Volltext Seite (XML)
Am Sonnabend ist Graf Kalnoky, der Minister des Auswärtigen in Oestereich-Ungarn, beim Reichskanzler Fürsten von Bismarck in Friedrichsruhe eingetroffen, um einige Tage bei demselben zu ver weilen. Seit längerer Zeit wiederholt sich die Zusammenkunft der leiten den Staatsmänner des Deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns. „Zwei fellos", meint das Wiener „Fremdenblatt", „darf man an den diesjährigen Besuch des Grafen Kalnoky beim Fürstkanzler dieselben Erwartungen knüpfen und denselben hinsichtlich seines Zieles den vorangegangenen Reisen unseres Ministers nach dem Landsitze des Fürstkanzlers gleichstellen. Wer ihn auf eine einzelne konkrete Veranlassung zurücksühren oder auf specielle Anlässe einschränken wollte, würde nur eine Verkennung der Politik der verbündeten Mächte und der Situation überhaupt bekunden. Die Be deutung eben dieser Politik für Lie Mächte wie für Europa und damit auch die verantwortungsvolle Ausgabe der geeinten Staatsmänner erfordert ein stetes Erfassen des gejammten politischen Bildes, aller für die Erhal tung oder für die Gefährdung des Friedensstandes belangvollen Bedingnisse. Ihre stete Sorgfalt reicht über einzelne Momente einer augenblicklichen Lage weit hinaus, von dem festen Willen geleitet, vor allem den Frieden auch für fernere Zeit zu sichern und alle VerauSsetzungcn abzuwägcn, in denen eine weitere Verbirgung der Ruhe Europas gesucht werden konnte. Deshalb bewahren diese Besprechungen der beiden Staatsmänner ihrer gleichartigen Wiederholung ungeachtet ihre ungeschwächte Tragweite für die Ziele des Friedcnsbundes, ja ihre Wiederholung leiht ihnen eine wachsende Bedeutung, da der oft erneuerte mündliche Verkehr, die gegenseitige Klar heit hinsichtlich aller Anschauungen der verbündeten Großmächte nur er höhen und stets erneuern kann. — Die beiden Staatsmänner werden bei ihren Besprechungen gewiß nur von dem Streben beseelt sein, zur Erfüllung der Hoffnungen beizutragen, welche von der deutschen Thronrede ausge sprochen wurden und welche dem großem Zwecke vollkommen entsprechen, in dessen Dienst sie sich ganz gestellt haben. Ist es ihnen gelungen, dem Frieden über viel ernstere Augenblicke, in denen die Gesammtlage durch heftigere Strömungen und stürmischere Bewegungen einzelner Fragen ver düstert wurde, hinwegzuhelfen, dann werden sie jetzt, wo der Horizont von einem sanfteren Licht beschienen ist, wohl mit gesteigerter Zuversicht in die fernere Entwickelung Europas und die Ausstattung seiner Verhältnisse blicken. Sie werden des für die gemeinsame Aufgabe geeinten Willens und der geeinten selbstbewußten Stärke vollkommen inne werden und allen Freunden der Ruhe neuerlich das ermuthigende und erfreuliche Schauspiel der regen und lebensvollen Beziehungen von Staaten bieten, deren aufrichtige Friedensliebe und Friedensfürsorge keiner Anzweiflung unterliegen können." Die Londoner Ausgabe des „New-York Herald" enthält einen Be richt über eine Unterredung zwischen dem Correspondenten des „Herald" mit demGrafen Waldersce im Berliner Generalstabsgebäude. Auf die Frage des Correspondenten, ob es wahr sei, daß er einen Krieg als un vermeidlich betrachte und ihn deshalb schleunigst herbeiwünsche, antwortete der Graf Walders«: „Daß ich einen Krieg wünsche, ist Unsinn; ich wünsche nur, daß wir so stark organisirt sein mögen, daß unsern Feinden jede Luft, uns anzugreifen, vergeht. Sollte die Vorsehung uns jedoch einen Krieg senden, so glaube ich zuversichtlich im Stande zu sein, die mir an- vertrauten Aufgaben auszuführen. Ich kenne den Aufopferungsgeist der Deutschen und weiß, mit welchem Vertrauen sie ihrem feurigen und energischen jungen Kaiser folgen würden. JL kenne auch unsere Armee und bin ge wiß, daß sie, was Tüchtigkeit betrifft, jeder anderen überlegen ist. Andere Nationen mögen