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legend, und verließ die Gruft, während durch die Bäume des Friedhofs leise tröstend der Wind strich. Hedwiga erschrak nicht wenig, als Tante Ulrike nach Hause kehrte und sie im ruhigsten Tone ersuchte, zum Major Tellkamp zu gehen und ihn um einen Besuch zn bitten. Sie ging, ohne eine Frage zu wagen, und der Major erschien augen blicklich, während Hedwiga bei der Freundin blieb und sich mit derselben in Hoffnungen und Befürchtung erging. WaS Ulrik« uud Tellkamp mit einander geredet, erfuhr Niemand. Nach einer Stunde kehrte er heim; sein Antlitz erschien noch bleicher und verfallener, seine Augen wie von Thränen geröthet, seine Haltung wie die eines Greises. „Sie haben Abschied genommen von den letzten welken Blättern ihres Jugendtraumes," sprach Hedwiga, während eine Thräne über ihre Wangen rann. O, Magda, ich glaube, sie hat sich meinem Glück geopfert —" „Der krassen, abscheulichen Selbstsucht," rief Magda erbittert. „Auch das, doch nur, um mich zu retten; wie kann ich ihr das je mals vergelten." „Durch die zärtlichste Liebe, deren reiche Blüthen ihr Alter umkränzcn sollen, Theure!" versetzte Magda mit feuchtem Blick. Zwei Jahre waren seit diesen letzten Ereignissen vergangen. Major Tellkamp, welcher mittlerweile eine länger« Reise unternommen, hatte ver schiedene Briefe von Egon erhalten und dieselben nach Hause gesandt, da er sich seine Briefe stets nach bestimmten Stationen schicken ließ. Würden die Zugvögel denn niemals wieder heimkchren? Hedwiga und Magda hatten diese Frage nach dem ersten Jahre unzählige Male an einander gerichtet, dann gezürnt, daß nicht ein einziges Zeichen der Liebe an sie gelangt und endlich mit stolzer Scheu förmlich vermieden, die Abwesenden zu nennen. Sie litten sichtlich unter diesem sich selber auf. erlegten Zwange und eines Tages erklärte Hedwiga der Tante, daß sie an die Fürstin schreiben wolle, ob sie ihre Stellung dort wieder antreten könne. „Armes Kind!" sprach Ulrike, sie zärtlich anblickend. „Du führst ein Einsiedlerleben bei Mir, ich kann's Dir nicht verdenken. Doch warte noch acht Tage mit dem Schreiben, da ich es für besser halte, Dich selber an den Hof zurückzubringen, — wenn eS bis dahin Dein Wille sein sollte." „Das wolltest Du thun, Tante?" fragte Hedwiga ungläubig. „Und weshalb nicht, Kind?" lächelte Ulrike, „hälft Du mich tm Ernst für nicht hoffähig?" „O, Du bös«, — gute Tante — ich würde mich ja närrisch dar über freuen." „Ja, wenn Ulrich daheim wär«, könnte er es natürlich übernehmen, aber so —" „O, schweig' von ihm, Tante Ulrike!" unterbrach Hedwiga sie in ungewöhnlichem Zorn, „er ist ein schlechter, undankbarer Mensch, der sicher lich sür die gute Gesellschaft auf immer verloren sein und wieder am freien Umherstreifen in der Welt Gefallen gefunden haben wird." „Rasch fertig ist die Jugend mit dem Wort!" citirte Ulrike, sie nach denklich anblickend, „wie kannst Du so vorschnell urtheilen, Kind, da Du doch weißt, in wessen Gesellschaft er Europa verlassen hat?" „Aber nicht einziges Mal an uns zu schreiben, uns so gänzlich ohne Nachricht zu lassen." „Du erinnerst, was vor seiner Abreise sich zutrug, Hedwiga!" ver setzte Ulrike ernst. „Ich hege die Ueberzeugung, daß