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„Und weshalb? Ist Tante Irmgard kränker geworden?" „Ja, Tante Ulrike telegraphirte um schnellste Heimkehr." Ulrich sah den Freund nachdenklich an. „Es wäre gut, wenn auch ich dort wäre," sprach er leise, „Sie glauben nicht, welche furchtbare Macht diese Mumie noch im letzten Augenblick ihres unheilvollen Lebens auszuüben im Stande ist. Es würde ihr das Sterben sicherlich erleichtern, wenn sie vorher noch das Lebensglück einiger Menschen zertrümmern könnte. — Und Tante Ulrike war ihr gegenüber stets ein schwaches, nachgiebiges Kind." "Sagen Sie lieber, sie war eine Heldin der Selbstaufopferung," be ¬ merkte Egon. „Nein, sie war eine Verbrecherin gegen sich selber," beharrte Ulrich düster. „Tante Irmgard wird sicherlich Hedwigas Anwesenheit verlangt haben," fuhr er nach einer Pause fort, „natürlich, um ihr ein Versprechen abzupressen, das erregte Gefühl, dem Tode gegenüber, auszunutzen und mit dem triumphirenden Bewußtsein zu sterben, noch im Grabe als eigentliche Gebieterin des Hauses Jmmendorf zu herrschen. Bah, mein lieber Doc tor! sie kennt ganz genau die Natur ihrer Pappenheimer und weiß, daß ein Eid gehalten wird, und daß sie schwören läßt, ist so sicher, wie meine Ohnmacht, dieses Bett jetzt zu verlassen." „Hedwiga schwöret nicht," versetzte Egon mit einen tiefem Athemzuge. „Sind Sie desfen so sicher?" „So sicher, wie ich ihrer Liebe bin," rief der junge Gelehrte, ihm mit einem strahlenden Lächeln beide Hände entgegenstreckend, welche Ulrich mit festem Druck ergriff. „Ich wußte es," nickte der Kranke bewegt, „mein Freund, mein Bruder, ich segne Euern Herzensbund als Haupt der Familie. — Und nun höre meinen Rath, folge Deiner Braut mit dem nächsten Zuge und wache über Dein Glück. Du wirst meine Vollmacht mitnehmen, um als mein Stell vertreter der Tante Ulrike zur Seite zu stehen. Verliere keine Zeit, mein Bruder, diese sterbende Mumie ist jetzt am gefährlichsten für die treuen Seelen, welche ihr so viel geopfert. Sie ist die verkörperte Selbstsucht, unfähig, die reine selbstlose Liebe der Schwester zu begreifen und in Vor- urtheilen ganz verknöchert. Geh, schütze Dein Glück, daß sie es nicht mit dem letzten Athemzuge vergifte." Der so lange zurückgedämpfte Haß des jungen Freiherrn gegen die grausame Schwester seines Vaters brach sich jetzt gewaltsam Bahn. — Der Arme hatte zu viel unter ihrem verhängnißvollen Einfluß gelitten, um noch einen Funken Theilnahme für sie empfinden zu können, Alles, was er bei ihrem Andenken empfand, war mit Haß durchtränkt. „Egon bot seine ganze Beredtsamkeit auf, um ihn zu beruhigen und seine Schreckbilder zu bannen. „Hedwiga ruft mich, sobald sie meiner Hilfe bedarf," sagte er „meine Gegenwart würde vielleicht irgend eine Katastrophe beschleunigen und neues Unheil heraufbeschwören. Vielleicht darfst Du den Allgütigen für diese Krankheit Preisen, da Dir jedenfalls schwere Stunden erspart bleiben. „Aber Tante Ulrike würde an mir eine feste Stütze gefunden haben," wandte der Kranke ungeduldig ein. „Wer weiß, mein theurer Bruder! Dein ungestümer und unruhiger Sinn wären jedenfalls ebenso verhängnißvoll geworden wie meine zudringliche Gegenwart. Wir können nichts thun als ausharren