unsere taktischen Formen und unsere Waffen nachahmen, sie können aber nicht die moralische Qualität nachahmen, und gerade diese hohe moralische Kraft ist das Hauptelement der Stärke der deutschen Armee. Unsere Bündnisse erhöhen unsere Stärke und sind jedenfalls eine kräftigtFriedensbürgschaft, aber ich bin gewiß, daß die Macht Deutsch lands, tn einer einzigen starken Hand gehalten und geleitet von einem einzigen festen Willen, stark genug ist, um einer Coalition mit guter Hoffnung auf Erfolg die Stirne zu bieten. Ein Antrag, betreffend dieWehrpflicht der Geistlichen, ist vom Abgeordneten Freiherr v. Huene mit Unterstützung des gesammten Centrums im Reichstage eingebracht worden. Der Antrag hat die Forn eines Ge setzentwurfes, dessen einziger Paragraph lautet: „Wehrpflichtige, welche sich dem Studium der Theologie einer mit Corporationsrechten innerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft widmen, werden, insofern sic nicht selbst ihre frühere Einstellung in den Militärdienst beantragen, während der Dauer dieses Studiums bis zum 1. April des Kalenderjahres, in welchem sie das 26. Lebensjahr vollenden, vorläufig nicht eingestellt. Haben dieselben bis zu der vorbezeichneten Zeit auf Grund bestandener Prüfung die Aufnahme unter die Zahl der zum geistlichen Amt berechtigten Candidaten erlangt, beziehungsweise die Sub diakonatsweihe empfangen, so sind die Wehrpflichtigen, falls sie sich nicht selbst zur Ableistung melden, von der Militärdienstpflicht gänzlich befreit." Konstantinopel. Zum Empfang Kaiser Wilhelms in Stambul schreibt „Neologos": In Yildiz Kiosk wurden nicht weniger als zehn große Gemächer für die überreichen Geschenke in Anspruch ge nommen, welche der Sultan seinem hohen Gaste zu machen gedenkt. Für die Kaiserin ist ein herrliches Diadem bestimmt, welches ein namhafter levantinischer Juwelier in Damaskus gearbeitet hat. Dasselbe kostet 20 000 türkische Pfund oder nach deutschem Geld« etwa 200 000 Mark und wird vom Padischah persönlich der Kaiserin überreicht werden. Der Gesammt- werth der Geschenke übersteigt 150 000 türkische Pfund. Als Kronprinz Rudolf von Oesterreich den Sultan besuchte, widmete dieser seinem Gaste Geschenke iw Werthe von 100 000 Pfund. Graf Herbert Bismark wird in Dolma Bagdsche im ersten Stockwerk wohnen, ebenso das Gefolge. Dem Sohne des deutschen Reischkanzlers hat der Padischah noch eine besonders glänzende Auszeichnung zugedacht, über deren Einzelheiten Be stimmtes noch nicht verlautet. Die Tochter Vahan Effendis, welcher dem nächst als Gesandter nach Rom gehen soll, ist zur Führerin der Kaiserin während ihres Harembesuches bestellt; ebenso wurde Fräulein Artin, die Tochter des Muschir Artin Pascha, *ür diesen Ehrendienst ausersehen. Der Polizeidienst wird während des Besuches vom Vezier direkt controltrt und durch die Garnison entsprechend vervollständigt werden. Zwei prächtige Kaiks zu je 10 Rudern, welche Abdul Medjid bauen ließ, werden das Kaiserpaar ans Land bringen. Die Kabinen sind ganz mit Spiegelglas und Sammet ausgestattet, sowie mit entzückenden Seiden-Ornameuten ver sehen. Die Kaiks sind blau und weiß gefärbt und reich mit Gold verziert. Zwanzig Ruderer in den kostbarsten Gewändern aus weißer goldgestickter Seide — jedes Costüm hat einen Werth von 2000 Francs — werden Ruderdienste versehen. Die türkischen Panzerschiffe, welche den Kaiser durch die Dardanellen geleiten werden, liegen in Pera bereit. Wahrscheinlich wird der Sultan seine Gäste am Hafen begrüßen. Das Kaiserpaar wird auch dem Feste des Propheten, welches am 6. November gefeiert wird, beiwohnen. Kaiser Wilhelm selbst wird am Jelamlik theilnehmen. In den Straßen wird eifrig gearbeitet, um Alles zum Einzuge vorzubcreiten. Alte unschöne Ruinen werden durch reich geschmückte Pallisadcn verdeckt. - Glasgow, 2. November. Die