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Die Frage einer Reduktion der türkischen Militärmacht steht in Konstantinopel ernstlich auf der Tagesordnung. Neuerdings wird auch der „Allgem. Korr." von dort gemeldet: „Angesichts der unge heuren Ausgaben, die der Pforte aus der Erhaltung der Armee auf dem Kriegsfuße erwachsen — dieselben werden auf wöchentlich 150000 Pfund Sterling Gold geschätzt — hat Mr. Forster, der Direktor der kaiserlich ottomanischen Bank, in der Finanzkommission den Vor schlag ei«er Entwaffnung zur Rede gebracht, demzufolge nur Kon stantinopel und andere wichtige Städte des Reiches kleine Garnisonen behalten sollen. Die Türkei müsse Europa erklären, daß sie Rußland und die übrigen Nachbarn für die Erhaltung des Friedens im Reiche verantwortlich mache. Dec Finanzminisler hat sich in Anbetracht der Finanznoth diesen Ideen angeschloffen. Trotzdem sind dieselben aus politischen Gründen und der Furcht vor einer nicht unmöglichen internationalen militärischen Besetzung in den hohen Regierungskreisen nicht sehr günstig ausgenommen worden. Wenn Kaiser Alexander den jüngsten Krieg im Orient unter nommen hat, um der Aufregung und Unruhe daheim, dem unklaren, aber stürmischen Drang nach freierer Entwickelung, kurz dem innern - Düppel, wie man's einmal in Preußen genannt hat, ein Ende zu machen, so ist's ihm nicht gelungen. Die Unzufriedenheit ist größer als je und der Ruf nach einer Verfassung wird immer lauter und allgemeiner. Und doch sind's augenscheinlich nur die obersten Hundert tausende, die sogen, gebildeten Classen (an denen man aber auch nicht kratzen darf, damit nicht der Barbar znm Vorschein kommt), die nach einer Verfassung schreien, wie der Hirsch nach Wasser. Die ungeheure Mehrheit des Volks versteht von diesem Rufen nichts und schlummert wie die Saat unter der Schneedecke. Der Kaiser ist ein edler Mann, „das Volk, seine Russen, beglückt er jo gern", aber zu beneiden ist er von dem Aermsten nicht. Petersburg, 14. Januar. Den neuesten Nachrichten zufolge, welche im Ministerium des Innern und im Kriegsministerium ein gegangen sind, betrug die Zahl der an der Pest Erkrankten im Dorfe Wetljanka im Gouvernement Astrachan bis zum 6. Januar 292, von denen 246 gestorben sind. Die neuesten Nachrichten bestätigen das furchtbare Wüthen der Pest in Astrachan. Die Krankheit beginnt mit unerträglichem Kopf schmerz und Hitze des Körpers des Befallenen, die Achseldrüsen schwellen furchtbar an, das Gesicht wird blauschwarz und in 24 Stunden ist der Kranke todt. Sämmtliche zur Hülfe geschickte Aerzte und Fcldscheerer sind der Seuche erlegen, meist sterben die ganzen Familien aus. Wer kann, flüchtet und verschleppt die Pest. Die Eingebornen nennen sie das „schwarze Weib". OertlicheS un- Stichfisches. Wilsdruff. Am Mittwoch verunglückte beim Herrn Stadtguts- besitzer Wegerdt durch eigne Verschuldung beim Einschmieren der Dreschmaschine ein Knecht, indem ihm mehrere Zehen so zerquetscht wurden, daß dieselben abgelöst werden mußten; der Knecht hatte bei obgedachter Beschäftigung unterlassen, die Pferde stille stehen zu lassen. — An demselben Tage wurde dem Herrn Rathskellerpachter Sander ein empfindlicher Schäden dadurch zutheil, daß ihm der Kron- lcuchter im Rathhaussaal, während er mit dem Putzen und Einfüllung der Lampen desselben beschäftigt war, ohne alle sein Verschulden Herabstürzle und in unzählige