Volltext Seite (XML)
WeM MWU Beilage zu No. 100. Dienstag, den I7. Dezember 188S. Tagesgeschichte. Der Reichstag hat am Freitag seine Weihnachtsferien begonnen und sich bis zum 8. Januar vertagt. Wenn bei Eröffnung der Session am 22. Oktober angenommen wurde, die vorliegenden Arbeiten würden so rasch erledigt werden, daß der Schluß der Tagung noch vor Weihnachten werde erfolgen können, so hat man sich bedeutend verrechnet, denn der Reichtag ist in seinen Arbeiten noch sehr zurückgeblieben und wird, wie man verschiedenerseits annimmt, noch bis Mitte Februar zu tagen haben. Wie schon wiederholt festgestellt ist, trägt hauptsächlich die deutschfreisinnige Partei Schuld an dieser Verlangsamung der Erledigung der Geschäfte. Keine Sitzung ging vorüber, in welcher man nicht von deutschfreisinniger Seite lange Erörterungen, meist über fernliegende Themata, herbeigeführt hätte. In der That führten, wie das „Reichsblatt" triumphirend schreibt, „die Deutschfreisinnigen in der Regel das große Wort." Ob das aber dem Lande zum Vortheil gereicht, darüber macht man sich auf jener Seite keine Gewissensbisse; die Hauptsache ist dieser Partei, für die bevorstehen den Wahlen Agitationsmaterial herauszuschlagen. Dies ist aber glücklicher weise der Opposition bisher nicht gelungen. Die Phrasen und Schlag worte, welche der Freisinn konstruirt hatte, um damit die urtheilslose Menge für sich zu gewinnen, sind Stück für Stück und Schritt für Schritt wider legt und gegenstandslos gemacht und die am Schluffe der Session so auf fallend „produktiv" sich zeigende Partei der Negation begegnet, wie die Rede des Professors Bulle zeigt, selbst freisinniger Seite werden übrigens die Weihnachtsferien eifrig für die Wahlagitation ausgenutzt werden. An verschiedenen Orten sind Versammlungen angekündigt und die bewährtesten Redner und Agitatoren jener Partei begeben sich auf Wahlreisen. Der drohende Grubenarbeiterstreik in Westfalen scheint durch Nachgiebigkeit der Verwaltungen und durch die wohlwollende Vermittelung der Behörden abgewendet zu sein. Im Saarevier aber hat am Mittwoch eine geheime Bergarbeitervsrsammlung stattgefunden, in welcher für Donners tag der Streik beschlossen wurde, der an jenem Tage auch in zwei fiskalischen Gruben in der That ausbrach. Hoffentlich gelingt es den Behörden, welche auch hier sich nach dieser Richtung thätig zeigen, einen Ausgleich herbeizuführen. Wie verlautet, soll der Minister des Innern alle Polizei behörden des Kohlenreviers angewiesen haben, eine öffentliche Bekannt machung zu erlassen, worin die Arbeiter darauf hingewiesen werden, daß nach dem jüngsten Reichsgerichtserkenntniß die öffentliche Aufforderung zum Vertragsbruch, also jede sofortige Arbeitsniederlegung, strafbar sei. Die „St. James' Gazette" macht die Rundreise des Deutschen Kaisers in Süddeutschland zum Gegenstand einer Besprechung. Darin wird hervorgehoben, daß Kaiser Wilhelm seiner Rolle als das äußere und sichtbare Sinnbild der Einigkeit Deutschlands in vollem Maße gerecht werde. Er fördere das Werk der Aussöhnung zwischen Preußen und Süd deutschen, in Folge dessen ihn alle Deutschen loyal empfangen könnten, ohne ein unbehagliches Gefühl, daß sie sich dadurch vor einem preußischen Gebieter beugen. Der Besuch in Frankfurt gewähre einen schlagenden Beweis von dem Wachsthum des deutschen Einheitsgefühls unter preußischer Führung. Ein hochherziger Act der Humanität ist vom Kommerzienrath Krupp in Essen zu verzeichnen. Herr Krupp hat seinen verschiedenen Stiftungen zum Wohle seiner Arbeiter eine neue hinzugefügt indem er die Summe von 500 000 Mark zu Gewährung von Geldzuschüsfen aus deren Zinsen an solche Arbeiter anwies, die sich ein eigenes Haus zu bauen wünschen. Brüssel. Bei einer Explosion des javanischen Dampfers „Sekureo" wurden 52 Passagiere und 4 Matrosen getödtct. In Frankreich fand wieder einmal eine rechte stürmische Kammer sitzung statt; es handelte sich um die Ungiltigkeitserklärung der Wahl Boulangers, welche von der Kammer ausgesprochen wurde. Nach diesem Votum, daß die Wahl des Gegenkandidaten Joffrin für giltig erklärte, ist dieser, trotzdem er genüber den mehr als 8000 Stimmen, welche auf Boulanger fielen, nur 5500 Stimmen