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«MM Freitag, den 15. Februar 188S. Beilage zu No. 13. Der schwarze Robert oder: Meine Frau und ich. Von Michael Folden. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Nur zum Schutz, nur zum Schutz, mein Engel!" lachte ich freund lich. Ich habe es mir in der Apotheke auflegen lassen, weil ich den Finger dann bequemer brauchen kann. — Die Apfelsinen " „Ach, laß mich mit den dummen Apfelsinen zufrieden — wie bist Du denn nur unterwegs dazu gekommen, Dich so fürchterlich zu schneiden?" „Ich habe mich ja nicht unterwegs geschnitten," sagte ich ein wenig kleinlaut und ein wenig mißgestimmt über meine Apfelsinen: „Ich habe mich vorhin -ein bischen geritzt an dem Glase." „An dem Glase! Herrgott, am Ende ist Glas in die Wunde ge kommen!" rief meine Frau erschreckt, schob die Apfelsinen umstandslos bei Seite und beschäftigte sich angelegentlich mit meiner Hand. „Weshalb Haft Du denn das vorhin nicht gleich gesagt — Du hättest den Finger in kaltem Wasser baden sollen!" „Es ist ja nicht nötbig, Kind!" versicherte ich etwas nervös, „das arme Schnittchen ist nicht der Rede werth!" „Du sagst das so leicht hin! Wenn aber Glas in der Wunde ist, wird es sehr schlimm .... ach und daran bin ich schuld mit meinem Ungeschick — ich habe die Schale umgestoßen — mein liebes, süßes Männchen, ach bitte, verzeihe mir, ich bin so ungeschickt gewesen, so launisch und unfreundlich bitte, bitte, sei nicht böse!" Meine Frau siel mir um den Hals und weinte. Ich stand starr! Dann jubelte es hell in mir auf und überkam mich mit einem wahrhaft berauschenden Triumph! So einen Sieg hatte ich ja in meinem ganzen Eheleben noch nicht erkämpft — ich traute meinen Sinnen gar nicht! Dafür will ich mir ja zehnmal in den Finger ritzen und das Experiment mit den Apfelsinen hätte ich sparen können! Ich mußte mich ordentlich zusammennehmen, um meiner Frau nicht merken zu lassen, was in mir vorging. Ich that sehr ruhig, als ob sich das Alles so von selbst verstände und zeigte ungemein viel Würde, indem ich meine Frau ermahnte, ruhig zu sein und von der Geschichte heut Morgen doch nicht weiter zu sprechen. Man wird es gewiß höchlichst billigen, wenn ich nicht näher auf die Sache einging, denn meine Frau bedurfte der Schonung. Junge Frauen bedürfen gewöhnlich der Schonung, wenn sie ein halbes Jahr verheirathet sind. Aber das Mittel mit dem Ritz in dem Finger möchte ich doch allen lieben Ehecollegen als wohl zu merken anempfehlen. Laura war die Liebenswürdigkeit selbst. Was die Apfelsinen nicht vermocht, das hatte das Heftpflaster im Nu zu Stande gebracht, die Kopfschmerzen waren fort und meine Frau versöhnt. Was sage ich, ver söhnt? Besiegt, unterworfen, ja fast zerschmolzen war sie! Ich möchte die ganze Welt mit Englisch-Pflaster umarmen und Glas in die Zeige finger aller Ehen ritzen, um sie zum Paradiese zu machen! So ein guter Mensch bin ich — oder war ich wenigstens damals in meiner Herzensfreude! Meiner Frau, welche gar nicht wußte, was Alles sie mir zur Liebe thun solle, schien plötzlich etwas Besonderes einzufallen. Sie rief aus: „Halt, ich hab's, womit ich Dich gut mache!" lächelte verschmitzt und eilte aus dem Zimmer. Es ging zum Mittagessen und gewiß wollte sie schnell noch eines meiner Lieblingsgerichte Herrichten lassen und mir extra auftischen, das liebe, gute Weibchen! Richtig, es war ein Weilchen hin- und hergelaufen zwischen Zimmern und Küche, woran sie eifrig theilnahm nnd dann kam sie wieder zu mir. Ich that, als ob mir dies Alles gar nicht auffalle, um Mittag auch ja recht überrascht sein zu können und wäre für mein Leben gern wieder an den Schwarzen Robert gegangen ' ' ' durfte ich doch nicht! Bei so viel Liebenswürdigkeit von ihrer Seite letzt von ihr fortgehen, mich in mein Zimmer zurückziehen und arbeiten, wo es so wie so bis zum Mittagessen nur noch ein Stündchen hin war — nein, das ging nicht! Ich blieb also bei ihr und wir