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Zweites Blatt. Muts bluff für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Psg. Pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Berlag von Msrtm Berber m Wilsdruff. — VerantwortUch für die Redaktion Martin Berger dmelbst. No. 150 Sonnabend, dem 10. Dezember 180«. Zum 4. Sonntage des Advent. Marei 2, 17: Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten. Wir hören in unseren Tagen so oft die Rede: ich möchte wohl an das Evangelium (an die frohe Botschaft von Jesus Christus) glauben, aber ich kann nicht. Die Leute, die so sprechen, verschanzen sich, wenn man nach dem Grunde fragt, hinter die unglaublichen Wunder, die in der Bibel erzählt würden, hinter allerlei eigene Erfahrungen, die sich mit der Liebe Gottes angeblich nicht reimen lassen, hinter die Lieblosigkeit und schroffe Behandlung, die ihnen gerade von „Gläubigen" zuteil geworden sei. Aber das Alles sind Vorwände, über die das Menfchenherz sehr leicht hinwegkommt, wenn es den wahren Grund des „Nichtglaubenkönnens" aus dem Wege geschafft hat. Welches ist der wahre Grund? Warum können so viele Leute an Jefum Christum nicht glaubens Sehr einfach, weil sie sich nicht als Sünder, sondern als Ge rechte fühlen. Sie geben zwar zu, daß sie „Fehler" haben; nun ja, die hat jeder Mensch. „Wir sind keine Engel, wollen auch keine sein," hieß es einmal selbst im deutschen Reichstage. C'Ege gehen so weit, bei der Beichte das Sündenbekennt- niß stch gefallen zu lassen: ich armer, elender, sündhafter Mensch! Das ist nun einmal eine alte religiöse Formel, die man im Konfirmandenunterricht gelernt hat, die bei frommen Ceremonien herkömmlich ist. Aber buchstäblich darf das nicht genommen werdens ja, das wäre beleidigend. Man ist ein „Ehrenmann", eine ehrbare Frau, im Ganzen ein guter Mensch, mit dem sich leben läßt — ein Ge rechter. Die Sünder sind ganz anderswo zu suchen: in den Gefängnissen, auf der Gaffe, unter Dieben, Mein eidigen, Gefallenen ec. Vortrefflich, daß die innere Mission ich mit ihnen befaßt. Die Gerechten sind kein Objekt für ie, die bedürfen ihrer nicht, nein, durchaus nicht. Sagte ch es nicht, daß ihr euch nicht als Sünder fühlt? Sehet, darum könnt ihr auch nicht glauben! Jesus ist kein Mann für euch. Er kam, das Verlorene zu suchen und selig zu machen; euch sucht er uicht, euch manu er auch nicht selig; denn ihr habt ja garnicht das Bewußtsein, verlorene Menschen zu sein. Ihr werdet den wahren Jesus nie kennen lernen — es sei denn, daß ihr die bittere Pein auf euch nehmt, ench auf eure Sunde zu besinnen. Dazu aber seid ihr zu vornehm und zu stolz. Sagt mir Einer: „Ich kann uicht glauben!" so ant worte ich ihm: „Lieber Freund, mache Ernst mit Deiner Selbsterkenntniß, da hapert's! Nimm Dir Abends vor dem Einschlafen die zehn Gebote Deines Gottes vor und stelle sie in das Licht der viclgerühmten Bergpredigt (Matth. 5) und stelle dann aufrichtigen Herzens Dich selbst in dies Licht. Ich habe die gute Zuversicht, daß Du dann merken wirst, Wie es um Dich bestellt ist, und daß Du dann ganz von selber heiße Sehnsucht nach einem Retter aus der Sünde bekommen wirst. Dann wirst Du Jesum finden, denn dann macht er sich zu Dir auf deu Weg. Du bist Objekt für ihn geworden, ein sehr kostbares, das er retten und erlösen wird. So lange Du ein Gerechter bist, bleibt Jesus Dir ein Fremder, und Du bleibst Jesu fern. II laut praii^usr löVLNgils, NMN Muß das Evan- gelium praktisch machen, las ich einmal. Ja gewiß, und zunächst damit, daß wir einsehen, wir seien die, für die das Evangelium^uns hält: keine vortrefflichen lieben Leute, sondern arme Sünder. Das ist sehr unangenehm, aber das ist unerläßlich. Nur ein armer Sünder kann fingen: O du fröhliche, o du selige, gnadeubringende Weihnachts zeit! Denn nur für die Sünder ist Christus Jesus ge- kommen. Er sagt es selbst. Das Scheitern der Zustyvorlage im Reichstage. Die in vielen Kreisen schon längst gehegten Befürch tungen über das Schicksal der Novelle zu den Reichsjustiz gesetzen sind leider voll eingetroffen, deren dritte Lesung hat in der Dienstagssitzung des Reichstags zum Scheitern dieser wichtigen Vorlage geführt. Bereits iin Verlaufe der zweiten Berathung derselben waren zwischen