erhielt, als gewählt anzusehen. Neuerdings beginnt in Frankreich wieder der Chauvinismus seine Blüthen zu treiben. So erzählt die boulangistische „Cocarde", daß eine Anzahl Pariser Kaufleute sich zu einer Liga vereinigt hat und demnächst eine Versammlung abhalten wird, welche zum Zweck hat, die deutschen Kom missäre zu verhindern, als Vermittler zwischen den französischen und den fremden Geschäftsleuten zu dienen. Vaterländisches. — Am Freitag wurde in Dresden die bronzene Gedenktafel, welche von den Gewerbe - und Handwerk erveretnen Sachsensaus Anlaß des 800jährigen Jubiläums des Hauses Wettin Sr. Majestät dem Könige gestiftet worden ist, im Laufe des Tages im König!. Resi denzschlosse, und zwar an der Mauer des großen Schloßhofes, gegenüber dem sogenannten grünen Thore, angebracht. — Einen höchst erfreulichen Beweis seiner Menschenfreundlichkeit hat Kommerzienrath Niethammer in Kriebstein bei Waldheim dadurch gegeben, daß er jetzt außer manichfachen bereits bestehenden wohlthätigen Einrichtungen auch allen seinen verheiratheten oder verwittweten Arbeitern rc., welche über ein Jahr in einer seiner Fabriken beschäftigt sind, eine Unterstützung von einem Kilogramm Brot wöchentlich für jedes Kind gewährt. Rechnet man im Durchschnitt pro Fabrik 200 Kinder bis zur Entlassung aus der Schule, so ergiebt das bei einer Gesammtzahl von 1400 Kindern das nette Sümmchen von 14,000 Mk. — Die Frau eines Gutsbesitzers in Pechtelsgrün bei Lengenfeld »ar am Sonntag früh vom Bette aufgestanden, hatte im Ofen Feuer ge macht und sich dann einige Zeit entfernte. Ein kleines Kind, welches mit der Mutter aufgestanden war, ergriff das Qellämpchen, welches in der Stube stand und begab sich, um die Mutter zu suchen, in den Stall. Dort kam es mit dem brennenden Lichte einigen Bunden Stroh zu nahe, diese fingen sofort Feuer und in kurzer Zeit stand alles im Stalle befindliche Brennbare in Hellen Fallen. Obgleich nun das Feuer noch rechtzeitig be merkt und gelöscht wurde, mußte der Besitzer doch 2 Stück Vieh tödten lassen, da diese vom Oualm und Rauch so gelitten hatten, daß sie dem Ersticken nahe waren. — Am Mittwoch früh wurde hinter dem Kuhstalle des Rittergutes Rottwerndorf eine Kindesleiche weiblichen Geschlechts unter mehreren Steinen und mit einem Leder zugedeckt, aufgefunden, welche von Thieren bereits angefreffen war. — In Riesa fand man am Freitage in einem frischgeschlachteten Schweine zahlreiche Trichinen aus. Das Fleisch wurde sofort ungenieß bar gemacht. — Unter den Rechtsanwälten in einer größeren Provinzialstadt haben folgende Vorgänge, die sich in öffentlicher Gerichtsverhandlung zuge tragen haben, peinliches Aufsehen erregt. Ein Rechtsanwalt hatte einen richterlichen Beamten wegen Beleidigung verklagt und gegen das freisprcchende Urtheil der ersten Instanz Berufung eingelegt. Zu der anberaumten Ver handlung war der Privatkläger, der sich als Rechtsanwalt selbst vertrat, in seinem Amtskleide erschienen. Der Vorsitzende des Gerichtes wünschte aber die Ablegung desselben und da der betreffende Anwalt es ablehnte, diesem Wunsche nachzukommen, wurde er aus dem Sitzungssaale verwiesen und die Hauptversammlung aufgehoben. Zu dem anderweit anberaumten Ver handlungstermine erschien der Anwalt wiederum in seinem Amtskleide und wurde deshalb seitens des Gerichtshofes mit einer nicht unerheblichen Ord nungsstrafe belegt. Da derselbe jedoch auch die nochmalige Aufforderung zur Ablegung seines Amtskleides nicht beachtete, ließ der Gerichtshof dem Rechtsanwalt den Talar durch einen herbeigeholten Gerichtsvollzieher aus ziehen. Der Betroffene — der von seinen College« engerisch unterstützt wird — hat nun wegen des wider ihn eingeschlagenen Verfahrens Be schwerde bei der Oberbehörde erhoben und man sieht der Entscheidung der selben in den betheiligten Kreisen mit begreiflicher Spannung entgegen. — Glauchau. Auf bisher noch unaufgeklärte Weise war am 12. Dezember Abend in der 6. Stunde meinem im ersten Stockwerk gelegenen Zimmer des Trockengebäudes der Grabner'schen Färberei auf der niederen Muldenstraße, dessen Besitzer verreist war, Feuer ausgebrochen, welches in den aufbereiteten Baumwollgarnen, Strumpfwaaren und Farbhölzern reiche