Stücke» zersprang; glücklicherweise war Herr Sander den Augenblick zuvor an einen Seitentisch getreten und wurde dadurch weiteres Unglück verhütet. Das neue Jahr, welches für das Königreich Sachsen bereits eine neue Eintheilung der Ephoralbezirke gebracht und an Stelle der bis herigen 36 Superintendenturen deren nur 25 gesetzt hat, wird auch eine sächsische Eigenchümlichkeit beseitigen: Die Executirnng der Stcucrreste durch actwc Soldaten. Dieselben erscheinen bekanntlich, mit Mauier- und Seitengewehr bewaffnet, in der Wohnung des säumigen Steuerzahlers und fassen daselbst so lange Posto, bis ihnen der die erfolgte Bezahlung der Stcucrreste doeumentirende Weichschein präsentirt und ihre Gebühren ausgezahlt werden. Die Ständever- jammlung hat nun in ihrer letzten Session auch ein Gesetz betr. die Zwangsvollstreckung wegen Geldleistungen in Verwaltungssachen an genommen. Nach demselben sind die wegen Geldleistungen in Ver waltungssachen von den Verwaltungsbehörden verfügten Zwangsvoll streckungen in bewegliche körperliche Sachen der Zahlungspflichtigen von den Verwaltungsbehörden selbst durch eigene Vollstreckungsbeamte oder mit Genehmigung des Justizministeriums durch Gerichtsvollzieher vorzunehmen. Damit ist auch die Beseitigung der Steuerexccutions- foldaten ausgesprochen. Das betr. Gesetz tritt zugleich mit dem neuen Gerichtsorganisationsgesetz und der neuen Civilproceßordnung, also am 1. Oet. d. I. in Wirksamkeit. Hoffentlich wird auch bei der neuen Organisation Verfügung getroffen, daß der betr. die Steuerzettel bringende Beamte zugleich zur Empfangnahme des Steuerbetrags, wie der Ertheilung rechtsgiltiger Quittung darüber autorisirt wird. Die Postverwaltung hat allgemein angeordnet, daß bei allen Bahnpostwagen, deren Thürcn an den Stirnseiten der Wagen sich sich befinden, wie dies bekannilich bei dem in der Nähe von Klingenberg beraubten Wagen der Fall war, die äußeren Thürdrücker entfernt werden. Die Schlösser sind dann so eingerichtet, daß die Thüren von außen nur durch den dazu gehörigen Schlüssel geöffnet werden können. Durch diese Einrichtung werd das Oeffnen der Postwagen- rhür durch Unbefugte verhindert. Dresden. Die Diphtheritis, welche hier jetzt wieder rastlos neue Opfer fordert, hat die Familie eines bei der Bahnhofsinspection Dresden - Altstadt bediensteten Hülfsbremfers namens Gruß sehr schwer heimgcsucht. Die Leute, welche allseitig den besten Ruf ge nießen, erfreuten sich bis vor Weihnachten des Daseins von vier ge funden, kräftigen Kindern. Mit einem Mal zog die tückische Krank heit in die Familie ein und raffte am Christabend das erste Kind schnell dalün, welchem 4 Tage später das zweite folgte. Am 10. Januar bestatteten die schwergeprüften Eltern auch das dritte Kind, und nicht genug des Unglücks, mußte Tags darauf auch bas vierte und letzte derselben Krankheit zum Opfer fallen. Am 9. Januar Abends gegen 8 Uhr begab sich, wie das-„Frei berger Tgbl." mittheilt, die Frau des Hüttenarbeiters Dachsel in Conradsdorf mit ihrem Kinde und einer Petroleumlampe auf den Dachboden, um dort Heu oder Stroh zu holen, warf die Lampe um und bald standen die dort angehäuften brennbaren Stoffe in Flammen, welche so schnell um sich griffen, daß es der Frau, welche wahr scheinlich das Feuer zu löschen versuchte, nicht mehr gelang, sich mit ihrem Kinde zu retten und beide mit verbrannten. Das Haus ist vollständig