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Dadurch, daß die Festnahme der Bande eher noch erfolgt ist, als die Ausführung zum Schaden des Publikums erfolgen konnte, erhält dieselbe noch besonderen Werth. Der höfliche Nachbar. Scizze aus dem Berliner Leben von Ludwig Habicht. (Nachdruck verboten.) Fortsetzung. Selbst gegen seinen reichen Nachbar suchte er sein höfliches Wesen herauszukehren, wie wenig er damit auch Beachtung fand. Wenn der Kommerzieurath mit seiner Gattin ausfuhr, stürzte er so gleich aus dem Laden und verbeugte sich so tief und ehrerbietig, als ob ein Fürst an ihm vorüberführe. Er ließ sich nicht einmal davon abschrecken, wenn sein Gruß nicht erwidert wurde und sobald nur der Wagen des Banquier durch den Thorwcg rollte, stand er schon mit gebeugtem Rücken da, um den reichen Banquier seinen Gruß zu bieten. Die Frau des Kommerzienrathes wurde endlich auf ihn auf merksam. „Wer ist der Mann?" fragte sie ihren Gatten. „Ich weiß es nicht," entgegnete dieser gleichgültig; „ich glaube ein armer Teufel, der in unserm Nachbarhanse noch ein Geschäft er richten will und damit noch nicht zu Stande gekommen ist, vielleicht fehlt es ihm am Besten." „Aber das Haus wird ja in den nächsten Tagen abgebrochen!" rief die Kommerzienräthin. Ihr Gemahl zuckte die Achseln, als wolle er sagen: „Was küm mert uns das Treiben dieses Menschen —", aber seine Gattin war mit einer solchen Antwort nicht zufriedengestellt. Sie gehörte zu den edelsten und trefflichsten Frauen der Hauptstadt; Arme und Unglück liche fanden stets bei ihr ein geneigtes Ohr und eine helfende Hand. Ihre Herzensgüte kannte keine Grenzen und wäre der Kommerzien- rath nicht so ungeheuer reich gewesen, hätte er seine Fran nicht wahr haft geliebt, würde er wohl ihrem außerordentlichen Wvhlthätigkeits- sinn Schranken gesetzt haben. Erfuhr sie auch hinterher, daß sie zu weilen getäuscht, ihre Herzensgüte mißbraucht worden, sie ließ sich davon nicht irre machen und meinte stets: „Das wäre ja höchst traurig, wenn wir uns durch solche Erfahrungen das Glück auf immer versagen wollten, Andern wvhlzuthun; aber hinter solch' biltern Klagen über Betrug und Täuschung verschanzen sich nur Diejenigen, denen in ihrem grenzenlosen Egoismus das Wohl und Wehe ihrer Nebenmenschen sehr gleichgültig ist." Dabei war die Kommerzienräthin frei von aller Frömmelei; was sie UM, geschah nicht aus überchristlicher Gesinnung, denn sie war Jüdin — auch nicht aus Prahlsncht und Eitelkeit, denn sie -wußte ihre Wohlthaten stets in das bescheidenste Dunkel zu hüllen, — sondern all ihr Denken und Handeln floß rein und ungetrübt aus ihrem warmen, großen Herzen. Auch heute flößte ihr das Schicksal eines Mannes Theilnahme ein, den ihr Mann „arm" genannt und der gewiß mit Schwierig keiten zu kämpfen hatte. Durch ihre weibliche Dienerschaft hatte sie schon von dem neuen Nachbar erfahren, der so gutmüthig und höflich sei und der jetzt eine theure Miethe bezahlen müsse, ohne daß er sein Geschäft errichten könne. „Woran liegt es denn, daß der Aermste seinen Laden noch nicht geöffnet hat?" sragte sie. „Ich sagte Dir schon, wahrscheinlich an dem nöthigen Gelde," antwortete ihr Gemahl. Es ist ein Unglück," fuhr er fort, „daß so viele Leute aus der Provinz sich in die Hauptstadt drängen und glauben hier binnen Kurzem die größten Schätze zu erwerben und, weil sie den Boden nicht kennen, auch gewöhnlich nicht die hinreichen den Mittel mitbringen, natürlich zu Grunde gehen müssen." „Du solltest dem armen Menschen Helsen." — Der Kommerzieurath blickte mit gutmüthigem Lächeln in die großen, dunklen Augen seiner Gattin. „Wie schade, daß ich nicht «in Krösus bin, denn für Deine überschwängliche Herzensgute bin ich immer noch zu arm! Aber der Mann hat noch nicht meine Hülfe in Anspruch genommen und sie dem Ersten Besten auszudrangen, dazu finde ich wirklich keine Veranlassung. Jedenfalls wird es mit Eröff nung eines Geschäftes dort zu spät sein, denn mein Nachbar beginnt, wie ich höre, gleich nach dem Fest mit dem Abbruch." Seine Gemahlin antwortete nichts hierauf. Sie mußte erkennen, daß er Recht habe. Während dieses Gespräches hatten sie schon die belebten Straßen der Hauptstadt hinter sich und der Wagen rollte jetzt an hübschen