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hat die Tragödie, deren Hauptheld Ihr Onkel war, einst in diesen Räumen mit erlebt, wodurch seine Ueberraschung, Sie hier zu sehen, hinlänglich motivirt sein wird." „Ah, ich verstehe, das ist freilich etwas Anderes," versetzte der Graf, seine Augen wieder mit dem Glase bewaffnend, „der Herr Baron wollen ebenfalls entschuldigen, Ihr Entsetzen streifte wirklich an's Komische." „Dieser Herr ist der Neffe jenes Grafen Rüdershausen, welcher sich einst gegen meine Schwester und damit gegen unsere Familie so schwer ver ging," fuhr Ulrike rasch fort, „sein Onkel ist todt, hat aber den Neffen mit der Mission beauftragt, einen Brief, den er vor seinem Tode an sie geschrieben, in die Hände meiner Schwester zu legen. Was meinen Sie dazu, Baron?" „Ich meine, daß unsere theure Kranke davon den augenblicklichen Tod haben könnte," versetzte der Baron ohne Besinnen. „Was enthält der Brief, Herr Graf?" Der Ton des sanften schüchternen Barons klang so kurz und gebieterisch bei dieser Frage, daß Ulrike ihren Ohren nicht trauen mochte. „Sicherlich nur Gutes," versetzte der Graf eben so kurz, „Sie werden eS mir nicht verargen, wenn ich bei diesen langweiligen Erörterungen die Geduld verliere und alle Folgen auf Ihr Haupt wälze. Ja, meine Herr schaften," fuhr er zornig fort, „Ihre Weigerung ist ebenso grausam als selbstsüchtig, und Ihr Haß, welcher einer Sterbenden den letzten Trost entzieht, im höchsten Grade unedel. , „Wollen Sie die Kranke auf diesen Besuch vorbereiten, Baron?" fragte Ulrike jetzt mit fester Stimme. „Ich muß es wohl," nickte der alte Her düster, „dieser junge Herr kennt Sie nicht, meine Gnädige, sonst würde er nicht von Selbstsucht und Grausamkeit reden. Ja, ich gehe, hoffe aber nichts Gutes von dieser Stunde, besser wäre es jedenfalls, den Arzt erst zu befragen. Ah, ah," setzte er aufhorchend hinzu, „ich höre die Hausglocke, vielleicht sendet der Himmel ihn her." In der That war es der Arzt, welcher nach wenigen Augenblicken unangemeldet in das Zimmer trat und kaum die Botschaft des jungen Grafen vernommen hatte, als er auch sofort den Baron mit sich nahm, um die Kranke vorzubereiten. „Wir werden nichts damit verderben," bemerkte er voranschreitend, „im Gegentheil könnte diese Freude ihr das Sterben erleichtern. Wir kennen ihr Gemüth, Herr Baron, es ist so leicht nicht zu erregen." Irmgard lag, von einer barmherzigen Schwester bewacht, auf ihrem Lager wie ein starres Todtenbild. Jetzt öffnete sie die tiefeingesunkenen Augen und lächelte dem Baron zu. „Was bringen Sie mir Neues?" flüsterte sie, „ist Hedwiga gekommen?" „Noch nicht, Gnädigste!" erwiderte der Baron, sich zu ihr neigend, während der Arzt leise mit der Pflegerin sprach. „Sie wird sicherlich unterwegs schon sein. Aber, wenn Sie mir, Ihrem getreuesten Sklaven, versprechen wollen, sich nicht zu erregen, dann würde ich Sie fragen, ob Sie geneigt wären und sich stark fühlen, einen fremden Besuch zu em pfangen, um eine Botschaft entgegen zu nehmen, welche vielleicht, ich be tone das Wort vielleicht, theuerste Gnädigste, Ihnen eine Art Genug- thuung nach einer gewissen Seite hin gewähren könnte. Jrmgard's geistiges Verständniß schien angesichts der nahen Auflösung noch überraschend klar zu sein. Sie blickte den alten Freund forschend an und flüsterte, da die schwache Brust kein lautes Wort mehr hervor zubringen vermochte, „Wer ist es, reden Sie deutlich, Baron, ich bin nicht schwach." Der alte Herr räusperte sich einige Male, blickte zu dem Arzt hinüber, der zustimmend den Kopf neigte und sagte mit zitternder Stimme: „Es ist ein junger Cavalier