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Anlage zu Ao. 24 des Wochenblattes für Wilsdruff etc. Die Herrin von HardinghoLm. Original-Roman von Emilie Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Sic irren, gnädige Frau!" erwiderte der Anwalt, „die öffentliche Meinung steht auf Ihrer Seite, und wenn ich Ihnen auch nicht Ihre schwere Lage verhehlen kann, so dürfen Sie doch den stolzen Trost haben, daß Sie Freunde unter den vortrefflichsten Menschen besitzen, welche im Herzen für Ihre Schuldlosigkeit zeugen und mich eigens von Berlin aus beauftragt haben, Ihre Sache nach besten Kräften zu führen. Ich nenne Ihnen den General von Ruthard, den Ritterguts besitzer Gebhardt und seine Frau, des Generals Nichte, den Hauptmann vom Genkralstab, von Hellborn, den ich mit Stolz meinen Freund nennen darf, und noch viele andere vortreffliche Menschen aus Ihren Kreisen." Als Gabriele diese Namen nennen hörte, wurde ihr Auge feucht, sie reichte dem Anwalt die Hand und versprach ihm, den Bann der Apathie abzuschütteln und muthig, ihrer Un schuld vertrauernd, den Blick auf die dunkle Zukunft zu richten. Er ließ sich jetzt, obwohl er ihre Akten bereits gründlich durchstudirt hatte, noch einmal mündlich Alles von ihr mit- theilen, wobei er auch nicht den geringsten Umstand außer Acht ließ, notirte sich noch mancherlei und schied von ihr mit der vollständigen Ueberzeugung ihrer Schuldlosigkeit. Die Stadt M. glich am Tage der Schwurgerichts-Ver handlung einem Bienenkörbe, da auch die Landbevölkerung in Hellen Haufen hereinströmte, um vielleicht doch wenigstens die Angeklagte noch einmal zu sehen. Der Freiherr von Har ding war eine zu bekannte Persönlichkeit und seine schöne Tochter zu beliebt gewesen, als daß man ihr aus diesen Kreisen nicht die größte Theilnahme entgegengebracht hätte. Wie viel durch Unglück oder Naturere'gnisse herabgekommene Landleute verdankten dem verstorbenen Freiherrn wieder eine sorgenfreiere Existenz, während die Frankenburg's, Vater und Sohn, seit sie Besitzer von Hardingholm geworden, jeden um ein Dar lehn Bittenden kurz abfertigten. Wenn die Frau Baronin sich wirklich in dieser schreck lichen Weise von dem wüsten Gemahl befreit hätte, — also calculirten einige recht gottlose Burschen, — so könnte man ihr's eigentlich gar nicht verdenken, — welche Abscheulichkeit jedoch von der Mehrheit arg verdammt wurde, da kein Mensch so was von ihr glauben könne. Nun, der Gerichtssaal war, was die Zuhörerräume an betraf, zum Erdrücken voll, es konnte buchstäblich keine Steck nadel zur Erde fallen. In einer Ecke der Tribüne saß der alte General von Ruthard in Uniform, neben ihm Ottilie und ihr Gatte, hinter ihnen versteckt Hauptmann von Hellborn in dunklem Uniform-Rocke. Er war auffällig blaß, der Blick ein wenig getrübt, das Antlitz im Uebrigen unbeweglich, wie aus Marmor gemeißelt. Die vor ihm sitzenden Freunde schienen sich verabredet zu haben, ihn gänzlich unbehelligt zu lassen, da sie sich gar nicht nach ihm umblickten und somit auch kein Wort an ihn richteten. Ottilie hatte mit feinem weiblichen Gefühle diese Anordnung getroffen und der General sich derselben gefügt, obgleich es ihm sehr schwer fiel, seinen Liebling, denn das war der Hauptmann ganz entschieden ge worden, die ganze lange Zeit über nicht einmal anblicken zu dürfen. Der hohe Gerichtshof war versammelt, die Angeklagte wurde hereingeführt. Beim Anblick der schönen, jugendlichen Gestalt, deren Antlitz den Ausdruck tiefsten Leidens trug, ging eine Bewegung durch die'Zuhörerräume, da wohl nur wenige sich der Theilnahme für die im einfachen Trauerkleide, gesenkten Hauptes dahin schreitende Frau, welche jetzt auf der Anklagebank Platz nahm, erwehren konnten. Der Präsident richtete die gewohnten Fragen an die An geklagte, welche dieselbe mit melodischer, fester Stimme beant wortete. Verstohlen trocknete Ottilie sich die Augen und warf dann seitwärts einen Blick auf Hellborn, der todtenbleich, mit zusammengepreßten Lippen auf die rührende Gestalt der Baronin schaute. Doch keine Muskel zuckte in seinem Gesicht, kein Mensch konnte ahnen, welche