und der Liebe vertrauen." „Wen das Unheil niemals gepackt hat, ahnt seine Nähe nicht," mur melte Ulrich, den Freund mitleidsvoll anblickend, „armer vertrauender Bruder!" XXIV. Während Hedwiga von Jmmendorf mit dem Abendzuge heimwärts fuhr, war mit dem Morgenzuge ein junger, vornehmer Cavalier in L. ein- getroffen und, von seinem Kammerdiener und einem Groom begleitet, nach dem ersten Hotel der Stadt gefahren. Hier hatte er sich als Graf von Rüdershausen aus Wien in's Frem denbucheingeschrieben, gut gefrühstückt, Toilette gemacht nnd auf zwölf Uhr einen Wagen bestellen lassen. Der Graf machte den Eindruck eines blasirten Hofmannes. Das blasse Gesicht mit dem röthlichcn Schnurr- und Backenbart war nicht häßlich. Das Haar jedoch ein wenig dünn schon, und der unange nehm stechende Blick durch sein Augenglas gemildert. Die Figur war schlank und elegant, die Haltung ziemlich nachlässig, besonders wenn er sich unbeobachtet wähnte, es schien, als ob seine Stellung ihm einen unange nehmen Zwang auferlege. Er hatte dem Wein ziemlich stark zugesprochen und überließ es seinem gewandten Kammerdiener, ihn salonfähig zu machen. Dann stellte er sich vor den Spiegel, um eine letzte Musterung vorzunehmen, nickte sich selber wohlgefällig zu und erklärte, mit seinem äußern Menschen zufrieden zu sein. Der Groom meldete die Ankunft des Wagens, und sein Gebieter be gab sich hinunter, um sich nach dem freiherrlich Jmmendorf'schen Hause fahren zu lassen. Graf Rüdershausen ließ den Groom klingeln und die gräfliche Karte abgeben. Der alte Johann warf einen Blick auf dieselbe und fuhr entsetzt zu rück, worauf er die verhängnißvolle Karte eiligst zu Fräulein Ulrike brachte. Sie las und erblaßte, — sollte sie den Grafen abweisen? — Oder — sandte Gott denselben, um den letzten Sonnenstrahl in die Nacht der Sterbenden zu senken? Ihr liebevolles Herz siegte wie immer über die mahnende Stimme der Vernunft. Walter von Rüdershausen? — War er es wirklich selber, jener Ver- räther, der einst den Fluch über die Schwelle getragen, ein reiches Leben im Jugendglanz vernichtet und unsägliches Weh verschuldet hatte? — Kam er, um Jrmgard's Verzeihung zu erflehen? War sie berechtigt, zwischen ihn und die Sterbende zu treten? — (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * „Auch durch dem Leder." Pätzold erzählt in seinem Briefe „Blücher- und Wrangel-Anekdoten folgenden Scherz: Als der König einmal bei Wrangels Geburtstag dem Feldmarschall mit besonderer Wärme die Hand gedrückt hatte und dessen Freunde ihm sagten, er hätte doch die Handschuhe vorher ausziehen sollen, erwiderte Wrangel: „Lieben Kinders, ist nicht nöthig, meines Königs Händedruck fühle ich auch durch dem Leder." * Respect und Verlegenheit. Der Kronprinz I. von L., ein sehr populärer Fürst, vergnügt sich auf dem Lande mit Kegelschieben. Mit einem glücklichen Wurf macht er alle Neun. Der Kegelbub' ruft bald verlegen, halb respectvoll: „Achte — und Ihr Herr Vater!" * Unnöthige Vorsicht. Vater: „Karlchen, ich hoffe doch, daß Du in der Pension keine Schweinewurst ißt; es könnten leicht Trichinen darin sein." — Karlchen: „Ach, die schaden mir nicht; die Frau Professor schneidet die Wurst so dünn, daß die Trichinen alle zerschnitten werden!"