niedergebrannt. Freiberg. Im November vorigen Jahres wurden durch die leichtsinnige Tyat eines jungen Manne«, Ew. Otto Schulze von hier, bei dem königl. Proviantamte hier angestellt, durch eine gefälschte Quittung die sungirenden Postbeamten getäuscht und ihm ein für das Proviantamt bestimmter Beutel mit 60,000 Mark ausgehändigt. Schulze war sodann, nachdem er den größten Theil der Summe vergraben, flüchtig geworden, hatte sich in Magdeburg freiwillig der Behörde gestellt, und wurde hierher transportirt, sowie zur Unter suchung gezogen. Diese kam am 10. Januar zum vorläufigen Ab schlusse in erster Instanz; das kgl. Bezirksgericht verurtheilte Schulze zu Zuchthausstrafe in der Dauer von 6 Jahren. Am 13. Januar ereignete sich im Nathhause zu Freiberg ein höchst bedauerlicher Unfall. Schon in der Stacht vom Sonnabend zum Sonntag hatte der im Nathhause wohnende Hausmeister Clauß nitzer einen Brandgeruch wahrgenommen und unter Assistenz eines Schornsteinfegers auch die Ursache desselben entdeckt und beseitigt. In der zweiten Etage war nämlich ein am Schornstein liegender Ueberzug, an welchem mittelst eisernen Bolzens ein Balken besestigt war, in Brand gerathen. Man hielt mit dem Löschen des Feuers die Gefahr für abgewandt, als sich am 13. Januar wieder Plötzlich wieder Brandgeruch im Gebäude verbreitete. Sofort begaben sich Stadtrath Beyer, Bautechniker Köhler und Hausmeister Claußnitzer an jene Stelle und suchten durch Zugießen von Wasser das Feuer zu dämpfen. Es mögen aber doch die Balken stark angekohlt ge wesen sein, denn der durchbrannte Ueberzug gewährte keine Wider standsfähigkeit, und so stürzte die Decke jammt Balken mit den da rauf befindlichen drei Personen ca. 20 Fuß tief auf den Flur bez. die steinerne Treppe der ersten Etage herab und die fußlos ge wordenen Balken ihnen nach. Hausmeister Claußnitzer erlitt einen Schädel- und Beinbruch und war auf der Stelle todt. Bautechniker Köhler wurde im Stadtkrankenhanse untergebracht und bieten feine wie die Verletzungen des Stadtraths Beyer, welcher mit dem Gesicht und der rechten Seite aus das eiserne Treppengeländer aufschlug, zu weitergehcnden Besorgnissen keinen Anlaß. Auch der Kassirer Rauschenbach wurde von der herabstürzenben Decke getroffen und soll eine Lähmung davongetragen haben. Der Einsturz erfolgte Mittags mit dem Glockenschlage 12 Uhr. Wäre er 1 oder zwei Minuten später eingetrcten, wo die meisten Beamten ihre Bureaux verließen und den Treppeuflur frequentirten, dann hätte das Unglück leicht größer werden können. Der verstorbene Hausmeister Claußnitzer hinterläßt eine Fron und einen Sohn. Durch einen anscheinend mit der Tollwuth behafteten Hund ist am 10. Januar in Dippoldiswalde ein sehr bedauerlicher Unfall vorgekommen. Der in der Graupenmühle in Diensten stehende Fr. August Köhler sieht in einem Schuppen einen fremden Hund, den er davoujagen will; derselbe springt aber auf ihn zu, beißt ihm aus dem Daumen der rechten Hand ein Stück Fleisch heraus und läuft nach der Stadt zu, wo er 6—8 Personen und Kinder, jedoch nur in die Kleidungsstücke, sowie ein Pferd in die Nase gebissen; auch ergab sich, daß er in der Graupenmühle die drei Hunde des Besitzers gebissen hat. Der Hund ist dann nach Ulberndorf gelaufen und in Schmiedeberg erschlagen worden. Bei der Sektion desselben durch den Vezirksthieraizt Lehnert ergab sich, wie schon das Benehmen des Hundes beim Leben ein der