der Regie rung und der Reichstagsmehrheit in einer ganzen Reihe von Punkten ernste Meinungsverschiedenheiten ausgetaucht; die alsdann unternommenen Verständigungsverhandlungen der Regierung mit der ausschlaggebenden Centrumspartei blieben fruchtlos und auch die noch im Laufe der dritten Lesung gemachten Versuche, zu einer Einigung zu gelangen, hatten keinen besseren Erfolg. Als der Reichstag in ge nannter Sitzung nach Erledigung der nochmaligen General debatte über die Justizvorlage zunächst 8 77 „Besetzung der Strafkammern" abstimmte und hierbei mit erheblicher Mehrheit auf seinem Beschlusse zweiter Lesung verharrte, wonach auch künftig die Strafkammern mit fünf Richtern anstatt mit drei, wie die Regierungsvorlage will, besetzt sein sollen, gab Staatssekretär des Reichsjustizamies Nieber- ding die Erklärung ab, die verbündeten Regierungen er achteten den Beschluß über das Fünf-Richter-Kollegium als für sie unannehmbar und legten daher auf die Weiter- berathung der Vorlage keinen Werth mehr. Da auch der Reichstag keine Lust bezeugte, unter solchen Umständen über den verlorenen Entwurf noch ferner zu verhandeln, so wurde derselbe von der Tagesordnung abgesetzt, womit er also gescheitert ist. Ein solcher leerer Ausgang der Reichstagsverhand- lnngen über die Novelle zu den Reichsjuftizgesetzen bleibt in jedem Falle tief bedauerlich. Schon in früheren Sessionen hat die Frage der vorgeschlagenen Reformen aus den Ge bieten der Gerichtsverfassung und der Strafprozeßordnung den Reichstag des Langen und Breiten beschäftigt, aber immer wieder fiel die Reformvorlage unter den Tisch, weil sich schon damals die verbündeten Regierungen und die Volksvertretung in der Sache nicht zu einigen vermochten. Dann wurde dem Reichstage bei seinem Zusammentritte im Dezember vorigen Jahres die Justiznovelle, etwas ab geändert, abermals unterbreitet. Wiederum fand eine monatelange verwickelte Kommissionsberathnug der umfang reichen Vorlage statt, und wiederum stellten sich hierbei die alten Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Reichstag über eine ganze Reihe von Bestimmungen der Justiznovelle heraus, und die im jetzigen Sefsionsabschnitt nachgefolgte Einzelberathung derselben im Plenum ergab nach keiner Seite hin die Brücke zu einer Verständigung, kein Wunder daher, wenn der bedeutungsvolle Gesetzent wurf auch diesmal nicht zu Stande gekommen ist. Die von der Reichstagsmehrheit aufgestellten Forderungen der Beibehaltnng des Fünf-Richter-Kollegiums bei Besetzung der Strafkammer, des Verbots der Herzuziehung von Assessoren, der Beseitigung des Zeugnißzwanges gegen die Presse re. stießen auf hartnäckigen Widerstand vom Regie rungstische aus, ebenso herrschten tiefe Meinungsverschieden heiten zwischen Regierung und Parlament über die Be stimmungen von der Berufung derZuständigkeit der Schöffen gerichte und über noch gar manch' andere Punkte, und selbst in der für den Laien eigentlich so klar liegenden Frage der Entschädigung unschuldig Verurtheilter standen sich die Anschauungen beider Theile schroff entgegen. Die ver bündeten Regierungen wollten ihre Ansichten in keiner einzigen wichtigeren Einzelheit preisgcben, anderseits konnte sich jedoch auch der Reichstag nicht zum Verzicht auf alle seine Forderungen entschließen, so ist denn die Justiznovelle schließlich wieder über Bord gefallen. Bleibt es schon bedauerlich, daß hiermit die lange kost bare Zeit und die große Arbeit, welche der Reichstag auf die Berathung der Vorlage verwendete, gänzlich verloren ist, fo muß auch das Scheitern derselben wegen der Sache selbst nur lebhaft bedauert werden. Die Forderungen, vor Allem die Einführung der Berufung gegen die Urtheile der Strafkammer und die Entschädigung unschuldig Verur theilter, sind so überaus zeitgemäße und so dringende, sie finden in ihren Kernpunkten fo allseitige Zustimmung, daß es schier unbegreiflich erscheint, daß nun trotzdem die so lange angestrebten Justizreformen erneut gescheitert find. Welch' ungünstigen Eindruck ein derartiges Ende der langen Reichstagsdebatten über die Juftiznovelle in weiteren Volks kreisen machen, läßt sich denken, es steht zu befürchten^ daß infolgedessen die radikale Strömung in breiten Schichten der Reichstagswähler nur noch eine Erschürfung erfahren wird. Die Räuber. Frei nach Schiller bearbeitet von Gustav Lange. