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„Ein Telegramm, welches Ulrich's Erkrankung meldet, meine Theure!" „Und Hedwiga?" „Sie wird kommen, beruhige Dick, geliebte Schwester!" Die Kranke flüsterte das Wort „allein," und Ulrike bat die Pflegerin, sich zu Tisch zu begeben, worauf diese das Zimmer verliest. „Sie wird mir gehorchen, — sich mit dem Grafen zu verloben," flüsterte Irmgard weiter, — „sie muß, es ist mein letzter Wille, mein Testament!" „Liebe, liebe Schwester, höre mich an, aber rege Dich nicht auf," bat Ulrike, „nicht wahr, Geliebte, Du bist überzeugt von meiner innigen Liebe für Dich?" Sie hatte sich über sie geneigt und sah ihr zärtlich in die geliebten Augen. Es lag ein eigenthümlicher Zauber in ihren treuen, braunen Augen, dem sich selbst Irmgard niemals ganz hatte entziehen können. Sie hatte eine Saite angeschlagen, welche doch noch einen leisen Klang gab. Ueber das schmale, wächserne Gesichtchen zog etwas wie ein Lächeln. „Du bist gut und hast mich immer geliebt," flüsterte sie, „ich weiß e-, Schwester!" „Nun denn, geliebte Irmgard, ich will Dir ein heiliges Gelöbniß geben, wenn Du nur einen Wunsch, eine Bitte erfüllst." Die Kranke blickte sie unruhig an. „Nenne mir erst Dein Gelöbniß." „Daß ich den Namen unseres Vaters bis an mein Ende tragen will." „Ach," keuchte Irmgard athcmlos und mit einem entsetzlichen Röcheln. „Du hast — wirklich noch — an eine — Heirath — mit dem verhaßten Major — gedacht?" „Nein, nein, geliebte Schwester, beruhige Dich doch, —ich — ich—" Die Stimme versagte der armen Ulrike, sie goß rasch Medizin in einen Löffel, um den Unfall zu bekämpfen und mit zärtlichen Worten die Sterbende zu beruhigen. Wenn sie jetzt durch ihre Schuld gestorben wäre! — Ulrike hätte aufschreien mögen vor Entsetzen und Herzeleid. Wie war es nur mög lich, daß der Egoismus über'« Grab hinaus das letzte armselige Pflänz chen, welches noch glückverheißend aufsprossen konnte, erbarmungslos zer treten mochte? Rüdershausen und Irmgard! Ulrike schauerte im Fieber frost zusammen. Die Kranke starb noch nicht, ihre unheimlichen Augen ruhten auf dem traurigen Gefickt der Schwester. „Du hast viel für mich gethan, Ulrike!" begann sie jetzt sehr lang sam und leise. „Ich denke aber, daß Du nicht anders gekonnt, weil die Natur Dich aufopfernd geschaffen hat. Du würdest dasselbe für eine Fremde gethan haben." „O, Irmgard, wie betrübst Du mich," klagte die sonst so starke Ulrike. „Nein, Schwester — es ist die Wahrheit," flüsterte Irmgard, von diesem Gedanken ganz befriedigt, weiter, „daß Du aber Dein auf einen Abweg gerathenes Herz um des Hauses Ehre willen bezwungen hast, das rechne Dir als ein Opfer an, weshalb ich den Schwur von Dir fordere, denbe dingungslosen Schwur, Sä Wister Ulrike, den Namen Jmmcndorf für keinen bürgerlichen einzutauschen, sondern zu leben und zu sterben, wie die Ehr« des Hauses es fordert. Ich würde nach meinem Tode Dir erscheinen und Dein Gewissen wie ein Alp belasten," setzte sie mit unnatürlich krei schender Stimme hinzu, wobei ihre Züge sich furchtbar verzerrten. „Gott! Gott! welche Qual!" dachte die abgemarterte Ulrike, während sie Alles aufbot, die Erregte, deren schwacher Lebensfaden allaugenblicklich zu zerreißen drohte, zu beruhigen. Endlich, nachdem sie das Schwerste gelobt, war es gelungen. Die Kranke flüsterte müde den Namen „Hedwiga" und schloß die Augen zu einem leichten Schlummer. Ulrike blickte, die Hände im Schooß gefaltet, mit überströmenden