Teppichfabrik, welche gestern Abend hier durch den orkanartigen Sturm zum Einsturz gebracht wurde, befand sich im Umbau. Ein Theil des Gebäudes wurde neu aufgeführt, in dem Theile wurde das Geschäft fortbetrieben. Der im Bau begriffene neue Theil des Gebäudes brach zusammen und stürzte den alten, in welchem gegen 140 Franen beschäftigt waren. Man schätzt die Zahl der durch den Einsturz des Gebäudes Getödteten oder Verwundeten auf etwa 60. Vaterländisches. Wilsdruff. Wir machen auch an dieser Stelle auf den heute Dienstag Abend im G-werbevcrein stattfindendcn Vortrag des Herrn Ober lehrer Weise aufmerksam und ist der zahlreiche Besuch dieser Versammlung umsomehr zu wünschen, als das Thema des Vortrages „Handwerk und Großindustrie" ein ganz zeitgemäßes und für den Handwerker anregendes ist. — Bezüglich unseres Referates in vorvoriger Nr., betreffs der Sonn tagsextrazüge von hier nach Potschappel und zurück, haben wir heute be richtigend zn bemerken, daß diese Extrazüze nicht jeden Sonntag, sondern nur jeden 1. Sonntag im Monat stattfinden sollen, vorausgesetzt, daß die selben auch einigermaßen rentiren. Jedenfalls wird auch solchen Zügen, wie früher, amtliche Bekanntmachung vorausgehen. — Der gestrige Sonntag führte unserer Stadt zahlreiche Gäste aus Löbtau uud dem Plamnschen Grunde zu, denn es galt im SchießhauSsaale eine Volksversammlung abzuhalten, zu welcher ein hiesiger Holzbildhauer gehilfe mittels Maucrunschlägen eingeladen hatte. Referent hielt es für seine Pflicht, wenn auch mit innerem Widerstreben, diese Versammlung zu besuchen. In derselben waren ohngefähr 150 zum Theil sehr jugendliche Personen anwesend, von denen aber wenigstens 120 von Löbtau rc., selbst verständlich mit ihrem zum künftigen Reichstagsabgeordneten auf den Schild erhobenen Produktenhändler Horn an der Spitze erschienen waren. Zur Uebcrwachung der Versammlung war der Herr Bürgermeister Ficker an wesend. Der oberwähnte Bildhauergehilfe wurde durch Zuruf zum Vor sitzenden gewählt. Das Thema der Tagesordnung bildete die Association der Arbeiter zu gewerklichen Genossenschaften zum Schutze gegen das die selben ausbeutende Großkapital, oder deutlicher gesagt zum Schutze gegen die Arbeitgeber. Ein Herr Höppner sprach tn langer Rede sachlich über dieses Thema, während Herr Produktenhändler Horn hierauf die Aus führungen des Vorredners ebenfalls in längerer Rede ergänzte. Beide Redner sowohl als die übrigen kurz zur Sache sprechenden Herren ernteten von ihrem Anhänge starken Beifall, doch mußten auch mehrere Sprecher infolge ihrer Abschweifungen — als da waren die Anpreisung der sozial demokratischen Zeitungen uud anderer dergleichen Litteratur — zur'Sache gerufen werden. Schlecht kamen auch die hiesigen Möbclfabrikanten und Tischlermeister weg, denn ihnen wurde zugerufen: arbeiten Sie ferner nicht mehr zu solchen Schleuderpreisen wie bisher, damit Sie Ihre Arbeiter besser bezahlen können; den hiesigen Arbeitern aber rief man zu: thut euch fest zusammen, damit ihr euren Arbeitgebern mit Nachdruck entgegcntreten könnt, um höhere Löhne zu erringen und kürzere Zeit zu arbeiten braucht. Nun, diese Aufforderung an die Arbeiter hatte doch keinen andern Zweck als den, Unzufriedenheit zu säen zwischen Arbeiter und Arbeitgeber und die Ersteren in die Arme der Sozialdemokratie zu führen, was wir sehr beklagen, denn in unserer Stadt hat bisher die Sozialdemokratie mit einigen Ausnahmen noch keinen Boden gefaßt und war das Verhältniß zwischen Arbeitgebem und Arbeitnehmern bisher noch ein zufriedenes und wollen wir hoffen, daß der gestern ausgestreute Samen in unserer Stadt einen recht schlechten Boden gefunden hat. Nachem der Vorsitzende die Gegner schaft und in dabei recht ungeschickter hämischer Weise die hiesige Presse zu Entgegnungen auf die Vorredner aufgcfordert, welcher Wunsch ihm aber nicht