Qualen sein Inneres zerrissen. „Armes Weib!" murmelte der alte General, „möchte lieber standrechtlich erschossen werden, als hier an diesem Pranger stehen." Das öffentliche Gericht war dem alten Soldaten und Edelmann, zumal in einem solchen Falle, wo es dem eigenen Stande galt, gründlich verhaßt als revolutionäre Institution. Gabriele benahm sich bei dem nun folgenden Verhör ebenso vornehm und würdevoll, als fest und bescheiden. Sie hatte keinen Blick für das Publikum, sondern sah nur ihren Ver- theidiger und den Gerichtshof und beantwortete alle Fragen mit wunderbarer Ruhe. — Nur einmal, als dieser das Duell ihres ermordeten Gatten, in Folge dessen derselbe dienstunfähig geworden, berührte und den Grund des Duells von ihr zu erfahren wünschte, schien sie die Fassung zu verlieren und mit Thränen zu kämpfen, da es ihr unmöglich war, sofort zu antworten. Ihr Verthsidiger räusperte sich unruhig und schien ihr dann plötzlich durch seinen Blick me Fassung zurückzugeben. Hauptmann Helldorn hatte sich unwillkürlich von seinem Platz erhoben, als ob er anstatt ihrer diese Frage beantworten wollte, während seine Lippen fast unbewußt murmelten: „Himmel schreiende Folterung!" Als Gabrielens Stimme erönte, ließ er sich auf seinen Platz wieder nieder, während Ottilie, welche bei seiner wilden Erregung eine tödtliche Angst erlitten, beruhigt aufathmcte. Die Angeklagte sagte, daß ihr Gatte ihr die Ursache jenes Duells nicht mitgetheilt, sie überhaupt von seinem Leben in Berlin nie etwas erfahren habe. Die Frage, ob der verstorbene Gatte sie hart oder unfreundlich behandelt, verneinte sie ent schieden, weil sie sich überhaupt nur selten gesehen und sie im Besitz ihres Kindes sich ganz zufrieden gefühlt habe. Dann kam die für sie so erfreuliche Rückkehr nach dem väterlichen Schlosse, wo sie zuerst mit dem Gemahl ganz glücklich gewesen sei, bis die Ankunft einiger Gäste störend gewirkt habe. Gabriele sprach nun von dem Beginn ihres räthselhaften Leidens, das sie jetzt nach reiflicher Ueberlegung für eine lang sam wirkende Vergiftung halten müsse. Sie habe von Kind heit an die Gewohnheit gehabt, vor dem Schlafengehen ein Glas Wasser zu trinken, und in letzterer Zeit in Hardingholm häufig einen unangenehmen metallischen Beigeschmack desselben bemerkt, das jedoch nicht allabendlich der Fall gewesen. In jener verhängnißvollen Nacht habe ihr Gatte, der wahrschein lich spät von M. zurückgekehrt sei, plötzlich ihr Schlafzimmer betreten, wo sie, — die Baronin, — da sie häufig an Schlaf losigkeit leide, sich noch mit einer L-ctüre beschäftigt habe. Ein Unglück befürchtend, habe sie sich erschreckt erhoben, sei dann aber entsetzt zurückgewichen, als er sie stammelnd gefragt, ob sie noch lebe oder als Geist hier spuke. Als sie seinen Zustand erkannt, sei sie noch entsetzter geworden und habe ihm zugerufen, sich zu entfernen, worauf er zornig geworden, schreck liche Verwünschungen ausgestoßen und ihr befohlen habe, das Glas Wasser zu leeren, um sich von ihrem Dasein zu über zeugen. „Ich weigerte mich, zu trinken," fuhr Gabriele mit er löschender Stimme fort, „und fragte ihn, ob man die Absicht habe, mich zu vergiften und ob er mein Henker sein wolle, sonst möge er selber erst davon trinken. Nach einem furcht baren Wuthausbruch gegen mich ergriff er das gefüllte Glas mit einer Bewegung, als ob er mir den Inhalt in's Gesicht schleudern wollte und trank es dann plötzlich halbleer. Kaum war dies geschehen, als er das Glas langsam, wie geistesab wesend, wieder hinsetzte, das Gesicht entsetzlich verzerrte, an allen Gliedern heftig zu zittern begann und mit den Armen umherschlug. Als ich angstvoll hinzutrat, stieß er mich mit dem fürchterlichen Aufschrei: „Mörderin!" zurück und brach zusammen. Ich schrie um Hülfe, klingelte heftig und bin dann selber ohnmächtig geworden. Weiter weiß ich nichts zu sagen, es ist die lautere Wahrheit, so wahr mir Gott helfen möge!" Die letzten Worte der Unglücklichen verhallten in der tiefen Stille, welche im ganzen Saale herrschte, wie ein qual voller Todesseufzer. Sie wankte und sank dann leise ächzend auf die Bank nieder.