Tollwnth verdächtiges gewesen, daß er mit dieser Krankheit behaftet war. Der Dienstknecht Köhler hat ärztliche Hülfe sofort gesucht und die Wunde ausbrennen lassen, ein Gleiches ist mit dem Pferde geschehen; die Hunde des Besitzers der Graupenmühle sind erschossen worden. Pirna. Wie der hiesige „Anzeiger" hört, ist der Billeteur auf hiesigem Bahnhöfe, welchem in vergangener Woche die Billetkasje in der Höhe von 700 Mark gestohlen wurde, auf Veranlassung der kgl. Generaldirektion vorläufig vom Dienste suspendirt worden. Das auS Drathoeflecht bestehende Geldbehältniß ist, nachdem es seines Inhalts beraubt gewesen, ein paar Tage nach dem Diebstahl in einem Garten aufgefunden, ebenso ist ein junger Mensch, welcher den Kriminalbe hörden bereits wohlbekannt ist, zur Haft gebracht worden, da er sich in letzter Zeit vielfach auf dem Bahnhofe umhcrgetrieben hatte. Ein Schatten. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane „Am Genfer See", „Auf der Grenze." (Nachdruck verboten.) Fortsetzung. Eifrig bestätigte der Bärcnwirth von Neuem die Wahrheit dieser Behauptung und ihm die Rechte hinreichend, setzte er energisch hinzu: „Da haben Sie meine Hand darauf, daß ich's aller Welt sagen will, wie wunderbar Sie's getroffen. Ich hab schon immer vor Ihnen Respekt gehabt, Herr Kreis-Phynkus, das wißen Sie, aber jetzt halte ich Sie jür den gescheidesteu Arzt im ganzen Königreich." „Zu viel der Ehre!" schmunzelte der KrciS-PhysikuS und schlürfte mit gleichem Behagen das Glas Wein wie die Schmeichelei des WirthcS hinunter. „Ja, lieber Freund, Neustadt wird schon einmal wissen, was es an mir gehabt hat, leider ist es dann zu spät. Aber nun wollen wir uns zu dem Fremden begeben, vielleicht ist noch Hülfe möglich," und er machte Miene, sich zu erheben. „Da geben Sic sich weiter keine Mühe, der ist richtig todt. Die Lene hat ihm schon Siegellack aus die Brust getröpfelt und er hat kein Lebenszeichen von sich gegeben." „Dann ist's vorbei mit ihm," erklärte der Doktor und machte ein verwundertes Gesicht. „Wie ist denn ihre Wirthschasterin darauf gekommen?" „Sie wollte nicht glaubcn, daß der Reisende todt sei. Ich sagte ihr, daß Sie schon gestern davon gesprochen, den Fremden werde der Schlag rühren, und nun ist's richtig schon eingetrofsen und sie möcht's mit Siegellack versuchen und wenn er sich dann noch nicht rühre, so habe der Herr Kreis «Phynkns Recht behalten und ganz Neustadt müsse endlich einsehcn, was es an unserm lieben Doktor für einen außerordentlichen Arzt habe, der sich mit den Geschcidtesten in der Residenz messen könne, geschweige mit solch' grünen Menschen, die noch nicht hinter den Ohren trocken." Das schwammige Gesicht des alten Mediciners nahm einen immer verklärten! Ausdruck an, er hatte nur ein Glas trinken wollen, jetzt griff er von Neuem zur Flasche, schenkte zwei Gläser voll und in der glücklichsten Stimmung sprang er auf, schlug dem Wirth auf die Schulter und sagte gerührt: „Kreuzschmidt, Sic sind ein guter Kerl, säst so gut wie Ihr Wein und das will viel sagen. Stoßen wir mit einander an aus das Wohl des Weißen Bären, möge sein Keller immer solch edles Naß beherbergen, wie «S in unserem Glase funkelt!" und von diesem erhebenden Gedanken fortgerissen, leerte er sein Gia« auf einen Zug. Kreuzschmidt beobachtete aufmerksam das Benehmen des alten Arztes; er lächelte still vor sich hin, als sich derselbe noch einmal