Augen auf sie hin. Nun war das letzte Opfer gebracht, der Traum von Erden glück für immer zu Ende. Ihr edles Herz kämpfte gegen die Bitterkeit, welche wie Gift durch die Adern schlich und so menschlich erschien. Der treue Tellkamp schien sie vorwurfsvoll und finster anzublicken, er hatte ein Recht dazu, — aber Hedwiga sollte der schnöden Selbstsucht nicht ge opfert, dem Moloch der Standes-Vorurtheile nicht geschlachtet werden. Mit diesem Entschluß rang sich ihre starke Seele frei, — sich geräusch los erhebend, verließ ste das Zimmer, um der Pflegerin ihren Platz wieder einzuräumen, sich in der Einsamkeit zu sammeln und das Gleichgewicht der Seel« zurück zu erhalten. XXVI. Baron Lerchenheim hatte mittlerweile seinen Auftrag ausgerichtct und Hedwiga dem Schutze des Tellkamp'schen Hauses übergeben. Der Major empfing sie in seiner gewohnten Weise, während Magda vor Entzücken und Freude außer sich gerieth. Die Regierungsräthin war auf einige Tage zu einer kranken Freundin nach einem benachbarten Gute gereist und die Luft somit ganz klar, wie der Major im Stillen dachte, da er bereits durch den Arzt auf eine Katastrophe im Jmmendorf'schen Hause vorbereitet war. Der Baron hatte sich rasch wieder empfohlen, worauf Hedwiga den beiden vertrauten Freunden, vor welchen sie kein Geheimniß zu hüten brauchte, die Geschichte des neuen Rüdershausen'schen Dramas mittheilte. „Deswegen bin ich, bevor Tante Irmgard eine Ahnung von meiner Ankunft hatte, geflüchtet, um bei Ihnen Schutz zu finden vor dem Schick sal, zu welchem die Herzlose mich ersehen," schloß ste mit versagender Stimme, nur mit Mühe die Thränen zurückhaltend. Der Major und Magda hatten regungslos zugehört. Nun schlang letztere den Arm um ihren Hals und küßte sie zärtlich. „Der Onkel beschützt Dich, Du Liebe!" sprach sie tröstend, „wie kann Tante Irmgard so rücksichtslos über Dich verfügen?" „Es sieht ihr gleich," rief der Major, sich heftig erhebend und mehrere Male das Zimmer durchschreitend. War's doch stets ihre höchste Wonne, Glück zu zerstören und Herzen zu brechen. Nein, das darf ihr am Schluß ihres Leben« nicht auch noch gelingen. — „Was sagt Ihre Tante Ulrike dazu?" setzte er zögernd hinzu. Hedwiga zuckte die Achseln. „Könnte ste durch ihren Tod mich retten, sie thäte es sicherlich. Uebrigens rieth sie zu meiner schleunigen Entfernung." „Wenigstens eine kleine Hoffnung, daß sie diesmal sich widersetzen wird," sprach der Major schwer athmend. „O, liebes Kind, Sie ahnen «S nicht, mit welcher Furcht ich schon seit Jahren dieser Sterbestunde entgegengesehen, wo die verknöcherte Selbstsucht ihren letzten Trumpf noch auSspielen konnte. Hedwiga blickte ihn theilnehmend an. „Sie wird diesen Trumpf vergessen über den erhabenen Gedanken einer glänzenden Verbindung mit dem Namen Rüdershausen," bemerkte sie seufzend. „O, daß mein Bruder Ulrich auch gerade krank werden muß." „Dein Bruder ist krank?" fragte Magda erschreckt. „Ja, Kind, ein Fieber hat ihn gepackt, doch droht ihm keine Gefahr dabei. Nur reisen durfte er nicht, zumal in dieser Jahreszeit.,, „Dann hätte Egon Dich begleiten können," meinte Magda, „nicht wahr, Onkel!" „Allerdings, seine Gegenwart wäre mir äußerst erwünscht gewesen," rief Tellkamp. „Er hätte diesem Rüdershausen einen Besuch machen müssen, um sich den Burschen genau anzusehen, was ich allerdings auch wohl thun könnte —" „Ach, Onkel, mit welchem Rechte?" fragte Magda kopfschütteldd. „Freilich, freilich, mit welchem Rechte?" erwiderte