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Im ersten Augenblick konnte Karl von Moor es gar nicht recht unterscheiden, woher dieses Geräusch rühren möchte; erst nachdem er etwas länger hingehorcht und sein Gehör angestrengt hatte, da wurde es ihm inne — unter dem Raume, wo ste ihr Nachtlager aufgeschlogen, wurden deutlich Schritte hörbar und dazwischen menschliche Stimmen. Ein leichtes Entsetzen erfaßte Karl von Moor. Er kannte von seiner Kindheit her, wo er sich unter Aufsicht des alten Daniel manchmal hier getummelt, die Beschaffenheit und die Räumlichkeiten der alten Ruine gar gut — unter ihnen in dem Thurme befanden sich ehemals die Gefängnisse des Schlosses, wo die edlen Herren von Mooringen ihre widerspenstigen Unter- thanen einzusperren pflegten — eine Art Burgverließ. Diesen Zwecken diente der Thurm, seitdem das neue Schloß erbaut worden, freilich nicht mehr, trotzdem diese kellerartigen Räume noch recht gut erhalten und Thüren und Schlösser noch im Stande waren; die Schlüssel dazu verwahrte als geheiligtes Andenken an die alte Znt des Faustrechts und der grausamen Willkür der jeweilige Reichsgraf von Mooringen in der Rüst kammer des neuen Schlosses. Schm wollte Karl von Moor den an seiner Seite noch recht fest schlummernden Kosinsky mit einem leichten Rippenstoß erwecken, aber da überlegte ersieh, daß dadurch eine Beobachtung dieses nächtlichen Skandals erschwert werden könnte, eine Person konnte der Ursache viel leichter nachspüren, und Furcht kannte er ja nicht — mochten in diesem Augenblicke alle höllischen Geister auf ihn eindringen. Vorsichtig erhob sich Karl von Moor von seinem harten Lager und lauschte ein wenig; richtig -- wie aus der Unterwelt herauf wurden dort in der Nähe, wo eine halbverfallene Stein- tceppe in den unteren Raum des Thurmes führte, Schritte und dumpfe Worte und dazwischen ganz deutliche, durchdringende Klaaelaute hörbar. Um gegen alle Möglichkeiten einigermaßen geschützt zu sein, nahm Karl von Moor eine seiner sorgsam am Kopfende ver wahrten geladenen Doppelpistolen an sich und spannte schußbereit den Hahn. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß dieser alte Thurm den Schauplatz eines Verbrechens bildete, denn an Geister erscheinungen und dergleichen glaubte er nicht, also konnte ihm auch nur eme Portion Muth und eine gute Waffe von Nutzen sein, um dem unheimlichen nächtlichen Spuk nachzuforschm und auf den Grund kommen zu können. Zu den unteren festen, gefängnißartigen dunklen Zellen führte, wie Karl von Moor genau wußte, außer von dem Raume aus, wo er mit Kosinsky sein Lager aufgeschlagen, auch noch ein Zugang direkt vom Burghofe aus, der ebenfalls noch gang bar war, trotzdem Steingeröll, Schutt und eingestürztes Mauer werk denselben schwerer passirbar machten. Nachdem er einen Augenblick die Situation ruhig überdacht, kam ihm auch die Vermuthung, woher die Tritte gerührt haben mochten, durch deren Geräusch er erwacht war. Eine oder mehrere Personen mußten durch den Raum hindurch und in die unteren Räume des Thurmes hinabgestiegen sein. Die vollständige Dunkelheit und der Umstand, daß er und Kosinsky im äußersten Winkel ihre Lagerstätte sich hergerichtet halten, waren jedenfalls die Ursache gewesen, daß sie von den unverhofften nächtlichen Ein dringlingen nicht bemerkt worden waren. Welche Geheimnisse barg dieser altersgraue Thurm? Die Zeiten waren ja längst vorbei, wo allen Rechtens von dem Burg herrn dazu verurtheilte Personen in das Burgverließ gesperrt wurden, ohne daß ein Hahn darnach krähte und dieMehklagen der Unglücklichen fruchtlos verhallten, denn die dicken Stein quadern verhinderten wohlweislich, daß dieselben von außen gehört werden konnten. Es war also der einzig mögliche Fall, daß hier in dem Thurm ein geheimer Schlupfwinkel für lichtscheues Ge sindel sich befand, oder da unten Jemand gewaltsam gefangen gehalten wurde, wovon außer den daran Betheiligten sicher Niemand eine Ahnung hatte. Es erfüllte Karl von Moor mir Genugthuung, hier wieder einmal ein Unrecht gut machen zu können, irgendeine Schand- that zu verhindern in der Lage zu sein und dadurch für seine