erfüllt wurde, verließ Referent den Saal und hat nur noch erfahren, daß der Herr Horn-Löbtau eine Resolution zur einer Petition an den Reichstag vorgetragen und dieselbe angenommen worden ist, wobei derselbe sich aber socher Abschweifungen schuldig gemacht hat, daß der Herr Bürgermester Ficker sich veranlaßt gesehen, die Versammlung auszulösen und zu schließen, welchem Verlangen man allseitig ohne Störung nachge kommen ist. — Man hatte ja den Zweck erreicht! Der schließliche Ge- Gesang: „Unsere Fahne, roth wie Blut" u. s. w. illustrirt die fremden Theilnehmer an der Versammlung, und wäre es gewiß besser für unsere Stadt gewesen, wenn den Sendboten der Sozialdemokratie ein Saal nicht zur Verfügung gestellt worden wäre. — Röhrsdorf. Zur Erinnerung an die Einführung der Refor mation in unsrer Gegend vor 350 Jahren wurde auch bei uns das Refor mationsfest besonders festlich begangen. Die Lutherlinde am Kirchhof und die Bilder von Luther und Melanchthon in der Kirche waren mit Guir- landen geschmückt. Der Festtag wurde früh Morgens um 4Uhr mitein stündigem Festgeläute begrüßt und unter den Klängen der Choräle „Wie sckön leuchtet der Morgenstern" und „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut", die von bewährten Kräften aus Wilsdruff vom Turm herabgeblasen wurden, sammelte sich die zahlreiche Gemeinde im Gotteshaus, die auch zum größten Teil an der Feier des h. Abendmahles sich beteiligte. Auch nach dem Gottesdienst wurde vom Turm geblasen. Abends fand im Gast hof zum Deutschen Haus ein Familienabend statt, der ebenfalls sehr zahlreich besucht war. Mit dem gewaltigen Siegeslied unsrer Kirche „Ein feste Burg ist unser Gott" wurde die Versammlung eröffnet. Darauf hielt Herr Pastor I)r. Roch einen Vortrag über die Angriffe der römischen Kirche auf unsere Kirche und wies nach, welche Gefahren uns in der Gegenwart von Rom drohen. Dann folgten Deklamationen und Gesänge der Schulkinder und allgemeine Gesänge der Versammelten. Der Abend war in jeder Weise ein gelungener und wird gewiß dazu gedient haben, evangelisches Bewußtsein zu wecken und zu stärken. — Aus dem Vortrag des Abends teilen wir noch einen Feldzugsplan mit, wie ihn ein katholischer Professor in Freiburg gegen unsere Kirche entworfen hat. Er lautet: „Wir werden in den vorgeschobensten norddeutschen Districten die Katho liken sammeln und mit Geld unterstützen, damit sie den Katholicismus er halten und Pioniere nach vorwärts werden. Mit einem Netz von katholischen Vereinen werden wir den altprotestantischen Hcerd in Preußen umklammern und jene mit Geldmitteln unterstützen und durch eine Anzahl von Klöstern diese Klammern befestigen und damit den Protestantismus erdrücken." Bei solchen Angriffs- und Vernichtungsplänen, die die Katholiken hegen, ist es wohl an der Zeit, daß wir uns mahnen lassen: Macht die Augen auf! Wachet! — Die „Oeconomische Gesellschaft im Königreich Sachsen" eröffnete am 18. v. M. zu Dresden die erste ihrer diesjährigen Winterversamm- lungen mit einem Vortrage des Herrn Rudolf Raiffeisen aus Neuwied über das Wesen, die Zwecke und die Einrichtungsweise der Raiffeisenscben Darlehnskassen. Der Versammlung wohnten viele Ehrengäste bei. Der Herr Vorsitzende begrüßte die Erschienenen mit freundlichen Worten. Hierauf hielt Herr Generalanwalt Rudolf Raiffeisen seinen höchst anregenden und belehrenden Vortrag über die Raiffeisens ch en Darlehnskassen. Im Königreich Sachsen sei seit Jahren für Errichtung solcher Kassen gearbeitet worden, doch immer ohne Erfolg. Seit 8 Jahren bestehe die einzige Darlehnskasse in Klotzsche. Redner führt aus, wie sich heutzutage die Selbst sucht immer mehr breit mache und der Gemeinsinn schwinde. Mit der Zeit würde es nur noch Reiche und Arme geben, da der Mittelstand mehr und mehr beseitigt werde und doch sei letzterer die Haupstütze eine- jeden