aus Oesterreich, der von seinem seit wenigen Wochen in die Ahnengruft hinabgesenktcn Oheim die Mission erhalten, Ihnen, Gnädigste, seine letzte irdische Bitte in Gestalt eines Schreibens persönlich einzuhändigen." Ein jähes Roth überlief das leichenblasse Antlitz der Kranken, die wachsbleichen Hände zitterten, krampfhaft bewegten fick die blassen Lippen. Dann schloß sie die Augen und lag eine Weile ganz unbeweglich da, bis sie plötzlich die Augen wieder öffnete und leise sprach: „Er kommt von ihm, — ich will ihn empfangen, seine letzte Bitte erfüllen, was es auch sei." Der Baron verließ das Zimmer und kehrte mit dem jungen Grafen zurück; auch Ulrike war unbemerkt eingetreten, um die aufregende Scene zu überwachen. Es lag ihr wie ein Alp des Unheils auf der Brust und schnürte ihr die Kehle zu. Der Graf beugte ein Knie vor der Kranken. „Ich danke Ihnen, meine Gnädigste, im Namen eines Todten für Ihre Güte, mich zu empfangen," begann er, „Sie sehen in mir den Neffen und einzigen Erben des Grafen Walter von Rüdershausen, dessen vollständigen Namen ich zu führen die Ehre habe. Mein theurer Oheim konnte nicht sterben, ohne sich mit derjenigen auszusöhnen, der erst sein Herz, seine ganze Liebe gehört und deren Vergebung der einzige Wunsch gewesen, dessen Erfüllung er nie zu erhoffen gewagt. Ich lege diesen letzten Wunsch in Ihre Hände, gnädiges Freifräulein!" „O, Heuchelei und Comödie sondergleichen!" dachte Ulrike, mit einem unsäglich bittern Lächeln auf den Grafen blickend, der seine wohleinstudirte Rede glücklich zu Ende gebracht hatte und der Kranken jetzt das mit dem gräflichen Wappen versiegelte Schreiben überreichte. Irmgard hielt den Brief in der Hand, besah die Aufschrift, dann das Wappen mit der siebenzinkigen Krone und wieder überflog das hek tische Roth ihr wachsfarbiges Gesicht, da sie beides nur zu wohl kannte. Ihr umflorter Blick irrte suchend umher; rasch trat Ulrike näher, während der Graf sich erhob und zu Füßen des Bettes sich stellte. „Er gleicht ihm, nicht wahr?" flüsterte Irmgard der Schwester zu. „Laß die Fremden hinausgehen, nur er bleibt und der Baron." Ulrike trat zum Arzte, um ihm den Wunfch der Kranken mitzutheilen, worauf derselbe sich mit der Pflegerin entfernte. „Soll ich den Inhalt des Briefes Dir mittheilen, liebe Schwester?" fragte sie dann, zu Irmgard zurückkchrend. Diese blickte sie mißtrauisch an und flüsterte mit Anstrengung: „Der Baron!" Ulrike unterdrückte einen Seufzer, winkte dem alten Herrn rind stellte sich dem Grafen gegenüber, an das Kopfende des Bettes, dessen gestickter Umhang weit zurückgeschlagen war. Der Baron erbrach das Siegel, entfaltete mit sichtlicher Erregung den Brief mit zitternder Stimme: „Meine einzig geliebte Irmgard! — Seit Jahren von Reue und Gewissenspein gefoltert, flehe ich Dich vor meinem Tode, dem ich stündlich entgegensetze, an, mir zu verzeihen. Ich sende mit dieser Bitte meinen Neffen, den Universal-Erben meiner reichen Güter, zu Dir und hoffe, daß Du versöhnt, ohne Haß und Groll, meiner fortan gedenken wirst. Ich weiß es nur^zu gut, welch'qualvolles Dasein ich Dir bereitet, weiß, daß Dein Bruder unlängst gestorben und eine schöne Tochter zweiter Ehe hinterlassen hat. Hierauf, theuerste Irmgard! — baue ich meinen Sühne-Plan. Als ein dem nahen Tode geweihter Mann werbe ich für meinen Neffen, den künftigen Besitzer meines großen Reich thums, Graf Walter von Rüdershausen, um die Hand Deiner Nichte, um in dieser Weise Deiner Familie zu erstatten, was ich einst freventlich der selben geraubt, nämlich Rang und Ansehen vor der Welt , die einzigen Güter, um die es sich verlohnt zu leben. Du wirst