der Major melan cholisch, bist verständiger als Dein alter, kopfloser Onkel, kleine Magda! — Weder Egon noch ich haben das Recht zur Einmischung, nur Ulrich allein als Haupt der Familie wäre dazu berechtigt. Und nun muß diesen Unheilstiftern noch das besondere Glück zur Seite stehen, daß der Einzige, den sie zu fürchten haben, durch Krankheit ferngehalten, nichts von dieser Katastrophe erfährt. O, man möchte doch an der Gerechtigkeit verzweifeln!" Der gute Major mußte einsehen, daß weder Murren noch Verzwei feln die Katastrophe zu hindern vermochte, wenn nicht, wie eine geheime Hoffnung, gegen welche sein edler Sinn vergebens ankämpfte, ihm fort während zuraunte, eine höhere Hand der verderblichen Selbstsucht ein rasches Ziel setzte. Es bedurfte nicht viel, wie der alte Hausarzt ihm mittheilte, um den jähen Tod der langsam Dahinsterbenden herbeizuführen. Das wäre dann allerdings die rascheste und einfachste Lösung des unerquicklichen Dramas. Vor allen Dingen blieb Hedwiga einstweilen in seinem Hause, also fern von dem Schauplatz der Katastrophe, welche ohne ste, als die Haupt person, nicht inscenirt werden konnte. Mittlerweile hatten sich in der Residenz andere Dinge zugetragen, welche den kranken Ulrich zu einem Entschlusse trieben. Als der Zug mit Hedwiga abgefahren war, kehrte Egon zn dem Freund zurück, den er in einer hochgradigen Unruhe traf. „Ich halt's im Bett nicht mehr aus," rief er dem Eintretenden entgegen, „die Angst und Unruhe erdrückt mich. Ich muß handeln, Freund Egon, um das Fieber los zu werden. Komm, Bruderherz, hilf mir!" Egon schüttelte den Kopf, that ihm aber doch den Willen und half ihm aufstchen und sich ankleiden, wobei er sich über die Energie des Kranken im Stillen wunderte. „Jetzt ein Glas Wein, vom besten, Bruder, um die Fieberschwäche abzuschütteln und dann auf nach X." „Aber Ulrich, ohne die Erlaubniß des Arztes —" „Ach was," unterbrach ihn der Kranke lachend, „die Aerzte machen uns erst recht krank mit ihren Mixturen, ich will gesund sein, ich bin's! Wann geht ein Zug nach X.?" Egon schlug das Coursbuch auf und blickte dann nach seiner Uhr. „In einer halben Stunde kommt ein Expreßzug, der nur zwei Minuten hier und bei X. anhält. Ich denke aber erst den Arzt zu rufen, kann die Verantwortung in der That nicht übernehmen, bester Ulrich!" „Nichts da, ich befinde mich ganz brillant," versetzte Ulrich, „noch ein Glas Wein, er hat eine famose Wirkung. — So, mein Geliebtester, ich dispensire Dich von jeglicher Verantwortung, — bah, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, ich fühle, das daheim jetzt mein Platz ist, fühl's an der tödtlichen Unruhe meines Herzens, da Tante Ulrike noch schließlich einen Opfer-Altar errichten würde, um sich abschlachten zu lassen, wenn ihre Tyrannin es mit dem letzten Athemzuge verlangte." Er ließ sich unter diesen hastig hervorgesprudelten Worten in einen warmen Pelzmantel einhüllen, sich eine Pelzmütze über die Ohren ziehen, in weiche Shawls einwickeln und dann die Treppe hinabgeleiten, wo be reits eine Droschke, welche Egon rasch hatte holen lassen, ihrer harrte. Letzterer besaß noch die Ucberlegung, beim Schloß halten zu lassen, um durch den Hofmarschall ihre plötzliche, nothwenvige Abreise dem Fürsten zu melden und dann ging's rasch nach dem Bahnhof, wo die Ankunft des Expreßzuges bereits signalisirt war. Während Egon die Billets nahm, schritt Ulrich auf dem Perron lang sam hin und her, ohne einen Mann zu bemerken, der