plauderten. Dabei rauchte es. Mir ist Rauch in den Zimmern etwas Fürchter liches und unsere Küche war bisher mit ihrem Schornstein musterhaft in Ordnung gewesen. Aber gewiß war irgend ein neuer Brat- oder Back ofen für mein Extragericht in Thätigteit gesetzt worden und daher der Rauch — ich that also, als bemerke ich ihn nicht. Das Stündchen ver ging und der Tisch wurde gedeckt. Es war recht rauchig und ziemlich warm im Zimmer geworden, fast so, als ob geheizt sei und es war zum Heizen noch viel zu früh in der Jahreszeit. Wir aßen bei guter Laune und ich wartete neugierig auf mein Extragericht — es kam aber nicht, es war wohl noch nicht fertig. Dabei bemerkte ich aber mit eigener Un ruhe denn ich habe eine sehr empfindliche Nase — daß es anfing, brenz- Uck zu riechen, als ob etwas zu scharf gebacken würde oder anbrenne. Mir wurde, meines armen Frauchen wegen, bange um ihr Extragericht das sie vergessen zu haben schien. Denn das Mittagessen war vorüber die neue Speise kam immer noch nicht und sie brannte am Ende an, Ich faßte mir endlich ein Herz und bemerkte vorsichtig: „Es riecht brenz lich, liebes Kind!" „Ja," erwiderte Laura unbefangen und schnüffelte mit ihrem Näschen in der Luft: „es kommt Mir auch so vor!" Sie schwieg. . Ich wurde unruhig. „Solltest Du vielleicht in der Küche noch Etwas auf dem Feuer stehen haben?" sagte ich zögernd und mit leiser Erinnerung: „Es — es wird doch nicht etwa anbrennen?" „Anbrennen — hilf, Himmel!" rief sie erschrocken aus; „Ich habe ja ganz vergessen ..." Sie sprang betreten auf und eilte aus dem Zimmer. Nach einem Weilchen kam sie wieder, mit geröthetem Gesicht, sehr verlegen, die Augen niedergeschlagen, mit den Händen bedächtig an der Schürze zupfend und sagte kleinlaut: „Da habe ich etwas Schönes an gerichtet !" „Was denn?" fragte ich freundlich, denn mir machte ihre Bestürzung ungemeinen Spaß. „Es es ist ein bischen angebrannt . . .!" „Das Gebackene?" fragte ich lächelnd. „Gebacken? Nein —" sie lachte hell auf und warf lachend das Köpfchen in den Nacken: „Gebacken ist er noch nicht, nur ein bischen angebrannt — sei nicht böse!" „Angebrannt? Wer denn?" „— der — der Dings da, Robert Deine! Schreiberei . . „Der Schwarze Robert?" rief ich im höchsten Erstaunen aus: „An gebrannt — wie ist er denn dazu gekommen?" Ich — ich wollte aufmerksam sein und ihn Dir wieder hübsch trocknen — da — ließ ich Feuer in dem einen Ofen machen und legte die Papiere sorgfältig in die Wärmeröhre und — und — da habe ich gar nicht be merkt, daß diese eine eiserne Platte hat: sie wurde sehr heiß und — und da ist er allerdings ein Bischen angebrannt..." Ich stürzte aus dem Zimmer und eilte in mein Arbeitsgemach. Rich tig ! Da lag der Schwarze Robert in einzelnen Blättern auf dem Tisch, steif, jedes Blatt in eine andere Wellenlinie gebogen, fest wie von Appre tur, stark gebräunt, fast knusperig — an den Ecken mit großer Regel mäßigkeit angesengt und mit einigen perlgroßen Brandlöchern versehen, die mit einem außerordentlich hübsch schattirten Rande von brandbrauner Nuancirung umgeben waren. Meine Frau war mir gefolgt und sagte äußerst kleinlaut: „Bist Du böse, lieber Mann?" Ich schluckte hinunter, was mir in dem Augenblicke in die Kehle kam, und sagte krampfhaft: „Nein. — Du — Du — hm — Du hast es ja gut gemeint —" „Ja! sehr!" versickerte sie naiv. „Ich werde die Sache ganz noch einmal abschreiben," sagtejich schluckend. „Ich — bin nicht böse — — ich werde mich gleich an die Arbeit machen." Laura mußte wohl merken, daß ich schluckte. Sie that weiter!'gar nichts, sondern ging ganz still und niedergeschlagen fort, nur leise vor sich hinseufzend: „Ach, dieser Robert ist ein UnglücksmenschMr mich!" und sie wischte sich eine Thräne aus dem Auge. Ich war allein. Ach, es ist reizend verheirathet zu sein aber allein zu sein, ist manchmal auch ganz hübsch. Ich beschloß, den unglücklichen Robert, der nun schon ertränkt, zer- tupft, geröstet und verbrannt worden