er sich selber damit ein« schwere Buße auferlegt hat. Wir haben durch den Major Nachrichten empfangen —" „Ja, sein Reffe ist auch nicht besser," warf Hedwiga nachlässig hin, „mir kommt es wie maßloser Gelehrtenstolz, unmotivirter Männer-Hoch muth vor, der sich nicht herab lassen kann, an junge, unwissende Mädchen zu schreiben. Und was Ulrich's Buße anbetrifft, Tante!" setzte sie mit einem an ihr ganz ungewohnten Hohn hinzu, „so finde ich dieselbe recht bequem sür einen jungen Mann, in der That eine wenig aufreibende Buße!" Sie lachte spöttisch auf, während Tante Ulrike vorwurfsvoll den Kopf schüttelte. „Ich weiß doch nicht, ob eine solche Buße nicht ebenso schwer dem Herzen fällt, als irgend eine andere Enthaltsamkeit, mein Kind! — Ge liebten Wesen undankbar und lieblos zu erscheinen, sich selbst in den Ver dacht eines wankelmüthigen Charakters, leichtsinniger Vergeßlichkeit und Untreue zu bringen, das möchte doch nicht jedem Menschen möglich sein, es gehört meiner Meinung nach schon eine Art Heroismus dazu, diese Buße durchzuführen. Vielleicht hat dieselbe auch den Zweck, gewisse Herzen auf die Probe zu stellen, um die Beständigkeit und das Vertrauen derselben zu prüfen. Hedwiga erröthete und erblaßte. „Tante, Du kannst also auch ein wenig boshaft sein." „Beunruhige Dich nicht, mein theures Kind!" lächelte Ulrike, sie zärt lich küssend, es tbat mir nur weh, Dich so lieblos über Deinen Bruder reden zu hören. Man bricht so leickt den Stab über Abwesende, wenn die Eigenliebe sich verletzt fühlt, thue es nicht wieder, meine Liebe, solche Bitterkeiten sind Rostflecken, welche den edelsten Kern des Menschen zerfressen." Hedwiga fühlte sich beschämt und gedemüthigt, ihr Stolz bäumte sich gegen diese ernste Mahnung, doch «in Blick in die sanften Augen der Tante, in denen eine Thräne zitterte, bannte den Stolz und drängte das Wort der Liebe, die Bitte um Verzeihung auf ihre Lippen. Tante Ulrike wußte sehr wohl, weshalb sie so sicher die Abwesenden vertheidigen durfte; sie hatte einen Brief von Tellkamp erhalten, der ihr die Gründe des beharrlichen Schweigens darlegte und ihre baldige Heim kehr verkündigte. Und eines Tages lasen die verlassenen Bräute mit stockendem Herzen in der Zeitung die Kunde von der glücklichen Heimkehr jener Ex pedition, welche der berühmte Doctor Dorner als wissentschaftliche Kory phäe geleitet, und die ein zweiter Sohn dieser Stadt, der junge Freiherr von Jmmendorf, ebenfalls mitgemacht hatte. Und dann kam der Tag, wo die beiden Zugvögel in die Vaterstadt einzogen, welche ihnen zu Ehren geflaggt hatte, — die ersehnte Stunde, wo sie des Lebens höchstes Glück mit fester Hand ergreifen durften. Hedwiga hat sich der Tante Mahnung tief zu Herzen genommen ^und ihrerseits Magda eine Vorlesung hinsichtlich der verletzten Eigenliebe und ihrer unvermeidlichen Rostflecke, des seltsamen Büßers Ulrich und der ge heimen Herzensprüfung so eindringlich gehalten, daß die sanfte Magda ganz verwirrt geworden und schließlich hatte gestehen müssen, kein Wort dieser seltsamen Vorlesung verstanden zu haben, ein Geständniß, welches Hedwiga anfangs tief verletzt, dann aber mit großer Heiterkeit erfüllt und dadurch den alten kecken Muthwillen wieder gegeben hatte. (Schluß f.)