Was ich mit Ihrer Schwester zu sprechen habe, macht man gern unter vier Angen ab; doch ich habe stets gewußt, was ich Damen schuldig bin und füge mich Ihrem Willen," er machte dabei gegen Harriet eine Verbeugung, dann trat er Mary einige Schritte näher und sich noch einmal räuspernd, fuhr crlebhüstcr fort, indem er seine rauhe Stimme nach Möglichkeit zu mildern suchte: „Frl. Mary, ich kann wohl vhue Umstände mit Ihnen sprechen? Sie wissen längst, wie es in meinem Herzen aussicht und auch ich schmeichle mich mit der Hoffnung, daß ich Ihnen nicht ganz gleichgültig geblieben bin." Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Während Mary's Antlitz eine Zornröthe bedeckte und kaum ihre Entrüstung unterdrücken konnte, spielte um die Lippen Harriet's ein Lächeln. Wie ernst und düster sich alles gestaltet hatte, das Auf treten dieses Menschen war doch zu komisch und weckte nun unwill kürlich ihre Heiterkeit. Sie hatte dabei alle Mühe, durch Blicke und Zeichen einen Zornausbruch ihrer Schwester zu unterdrücken. Feodor legte das Erröthcu Mary's, sowie ihr schüchternes Schweigen, zu seinen Gunsten aus und begann mit steigender Sicher heit von Neuem: „Jeder Andere würde unter solchen Umständen seinem Herzen einen Gnadenstoß gegeben haben; — aber meine Liebe ist echt, die kümmert sich nicht um die ganze Welt und deshalb komme ich, wo Sie ganz allein und verlassen dastehen und biete Ihnen meine Hand, Sie und Ihre Schwester haben dann sür immer einen Bei stand; wir wandern zusammen nach dem freien Amerika aus, dort fragt Niemand nach Abstammung, Vater und Mutter, und wir wer den mit einander ein Leben wie im Paradiese führen. Schlagen Sie ein, mein süßes Herz!" Er trat dicht an sie heran und hielt ihr die Hand hin. Sie wich mit der Miene tiefsten Abscheus einen Schritt zurück, aber noch ehe sie die Lippen öffnen und ihrem er bitterten Herzen Luft machen konnte, wandte sich Harriet rasch dem frechen Menschen zu und sagte mit erhobener Stimme: „Mary und ich haben uns scierlichst gelobt, daß wir nur Demjenigen die Hand reichen, der unsern Vater rettet." tage für Klsdruff, MamM etc. Mullers Aufmerksamkeit wurde dadurch von Mary abgelenkt, er blickte etwas unwillig auf das ihm förmlich in den Weg tretende Mädchen und entgegnete: „Hm, das ist unmöglich. Mein armer Freund war leider sehr unvorsichtig, hätte er wenigstens sein Hand werkzeug besser verborgen, das mußte ihm freilich den Hals brechen." „Sie selbst haben in dem Gartcnhause gewohnt und wissen recht gut, daß mein Vater dort nicht Falschmünzerei treiben konnte." „Er wird wohl Alles vor meiner Ankunft bei Seite geräumt haben; aber nachdem ich das Haus verlassen, hat er doch tagelang dort gesteckt." „Wie können Sie dies behaupten, da Sie gar nicht mehr bei uns waren?" warf Harriet ein, ihre dunklen Augen ruhten dabei durchdringend auf Feodor, der kaum seine Verlegenheit verbergen konnle. „Ich muthmaße nur," erwiderte er nach einigem Besinnen, denn wo sollte er sonst gearbeitet haben." „Und doch wissen Sie, daß er unschuldig ist, daß er nimmermehr dies schändliche Verbrechen begangen hat," fuhr Harriet fort und ihre Augen nahmen einen fast drohenden Ausdruck an. „Ich, Fräulein?" stotterte Müller, „wie kommen Sie zu dieser wunderlichen Behauptung?" Dann fuhr er schon wieder sicherer fort: „Mein Freund hatte leider eine Vorliebe sür das Gold, ich habe ihn ost gewarnt und gesagt, das wird Dir noch Unglück bringen und richtig hat es ihn bis zur Falschmünzerei verlockt." Jetzt konnte Mary nicht länger an sich halten, die Schändlichkeit dieses Menschen ging zu weit; todtenbleich trat sie ihm entgegen, ihre sonst so ruhigen Taubenaugen schleuderten Blitze und mit zornerstickter Stimme rief sie: „Elender, das wagen Sic zu sagen, Sie, der allein damals seinen unerfahrenen Sinn berückt nnd ihn auf den Pfad der Sünde gelockt, Fluch Ihnen und ewige Verdammniß! Sie werden trotz aller Ränke und Schliche Ihrem Verhängniß nicht entgehen und für all' Ihre Niedertracht endlich doch den Lohn erhalten!" Feodor fiel wie aus den Wolken; einen solch' heftigen Sturm hatte er am wenigsten von diesem sanften stillen Kinde erwartet; aber so war sie