Villen und Landhäusern vorüber. Es war der erste Osterfeiertag; ein ungewöhnlich warmer Sonnenschein ruhte über der Erde und alles strömte hinaus,, aus der Straßen quetschender Enge. — Unwillkürlicb wurde die Kommerzienräthin an die Schilderung des Osterfestes in Göthes „Faust" erinnert. Wie froh und glücklich sahen heut all diese Menschen aus, als ob gar kein Elend aus dieser Welt herrsche! Drückten diese lachenden, scherzenden Menschen wirklich keine Sorgen oder wollten sie nur heut einmal sie vergessen und ge waltsam von sich abschüttcln? Nein, dort waren auch wieder die alten Jammergestalten, die sich hinaus geschleppt, um die fröhliche Oster stimmung für sich auszunutzen. Die;e gewerbsmäßigen Bettler wissen cs schon, daß an solchen Tagen sich gern auch die härteste Hand öffnet. Die Kommerzienräthin griff in die Tasche, um einem am Wege lagernden Krüppel eine Gabe zuzuwerfeu. Mit ihrem Börse zog sie einen Brief heraus, der ihr kurz vor der Abfahrt cingehändigt worden und den sie in der Eile ungelesen zu sich gesteckt hatte, denn sie ließ nicht gern bei solchen Gelegenheiten ihren Gemahl auf sich warten. Sie glaubte schon den Inhalt des Schreibens zu kennen. Irgend ein Bittbrief; — dennoch wollte sie ihn jetzt sogleich lesen. „Entschuldige!" wandte sie sich zu ihrem Gemahl und das be lebte Landschnstsbild, das sich vor ihr aufrollte, nicht weiter beachtend, versenkte sie sich in die Lectüre des Briefes. Der Inhalt desselben war ganz geeignet, sie in eine gewisse Auf regung zu versetzen. Es war ein armer Handwerker, der in seiner tiefsten Verzweiflung ihre Hülfe in Anspruch nahm. Durch den Bankerott eines Geschäftsfreundes war er vor Kurzem um sein sauer erspartes Verniögen gekommen. Morgen, als am Quartalstage, hatte er die Miethe zu entrichten, und wenn ec die nicht pünktlich zahlte, drohte ihm die sofortige Exmission und dann war er vollends zu Grunde gerichtet. Er bat um ein Dahrlehn von 200 Thlr. und ver sprach es gewissenhaft zurückzuzahlen, sobald er nur wieder zu Kräften gekommen sei, „Wenn ich aber morgen die Miethe nicht geben kann," schloß der Schreiber des Bittgesuches, „dann nehme ich mir mit den Meini gen das Leben, denn ich mag und kann die Schande nicht ertragen, daß ich mit Gewalt ans die Straße geworfen und obdachlos werde." In den rührendsten, schlichtesten Worten bat der Unglückliche noch einmal, ihn vor dem Untergange zn retten, er werde ihr ewig dankbgr sein. Die Kommerzienräthin kannte den Mann, er hatte für ihr Haus manche Arbeit geliefert, und sich durch seinen Fleiß, seine Gewissen haftigkeit ihr Vertrauen erworben; aber sie hatte auch bemerkt, daß er ein empfindliches Ehrgefühl besaß. Bisher hatte er sich in ganz guten Verhältnissen befunden, nun war er durch jenen unerwarteten Bankerott Plötzlich in's Elend gestürzt worden. Von einem solchen Menschen, der durch harte Schicksalsschläge völlig gebrochen und muthlos geworden, war wohl zu erwarten, daß er seine Drohung wahr machen werde. „Hier aber müssen wir helfen!" sagte sie lebhaft und reichte ihrem Gemahl den Brief. „Der Mann wird sich schwerlich noch einmal aufraffen," meinte der Kommerzieurath, „er steckt schon zu tief, und das nächste Mal wird ihm wieder das Geld zur Miethe fehlen." „Das glaube ich nicht," eiferte seine Gattin, „er ist ordentlich und fleißig und wird sich schon wieder emporarbeiten." Der Kommerzieurath war von seiner Ansicht so überzeugt, daß er nicht weiter widersprach. Die Zukunft mußte ihm ja recht geben und es war auch nicht einmal Zeit dazu, seine ausgesprochene Be hauptung weiter zu begründen, denn sie hatten jetzt schon das Ziel ihres heutigen Ansfluges erreicht und der Wagen hielt vor einer prächtigen, im edelsten Styl errichteten Villa. Sie gehörte dem Bruder des Kommerzienrathes, der sich bereits von den Geschäften zurückgezogen und hier, fern von dem betäubenden Lärm und nerven- aufregendcn Treiben der Hauptstadt, ein beneideswerthes Stillleben gegründet hatte. Der alte Banquier besaß eine außerordentliche Vor liebe für die schönen Künste und sein Haus war ein belebter Ver sammlungsort für die Söhne des Apoll. Auch heute hatten sich, neben den Mitgliedern der Familie, einige Maler und Bildhauer cingefunden und die Unterhaltung