mir diesen Wunsch, die Namen von Jmmendorf und von Rüdershausen in solcher Weise doch noch zu vereinen, sicherlich gewähren, da dieser Gedanke mir die letzte Stunde sehr erleichtern wird. Mit dem Bewußtsein, durch solche Sühne Deine Vergebung verdienen zu können, scheide ich in Frieden aus dieser Welt und segne Dich aus der Tiefe meines Herzens. Walter von Rüdershausen." Der alte Baron hatte bei dieser Vorlesung oft stark schlucken müssen, als ob ihm irgend etwas die Kehle znschnüre. Nun legte er das Schreiben mit zitternder Hand in Irmgards kalte Rechte und trat, sich mit seinem Taschentuch über die Stirn fahrend, rasch bei Seite, wobei sein Blick Ulrike traf, welche regungslos und bleich auf den verhängnißvollen Brief starrte. Jetzt aber schien sie den Bann gewaltsam von sich abzuschütteln. Einen verächtlichen Blick aus den Grafen, dessen Antlitz völlig kalt und theilnahmlos geblieben war, werfend, beugte sie sich über die Kranke und sagte mit sanfter, aber fester Stimme: „Ich beklage es tief, meine Schwester, daß jener Mann, welcher Dich einst kalt und grausam zu einem qualvollen Leben verurtheilte, noch einmal in seiner Sterbestunde cs versucht, seine verderbliche Hand nach dem Frieden nnseres Häuses auszustrecken. Zeige jenem Manne dort, daß Du den alten Stolz des ruhmvollen Geschlechts Dir bewahrt und wohl Vergebung für einen Todten hast, aber nie und nimmer Gemeinschaft mit einem Rüdershausen haben kannst. Zerreiße dieses Schreiben, das Dir zumuthet, um des Mammons willen das Kind Deines Bruders zu verkaufen und damit eins Todsünde gesühnt zu wähnen." Die Augen der Kranken öffneten sich jetzt gespenstisch weit, noch ein mal blitzte das dämonische Feuer darin auf und die wachsbleichen Hände ballten sich krampfhaft. Ulrike fuhr erschreckt zurück, einen angstvollen Blick mit dem verzagt dreinschauenden Baron wechselnd. „Entfernen Sie sich, Herr Gras!" rief sie diesem gebieterisch zu, „Sie sehen, was Sie angerichtet haben. Lieber Baron, rufen Sie den Arzt!" Irmgard hob die Hand und der alte Herr blieb gebannt stehen. „Ich sterbe noch nicht," sprach sie halblaut mit einer furchtbaren An strengung, „ah, das möchtest Du hintertreiben, ich sehe, wie Ihr auf meinen Tod hofft." „O, Schwester!" unterbrach Ulrike sie schmerzlich bewegt. „Ich war stets die Einzige, welche über des Hauses unbefleckte Ehre wachte. Gott sei gelobt, daß ich vor meinem Ende den alten Glanz noch sehen darf. Der Wunsch des Todten ist mir heilig, Sie sollen die Hand meiner Nichte haben, Graf, ich begrüße Sie von dieser Minute an als ein Mitglied des Hauses Jmmendorf!" Irmgard hatte diese Worte mit dem Aufgebot ihrer erlöschenden Kräfte halblaut, doch deutlich genug, um von allen Anwesenden verstanden zu werden, hervorgestoßen. „Schwester!" rief Ulrike außer sich, „Du willst Hedwiga diesem fremden Manne, den sie nie gesehen hat, verloben, ohne sie zu fragen?" „Ich will dafür sorgen, daß nach meinem Tode der Name des frei herrlichen Geschlechts von Jmmendorf nicht durch Mesalliancen geschändet werde," flüsterte die Kranke, „willst Du mich mit Deiner Heftigkeit tödten? — O, Gott, wie grausam und selbstsüchtig Du bist, Ulrike!" Der Baron hatte in seiner Angst und Rathlosigkeit das Zimmer ver lassen, um den Arzt und die barmherzige Schwester zu holen, wofür Ulrike ihn mit einem dankbaren Blick belohnte. Ohne Zögern schritt der Arzt an's Bett und gebot sofort die strengste Ruhe für die Kranke, was natürlich die Räumung des Zimmers zur Folge hatte. Der junge Graf Rüdershausen verabschiedete sich von Jmgard, welche ihm die "Hand zum Kusse überließ, aber kein Wort mehr hervorzubringen