erst recht nach seinem Geschmacke, mochte sie sich immerhin ein wenig sträuben, um so glühender mußte sich dann auch ihre Liebe zeigen. Nachdem er sich von seiner Ueberraschung erholt, brach er in ein freches Gelächter aus und rief übermüthig: „So gefällst Du mir, Liebchen! Hast niemals prächtiger ausgesehen, als in dem Augenblick, aber treibe die Komödie nicht so weit, sonst könnte ich doch verdrießlich werden. Bedenke, die Tochter eines zu lebenslänglicher Deportation Verurtheilten hat keine große Wahl mehr. Laß Dich deshalb an mein Herz drücken, Schätzchen!" Er streckte schon die Arme aus und wollte in blinder Leicenschaft auf sie losstürmen, da fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt und in einem Nu zu Boden gerissen „Was mchen Sie hier?" fragte eine ganz ruhige Stimme. Es war die Mr. Templetons. Mary vermochte vor Aufregung kein Wort hervorzubringcn und deshalb gab Harriet die nöthige Auf klärung: „Dieser sieche Mensch, der meinen Vater in's Unglück ge stürzt, hatte jetzt die Stirn, Mary einen Hcirathsantrag zu machen." „Was unterstehen Sie sich, hinaus!" besohl Templeton und machte Miene, Len eben erst auf seine Füße gekommenen Müller noch einmal uiederzuboxen. Trotz seines beinah herkulischen Körpers erwachte in ihm der alte Feigling. Die Boxcrstellung des Engländers kam ihm zu be denklich vor — er murmelte einen Fluch und zog sich dann vorsichtig zurück, erst an der Thür stieß er noch einige Drohungen aus, dann war er verschwunden. Jetzt erst vermochte Mary das Vorgcfallene zu erzählen. — Templeton wurde nachdenk.ich. — „Jean muß mit dem Schurken im Bunde sein," begann er nach einer Pause, „denn er sagte mir, die jungen Damen feien ausgegangcn und als ich dennoch auf den Ein tritt bestand, weil ich Dir eine kleine Ueberraschung mitgcbracht, da wurde er verlegen und meinte, Ihr wolltet nicht gestört sein. Mir war ohnehin die bestürzte Miene des Bnrschen ausgefallen, deshalb kehrte ich mich nicht an seine dringenden Vorstellungen und wie ich sehe, habe ich gut daran gethan." Die Erkenntniß, daß Müller mit Jean noch immer im besten Einvernehmen stehe, wirkte auf die Schwestern wahrhaft beunruhigend. Der glatte Franzose hatte eine solche Ergebenheit geheuchelt, und sie glaubten, sich gerade auf ihn verlassen zu können; nun sahen sie sich in ein förmliches Netz von Verfolgung eingesponnen. Templeton rieth, den nichtswürdigen Burschen sofort zu entlassen und während man die Angelegenheit weiter besprach, erschien Dr. Willibald. Jetzt halte nun Mary vollauf zu thun, nm ihrem Bräutigam den schrecklichen Hergang aussührlichcr zu berichten und so konnte sich das andere Paar auch allein angehören. Jedes von ihnen plauderte in einem Winkel leise weiter. Sv wenig wie Templetons Liebe konnte die Willibalds durch die letzte schwere Entscheidung erschüttert werden. Er hatte dem jungen Mädchen gestern beim Scheiden mit bewegter Stimme gesagt: „Harriet, lasse den Muth nicht sinken, was gäbe es wohl auf der Welt, das zwei engverbundene Herzen nicht überwinden könnten?" und heut kam er, um der Tochter des Verurtheilten noch einnial Herz und Hand anzutragen. — Wie wohlthuend berührte sie sein unerschütterlicher Glaube an die Unschuld des Vaters und sie erzählte ihm, was sie von dem Aermsten gehört und das eben Vorgcfallene. Der Doctor hatte mit großer Spannung, ohne Harriet zu unter brechen, auf jedes Wort getau cht und als sie mit ihrem Berichte zu Ende war, ging er in sichtlicher Erregung einige Male im Zimmer auf und ab, öffnete dann die Thür, um sich zu überzeugen, ob Je mand im Vorzimmer war und als er es leer fand, sagte er lebhaft: „Kein Zweifel, das ist ein elendes Complott und wir müssen den Buben auf die Spur kommen." Als ihn Harriet fragend anblickte, fuhr er fort: „Jean ist von Müller empfohlen worden, er hat dann Deinem Vater vorgeschwindclt, daß sein Freund nach Amerika ge flüchtet sei und statt dem bis zur heutigen Stunde mit ihm in Ver bindung gestanden, — von diesem, französischen Spitzbnbengesicht war ohnehin das Schlimmste zu erwarten," „Er hatte ein so offenes freundliches Aussehen." „Harriet, es wäre traurig, wenn Dil bereits die Mcnschenkennt-