bei Tafel war eine so heitere und geistanregende, daß selbst die Kommerzieu- räthin den Inhalt des Briefes vergaß, der sie kurz vorher noch so lebhaft beschäftigt hatte. Nach dem Mittagsessen, als sich die Gesellschaft zwanglos zu gruppiren begann, wandte sich der Hausherr zu seiner Schwägerin. „Ich muß Di'r meinen neuen Schatz zeigen, den ich soeben erworben," und er führte die Kommerzienräthin in seine kleine Gemäldegalerie, da er wußte, wie sehr sie seine Vorliebe für die schönen Künste theilte und sich für eine treffliche Arbeit begeistern konnte. „Ist das nicht tief ergreifend?" und der alte Herr zeigte auf ein kteines Genrebild, das die Unterschrift trug: Zu spät! — Es stellte ein ärmliches Gemrch vor, eine völlig abgezehrte Franengestalt lag am Boden; sie schien den letzten Seufzer auszuhaucheu, während sie das halbgebrochcne Auge noch einmal zu einem prächtig gekleideten Mädchen aufschlng, das soeben zur Thür hereintrat. Welch' bittere , vorwurfsvolles Lächeln zuckte noch nm die bleichen Lippen der Ster benden, als schwere Anklage für Diejenige, die mit ihrer Hülse zu spät erschien. . . Die Kommerzienräthin stand erschüttert vor dem trefflichen Bilde und sogleich kam ihr der Schreiber des Briefes in Erinnerung, der arme Handwerker wartete gewiß in größter Seelenangst auf eine Entscheidung und jede Stunde der Ungewißheit erhöhte seine Qual. — Warum" sollte sie bis morgen warten? Wer konnte wissen, wes sich dann wieder dazwischen schob und die Ausführung ihres guten Vorsatzes verzögerte, bis es jedenfalls zu spät war? Es litt sie nicht länger in der heiteren Gesellschaft; sie suchte ihren Gatten auf, der sich soeben mtt einigen Freunden an den Whisttisch setzen wolle und Anfangs ganz verwundert drein schaute, als sie von einem sofortigen Ausbruche sprach, um noch heut den armen Bittsteller aussnchen zu können. , Der Kommerzieurath hatte die Geschichte bereits halb vergessen; aber er kannte schon die Willenskraft seiner Fran in solchen Dingen und da sie noch dazu auf seine Vorliebe für eine Parthie Whist so viel Rücksicht nahm, daß sie allein zurückfahren wollte, so konnte er unmöglich ihrem Wunsche entgegentreten. Vielleicht hätte er es auch gar nicht vermocht, denn er liebte seine Gemahlin wahrhaft und wann hätten kluge Frauen nicht verstanden, selbst den eigenwilligsten Mann an unsichtbaren und dennoch festen Fäden zu führen? — „Aber da fällt mir ein, daß mein eigener Etat völlig erschöpft ist und daß ich wieder einmal Deine Hülfe in Anspruch nehmen muß." (Forts, folgt.) Vermischtes. * Eine furchtbare Explosion. Zu Stockton in Kalifornien hatten sich mehre Hundert Neugierige versammelt, um einen Versuch mit einer neuen Pumpe anzusehen, welche einen Teich trocken legen sollte. Die Pumpe wurde von einer transportablen Dampfmaschine getrieben. Da der Druck des Dampfes zu schwach schien, schraubte der Maschinist das Sicherheitsventil fest. Eine Viertelstunde darauf platzte der Kessel und schleuderte die Maschine an 150 Fuß weit fort, mitten durch die Menge, wobei eine große Anzahl von Personen theils getödtet, theils verwundet wurde. Einigen war der Kopf abgerissen, andere wurden mit schrecklicher Gewalt zu Boden und viele wurden in den Teich geschleudert, 16 Leichen sind gefunden und 26 Personen sollen verwundet sein. Der Maschinist ward getödtet. * Merseburg. Als am letzten Freitag früh 4 Uhr Frau T. aus Zabitz mit ihrer Tochter von einer Hochzeitsfeier nach Hause kam, fanden sie die daheimgebliebene 23jährige Schwester mit zertrümmertem Schädel in einer Blutlache auf der Hausflur liegen. Der Verdacht der Thgt lenkte sich auf den 17jährigen Oeconomiclehrling Ernst Berger, den Sohn einer achtbaren Familie, dessen Kleider mit Blut besprengt waren. Man fand sogar in seinen Taschen den Schraubenschlüssel, mit welchem er die Schandthat vollbracht hatte. Es erfolgte die so fortige Festnahme des jugendlichen Verbrechers, und die Untersuchung wird darthun, ob, wie vermuthet wird, unerwidert gebliebene Liebe oder andere Motive diese grausige That veranlaßt haben. Wochenmarkt zu Wilsdruff, am 7. März. Eine Kanne Butter kostete 2 Mark 10 Pf. bis 2 Mark 20 Pf. Ferkel wurden eingebracht 184 Stück und verkauft » Paar 12 Mark - Pf. bis 24 Mark - Pf.