vermochte. Draußen im Wohnzimmer sprach Ulrike mit vor Erregung zitternder Stimme: „Ich hoffe, mein Herr!" —daß jene abscheuliche Komödie, welche Ihr todter Oheim noch aus dem Grabe heraus vor seinem Opfer soeben in Scene gesetzt, sich niemals verwirklichen werde, ja, ich fordere dies von Ihrer Ehre, als einen Beweis der Sühne, welche der Todte in schmach vollen Schimpf verwandelt hat. Meine Nichte wird niemals ihre Einwillig ung zu diesem Menjchenschacher geben." Der Graf zuckte die Achseln, verbeugte sich und versetzte kalt: „Ich weiß, daß der Wille Ihrer Schwester allein maßgebend ist in diesem Hause und werde mich auf das Zeugniß des Herrn Barons nöchigensalls stützen müssen, da diese Heirath unter allen Umständen verwirklicht werden muß. Inzwischen empfehle ich mich Ihnen, meine Gnädigste! — um heute Abend die Ehre zu haben, meine Verlobte zu begrüßen." Er verbeugte sich auch gegen den Baron, der alle Fassung verloren zu haben schien, und verließ das Zimmer mit dem blasirtesten Gesichte von der Welt. Draußen empfing ihn der alte Johann, um ihn zur Haustbür zu be gleiten und gleich darauf hörte man den Wagen fortfahren. „Großer Gott!" stöhnte Ulrike, in einen Sessel niedersinkend, „das fehlt uns noch in zwölfter Stunde. So mußte dieser verhaßte Name noch Unheil bis zum letzten Athemzuge säen und auch die Herzen der zweiten Generation brechen. Was wird Hedwiga dazu sagen?" (Forts, f.) Vermischtes. * Ein offenes Geständniß. In den Memoiren des berühmten rus sischen Schauspielers Karatygin findet sich folgende hübsche Anekdote aus dem Leben Kaisers Nikolaus. Eines Tages geschah es, daß Se. Majestät in einer Gefangenanstalt der Provinz Jnspection anstellte und bei dieser Gelegenheit sich an einen der Strafgefangenen selbst wandte, um den Grund ihrer Hast von ihnen selbst zu erfahren. „Warum bist du hier?" fragte er den ersten. „Ich bin unschuldig, kaiserliche Majestät," erwiderte der Gefangene, indem er auf dis Knie fiel; das Opfer falscher Zeugenschaft. Eine Kirche wurde beraubt, — der Küster auf den Kopf geschlagen, — ich kam grade des Wegs , wußte von nichts, doch die Bauern hielten mich fest." — „Und du?" fragte der Kaiser sich an einen andern wendend. „Auch falsches Zeugniß, kaiserliche Majestät. Dicht bei meinem Hause wurde ein Hausirer niedergemacht; aber ich hatte im Traum nicht daran gedacht, mit der Sache zu thun zu haben." „Und wie ist's mit dir?" fragte Kaiser Nikolaus einen dritten. „Die reine Bosheit, Majestät. Einer meiner Nachbarn praktizirte ein Bündel falscher Banknoten in meine Tasche und versteckte den Lithographie-Stein in meiner Schlafkammer, wo er dann gefunden wurde. Ich war an der Sache so unschuldig, wie ein neuge borenes Kind." Der Kaiser, sichtlich verstimmt durch diese fortwährenden Versicherungen der Schuldlosigkeit, blickte die Reihe der Gefangenen ent lang, bis sein Auge auf einen zerlumpten, elend aussehenden Zigeuner fiel, den er mit den Worten anredcte: „Natürlich bist du ebenfalls infolge einer ungerechten Beschuldigung hier?" „Nein, ganz und gar nicht, Ma jestät," erwiderte der Zigeuner, „es hat alles seine Richtigkeit bei mir, und man hat mir nicht zu viel gethan, wie ich überzeugt bin. Ich stahl einem Handelsmann seinen Ponny." „Wirklich du stahlst den Ponny?" sagte der Czar lachend und wendete sich dann mit gutgespielter Strenge an den Gouverneur des Gefängnisses „So lassen sie augenblicklich diesen nichts nutzigen Kerl hinauswerfen. Ich kann ihm nicht gestatten, auch noch eine Minute länger in so ehren- und tugendhafter Gesellschaft zu bleiben; der Kerl verdirbt mir sonst am Ende diese guten, unschuldigen Leute."