Nahrung fand und so rasch um sich griff, daß nur wenig gerettet werden konnte. Die Kinder des in demselben Gebäude wohnenden Kutschers konnten, da bereits jeder Ausgang durch Feuer oder Rauchwolken abgesperrt war, nur mit eigener Lebensgefahr gerettet werden. Die Maschinen brachen in das Erdgeschoß herab, Alles unter sich begrabend. Als die Feuerwehr an langte, glich das obere Stockwerk bereits einem wahren Flammenmeer. Ihrer Thätigkeit gelang es jedoch, das Feuer auf seinen Heerd zu beschränken. Man vermuthst Selbstentzündung der Wolle. Dem Vernehmen nach hat der Abgebrannte versichert. — Ein Arbeiter in Zwickau hatte sich eine Fingerquetschung zuge zogen, weshalb ihm Umschläge mit Karbollösung verordnet worden waren. Der Verletzte, von dem Grundsatz ausgehend: Viel, hilft viel! verwendete jedoch die unverdünnte Karbolsäure zu Umschlägen. Infolge dessen starb der Finger ab und mußte ihm dieser schließlich amputirt werden. Ein hoffnungsvolles Zeichen der Zeit für das arme Afrika. An der Westküste Afrikas nahe der Mündung eines Nigerarmes liegt in ungesundester Gegend der Ort Bonny. Die Neger, welche dort wohnen, beweisen es deutlich, daß der europäsche Handel, wenn er, wie es hier der Fall ist, uneingeschränkt den Branntweinhandel betreibt, nichts weniger als segensreich wirkt und keine wahre Civilisation der Eingeborenen herbeiführt. Trotzdem daß die Schwarzen seit Jahrhunderten mit den Europäern ver kehren, waren sie doch noch bis vor kurzem im Kannibalismus und Sitten losigkeit versunken und zwar weit mehr als andere Heiden Afrikas, welche noch mit Europäern in Berührung gekommen sind. Ueberall zeigte sich hier das häßliche Zerrbild heidnischen Lebens, das uns immer cntgegentritt, wenn man sich äußerlich mit Erzeugnissen europäischer Kultur ausschmückt, ohne sich innerlich vom Aberglauben und von der Barbarei zu befreien. So sind z. B. die Häuser der Bewohner nach europäischen Mustern ver ändert, aber der Reisende Zöllner nennt sie „Ungeheuer von menschlichen Wohnungen", von denen man nicht wisse, ob man sie Häuser oder Hütten nennen solle. „Ueberall", berichtet dieser Beobachter, „zeigt sich Verfall und Mangel an Ordnungssinn", während er mit Recht darauf hinweist, daß die Afrikaner sonst ihre Dörfer, Höfe und Häuser sauber und ordent lich Herstellen und halten. In Bonny befand sich nun auch ein großer Fetisch-Tempel, in wel chem echt afrikanischer Götzendienst getrieben wurde. Man verehrte in diesem Tempel, der Jkuba genannt wurde, den 2—3 Fuß langen afri kanischen Leguon (Dorn-Eidechse.) Früher wurde eine große Anzahl dieser Tiere hier lebend gehalten und verehrt, wie man in Weidoh an der Sklavenküste in einem Tempel Riesenschlangen pflegt. Man soll deshalb diese lebenden Leguonen abgeschafft haben, weil sie zu unverschämt unter dem Geflügel des Orts aufräumten. Erst im Jahre 1865 faßte die Mission an diesem Orte Bonny festen Fuß und zwar war es der bekannte schwarze Bischof Crowther, welcher mit seinen Gehilfen hier zuerst das Evangelium verkündete. Seine Arbeit war nicht ohne Erfolg; es bildete sich eine Gemeinde, welche bald einige hundert Seelen zählte. Doch hatten die Christen immer wieder unter den Verfolgungen der Häuptlinge zu leiden. Die Finsternis wollte dem Licht nicht weichen. Als der alte Tempel baufällig wurde, mußte Crowther es erleben, daß man einen neuen errichtete. Dieser neue Tempel war ein rechtes Abbild afrikanischer mit europäischen Fetzen behangener Unkultur. Seine Wände bestanden aus geflochtenen Stöcken, sein Dach aber aus europäischen Wellenblech. Im Innern waren Hunderte von Menschenschädeln zu abenteuerlichen Bauwerken zusammengestellt und um sie herum lagen alte Kanonen, Lan zen und Holzbilder von Leguonen. Vor dem Altar befand sich das messingene Bild derselben Gottheit. Dieses Bollwerk afrikanischen Heidentums ist jetzt ge fallen. Der Sohn des nunmehr greisen Bischofs, der Archidiakonus Crowther berichtet darüber, wie folgt: „Als ich die Zeitschrift „Record" erhielt, in welcher sich des Herrn Allans Bericht über seinen Besuch in Bonny befand, glaubte ich, daß ich die Gelegenheit nicht dürfe vorüber gehen lassen, über die Schande zu sprechen, welche das Jkuba-Schädelhaus