war, ein anderes Mal abzuschreiben und vorerst in der Erzählung fortzufahren, um dem unverkennbaren Winke des Schicksals, den es mir in Gestalt meines zeitigen Alleinseins gegeben, auch ja Folge zu leisten. Denn: was Du von der Minute ausgeschlagen . . . und so weiter. Ich setzte mich also nieder und schrieb: So war der Abend des schrecklichen Tages hereingebrochen, der ein Hochzeitstag hatte sein sollen und zu so schauerlichem Todestag geworden war, als ein neues Ereignis; eintrat, das die Schloßbewohner abermals in das höchste Erstaunen versetzte. Am Thor der Burg erschien Ludwigs, die alte Zigeunerin, und meldete, daß sie in wichtiger Botschaft den alten Grafen zu sprechen begehre. Sie war seit Langem, seit Jahr und Tag verschwunden, verschollen gewesen und Niemand hatte erwartetet, sie noch einmal von ihrer Wanderschaft zurückkehren zu sehen, bis sie so unver- muthet gerade am heutigen ereignißvollen Tage sich im Schloßhofe meldete. Es war, daß wußte Jedermann, ein eigen Ding mit diesem Zigeuner weibe. Seit Menschengedenken hatte sie sich als Wahrsagerin, Bettlerin und Kräutersrau in der Gegend Herumgetrieben, bald auf Wochen hinaus in geheimnißvollen Wanderzügen abwesend, bald unvermuthet wieder auf tauchend, ohne daß man wußte, wann und woher sie gekommen, — von dem strengen alten Grafen nicht nur, wenn auch mürrisch und mit ersicht lichem Widerwillen, geduldet, sondern oft auch, anscheinend in geheimer Botschaft, von ihm empfangen. Jetzt nun war sie länger, als man sich dessen je zu erinnern vermochte, verschwunden gewesen, so daß man sie längst für gestorben oder verschollen hielt und kaum noch ihrer gedachte, als sie heut urplötzlich wieder erschien und den Grafen zu sehen verlangte. Dieser jedoch ließ sie heut, was er sonst nie gethan, barsch abweisen mit dem Befehl, daß sie sich fürder nie mehr auf dem Schlosse blicken lassen solle. Die Alte hatte aber gekichert und gesagt: man möge dem gnädigen Herrn Grafen übergeben, was sie ihm hier aus fremdem Lande mitbringe und dann werde sie auf der alten Steinbank an der Pforte ein kleines Weilchen warten, ob er sich vielleicht doch eines Anderen besinne und ihre Botschaft hören wolle. Damit hatte sie ein zerknittertes Stückchen weißen Zeuges aus dem Beutel an ihrer Seite genommen und es dem Diener übergeben, welcher verwundert darin ein Stück Spitzenzeug erkannte; an scheinend den abgerissenen Theil einer Spitzenmanschette, wie man sie da» mals nach spanischer Sitte trug. Kaum hatte der alte Graf das Zeug von dem alten Diener erhalten, als er in solche Aufregung gerieth, daß er mit dem Rufe: „Wo ist die Alte? — haltet sie fest, ich muß wissen, woher sie das genommen!" selbst auf den Vorhof hinauseilte und, unbe kümmert um die lauschende Dienerschaft, der Zigeunerin schon von Weitem seine erregte Frage zurief. „Habt Ihr es erkannt, gnädiger Herr?" erwiderte die Alte forschend. „Gut, ich werde Euch sagen, was Ihr zu hören begehrt — laßt mich in das Gemach Eures gnädigen Herrn Sohnes führen, ich muß es Euch dort sagen." „Weshalb das?" fragte der Graf düster, weißt Du, was geschehen ist?" „Ich weiß, daß Euer Sohn todt ist, ermordet — und ich weiß, daß Ihr Euch in Demjenigen irrt, auf den Ihr wegen der That denkt!" erklärte die Alte unterwürfig, aber in festem Ton. „Führet mich hin, führet mich hin und sehet zu, was ich Euch dort weisen werde." „Komm!" Der Graf schritt hastig voran, gefolgt von der keuchenden ! und hüstelnden Alten, gefolgt aber auch von den Neugierigsten unter den Dienern, die scheu von Weitem an der Thür des Zimmers stehen blieben und lauschten, da der Graf, absichtlich oder in Vergessenheit, die Thür des Gemaches nicht hinter sick schloß. „Euer Sohn ist ermordet worden," wiederholte die Alte sinnend nach einem flüchtigen Blick durch das Zimmer, „und die Leute sagen, der Teufel habe ihn erschlagen, Ihr selbst sagt, ein Anderer habe es gethan, den Ihr gar wohl kennt. — Ihr habt Beide unrecht!"