ebenfalls den Zug benutzen wollte und ihn mit sichtlichem Interesse unausgesetzt beobachtete. Plötzlich, wie von einem raschen Impuls getrieben, trat derselbe auf Ulrich zu, grüßte sehr höflich und fragte: „Ich habe doch die Ehre, den Herrn Baron von Jmmcndorf vor mir zu sehen?" Ulrich blickte ihn scharf an, griff an seine Mütze und nickte kurz, offen bar, um jede weitere Unterhaltung von vornherein abzuschneiden. „Gönnen Sie mir einige Worte unter vier Augen, Herr Baron!" bat der Fremde, welcher im Ganzen einen höchst anständigen Eindruck machte. „Es muß Sie jedenfalls interessiren, da meine Mittheilung einen gewissen John Walter, welcher in X. auf geheimnißvolle Weise verwundet worden, betrifft." „Was geht das mich an?" gab er mit unsicherer Stimme zurück. „Ich wollte Ihnen mittheilen," fuhr der Fremde unbeirrt fort, „daß ich Detectiv bin, den säubern Vogel, der aus dem Gefängniß der Residenz entsprungen ist, bis nach Oesterreich verfolgt, ihn dort entdeckt und erfahren habe, daß er der Neffe des jüngst verstorbenen Grafen Rüdershausen ist und sich aller Wahrscheinlichkeit nach, soweit ich seiner Spur in der neuen Metamorphose als Universal-Erbe seines Onkels gefolgt bin, augenblicklich in X. befindet." In diesem Augenblick erschien Egon mit den Billets und da der Zug ebenfalls heranbrauste, so war selbstverständlich keine Zeit mehr zur Fort setzung derUnterhaltung, welche gerade jetzt für Ulrich eine höchst interessante Wendung genommen hatte. „Dieser Herr wird das Coups mit uns theilen," sagte letzerer, als der Zug hielt, „kommen Sie rasch, meine Herren!" Egon warf einen halb verwunderten, halb mißtrauischen Blick ans den Detectiv, welcher kein anderer als unser alter Bekannter Thorsen war, und folgte kopfschüttelnd dem voranschreitenden Ulrich, welcher einige Worte mit dem Schaffner sprach und dann in ein leeres Coups stieg. Nachdem Egon und der Detectiv ihm gefolgt, brauste der Zug davon. (Forts, f.) Vermischte«. * Entscheidung über Zeugengebühren. Für die weitesten Kreise dürfte eine gerichtliche Entscheidung über Zeugengebühren von Interesse sein, die ein Berliner Fabrikbesitzer vor Kurzem durchgesetzt. Bekanntlich erhalten Zeugen, welche selbstständig sind, also Handwerksmeister, etablirte Kaufleute, Aerzte u. s. w. keine Entschädigung, und zwar mit der Begründung, daß es bei diesen selbstständigen Herren keinen Maßstab für die Beurtheilung des Schadens giebt, den sie durch die Zeitversäumniß etwa erlitten. Mit dieser Begründung war auch die Liquidation obigen Fabrikbesitzers, der als Zeuge auf dem Kriminalgericht volle fünf Stunden sich hatte versäumen müssen, abgewiesen worden. Der aber beruhigte sich hiermit nicht, sondern verklagte das Gericht, indem er darlegte, daß auch für die Zeugen, welche dieser Selbstständigkeit sich erfreuen, ein Maßstab vorhanden sei, nämlich die Einkommensteuer. „Der Staat hat mich," so führte er aus, „laut bei liegender Quittung mit einem Jahreseinkommen von 5008 Mark einge schätzt. Täglich beläuft sich mithin nach der Ueberzeugung des Staates mein Einkommen auf 13,70 Mk., in der Stunde, den Tag zu zehnstün diger Arbeitszeit gerechnet, also 1,37 Mk., und da ich fünf Stunden ver säumt habe, beanspruche ich nach dem Maßstab, welchen einem hohen Ge richtshof der Staat selbst an die Hand gegeben, 6,85 Mk. Zeugengebühr." Diesen klaren Auseinandersetzungen stimmte der Gerichtshof bei und der Ftsku« wurde zur Zahlung der 6,85 Mk. Zeugengebühr verurtheilt.